09 February 2016

Ganz, aber doch nur teilweise – die Beteiligung des Deutschen Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen der EU

Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag streiten über die Notwendigkeit der Zustimmung zur Ratifikation des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens (WPA bzw. Economic Partnership Agreement – EPA) zwischen den westafrikanischen Staaten, der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) und der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (UEMOA) einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits. Diese Schlagzeile (siehe z.B. Justizminister vs. Bundestagspräsident – Partnerschaft ohne Bundestag, süddeutsche.de, 22. September 2015), die erstmals Ende September 2015 in der Presse zu lesen war, hätte noch vor wenigen Jahren kaum politische oder rechtliche Aufmerksamkeit erregt, geschweige denn Anlass zu einer handfesten Machprobe zwischen Legislative und Exekutive und zu einer Expertenanhörung im zuständigen Ausschuss des Bundestages mit gleich sechs Staatsrechtslehrern gegeben. Es liegt auf der Hand, dass es im Kern gar nicht um das genannte WPA/EPA geht. Die Entwicklungsassoziationsabkommen der EU (siehe Art. 208 ff. AEUV) und hierzu maßgebliche Stichpunkte wie „Lomé“, „Cotonou“, „WTO-Waiver“ und „Bananen-Streit“ standen bei den Mitgliedern des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages nicht im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr ist offensichtlich, dass im Hintergrund der Ratifikationsfrage die weitreichende innenpolitische Debatte zu TTIP steht. Die Diskussion über das geplante Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen hat schon jetzt, obwohl es bekanntlich noch gar keinen Entwurfstext des Abkommens gibt, Auswirkungen, die über den rein politischen Bereich hinausgehen. Wie u.a. die intensive Debatte zum Investitionsschutz und der Investitionsschutzschiedsgerichtsbarkeit zeigt, bleibt auch die Rechtswissenschaft von TTIP nicht unberührt. Als zentrale juristische Herausforderung zeigt sich in der laufenden Debatte dabei die Komplexität des rechtlichen Mehrebenensystems, in dem sich TTIP bewegt. Argumente und Perspektiven der betroffenen Rechtsebenen gehen so oftmals ineinander über und werden vermischt, obwohl sie juristisch voneinander zu trennen sind. Auch die Kontroverse zur Zustimmung zur Ratifikation des genannten WPA ist von diesem Phänomen gekennzeichnet. Betrachtet man die hierzu vorliegenden Beiträge, fällt es nicht immer leicht zu erkennen, welcher Rechtsebene welches Sachargument zugeordnet wird. Insofern ist die Frage nach Ob und Wie der Ratifikation des fraglichen WPA als gemischtes Abkommen ein gutes Beispiel für die Herausforderungen juristischer Arbeit im Mehrebenensystem. In diesem Beitrag sollen die Rechtsfragen, die sich im Hinblick auf die Zustimmung zur Ratifikation des WTA als (nach Unionsrecht) gemischtem Abkommen stellen, kurz systematisch aufbereitet werden.

Grundlagen: Gemischte Abkommen

Als Völkerrechtssubjekt (vgl. Art. 47 EUV) besitzt die EU u.a. eine völkerrechtliche Vertragsschlusskompetenz. Diese völkerrechtliche Kompetenz ist allerdings unionsrechtlich eingeschränkt. Dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung folgend, kann die EU völkerrechtliche Abkommen nur abschließen, soweit sie hierzu unionsrechtlich über eine entsprechende Kompetenz verfügt (Art. 5 Abs. 2 EUV). Die unionsrechtliche Kompetenzbegrenzung erstreckt sich auf die Inhalte eines völkerrechtlichen Abkommens dahingehend, dass die EU unionsrechtlich – nicht völkerrechtlich – nur die Teile eines Abkommens ratifizieren darf, die in ihre explizite oder implizite Zuständigkeit fallen. Enthält ein geplantes völkerrechtliches Abkommen Regelungen, die weiterhin in den Kompetenzbereich der EU-Mitgliedstaaten fallen, sind die Mitgliedstaaten am Abschluss des Abkommens zu beteiligen. Es kommt dann völkerrechtlich zum Abschluss des Abkommen durch die EU und ihre Mitgliedstaaten einerseits und den Drittstaat (oder mehrere Staaten bzw. internationale Organisationen) andererseits. In dieser Konstellation sind die EU und ihre Mitgliedstaaten gleichermaßen an das völkerrechtliche Abkommen gebunden. Eine völkerrechtliche Haftungsbeschränkung nur auf die Regelungsbereiche des Abkommens begrenzt, die in den jeweiligen Kompetenzbereich von EU bzw. EU-Mitgliedstaaten fallen, kommt nur in Betracht, wenn die EU und ihre Mitgliedstaaten eine dementsprechende völkerrechtliche Erklärung bei der Ratifikation des Abkommens abgegeben haben. Das war z.B. bei der Ratifikation des UN-Seerechtsübereinkommens der Fall (siehe u.a. BGBl. 1998 II, 2979 ff.).

