Vertrauenswürdigkeit und Rechtsstaatlichkeit: Was die Kritiker der EU nicht sehen (wollen)
Es gibt Probleme der Rechtsstaatlichkeit im europäischen Rechtsraum. Viele sprechen gar von einer Vertrauenskrise in die Europäische Union, etwa der Bundespräsident in seiner Maastrichter Rede im Februar 2017. Anlass sind ganz unterschiedliche Phänomene: das Outright Monetary Transactions (OMT) und das Public Sector Purchase Programm der Europäischen Zentralbank, systematische Nichtanwendung des europäischen Flüchtlingsrechts, nationale Verweigerung bei unionsrechtlich geforderter Zusammenarbeit, verbreitete Korruption in manchen Mitgliedstaaten, das Vorgehen der polnischen Regierung gegen ihr Verfassungsgericht, der illiberale Konstitutionalismus Ungarns, aber auch, so ein Editorial der eher konservativen Common Market Law Review((Editorial Comments, The Rule of Law in the Union, the Rule of Union law and the Rule of Law by the Union, CMLRev. 53 (2016), S. 597, 598, 604.)), die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Europafragen.
Trägt Vertrauen als europapolitische und juristische Perspektive, und was sind die Implikationen? Die Sozial- und Geisteswissenschaften haben sich des Phänomens Vertrauen angenommen und Ergebnisse produziert, mit denen man besser begreift, worum es in der europäische Rechtsstaatlichkeitskrise im Kern geht. Zugleich zeigen sie das destruktive Potenzial eines Vertrauensdiskurses, eröffnen aber auch einen Ansatz, die Vertrauenswürdigkeit der Europäischen Union zu substantiieren und ihre Kritiker zu widerlegen.
Vertrauen: Potentiale und Risiken eines Deutungsschemas
Nicht Ereignisse, sondern die Worte über Ereignisse erschüttern die Welt (Epiktet). Dessen sollte man sich klar sein, wenn man die Vertrauensperspektive anlegt. „Der Begriff“, so schreibt Ute Frevert, „wirkt (nämlich) wie eine Droge: Er vernebelt die Sinne und macht süchtig. (…) Dabei ist das „Ding an sich“ nur undeutlich zu greifen, schwer zu messen, kaum zu bestimmen. Es ist so flüchtig wie die Luft, die wir (…) auch bloß dann wahrnehmen, wenn sie knapp wird oder verschmutzt ist. Von Vertrauen zu reden heißt deshalb auch immer, seine Knappheit zu beschwören.“((U. Frevert, Vertrauen – eine historische Spurensuche, in: dies. (Hrsg.), Vertrauen. Historische Annäherungen, 2003, S. 7, 9.)) Wenn man also eine Beziehung oder eine Institution mit diesem Begriff angeht, dann hat dies schwerwiegende Konsequenzen: In aller Regel verstärkt er die Krisenwahrnehmung. Die Rede von Vertrauen, selbst wenn nur analytisch gemeint, hat weitreichende kognitive, normative und performative Implikationen. Dies wird umso deutlicher, wenn man sich die Alternativen anschaut. Man könnte die oben genannten Phänomene ebenso mit dem traditionellen Zugang thematisieren: der Effektivität des Unionsrechts. Doch neben dem dramatisierenden Begriff der Vertrauenskrise hat dieser technizistische Zugriff die Diskurshoheit verloren. Jeder Versuch, zu ihm zurückzukehren, dürfte sich mit dem Vorwurf der Beschwichtigung, ja der Realitätsverweigerung konfrontiert sehen.
Die Vertrauensperspektive ist gleichwohl nicht willkürlich. Viele Wissenschaftler sehen Vertrauen als essentiell für erfolgreiche Gesellschaften.((Wegweisend N. Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 1968.)) Qualität und Niveau sozialer Interaktion stehen in engem Zusammenhang mit dem Vertrauen zwischen den Interaktionspartnern, manche Beziehungen sind ohne Vertrauen kaum möglich. Dabei ist eine wichtige Entwicklung zu vermelden: Während früher Vertrauen vor allem als Phänomen von face-to-face Beziehungen zwischen natürlichen Personen galt, bezieht man heute Vertrauen auch auf Institutionen, also etwa den EuGH, und sogar Systeme, also etwa die EU oder das griechische Regierungssystem. Vertrauen gilt als sinnvolle Kategorie zur Analyse des Verhältnisses zwischen Institutionen und Systemen. Danach erscheint die Vertrauensperspektive als breit genug, um ein Verständnis für die vielgestaltigen Probleme europäischer Rechtsstaatlichkeit zu entwickeln.
Ist die Vertrauensperspektive einmal gewählt oder etabliert, so sollte sie konsistent gehandhabt werden. Dies hat konkrete Implikationen für den Krisendiskurs zur europäischen Rechtsstaatlichkeit. Es ist widersprüchlich, eine Vertrauenskrise zu diagnostizieren und einschlägige juristische Instrumente am Maßstab von deren Überwindung zu messen. Dies wirft ein kritisches Licht auf den hohen Maßstab, den manche an das europäische Instrumentarium gegenüber Polen und Ungarn anlegen. Man kann eine Vertrauenskrise nicht juristisch lösen, sondern nur hegen und langsam überwinden. Statt eine Lösung zu verlangen, sollte man die juristischen Instrumente daran messen, ob sie die Eskalation einer Vertrauenskrise zu vermeiden helfen und eine fortdauernde Zusammenarbeit ermöglichen, die schrittweise Vertrauen verfestigt.
