Warum das Grundgesetz die Ehe für alle verlangt
1. Falls der Bundestag am Freitag tatsächlich über die Ehe für alle entscheiden sollte: Steht dann das Grundgesetz einem positiven Votum entgegen? Wollte die verfassungsgebende Gewalt die Ehe für alle für verfassungswidrig erklären?
Manche schließen das aus dem „besonderen Schutz“, unter den Art. 6 I GG Ehe und Familie stellt: Weil mit der Ehe damals nur die Ehe zwischen Frau und Mann gemeint gewesen sei und weil die Ehe danach unter einen „besonderen“ Schutz gestellt werden sollte, dürfe die Ehe anderer Paare nicht der Ehe von Frau und Mann gleichgestellt werden. Es gelte deshalb ein „Abstandsgebot“ oder Gleichstellungsverbot.
Wie stets bei der historischen Auslegung muss aber sorgfältig geklärt werden, auf welcher Abstraktionsebene die verfassungsgebende Gewalt ihre Festsetzungen treffen wollte. Sie muss nicht unbedingt ihre eigenen konkreten Anwendungsvorstellungen („original expected applications“) für maßgeblich erklärt haben. Sie kann sich stattdessen auch dafür entschieden haben, allgemeiner gefasste, entwicklungsfähige Grundsätze zu normieren, ohne deren künftige Anwendung auf ihren eigenen konkreteren Vorstellungshorizont begrenzen zu wollen. Originalism kann dann auch „Living Originalism“ sein (s. dazu v.a. hier und hier).
2. Eine Ehe für gleichgeschlechtliche Paare lag vermutlich jenseits des konkreteren Vorstellungshorizontes der weitaus meisten Mitglieder des Parlamentarischen Rates und der Volksvertretungen der Länder, in denen 1949 über die Annahme des Grundgesetzes entschieden wurde. Unter einer Ehe werden sie sich damals konkret nur die Ehe zwischen Mann und Frau vorgestellt haben. Das heißt aber zum einen noch nicht, dass sie den Begriff der Ehe darauf auch beschränkt sehen wollten und nicht für entwicklungsfähig gehalten haben. Zum anderen – und vor allem – lässt gerade die Begrenztheit dieser konkreten Anwendungsvorstellungen es als zweifelhaft erscheinen, dass sich der ‚besondere‘ Schutz der Ehe damals als ein Gleichstellungsverbot gerade gegen gleichgeschlechtliche Paare richten sollte.
Nein, die Bedrohung vor der man das Institut der Ehe damals so besonders schützen wollte, war aller Wahrscheinlichkeit nach die „wilde Ehe“ zwischen Mann und Frau – oder wie man es damals auch nannte, das „Konkubinat“. So sagte etwa Hermann v. Mangoldt, der Vorsitzende des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, in dessen Beratungen: „Es wird gesagt, daß die Ehe als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft unter dem Schutze der Verfassung steht, aber nicht das Konkubinat.“ (zu den Ausschussberatungen vgl. hier und auszugsweise hier; für das Zitat: S. 857 [vgl. hier]; die Ausführungen zu den Beratungen zu Art. 6 I GG stützen sich hier und im Folgenden teils auf eine Freiburger Seminararbeit von Christoph Scheit).
Wenn es also ein verfassungsrechtliches Gleichstellungsverbot gibt, dann allenfalls eines, dass sich gegen Beziehungen zwischen Mann und Frau richtet, die, anders als die Ehe, nicht auf Dauer angelegt sind. Dagegen verfolgte die Privilegierung der Ehe, soweit ersichtlich, keine homophobe Zielsetzung. Wer dem Art. 6 I GG ein Abstandsgebot entnehmen will, das sich gegen gleichgeschlechtliche Paare richtet, kann sich dafür also nicht auf die historische Auslegung berufen (zur Gegenauffassung s. aber etwa hier). Denn er müsste dafür, obwohl er den Schutzbereich des Art. 6 I GG eng auf die konkreten historischen Anwendungsvorstellungen beschränken will, den Privilegierungsgedanken in Art. 6 I GG zugleich in dynamischer Auslegung erweitern – also methodisch inkonsistent argumentieren.