Rechtsperspektiven

Fragt man auf der Grundlage der dargestellten Grundsätze zu gemischten Abkommen konkreter nach der Rolle der mitgliedstaatlichen Parlamente im Ratifikationsprozess, namentlich sofern es um ein Abkommen im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik – wie vorliegend das fragliche WPA – geht, sind drei fundamentale Ausgangspunkte in den Blick zu nehmen:

Zunächst ist immer der Anwendungsvorrang des Unionsrechts zu beachten, der verfassungsrechtlich seine Grundlage in Art. 23 Abs. 1 GG findet. Dieser Anwendungsvorrang gilt auch gegenüber dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland: „Mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Ermächtigung, Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu übertragen, billigt das Grundgesetz … die im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen enthaltene Einräumung eines Anwendungsvorrangs zugunsten des Unionsrechts. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht gilt grundsätzlich auch mit Blick auf entgegenstehendes nationales Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 129, 78 <100>) und führt bei einer Kollision im konkreten Fall in aller Regel zu dessen Unanwendbarkeit (vgl. BVerfGE 126, 286 <301>)“ (BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015, – 2 BvR 2735/14 –, Rn. 38). Aus diesem Anwendungsvorrang folgt methodisch, dass – ungeachtet hier nicht weiter zu diskutierender Ausnahmen im Sinne der sog. Identitätskontrolle und der ultra-vires-Kontrolle durch das BVerfG – die Reichweite verfassungsrechtlicher Kompetenzen der deutschen gesetzgebenden Körperschaften in den Bereichen eines gemischten Abkommens, die EU-Kompetenz sind, vom EU-Recht bestimmt wird, nicht indes vom GG. Nur auf die Sachbereiche eines gemischten Abkommens bezogen, die in mitgliedstaatliche Zuständigkeit fallen, kann die Bestimmung der Verfassungsrechtlage im Hinblick auf die Ratifikation vollständig ausgehend vom GG erfolgen.

Weiterhin ist zu betonen, dass die Gemeinsame Handelspolitik eine ausschließliche Zuständigkeit der EU ist. Nach Art. 2 Abs. 1 AEUV kann daher „nur die Union gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen; die Mitgliedstaaten dürfen in einem solchen Fall nur tätig werden, wenn sie von der Union hierzu ermächtigt werden, oder um Rechtsakte der Union durchzuführen“. Vereinfacht gesagt ist also auf Sachbereiche bezogen, die der Gemeinsamen Handelspolitik der EU unterfallen, jedes mitgliedstaatliche Handeln von vornherein ausgeschlossen, es sei denn, es liegt eine Rückdelegation der Handlungskompetenz von der EU an die Mitgliedstaaten vor oder es geht um die Durchführung eines EU-Rechtsaktes.

Schließlich ist zu beachten, dass es vorliegend nur um Fragen der Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag und damit Art. 59 Abs. 2 GG geht, nicht hingegen um die Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag nach Art. 23 Abs. 2 GG oder Gesichtspunkte der Mitwirkung bei der Beschlussfassung im Rat (Art. 207 Abs. 3 AEUV) gemäß Art. 23 Abs. 3 GG. Die hierzu einschlägigen Verfassungsregelungen bleiben von den Besonderheiten eines gemischten Vertrages unberührt.