Die europäische Rechtsstaatlichkeitskrise betrifft vor allem Institutionen und Systeme. Vertrauenskrisen in Institutionen und Systeme erscheinen in der neueren Forschung als deutlich gefährlicher denn Vertrauenskrisen in interpersonalen Beziehungen. Jeder Mensch hat einen eigenen „Radar“, wenn es darum geht, einer Person Vertrauen zu schenken. Bei Institutionen und Systemen ist man hingegen weitestgehend auf die Einschätzung anderer angewiesen, insbesondere der Massenmedien und der in ihnen auftretenden Meinungsmacher. Dies hat zur Folge, dass es kaum ein Halten gibt, wenn Institutionen- oder Systemvertrauen einmal in der öffentlichen Meinung erodieren. Die britische Debatte zum EU-Austritt gibt ein plastisches Beispiel. Institutionen- und Systemvertrauen erscheinen oft als stabile Selbstverständlichkeiten, sind jedoch bei kollektivem Infragestellen besonders gefährdet. „Once the basis of trust comes under question, there is little to stop doubt from spreading catastrophically.“((F. Kroeger, The development, escalation and collapse of system trust: From the financial crisis to society at large, European Management Journal 33 (2015), S. 431, 434 f.)) Es ist also unwahrscheinlich, dass die Bevölkerung eines Landes europäischen Institutionen oder solchen anderer Mitgliedstaaten vertraut, wenn Medien und Meinungsmacher sie über längere Zeit als vertrauensunwürdig darstellen. Zu erwarten ist hingegen wachsendes Misstrauen, das leicht zu einer plötzlichen institutionellen Implosion führen kann.
Über lange Zeit galt der Nationalstaat als der maßgebliche Rahmen von gesellschaftlichem Vertrauen. Oft wurde er sogar als eine gewaltige vertrauensgenerierende und –stabilisierende Einrichtung gedeutet. Erst in jüngerer Zeit sind Vertrauensbeziehungen zwischen Staaten und zwischen Bürgern unterschiedlicher Nationen ein größeres Thema. Dabei ist nicht jede Form kooperativen Verhaltens Ausdruck von Vertrauen. Die Forschung unterscheidet insbesondere Zuversicht (confidence) von Vertrauen (trust). Auf Vertrauen kommt es nach dieser Unterscheidung erst an, wenn der Vertrauensgeber dem Vertrauensnehmer den Zugriff auf ein bedeutendes Gut eröffnet. Dies erklärt die Vehemenz, die Diskurse über enttäuschtes Vertrauen oft auszeichnet.((T. Michel, Time to Get Emotional: Phonetic reflections on the concept of trust in International Relations, European Journal of International Relations 19 (2013), S. 869, 870.)) Insoweit geht Vertrauen über legitime Erwartungen und loyale Zusammenarbeit weit hinaus.
Der so qualifizierte Vertrauensbegriff ist für die europäische Krise besonders nützlich. Mit ihm lässt sich prägnant die Schwelle identifizieren, welche die Europäische Union in den letzten Jahren genommen hat. Dereinst war es für die europäischen Institutionen ausreichend, von einem permissive consensus getragen zu sein. Dieser reicht heute nicht mehr aus, eine stärkere Grundlage ist erforderlich, die zu artikulieren der Vertrauensperspektive hilft. Insbesondere Maßnahmen zur Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie Rettung der Währungsunion tangieren finanzielle Interessen, gesellschaftliche Selbstverständnisse und verfassungsrechtliche Kernanliegen in qualitativ neuer Weise. Die Vertrauensforschung erklärt, warum die Vertrauenssemantik in Europa gerade in den letzten Jahren so erstarkte: Die gegenseitige Verwundbarkeit hat zugenommen und man zweifelt, ob die Voraussetzungen vorliegen, um diese Verwundbarkeit zu akzeptieren, ob, wieviel und unter welchen Bedingungen man im europäischen Rechtsraum Vertrauen schenken soll.
Insgesamt zeigt sich: Ist die Vertrauensperspektive in einem sozialen System einmal diskursleitend etabliert, so befindet es sich in einem neuen Zustand, von dem aus seine Prinzipien neu zu bestimmen sind, so insbesondere die für Vertrauen so wichtige Rechtsstaatlichkeit. Der Schritt von Effektivität des Unionsrechts zu Vertrauen im europäischen Rechtsraum ist der terminologische Nachvollzug einer europäischen Transformation, die zu einem kritisch labilen Zustand geführt hat.
Rechtstaatlichkeit in der Vertrauensperspektive
Die Vertrauensperspektive bietet einen Weg, die europäische Rechtstaatlichkeit zu verdichten, die Art. 2 EU-Vertrag der Union wie ihren Mitgliedstaaten vorschreibt. Ausgangspunkt ist die anthropologische Grundkonstante, dass die Mitglieder einer Gesellschaft ihre Beziehungen organisieren und ihr Verhalten planen müssen. Dies gilt auch für die europäische Gesellschaft. Vertrauen wie Recht verstehen sich vor diesem Hintergrund: Vertrauen stellt eigenes Verhalten normativ auf künftiges Verhalten anderer ein, ähnlich wie das Recht, das ebenfalls normatives Erwarten stabilisiert.