Die überwiegenden entstehungsgeschichtlichen Indizien sprechen deshalb, soweit ich sehe, dafür, dass die Ehe für alle mit dem im Grundgesetz zum Ausdruck gekommenen Willen der verfassungsgebenden Gewalt nicht unvereinbar ist. Der besondere Schutz der Ehe aus Art. 6 I GG enthält kein Abstandsgebot, das der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare entgegenstünde (s. zur Debatte etwa auch hier und hier).
3. Das ist aber noch nicht alles. Die Verfassung verhindert die Ehe für alle nicht nur nicht, sondern verlangt sie sogar. Dafür sprechen die überwiegenden Gründe auch und gerade dann, wenn man die Verfassung, wie aus demokratischen Gründen geboten, dem Willen des historischen Verfassungsgebers entsprechend auslegt.
Aus den Beratungen im Parlamentarischen Rat geht deutlich hervor, dass die Grundrechte als dynamische Grundsatznormen konzipiert wurden, die eine gewisse „Beweglichkeit“ besitzen sollten, und zwar gerade auch im Rahmen der späteren gerichtlichen Auslegung (vgl. hier, bes. S. 64, 594, 601, 603). Ihr Schutzniveau kann – nach Maßgabe der positivrechtlichen Grundsatzentscheidungen– mit der Zeit wachsen, wie etwa bei dem grundrechtlichen Verbot grausamer oder erniedrigender Bestrafung. Ihre Beweglichkeit kann sich aber auch daraus ergeben, dass sich erst mit der Zeit die Erkenntnis einstellt, dass ein staatliches Handeln von Anfang an grundrechtswidrig war – wie vielfach bei den Diskriminierungsverboten.
Gleichgeschlechtlichen Paaren die gleiche staatliche Anerkennung ihrer Ehe vorzuenthalten, verletzt das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts (Art. 3 III 1 GG), das Gleichheitsgrundrecht (Art. 3 I GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG). Die verfassungsgebende Gewalt hat diese Grundrechte weit gefasst. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass sie damit nicht auch mit Blick auf die Ehe für alle das gemeint hat, was sie gesagt hat.
4. „Niemand“ darf wegen seines Geschlechts benachteiligt werden (Art. 3 III 1 GG) – nicht etwa nur ‚niemand, der heterosexuell orientiert ist‘. Kein geringerer als der Chief Justice des U.S. Supreme Court, John Roberts, hat in der mündlichen Verhandlung zum Obergefell-Verfahren dazu die treffende Frage aufgeworfen:
„Sue liebt Joe und Tom liebt Joe. Sue kann Joe heiraten, Tom kann es nicht. Der Unterschied beruht auf ihrem unterschiedlichen Geschlecht. Warum ist das keine klare Frage der Diskriminierung wegen des Geschlechts?“ („I mean, if Sue loves Joe and Tom loves Joe, Sue can marry him and Tom can’t. And the difference is based upon their different sex. Why isn’t that a straightforward question of sexual discrimination?”; s. hier, S. 62)
Die Antwort liegt nahe, auch wenn unklar bleibt, ob Roberts sie teilen würde: Es handelt sich in der Tat um nichts anderes als um eine ungerechtfertigte Diskriminierung wegen des Geschlechts.
Auch wenn man das anders sehen wollte, greift jedenfalls das allgemeine Gleichbehandlungsverbot des Art. 3 I GG: „Alle Menschen“ sind vor dem Gesetz gleich (Art. 3 I GG) – nicht nur ‚alle heterosexuellen Menschen‘. Wird die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare nicht als gleichberechtigt anerkannt, so werden sie als „Paare zweiter Klasse“ behandelt, ihre Ehe, wie Justice Ruth Bader Ginsburg sagen würde, als eine Art „Magermilch-Ehe“. Für eine so schwerwiegende Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung (und wegen des Geschlechts) sind keine hinreichenden Rechtfertigungsgründe in Sicht.
