01 July 2010

Saarlands Verfassungsgerichtshof will der Regierung das Wiedergewähltwerdenwollen verbieten

Die Regierung darf keine als Öffentlichkeitsarbeit verkleidete Wahlwerbung betreiben. Das wissen wir auf Bundesebene seit 1977.

Jetzt weiß es auch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU). Der saarländische Verfassungsgerichtshof hat ihm heute bescheinigt, mit allerhand selbstlobenden Anzeigen und Briefen an Landesbedienstete kurz vor den Wahlen 2009 die Landesverfassung gebrochen zu haben.

Muffiger Antipluralismus

Die Grenze zwischen erlaubter Information der Bürger über geleistete Taten und errungene Erfolge und verbotener Werbung für die eigene Wiederwahl ist notorisch schwer zu ziehen. Das war sie auch schon 1977, als das BVerfG Helmut Schmidts sozialliberale Bundesregierung wegen allzu intensiver Prahlerei vor Bundestagswahlen zur Ordnung rief.

Die damalige Entscheidung des Zweiten Senats gehört nicht zu den schärfsten gedanklichen Leistungen, die das BVerfG vollbracht hat. Sie atmet einen muffigen antipluralistischen Geist und fußt auf der merkwürdigen Vorstellung, die Regierung schwebe als gleichsam überparteiliche, aus dem nickeligen Parteiengezänk herausgehobene Instanz über der Gesellschaft und dürfe mit dieser nur bezogen auf das “Staatsganze” kommunizieren, und zwar zu dem Zweck, den “Grundkonsens” der Bürger, dass das deutsche Staatswesen eine prima Sache sei, zu stärken.

Davon hebt sich das Urteil der Saar-Verfassungsrichter zunächst mal wohltuend ab. Sie betonen, dass eine Regierung den Bürgern erklären können muss, was sie tut und warum das gut ist, was sie tut, und dass damit notwendig einhergeht, dass sie mehr Möglichkeiten hat, sich gut aussehen zu lassen, als die Opposition.

Dem demokratischen Prinzip immanent ist indessen dennoch, dass jede Bürgerin und jeder Bürger auch dann, wenn sie einer politischen Minderheit angehören oder von der Meinung der Regierenden abweichende Auffassungen vertreten, gewiss sein können, in einem Staat zu leben, in dem auch sie gehört und ernst genommen
werden, in dem Macht auf Zeit vergeben und wirksam kontrolliert wird und die Möglichkeit besteht, dass Minderheiten zu Mehrheiten werden oder auch aufgrund der Kraft fair und gleichberechtigt ausgetauschter Argumente Mehrheiten den ihnen einmal erteilten Auftrag fortführen können.

Da liegt der Hund begraben: Wenn die Regierungspartei die Mittel des Staates einsetzen kann, um ihre eigene Wiederwahl zu befördern, dann ist das mit der Chancengleichheit der Parteien und der Möglichkeit von Machtwechseln als Fundament jeder Demokratie nicht zu vereinbaren. Das ist der Maßstab. Und nicht die etatistische Chimäre einer Regierung, die keine Parteien mehr kennt, sondern nur noch Deutsche.

Unfreiwillig komisch

Diesem Maßstab wird der saarländische Verfassungsgerichtshof allerdings nicht gerecht. Es versucht sich an der Bildung von Fallgruppen und überschreitet dabei gelegentlich die Grenze zur unfreiwilligen Komik:

Der parteiergreifende Charakter kann sich ferner daraus ergeben, dass eine Regierung deutlich ihre Absicht zum Ausdruck bringt, im Amt bleiben zu wollen.

Deutlicher kann man nicht sagen, dass die etatistische Linie des Urteils von 1977, innerhalb derer sich das Saar-Urteil dann doch bewegt, die Regierung zu einer heuchlerischen Leisetreterei zwingen würde, nähme man sie wirklich ernst.

Die Leute sind doch nicht blöd. Natürlich will jede Regierung wiedergewählt werden, und schlimm wäre es, wenn sie das nicht täte. Wer der Regierung verbietet, das auch zu sagen, der zwingt sie zur Lüge bzw. zu windelweichen Pseudo-Informationskampagnen, die sorgfältig jede Bezugnahme auf Parteien oder Wahltermine vermeiden und sich um einen widerlich unpolitisch-staatstragenden Ton bemühen, um nur ja keinen verfassungsrichterlichen Anstoß zu erregen.

Solche Urteile braucht kein Mensch. Wenn Peter Müller unter der Überschrift “Der Ministerpräsident informiert” zu Wahlkampfzeiten von einer Zeitungsseite herunterlächelt, dann ist das zwar nicht besonders toller Stil. Aber verfassungswidrig ist was anderes.


2 Comments

  1. NurSchnell Sat 3 Jul 2010 at 16:53 - Reply

    Die Sache ist doch wesentlich simpler: Warum um alles in der Welt soll eine Regierung das Recht haben, für ihre Wiederwahl auf STEUERZAHLERSKOSTEN zu werben. Das ist die einzig relevante Frage. Nicht, ob der Staat nicht die berechtigten Interessengruppen anerkennt oder ob er sich irgendwie an “nur noch Deutsche” wendet.

    Würde man der Regierung bedingungslos gestatten, auch auf ihr Weiterbestehen zu werben, würde das die jeweils herrschende Weltanschauung/Interessengruppe übervorteilen. Wieso muss ein, beispielsweise Liberaler Steuerzahler es ertragen, wenn auf seine Kosten werbung für eine sozialistische Politik gemacht wird, oder umgekehrt ein Anarchist, wenn da jemand Werbung für konservative Standpunkte macht. Natürlich ist eine Regierung nicht unpolitisch, um Gottes willen, aber für den Wahlkampf müssen die Parteien und nur die zuständig sein, alles andere führt zu unerträglichen Zuständen.

  2. Max Steinbeis Sun 4 Jul 2010 at 16:42 - Reply

    würde ich nicht so sehen.

    “Wieso muss ein, beispielsweise Liberaler Steuerzahler es ertragen, wenn auf seine Kosten werbung für eine sozialistische Politik gemacht wird”

    na, er muss ja auch ertragen, wenn auf seine Kosten sozialistische Politik gemacht wird.

    Die Politik von der Werbung für die Politik auseinanderfiletieren zu wollen führt in meinen Augen direkt in die beschriebene Leisetreterei und Heuchlerei hinein.

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