11 July 2011

Fremd bin ich eingezogen, fremd zog ich wieder aus

Mein Klagenfurt-Abenteuer ist vorüber, und obwohl ich viel Spaß hatte, viel gelernt habe und auch ziemlich beeindruckt war von der Skalpellführung mancher Juroren, hat sich doch ein anfängliches Grundgefühl zuletzt wieder ganz deutlich bestätigt: Ich bin da fremd.

Ich will nicht jammern, dass sie mich zu den Verlierern sortiert haben (natürlich will ich jammern, aber ich versuche, es nicht zu tun). Ich akzeptiere, dass die Kandidaten, die die Preise gekriegt haben, Preise gekriegt haben, wenngleich ich sie etwas anders verteilt hätte: Nina Bußmann war toll, Steffen Popp war toll, und Leif Randt ist zwar gruselig, aber kann wirklich eine Menge, Thomas Klupp ist überhaupt nicht gruselig und kann vielleicht sogar noch mehr, und gegen die Siegerin Maja Haderlap kann überhaupt und von vornherein schlechthin gar niemand etwas sagen, jedenfalls nicht laut.

Ich akzeptiere auch, dass Kunst etwas mit Selbstexpression zu tun hat. Ich akzeptiere, dass die Österreicher sehr wichtig finden, dass Österreicher gewinnen. Ich akzeptiere, dass die Jury, anders als das Publikum, überwiegend aus Leuten besteht, die wahnsinnig gut darin sind, hermetisch scheinende Texte aufzuschließen, und dass sich das auch in ihren Präferenzen niederschlägt. Ich akzeptiere, dass eine Geschichte über einen beziehungsgestörten Lehrer große Literatur sein kann (kein Sarkasmus, das meine ich ernst).

Aber was mich schon erstaunt hat: Wir leben in außerordentlich spannenden Zeiten, da draußen passieren gerade Umwälzungen von säkularen Dimensionen, und das würde auch niemand der Angehörigen dieser Literatursphäre bestreiten. Nur: Sie scheinen sich nicht für besonders zuständig zu halten dafür. Über beziehungsgestörte Lehrer können sie stundenlang diskutieren. Aber was in Griechenland gerade abgeht, ist aus Klagenfurter Perspektive ein ganz fernliegendes Gesprächsthema für Literaten.

Die Klagenfurter Literatur- und Weltwahrnehmung ist eine, in der Personen vorkommen, aber keine Gesellschaft. Zum Beispiel Krieg: Den bekommt sie ausschließlich als einen Anlass für Individuen in den Blick, individuelle Konflikte zu durchleben, Schuld auf sich zu laden, Angst zu überwinden und so weiter. Alles sehr spannend. Aber was ist das überhaupt, ein Krieg? Wie kann es sein, dass so etwas passiert? Niemals wird man in Klagenfurt diese Frage gestellt finden, geschweige denn eine Antwort darauf bekommen.

Ich bin dort mit einem Text angetreten, der von der Finanzkrise handelt und von der Möglichkeit, dass unser Geld bald vielleicht nichts mehr wert ist. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht damit, dass ein Juror einen Text, der davon handelt, zu was einen die Furcht vor dieser Möglichkeit alles treiben kann, als “Schnurre” bezeichnen könnte.

Jetzt freue ich mich auf drei Wochen Ferien, und anschließend werde ich mich erfrischt daran machen, die aufregende Welt da draußen in Worte zu fassen, ob in meinem neuen Roman oder in diesem Blog oder sonst wo. Und auch darauf freue ich mich ungeheuer.


3 Comments

  1. Daniel Mon 11 Jul 2011 at 08:51 - Reply

    Hallo Max, ich hab’s tatsächlich geschafft, am Freitag mal reinzugucken, leider habe ich aber den Anfang deiner Erzählung verpasst. Hab mir den Text gerade noch mal runtergeladen und werde ihn mir noch mal in Ruhe durchlesen. Die Diskussion deines Textes direkt im Anschluss an deine Lesung fand ich ziemlich spannend. Ich hab das dann nicht weiter verfolgt, aber bis auf diesen krawalligen Jandl schienen doch alle ganz angetan zu sein. Etwas befremdlich fand ich ja hingegen, dass du als Autor dich dann gar nicht mehr zu der Kritik äußern konntest; aber da trifft wahrscheinlich dann einfach meine akademische Erwartungshaltung auf einen doch etwas anderen Kontext. So oder so, ich fand’s sehr spannend und habe jetzt Lust darauf, deinen Text noch mal zu lesen. Beste Grüße & einen schönen Urlaub dir, Daniel

  2. Eva Mon 11 Jul 2011 at 13:57 - Reply

    Hallo Max, ich wiederum habe leider die Übertragung verpasst – erstmal aber natürlich Gratulation zur Einladung und zur ja scheinbar zumeist sehr interessierten Reaktion! Deine Bauchschmerzen mit dem literarischen Privatismus teile ich allerdings; es fällt mir auch auf, dass komplett innenlebensfixierte Bücher enorm gehypt werden, und die Kluft zu “politischer” Literatur eher breiter wird, obgleich ja in der Tat genug in der Welt los wäre, was auch jede(n) Einzelne(n) hinlänglich betrifft. Vielleicht trügt dieser Eindruck; aber was Du aus Klagenfurt berichtest, deckt sich damit offenbar. Sehr schade – ich vermisse bei solchen Innenschauen oft schlicht die Dringlichkeit und Relevanz.
    Dennoch: Schöne Ferien!

  3. VonFernSeher Sat 16 Jul 2011 at 14:31 - Reply

    Paul Jandl hat Ihren Text nicht verstanden. So what. Wer den Faust so lesen würde, wie Jandl Ihren Text, würde wohl vor der Hälfte aufgeben.

    Ich möchte hier nicht noch einmal die Diskussion weiterführen, nur soviel: Wenn man den Advocatus diabolicus als Stimme akzeptiert, dann kann man nicht weiterhin die Unlogik des Mordes anführen. Wer der Argumentation einer aufgelösten Welt folgt, die ja für den, der wie Mephisto von Anfang an dabei war, nicht aufgelöst ist, der wird auch der Logik des Mordes folgen. Er will ja, wie Faust mit der Zuwendung zu dunklen Seite, endlich etwas schaffen, dass die Auflösung überdauert. Hätte Faust dies nicht gewollt, wäre er nicht zum Täter geworden. Dies ist kein logischer Bruch.

    Mir gefällt ihr Text auf beiden Ebenen, der des Luststücks und der tieferen, wirklich gut, ich stimme aber auch ansonsten mit der Kritik der Jury nicht wirklich überein. Es fehlt ihr, da haben Sie Recht, am Wert für das Äußere. Man mag zum Beispiel nicht glauben, dass nur ein Jurymitglied das Moor kennt, sonst hätte jemand anbringen müssen, dass diese scheinbaren Widersprüche bei Geltinger – Stille und Geräuschkulisse, Feines und Herbes, Reinlichkeit und Dreck – gerade durch die Ansiedlung im Moor glaubhaft werden.

    Was soll ich länger weilen,
    daß man mich trieb hinaus?
    Laß irre Hunde heulen
    vor ihres Herren Haus!

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