Diese Feststellung gleicher Funktion klärt noch nicht das Verhältnis von Recht und Vertrauen, was unerlässlich ist, um Rechtsstaatlichkeit in einer Vertrauensperspektive zu bestimmen. Hier ist eine wichtige Entwicklung in der Vertrauensforschung zu verzeichnen: Ältere Ansätze haben Vertrauen und Recht tendenziell als alternative Mechanismen zur Stabilisierung von Erwartungen verstanden, entsprechend einem zwangsfokussierten Rechtsverständnis, das Gehorsam vom Untertan verlangte und nicht um Vertrauen des Bürgers warb. Heute sieht man viel deutlicher, dass, insbesondere in freiheitlichen und komplexen Gesellschaften, zwischen Vertrauen und Recht eine Wechselbeziehung besteht und erfolgreiche rechtliche Gestaltung oft eines gewissen Vertrauens bedarf. Danach lassen sich Rechtsstaatlichkeit und Vertrauen begrifflich miteinander verknüpfen und im gegenseitigen Rekurs verdichten. Dies schließt Spannungen nicht aus: Die Stärkung rechtlicher Kontrollen ist einem vertrauensvollen Miteinander nicht unbedingt förderlich, was bei den gegenwärtigen Bestrebungen neuer Kontrollinstrumente im europäischen Rechtsraum bedacht sei.
Insgesamt kann man festhalten, dass der gegenwärtige öffentliche Diskurs, der die Rechtsstaatlichkeitskrise als Misstrauen gegenüber und zwischen öffentlichen Institutionen thematisiert, theoretisch belastbar ist. Dies gilt gerade für die Beziehungen im europäischen Rechtsraum, dessen Institutionen nicht in einem strikten hierarchischen System mit einer breiten Palette von Sanktionen eingebunden sind. Die Rede von einer Rechtsstaatlichkeitskrise bedeutet demzufolge, dass man eine wesentliche Funktion des Europarechts in Frage sieht, nämlich die Stabilisierung normativer Erwartungen mit Blick auf wesentliche Güter und Interessen.
Vertrauen zwischen öffentlichen Institutionen des europäischen Rechtsraums und Rechtsstaatlichkeit im europäischen Rechtsraum artikuliert auf unterschiedliche Weise dieselbe Voraussetzung für wichtige Integrationsprojekte der letzten Jahrzehnte. Sein Gegenteil, Misstrauen, erklärt den Ausbau völlig neuartiger Kontrollmechanismen gegenüber einigen Institutionen und Staaten, die zugleich Vertrauen in diese Politiken stärken sollen. Dies gilt insbesondere, wenn wichtige Interessen betroffen sind, etwa die gegenseitige Anerkennung grundrechtsintensiver Entscheidungen oder große finanzielle Transfers.
Aber auch insgesamt, jenseits spezifischer Politiken, ist die prinzipielle Prämisse des Vertrauens für den europäischen Rechtsraum von entscheidender Bedeutung. Sie trägt und rechtfertigt juristische Vermutungsregeln, die juristische Operationen ungemein erleichtern. Sie legitimiert die Entscheidungsfindung in der EU und bestätigt das Selbstverständnis Europas als Union freiheitlicher Demokratien. Aus diesem Grund bestimmt die Rechtstaatlichkeit des Art. 2 EU-Vertrag nicht nur das Verfassungsprofil der EU, sondern auch der EU-Mitgliedstaaten.
Dieser vertrauenstheoretische Ansatz ermöglicht ein Verständnis der europäischen Rechtsstaatlichkeit, das an unterschiedliche Traditionen anschlussfähig ist. Dies ist schon deshalb relevant, weil Rechtsstaatlichkeit und ihre terminologischen Äquivalente keineswegs einen überall identischen Begriff repräsentieren. Das Verständnis der Rechtsstaatlichkeit ist tief in die spezifische Verfassungsentwicklung eines Landes eingelassen und Gegenstand unterschiedlicher Theoretisierungen. Man denke nur an die bunte Vielfalt bei der Verfassungsgerichtsbarkeit, die wie wenige andere Institutionen moderne europäische Rechtsstaatlichkeit symbolisiert.
Die Vertrauensperspektive identifiziert jedoch einen Punkt, in dem wohl alle Verständnisse übereinstimmen: die tatsächliche Herrschaft des Rechts. Die englische Terminologie macht ihn besonders plastisch: Die rule of law verlangt, dass law rules. Rechtsstaatlichkeit, was immer sie sonst noch bedeuten mag, verlangt, dass das Recht befolgt wird und öffentliches wie privates Verhalten ihm normalerweise entsprechen. Amtsträger müssen die öffentliche Gewalt nach Verfassung und Gesetzen ausüben, und Verwaltung und Gerichte müssen darauf hinwirken, dass auch Private das Recht befolgen. Aus der Perspektive der Individuen formuliert: die europäische Rechtsstaatlichkeit korrespondiert mit dem Recht aller Menschen im europäischen Rechtsraum, tatsächlich unter dem europäischen Recht zu leben.((A. M. Russo, La cittadinanza “sostanziale” dell’UE alla luce della proposta del gruppo di Heidelberg: verso una „Reverse Solange“?, Federalismi 1/2014, S. 7.))