5. Und schließlich: „Jeder“ hat das Recht auf „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ (Art. 2 I GG) und: Die Würde „des Menschen“ ist unantastbar (Art. 1 I GG). Keine dieser Gewährleistungen ist auf heterosexuelle Menschen beschränkt.
Für den Parlamentarischen Rat war klar: „Zur Entfaltung der Persönlichkeit gehört auch die Entfaltung in Ehe und Familie. Dieses Wirken in Ehe und Familie gehört zum Wichtigsten, was den einzelnen Menschen angeht.“ (vgl. hier, S. 645). Das für die Persönlichkeitsentfaltung so bedeutsame Recht auf gleiche Anerkennung der Ehe für alle Paare ist deshalb, wenn es nicht schon aus Art. 6 I GG folgt, jedenfalls auch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleiten.
6. Und das alles soll wirklich dem Willen der verfassungsgebenden Gewalt von 1949 entsprechen – zu einer Zeit also, zu der die Homosexualität noch strafbar war?
Man sollte die Akteure von 1949 nicht unterschätzen. So verfügte etwa gerade Hermann v. Mangoldt über ein reichhaltiges Wissen von der historischen Dynamik der Gleichheitsidee. In seiner Habilitationsschrift von 1938 hatte er sich intensiv mit dem damaligen Stand des „Rassenrechts“ in den Vereinigten Staaten von Amerika auseinandergesetzt. Ausführlich zitierte er dort eine Rede Abraham Lincolns vom 26. Juni 1857, in der dieser sich – gegen das Dred Scott-Urteil gerichtet – auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung bezog.
We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal … . Waren mit diesem Satz von 1776 auch die Sklaven und ihre Nachkommen gemeint? Das Dred Scott-Urteil hatte das verneint, und zwar mit dem bemerkenswerten Argument, die Verfasser der Erklärung hätten, als Ehrenmänner, niemals etwas gemeint haben können, was ihrem eigenen Verhalten als Sklavenhalter so offenkundig widersprach (s. hier, S. 410). Lincoln bejahte es. Die Autoren der Erklärung hätten ein Recht erklären wollen, dessen Verwirklichung so schnell nachfolgen sollte, wie die Umstände es zulassen:
„They meant simply to declare the right, so that the enforcement of it might follow as fast as circumstances should permit. They meant to set up a standard maxim for free society, which should be familiar to all, and revered by all; constantly looked to, constantly labored for, and even though never perfectly attained, constantly approximated, and thereby constantly spreading and deepening its influence, and augmenting the happiness and value of life to all people of all colors everywhere.”
7. Dass Lincolns Deutung nach meinem Dafürhalten zutrifft, also keine anachronistische Umdeutung der Erklärung bedeutet, kann hier ebenso wenig vertieft werden, wie der Versuch v. Mangoldts, die Grundgedanken Lincolns ausgerechnet im Deutschland des Jahres 1938 rechtswissenschaftlich fruchtbar zu machen. Entscheidend ist, dass v. Mangoldt jedenfalls 1949 über ein besonders geschärftes Bewusstsein davon verfügt haben muss, welches Entwicklungspotential mit solchen allgemeinen Aussagen wie der von der Gleichheit aller Menschen einhergehen konnte.
Den Gedanken Lincolns, dass die Menschenrechte einen unhintergehbaren Mindeststandard gleicher Freiheit bilden, eine standard maxim for free society, griff v. Mangoldt im Parlamentarischen Rat wieder auf (s. hier, S. 644, 740, 743-745). Er entwickelte dort einen Zusammenhang zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten, aus dem sich ableiten lässt, dass durch hinreichend gewichtige Diskriminierungen ein Menschenwürdekern jedes Freiheitsrechts berührt werden kann. Für das Recht auf Ehe für alle folgt daraus: Wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf so schwerwiegend diskriminierende Weise beeinträchtigt wird wie bei der Verweigerung der gleichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen, dann wird es dadurch zugleich in seinem Menschenwürdekern berührt.
