13 January 2011

Das Zombie-Gesetz nachträgliche Sicherungsverwahrung

Es gibt nichts Gruseligeres, als wenn ein Toter immer wieder aufsteht und einem an die Gurgel will, man kann ihn umbringen, so oft man will.

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist zum 1.1.2011 abgeschafft. Good Riddance: Nach dem (heute obendrein in drei Fällen bekräftigten) Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009 war diese Lösung, wonach besonders gefährliche Straftäter auch nachträglich und über die Zeit ihrer Strafe hinaus in den Maßregelvollzug gesteckt werden können, kaum mehr zu halten.

Kaum ist das Gesetz unter der Erde, klappt es schon wieder den Sargdeckel auf: Der EGMR hat nämlich heute sein Urteil im Fall des Kinder-Vergewaltigers Albert Haidn verkündet, (der bereits 2004 Rechtsgeschichte schrieb, als er vor dem BVerfG die  nachträgliche Sicherungsverwahrung nach bayerischem Landesrecht zu Fall brachte).

Nicht abgeschafft genug

Und siehe: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist nicht abgeschafft genug, um Deutschland nicht noch eine Klatsche vom EGMR zu verschaffen. Denn nur für die Zukunft gibt es sie nicht mehr. Bereits verhängte nachträgliche Sicherheitsverwahrungen bleiben bestehen und führen jetzt ebenfalls dazu, dass die betroffenen Leute das aus der Konstellation der nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung bereits bekannte Dilemma aufwerfen, dass man sie entweder rauslassen muss oder gegen die EMRK verstößt.

Der Grund dafür, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung immer noch untot herumgeistert, ist laut BMJ, dass man die neue Lösung der vorbehaltenen Sicherheitsverwahrung nicht nachträglich auf bereits abgeurteilte Fälle ausdehnen kann:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wendet das Rückwirkungsverbot auf die Sicherungsverwahrung streng an,
heißt es zur Erklärung. Man kann also nicht die nachträgliche Sicherungsverwahrung nachträglich ent-nachträglichen.

What a bloody mess.

Zweifel an Ersatzgesetzgeber-Rolle des BVerfG

Noch etwas ist interessant: In der Haidn-Entscheidung wirft der EGMR die Frage auf, ob eine Freiheitsentziehung überhaupt “rechtmäßig” nach Art. 5 I a EMRK sein kann, wenn sie aufgrund eines Gesetzes verhängt wird, das das BVerfG 2004 für verfassungswidrig, aber aus rechtspolitischen Gründen vorläufig weiter für anwendbar erklärt hat.

Das ist ein heikles Thema. Die Praxis des BVerfG, sich zum Ersatzgesetzgeber aufzuschwingen und verfassungswidrige Gesetze aus Gründen höherer Vernunft für Monate oder Jahre gültig zu halten, sorgt auch im Verhältnis zum EuGH immer wieder mal für Irritationen.

Der EGMR weist darauf hin, dass die Strafe vorhersehbar sein muss. Das scheint der EGMR hier anzuzweifeln, zumal drei der acht Verfassungsrichter 2004 sich die vorläufige Weitergeltung ausgesprochen hatten (Broß, Osterloh und Gerhardt).

Foto: eryoni, Flickr Creative Commons


2 Comments

  1. Wolf Thu 13 Jan 2011 at 18:09 - Reply

    ärgerlich, aber die große Debatte vom Sommer letzten Jahres dürfte uns wohl doch erspart bleiben. Denn derzeit weiss man nur von 20 nachträglich Sicherungsverwahrten. Diese nötigenfalls polizeilich überwachen zu lassen, sollte die Kapazitäten der Polizei noch erlauben.

  2. Malte S. Thu 13 Jan 2011 at 20:06 - Reply

    fehlt da ein “gegen” im letzten Absatz?

    Zum Thema:
    Die Begründung des BMJ ist natürlich Murks. Mit der gleichen Argumentation bekommt man jedes Beweisverwertungsverbot vom Tisch (“Wir müssen den Bösen doch kriegen / von der Gesellschaft fernhalten.”).

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