Nicht jede Verletzung des Unionsrechts erschüttert seine erwartungsstabilisierende Funktion und damit das Vertrauen in die Rechtsordnung. Vielmehr stützt die juristische Bewältigung von Rechtsbrüchen normalerweise das Vertrauen in die Rechtsordnung, da sie die normative Erwartungshaltung bestätigt. Ein Beleg findet sich in 60 Jahren Rechtsprechung des EuGH, die stets einen behaupteten Rechtsbruch zum Gegenstand hat. Eine Rechtsstaatskrise verlangt Phänomene der Illegalität, die diesen Kreislauf in Frage stellen. Das Vertrauen in die Rechtsordnung wird erst untergraben, wenn Verletzungen zur Normalität werden oder von hoher Symbolkraft sind.
Eine Rechtsstaatlichkeitskrise liegt etwa vor, wenn eine signifikante Anzahl sozialer Akteure in wichtigen Feldern aufhört, auf öffentliche Einrichtungen zur Bestätigung ihres normativen Erwartens zu setzen. Wenn diese Schwelle erreicht ist, wankt ein Rechtssystem in seiner Kernfunktion; Misstrauen ist die Folge. Während bei einer isolierten Rechtsverletzung die enttäuschte normative Erwartung fortbesteht und für zukünftiges Verhalten relevant bleibt, geht jenseits dieser Schwelle das Vertrauen in das Recht verloren. Personen und Institutionen, die einem derartigen Defizit an Rechtsstaatlichkeit begegnen, modifizieren ihre Erwartungen anstatt auf ihnen zu bestehen. Obwohl sicherlich enttäuscht und wahrscheinlich empört, hören sie auf, Rechtsgehorsam als gesellschaftlichen Normalfall im fraglichen Rechtsbereich zu verstehen und der Rechtsordnung zu vertrauen: der Archetyp einer Rechtsstaatlichkeitskrise. Offensichtlich gibt es Beobachter, die solche Entwicklungen in einem derartigen Umfang im europäischen Rechtsraum sehen, dass für sie der Rechtsraum selbst in Frage steht.
Vertrauenswürdigkeit in vergleichender Perspektive
Vertrauenskrisen haben das Potenzial emotionaler Entgleisung. In einer aufgeklärten Welt sollte das Vertrauenschenken aber eine Frage der Urteilskraft sein, die wissenschaftliche Erkenntnisse verwendet. Letztere können ein Urteil zwar nicht bestimmen, wohl aber informieren und so das Vertrauenschenken zum Gegenstand vernünftigen Entscheidens machen. Ein wichtiger Weg dabei ist der Vergleich, der modernem Vertrauen geradezu eingeschrieben ist.
Gesellschaftliches Vertrauen ist heute, gerade in demokratischen Gesellschaften, als fordernd und konditional zu begreifen. Das unterscheidet es von der Treue, die bedingungslos, und der Zuversicht, die kognitiv ist. Vertrauen impliziert Kontrollmöglichkeiten und Alternativen. So kann es nicht verwundern, dass die Wahrnehmung einer Krise eine Diskussion ganz besonders befeuert: zu den Alternativen der bisherigen europäischer Vergesellschaftung.
Die beiden grundsätzlichen Alternativen sind zum einen der bisherige Pfad europarechtlicher Rechtsstaatlichkeit, der sich im Einzelnen durchaus unterschiedlich weiter entwickeln kann,((Hierzu hat die Europäische Kommission fünf Alternativen entwickelt, Weißbuch zur Zukunft Europas. Die EU der 27 im Jahre 2025 – Überlegungen und Szenarien, COM(2017) 2025 final.)) und zum anderen ein Bruch. Letzterer wird von nicht wenigen wissenschaftlichen Stimmen((D. Chalmers/M. Jachtenfuchs/C. Joerges, The retransformation of Europe, in: dies. (Hrsg.), The End of the Eurocrats’ Dream. Adjusting to European Diversity, 2016, S. 1.)) und politischen Kräften gefordert, der Brexit ist ihre wichtigste Realisierung. Diese Alternative präsentiert sich in drei Varianten, idealtypisch zugespitzt: nationalistischer Rückzug, nationalstaatszentrierter Multilateralismus, sowie die revolutionäre Gründung einer europäischen Republik. Sie seien mit Blick auf ihr Potenzial zu europäischer Rechtsstaatlichkeit geprüft.
Die erste Variante findet sich im neuen Nationalismus, der sich gegen eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union ausspricht und auch andere multilaterale Institutionen transnationaler Kooperation kritisch sieht. Das wichtigste Beispiel bildet der neue US-amerikanische Bilateralismus.((Dazu G. Rose, Out of Order?, Foreign Affairs 96 (2017), viii.)) Es handelt sich um eine krasse Ausbildung des jahrhundertealten Paradigmas des Partikularismus, welches Carl Schmitt in seinem Begriff des Politischen paradigmatisch artikuliert. Diese Variante baut nicht auf gegenseitiges Vertrauen, sondern auf Misstrauen. Zwischenstaatliches Recht hat eine allenfalls instrumentelle Funktion. Sicherlich ist es nicht in der Lage, Rechtsstaatlichkeit und rechtsbasiertes Vertrauen in einem transnationalen Raum zu stiften. Eine Stabilisierung des Erwartens kommt hier am ehesten über hegemoniale Strukturen in Betracht.((A. Bolaffi, Cuore tedesco. Il modello Germania, l’Italia e la crisi europea, 2013.)) Dies dürfte kaum rechtsstaatlichen Postulaten genügen und wäre, wie die Vergangenheit wohl hinreichend gezeigt hat, insbesondere in Europa ein kaum vertrauenswürdige Variante.