Reichweite der Zustimmungskompetenz des Bundestages (Verbandskompetenz)

Die Ratifikation der in Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG genannten völkerrechtlichen Verträge bedarf der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften, wobei hier nur der Bundestag interessieren soll. Im Lichte des Anwendungsvorranges des Unionsrechts kann sich die Zustimmungskompetenz des Bundestages nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG, die in der Form eines Bundesgesetzes wahrgenommen wird, dabei nur auf die Regelungen eines gemischten Abkommens, hier konkret des fraglichen WPA, beziehen, die in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit liegen (Verbandskompetenz). Für alle anderen Sachbereiche des WPA gilt Art. 2 Abs. 1 AEUV. Hiernach ist jedes u.a. legislative Handeln eines Mitgliedstaats ausgeschlossen, zumal auf gemischte Abkommen bezogen auch keiner der dort genannten Ausnahmegründe greift. Das ist auch sachlich geboten. Andernfalls könnte ein mitgliedstaatliches Parlament (oder die Regierung, je nach innerstaatlicher Verfassungsrechtslage) auf einen Sachbereich bezogen, der einer ausschließlichen Kompetenz der EU unterfällt, einen ablehnenden Beschluss fassen, obwohl die EU ggf. bereits positiv entschieden hat. Das würde ungeachtet der Kompetenzfrage jedenfalls das Loyalitätsgebot aus Art. 4 Abs. 3 EUV verletzen. Auch das Gebot demokratischer Legitimation steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Die Begrenzung der Entscheidungsgewalt der gesetzgeberischen Körperschaften nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in der vorliegenden Fallkonstellation folgt unmittelbar aus der Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 GG. Auf EU-Ebene sichert hier das Europäische Parlament (zusammen mit dem Rat) die demokratische Legitimation (Art. 218 Abs. 6 AEUV). Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, dass bei einem gemischten Abkommen, sofern keine entsprechende Kompetenzabgrenzungserklärung vorliegt, eine vollumfängliche völkerrechtliche Bindung jeweils von EU und Mitgliedstaaten für sich eintritt. Das ist für die Bundesrepublik Deutschland wiederum Konsequenz der Übertragung von Hoheitsrechten und in den bekannten Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG nicht weiter problematisch. Insgesamt kann es damit entgegen einer in der Anhörung im Bundestagsausschuss vertretenen Ansicht sehr wohl ein „‘Zu viel‘“ an parlamentarischer Beteiligung“ (Christoph Möllers) geben. Das „zu viel“ ist nämlich ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 AEUV.

Organkompetenz

Von der dargelegten, aus Sicht der Bundesrepublik begrenzten Verbandskompetenz bei der Ratifikation des WPA als gemischtes Abkommen getrennt zu betrachten ist die Frage, wie für die in mitgliedstaatliche Zuständigkeit fallenden Sachbereiche des Abkommens die Organkompetenz im Bund geregelt ist. Das richtet sich nach autonomen deutschen Verfassungsrecht. Entscheidend ist dabei gem. Art. 59 Abs. 2 GG, ob das gemischte Abkommen „die politischen Beziehungen des Bundes regel[t] oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht“. Ist dies der Fall, liegt die Organkompetenz zur Zustimmung zur Ratifikation durch den Bundespräsidenten (Art. 59 Abs. 1 GG) bei Bundestag und ggf. Bundesrat. Sog. Verwaltungsabkommen können nach Art. 59 Abs. 2 GG hingegen völkerrechtlich verbindlich von der Bundesregierung selbst ratifiziert werden.

Ob ein zustimmungspflichtiger Vertrag nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG vorliegt ist ausschließlich verfassungsrechtlich zu beurteilen. Dabei kommt es auf die Zuständigkeitsabgrenzung und –verteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten nicht an. Vielmehr ist streng danach zu differenzieren, ob eine Zustimmungspflichtigkeit gegeben ist und auf was sich die Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG inhaltlich bezieht. Insofern kann ein gemischter Vertrag nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG insgesamt dem Vorbehalt der Zustimmung durch Bundestag und ggf. Bundesrat unterfallen, obgleich sich aufgrund von Art. 2 Abs. 1 AEUV inhaltlich die entsprechende Zustimmung nur auf wenige Aspekte des Vertrages bezieht. Dementsprechend ist aus der zum Teil vorliegenden Praxis, einen gemischten Vertrag vollständig dem Bundestag zur Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG vorzulegen, nicht zwingend zu folgen, dass sich die Zustimmung rechtlich auf alle Einzelaspekte des Vertrages bezieht. Vielmehr geht es hier nur um die Dokumentation der Zustimmungsbedürftigkeit, also eben nicht auch gleichzeitig des Zustimmungsinhaltes.