Die zweite Variante sieht Multilateralismus, offene Staatlichkeit und transnationale Kooperation positiv, bezweifelt jedoch, dass zentrale Prämissen öffentlicher Ordnung wie Demokratie, Solidarität und eben Vertrauen auf der transnationalen Ebene reproduzierbar sind. Recht, das dies versucht, bleibt danach zwangsläufig prekär und wird leicht scheitern. Eine europäische Rechtsstaatlichkeit kann sich danach kaum ausbilden. Im europäischen Rechtsraum lautet so das Gebot der Stunde, die Union in einen Zustand vor der gegenseitigen Verwundbarkeit zurückzuführen, oder durch Institutionen der global governance zu ersetzen.((W. Streeck, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, 2015, S. 292 ff.))
Dazu ist zu bemerken, dass die völkerrechtliche Vertrauensgenerierung angesichts regelmäßig schwacher Institutionalisierung keine Rechtsstaatlichkeit wird leisten können, wie man sie derzeit im europäischen Rechtsraum, ungeachtet aller Probleme, vorfindet. Die völkerrechtsbasierte rule of law, die wichtige Güter transnationalen Institutionen öffentlicher Gewalt anzuvertrauen rät, bleibt weitgehend eine völkerrechtswissenschaftliche Imagination. Der Gang ins Völkerrecht bringt kaum rechtsstaatliche Postulate voran, wie die europäischen Antworten auf die Finanz- und Staatsschuldenkrise zeigt. Speziell bei einer Rückentwicklung der Union auf das Stadium vor der gegenseitigen Verwundbarkeit ist zudem fraglich, ob dies in rechtsstaatlich gehegter Form gelingen kann. Es gibt die begründete Sorge, dass der Rückbau gemeinsamer Politiken wie insbesondere Währung eher Dynamiken wie die eines zerberstenden Reiches frei setzen könnte. Kurzum, es erscheint hochgradig wahrscheinlich, dass diese Variante einen großen Verlust an Rechtsstaatlichkeit in Europa impliziert.
Die dritte Variante ist eine europäische Bundesstaatlichkeit oder Republik, wo europäische Institutionen über staatsähnliche Machtinstrumente und Legitimationsmechanismen verfügen.((U. Guérot, Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie, 2016, S. 81 ff.)) Das Erfordernis einstimmiger Vertragsänderung in Art. 48 EU-Vertrag sowie die innenpolitische Spaltung in vielen Mitgliedstaaten lässt erwarten, dass ein solcher Schritt einen substantiellen Rechtsbruch sowie massive Konflikte mit sich bringt. Wahrscheinlich würde die bestehende europäische Rechtsstaatlichkeit weitgehend zu Bruch gehen, ein neues Gemeinwesen müsste den langwierigen Pfad der Vertrauensgenerierung von vorne neu beschreiten.
Der hilfreiche Blick von Osten
Der Bruch mit dem bisherigen Pfad hätte in jeder Variante Implikationen, die sich in der Perspektive eines vertrauenstheoretisch begründeten Rechtsstaatsprinzip nur als allerletzten Mittel empfehlen. Sind die Krisen im europäischen Rechtsraum so tief, dass sich dieser Bruch gleichwohl empfiehlt? Eine Armada prominenter Wissenschaftler und Intellektueller scheint dieser Auffassung zu sein. Dieser Beitrag kommt in rechtsstaatlicher Perspektive zu einem gegenteiligen Urteil.
Nach allen verfügbaren Indikatoren ist der europäische Rechtsraum die rechtsstaatlichste Region der Welt.((Vgl. nur die Daten des World Justice Programme.)) Er ist global der einzige transnationale Raum kantischen Friedens und effektiven Rechtsschutzes. Probleme der Rechtsstaatlichkeit auf europäischer wie mitgliedstaatlicher Ebene und Misstrauen in einigen Beziehungen und Feldern können diese grundsätzliche Feststellung nicht anfechten. Vertrauenstheoretisch betrachtet erscheint der rechtsstaatlich begründete europäische Rechtsraum ungleich aussichtsreicher als alle Varianten, die einen Bruch implizieren. Die vertrauenstheoretische Perspektive auf die Rechtsstaatlichkeit validiert den umsichtigen Ausbau neuer Kontrollmechanismen und mahnt zu Geduld, wenn es darum geht, Rechtsstaatlichkeit und Vertrauen zu stärken. Es erscheint vernünftig, in die Institutionen des europäischen Rechtsraums zu vertrauen, weil sie Rechtsbrüche in einem Rahmen halten, die Risiken für zentrale Interessen, ungeachtet eines Restrisikos, aufgrund der vielfach verschachtelten Kontrollen beherrschbar bleiben und die Alternative, in welcher Variante auch immer, weit weniger vertrauenswürdig ist.
Auch mit Blick auf die schwierigsten Situationen gibt es gute Gründe auf Pál Sonnevends Urteil zu vertrauen: “The example of Hungary shows that outsourcing parts of the constitutional functions to international or supranational organizations in peaceful years may help survive the years of crisis. In effect, a concerted action of the European Union, the Venice Commission and the European Court of Human Rights was able to respond to almost all of the most serious flaws of the recent constitutional system of Hungary. This did not reinstate a perfect system of separation of powers within the country. (…) This notwithstanding, European institutions contributed to creating a situation where self-healing through domestic processes is still possible.”((Preserving the Acquis of Transformative Constitutionalism in Times of Constitutional Crisis, in: A. von Bogdandy u.a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, OUP 2017, im Erscheinen.))
Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag des Verfassers auf dem XVI. Walter-Hallstein-Kolloquium, Verfassungskrisen in der Europäischen Union, Goethe-Universität, 23./24. März 2017, und beim polnischen Ombudsman, Warschau, 7. April 2017.
Wer durchaus aufgeklärt daherkommen will, tut sich keine Gefallen, wenn er sein Essay mit der Empfehlung beginnt, die notwendigen Begriffe im Diskurs sowie den notwendigen Diskurs selbst zu vermeiden. Oder ihn immerhin dort, wo die eigene Absicht ins Wanken geraten könnte, abzuschneiden. Begriffe können meinetwegen zu Fehlschlüssen führen, ihre Vermeidung macht den Schluss selbst – richtig oder falsch – unmöglich.
Was wir als Bürger im Zusammenspiel von Rechtsstaatlichkeit und EU erleben ist leider die glatte Umkehr von Rechtsstaatlichkeit: Nicht das Spiel wird den Regeln angepasst, sondern die Regeln dem Spiel.
Am jeweiligen Ende des Spielzugs bringt dann je nach Tagesform ein Parlament oder ein Gerichtshof die Sache wieder zur Deckung. Allerdings wird den Figuren auf dem Spielbrett zunehmend klar, dass sie sich nicht auf Rechtsstaatlichkeit verlassen können, sondern im Zweifelsfall der Willkür ausgesetzt sind. In so ein Spiel wird bald nur noch der Vertrauen haben, der die Macht hat, die Regeln seinen Absichten anpassen kann.
Allein die Institution des Nationalstaats hat bisher in einigen wenigen und brüchigen Fällen die Kulturleistung vollbracht, der Figur des Bürgers eine solche Macht zu übertragen. Oder ihr immerhin glaubhaft gemacht, dass sie ihm diese Macht übertragen hat.
Erkennbarer Größenwahn ist es jedoch, auf dieses fragile Glaubens- und damit Vertrauensgebilde einen supranationale (Rechts-)Staatlichkeit errichten zu wollen.
Nur wer Wohlstand und Sicherheit als naturgegebene Selbstverständlichkeiten mißversteht, wird einem solchen Gebilde Vertrauen schenken.
Wohlstand und Sicherheit liefert dieses Gebilde aber schon heute zuverlässig nur noch den eigenen Akteuren.
Darin besteht die Kluft, die sich zwischen Bürgern und der EU seit geraumer Zeit auftut. Das von dieser Kluft die größere Gefahr ausgehen könnte, als von Bestrebungen der Renationalisierung, die diese Kluft immerhin wahrnehmen, sollte mindestens diskutiert werden.
“Der Sozialstaat wird von den meisten Menschen als selbstverständlich angesehen, ebenso wie der Rechtsstaat. Daß beide dies nicht sind, sondern auf sehr fragilen und unwahrscheinlichen Grundlagen beruhen, wird man erst begreifen, wenn sie verschwunden sind …” – Rolf Peter Sieferle (1949 – 2016)
sollte Es wird am Ende nicht helfen bestimmte Worte oder Diskussionen zu vermeiden
“Bleibe deinen Vorsätzen wie gewöhnlichen Gesetzen treu – in der Überzeugung, dass du eine gottlose Tat begehst, wenn du sie missachtest.”
„Nicht jede Verletzung des Unionsrechts erschüttert seine erwartungsstabilisierende Funktion und damit das Vertrauen in die Rechtsordnung. Vielmehr stützt die juristische Bewältigung von Rechtsbrüchen normalerweise das Vertrauen in die Rechtsordnung, da sie die normative Erwartungshaltung bestätigt.“
Auf die Frage, warum er seit Jahren Frankreich Ausnahmen vom Stabilitätspakt gewähre, antwortete Herr Juncker in 2016: “Weil es Frankreich ist.” Der Stabilitätspakt könne nicht “blind” angewendet werden.
Da Herr Juncker sich durch diese Antwort als grundehrlicher Mensch geoutet hat, sollte das Vertrauen in die Person des EU-Kommissionspräsidenten wieder stabilisiert worden sein.
Sehr geehrter Herr Professor,
Ihr Beitrag lässt mich mit Unverständnis zurück, nicht weil ich Ihrem Vortrag nicht folgen kann, sondern, weil ich mich frage warum Sie das Offensichtliche nicht sehen oder besser nicht sehen wollen. Warum nur?