Ein gutes Beispiel für einen gemischten Vertrag, der in diesem Sinne – da die Zustimmungsbedürftigkeit als solches unstrittig war – nur in den Teilen, die EU-rechtlich zustimmungsfähig waren, den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt wurde, stellt das Übereinkommen zur Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) nebst seinen Anhängen dar. Die wesentlichen Teile des Abkommens, die der ausschließlichen Zuständigkeit der EU (damals EG) im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik unterfielen, wurden den gesetzgebenden Körperschaften im Gesetzgebungsverfahren nur informatorisch übermittelt (siehe BT-Drucks. 12/7986 v. 16.6.1994 „Unterrichtung durch die Bundesregierung, Information über die multilateralen Übereinkommen der GATT-Uruguay-Runde, die nicht unter die nationale Gesetzgebungszuständigkeit fallen“). Nur die Abkommensbestandteile, die nationale Gesetzgebungszuständigkeiten berührten, waren formeller Bestandteil des Gesetzgebungsverfahren (siehe BT-Drucks. 12/7655). Hierauf wurde in der wissenschaftlichen Diskussion schon frühzeitig hingewiesen (siehe VVDStRL 62, S. 105).

Im verfassungsrechtlichen Schrifttum besteht weitgehende Einigkeit, dass Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG entgegen einer sehr alten Rechtsprechung des BVerfG heute eher weit auszulegen ist. In der zitierten Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz bestand hierzu Einigkeit (hierzu auch Tietje/Nowrot, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, Baden-Baden 2016, § 45 Rn. 26 mwN). Insofern fällt es auch nicht besonders schwer, das fragliche WPA insgesamt als „politischen Vertrag“ nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG einzustufen. Das gebietet schon der Gleichlauf notwendiger legislativer Legitimation nach Art. 218 Abs. 6 AEUV und Art. 59 Abs. 2 GG im Hinblick auf die umfassende völkerrechtliche Bindung der EU und jedes Mitgliedstaats.

Zusammenfassung und Ausblick

Wie ersichtlich lassen sich scheinbar komplexe Rechtsfragen im Mehrebenensystem von Völkerrecht, Unionsrecht und Verfassungsrecht differenziert analysieren, wenn die maßgeblichen Strukturprinzipien und Rechtsperspektiven beachtet werden. Auf gemischte völkerrechtliche Verträge der EU bezogen führt das im Ergebnis dazu, dass diese in aller Regel insgesamt nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zustimmungspflichtig sind, die Zustimmung durch die gesetzgebenden Körperschaften dann aber inhaltlich auf die Sachbereiche, die nicht EU-Kompetenz sind, begrenzt ist.

Dieses Auseinanderfallen von Zustimmungsbedürftigkeit und Zustimmungsfähigkeit im Zusammenspiel von Art. 59 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 AEUV mag verwundern. Kritiker könnten vorbringen, dass es letztlich nicht kontrolliert werden kann, ob einzelne Abgeordnete auf zustimmungsfähige oder nicht in die Zuständigkeit Deutschlands fallende Teile eines gemischten Abkommens bezogen ihre Stimme abgeben. Das ist allerdings in jedem Gesetzgebungsprozess, der föderale Element enthält, der Fall und insofern nicht ungewöhnlich. Die Legitimation hierzu folgt aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG sowie der Notwendigkeit umfassender politischer Diskurse, im Bundesstaat genauso wie in der Europäischen Union. Einmal mehr zeigt sich insofern, dass der politische Rechtssetzungsprozess nicht deckungsgleich mit dem rechtlich strukturierten Rechtssetzungsverfahren ist oder sein muss (ausführlich hierzu Tietje, VVDStRL 66, S. 45 ff.).


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