Das Offensichtliche ist doch dieses:
„Vertrauen ist als Wort seit dem 16. Jahrhundert bekannt (althochdeutsch: „fertruen“, mittelhochdeutsch: „vertruwen“) und geht auf das gotische trauan zurück. Das Wort „trauen“ gehört zu der Wortgruppe um „treu“ = „stark“, „fest“, „dick“. Im Griechischen steht dafür „πίστις“ (pistis) („Glaube“), im Lateinischen „fiducia“ (Selbstvertrauen) oder „fides“ (Treue). So steht im antiken und mittelalterlichen Gebrauch Vertrauen im Spannungsfeld von Treue und Glauben (z. B. bei Demokrit, der fordert, nicht allen, sondern nur den Bewährten zu vertrauen). Für Thomas von Aquin ist Vertrauen durch Erfahrung bekräftigte Hoffnung auf Erfüllung von erwarteten Zuständen unter der Prämisse des Vertrauens auf Gott.[2] Seit Beginn der Neuzeit – etwa mit Thomas Hobbes einsetzend – ist Vertrauen immer stärker ein Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten (Selbstvertrauen).“
Aus https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrauen
Bleiben wir nur bei Demokrit: nur dem Bewährte zu vertrauen.
Das fängt doch bei dem Einzelnen an. Wie kann er Anderen trauen (auch Institutionen der EU sind nur Menschen), wenn er sich selbst nicht traut, er seine eigene Stärke (seine Macht, seine Handlungsfähigkeit) nicht kennt, weil diese ihm mal vorenthalten, mal beschnitten, mal gewaltsam genommen werden und mal ihm willkürlich auf dem Gnadenweg gewährt werden?
In einer modernen Gesellschaft ist die Stärke des Einzelnen seine Souveränität als Person, und die bewusste Entscheidung auf einen Teil seiner Souveränität nach bestimmten anerkannten und freiwillig akzeptierten Regeln zu verzichten. Im Interesse der Gesellschaft und im eigen Interesse. Dafür erhält er von der Gesellschaft bestimmte Garantien und gewährt diese.
Das ganze System nennt sich Recht.
Die Stärke des Rechts beruht auf der bewussten, freiwilligen Entscheidung der Rechteinhaber.
Wenn der Einzelne also ein solches Recht, ein solches Rechtssystem als treu erlebt hat, dann hat er auch Vertrauen in den Rechtsraum. Oder wie die gelehrte Zunge es auch immer nennen will.
Festzuhalten bleibt, Vertrauen kann nur gewährt werden, nicht befohlen, nicht durch Täuschung erschlichen und nicht durch schönes Reden herbei fabuliert werden.
Damit es gewährt wird, muss man die Regeln kennen, als Souveräne vom System anerkannt sein, die positiven und die negativen Folgen des Vertrauens abschätzen können und man muss wissen wem man traut/trauen soll. (Denn die Lüge wird offensichtlich und von der Wahrheit unterscheidbar durch die Kenntnis der Gier, Begierde, der Bedürfnisse der Handelnden.)
Wen ich an diesen Kriterien mal das was ich von der der EU erlebe, prüfe, kann ich nur sagen, Abschaffen so schnell es geht.
Zurück zu einem System, in dem ich als Bürger behandelt werde und wenigsten eine ganze Stimme habe (in der EU haben Deutsche ca. 1/40 Stimme eines Griechen).
In dem meine Abgeordneten und mein Regierungschef oder mein Ankläger oder Richter wenigsten noch meine Sprache spricht (wenn auch nicht mehr lange), in dem nicht über Nacht eine andere Kultur eingeführt wird, Männer noch Männer und Frauen nicht nur Arbeitskräfte und Eierspender sind.
Zurück zu einem System, wo meine Steuern wenigstens noch einer überschaubaren Solidaritätsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit zugutekommen, zurück zu einem echten Staat, mit Grenzen, Volk und Staatsgebiet. Zu einer Demokratie – dem Nationalstaat.
Bei der Gelegenheit seit wann ist die Europäische Union übrigens ein Staat? Geschweige den rechtsstaatlich?
Was also kann die Europäische Union machen, um Vertrauen zu gewinnen?
Einmal die Bürger die in den Staaten der EU leben, als Bürger behandeln und ihnen ihre Souveränität zurückgeben, also sich auflösen, und zwar ohne Bürgerkrieg oder Krieg.
Wenn die EU das schafft, dann kann man Hoffnung haben auf einen neuen, besseren Versuch.
Aber gerade Sie Herr Professor haben bestätigt dass man eben kein Vertrauen haben darf.
Ein großes Verdienst dieses Blogs ist die sehr detailreiche und beklemmende Berichterstattung über die Umbauten der ungarischen und polnischen Verfassungsordnung. Vor dem Hintergrund dieser Artikel erscheint mir dies hier …
Auch mit Blick auf die schwierigsten Situationen gibt es gute Gründe auf Pál Sonnevends Urteil zu vertrauen: “The example of Hungary shows that outsourcing parts of the constitutional functions to international or supranational organizations in peaceful years may help survive the years of crisis. In effect, a concerted action of the European Union, the Venice Commission and the European Court of Human Rights was able to respond to almost all of the most serious flaws of the recent constitutional system of Hungary. This did not reinstate a perfect system of separation of powers within the country. (…) This notwithstanding, European institutions contributed to creating a situation where self-healing through domestic processes is still possible.”
… als geradezu provokante Schönfärberei. Für ein “outsourcing” bestimmter “parts of the constitutional functions to international or supranational organizations” scheint mir die Entwicklung in Ungarn jedenfalls keine gute Werbung zu sein.
Am Rande bemerkt: Die unbefangen-optimistische Rede vom Outsourcing von Verfassungsfunktionen ist nicht gerade geeignet, Vertrauen zu stiften, dass es sich bei der EU nach der Konzeption ihrer Verteidger um mehr handeln soll als um ein letztlich demokratiefernes Governanceregime.
“The example of Hungary shows that outsourcing parts of the constitutional functions to international or supranational organizations in peaceful years may help survive the years of crisis. In effect, a concerted action of the European Union, the Venice Commission and the European Court of Human Rights was able to respond to almost all of the most serious flaws of the recent constitutional system of Hungary. This did not reinstate a perfect system of separation of powers within the country. (…) This notwithstanding, European institutions contributed to creating a situation where self-healing through domestic processes is still possible.”
Das ist ja ein herrliches Zitat. Ich übersetze einmal frei ins Deutsche:
“Das Beispiel der Eheleute Müller zeigt, dass Outsourcing bestimmter Teile der Bewertung von Ansätzen zur Lösung innerhehelicher Konflikte an außer- oder supraeheliche Organisationen der Ehe helfen kann, Jahre der Krise zu überstehen. Im Ergebnis konnte eine konzertierte Aktion von Gerichten, Polizei und Justizvollzugsanstalt angemessen auf beinahe alle Probleme der streitbefangenen Ehe reagieren. Die Ehe konnte so zwar nicht in einen perfekten Zustand überführt werden. Beispielsweise Frau Müller ist immer noch tot, seit Herr Müller sie im Streit erschlagen hat. Wir sind jedoch optimistisch, dass die Zahl ehebedingter Tötungen unter den Eheleuten Müller langfristig zurückgehen wird, wozu die Insitutionen der Justiz einen wichtigen Beitrag geleistet haben, so dass den Selbstheilungskräfte der Ehe ermöglicht wird, die bestehenden Probleme zu lösen.”
Die Kunst, auch Schreckliches mit schönen Worten zu loben, erreicht bei der Lobpreisung der EU ganz neue Höhen.
Die EU hat versagt dabei, Polen und Ungarn “einzufangen”, wenn das denn je ihre Aufgabe war. Sie hat versagt dabei, die Bürger von sich zu begeistern. Sie hat versagt dabei, England als Mitglied bei sich zu halten, und wird das Vereinigte Königreich möglicherweise zerbrechen lassen (“Kommt zu uns – wenn wir mit Euch fertig sind, seid Ihr völlig im Eimer.”).
Man muss sich die Niederlage erst eingestehen, bevor man an ihre Aufarbeitung geht.
Den Rechtsbruch als Bestätigung der Rechtsstaatlichkeit zu bezeichnen, ist, bei allem Respekt, nichts anderes als Doublespeak. Falls Sie das wirklich glauben, ist m. E. eine kritische Betrachtung der eigenen Haltung angezeigt.
Europäische Einheit ist toll. Zusammenarbeit und Annäherung sind gut. Aber man sollte die Ziele nicht mit der praktischen Umsetzung verwechseln. Wenn letztere Mist ist, ist es Verrat an den erstgenannten Zielen, an der bisherigen praktischen Umsetzung festzuhalten.
Leider ist die EU und ihre Institutionen nicht mehr zu retten. Und zwar gerade weil man sich nicht an Prinzipen der Rechtsstaatlichkeit hält, sondern, gerne auch auf Kosten des Volkes moralisierend, Gesetze so hinbiegt wie es einem passt.
Ein schönes Beispiel hierfür ist die “Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. April 2017 zur Bewältigung von Flüchtlings- und Migrantenströmen: Die Rolle des auswärtigen Handelns der EU”
Da wird dann aus Artikel 13 Allgemeine Er
klärung der Menschenrechte ein “Grundrecht auf Migration” herbeifabuliert.
Weiterhin zitiere ich aus der Erklärung wie folgt:
“in der Erwägung, dass die humanitäre Hilfe auf der Grundlage des Bedarfs, der Einhaltung der Grundsätze der Menschlichkeit, der Neutralität, der Unparteilichkeit und der Unabhängigkeit und der Einhaltung des humanitären Völkerrechts sowie der in den Genfer Abkommen und den dazugehörigen Zusatzprotokollen aufgeführten Menschenrechte im Zentrum allen auswärtigen Handelns der EU stehen muss; in der Erwägung, dass sich die unabhängige Hilfe – d. h. die Hilfe, die frei von politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Überlegungen sowie jeder Art von Diskriminierung ist – durchsetzen muss;”
Bitte nochmals auf der Zunge zergehen lassen:
“frei von politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Überlegungen ”
D.h. die Sicherheit des eigenen Volkes muss eingeschränkt werden um “den uneingeschränkten Schutz der Rechte und der Würde eines jeden Menschen” zu gewährleisten.”
Neben einer Perversion ist das auch eine Paradoxie:
Man kann nicht ganzen Völkern die Sicherheit wegnehmen um anschließend die Rechte aller einzelnen “uneingeschränkt zu gewährleisten”.
Zur Umsetzung eines moralischen Größenwahns schadet man massiv dem eigenen Volk.
So richtig vertrauensbildend kommt die Nichtveröffentlichung des EU-Antikorruptionsberichtes irgendwie nicht rüber (http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/anti-korruption-bericht-offener-brief-rechtswissenschaftler-kritik-plaene-eu/)