Dass die Menschenwürde das gleiche Recht gleichgeschlechtlicher Paare auf Ehe fordert, hat der U.S. Supreme Court in seiner Obergefell-Entscheidung von 2015 sogar unter einer Verfassung anerkannt, die die Menschenwürde gar nicht ausdrücklich normiert: “They ask for equal dignity in the eyes of the law. The Constitution grants them that right.” (s. hier, S. 28). Das Grundgesetz steht dem, recht verstanden, nicht nach.
Zwei Menschen darf die gleiche staatliche Anerkennung ihrer Ehe ebensowenig verweigert werden, weil sie eine bestimmte sexuelle Orientierung haben oder gleichen Geschlechts sind, wie sie ihnen verweigert werden dürfte, weil sie unterschiedlichen „Rassen“ angehören. Sollte der Deutsche Bundestag dies – 50 Jahre nach dem Loving-Urteil des U.S. Supreme Court zu den Verboten „rassischer Mischehen“ – am Freitag anerkennen, so brächte er damit das Gleichheitsversprechen der Verfassung ein wichtiges Stück weit der Erfüllung näher.
Ich sehe in dieser Argumentation zwei Widersprüche.
1) Wenn sie zutrifft, dürfte §1353 Abs. 1 BGB nicht geändert werden. Dort wird der Begriff der Ehe in derselben Weise gebraucht wie im GG. Ihn im BGB explizit zu erweitern bedeutet anzuerkennen, daß er ohne diese Erweiterung das hier unterstellte Deutungspotential eben nicht besitzt.
2) Die erweiterte Deutung kann nicht mehr erklären, warum Blutsverwandte weiterhin an der Eheschließung gehindert werden. Ihre Diskriminierung verstieße dann ebenfalls gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.
Die ganze Debatte über die (angebliche) Verfassungswidrigkeit der Einführung einer Ehe für zwei Männer oder zwei Frauen ist betrüblich – und sie zeigt, was an (Teilen) der deutschen verfassungsrechtlichen Debatte nicht stimmt, und zwar fundamental nicht stimmt:
1) Artikel 6 GG ist ein Grundrecht. Die Vertreter der Verfassungswidrigkeit müssen also behaupten, dass sich aus einem Grundrecht (= Freiheitsgarantie der Verfassung) eine Sperrwirkung für ein mehr an Freiheit ergibt, also ein Verbot für den Gesetzgeber, nicht zu viel (!) Freiheit zuzulassen. Verfassungsrechtlich “zuviel” an Freiheit kann es doch nur dort geben, wo es eine Kollision mit anderen verfassungsrechtlichen Gütern gibt – die ist hier nicht ersichtlich. Hinter der These der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes steht also die Deutung eines Grundrechts als Privileg, als Maximalgrenze an Freiheit – ein äußerst bedenklicher Umgang mit der Auslegung des GG.
2) Was sagt es uns über unser Land, dass in anderen Staaten (USA etwa) die Verfassung zugunsten der Gleichheit und Freiheit interpretiert wird, in Deutschland aber zulasten?
3) Für kein anderes Grundrecht wird eine solche “Sperrwirkung” oder ein solches “Abstandsgebot” vertreten: wer würde aus Artikel 14 ein Gebot (!) der Privilegierung von Sacheigentum (= Vollrecht an körperlichen Gegenständen, § 90 BGB) herauslesen? Wer würde Artikel 5 Abs. 1 S. 2 GG als Privilegierung von Rundfunk und Film ansehen mit der Folge einer verfassungsrechtlich zwingenden (!) Schlechterstellung (etwa) des Internet? Wer würde aus Artikel 8 Abs. 1 GG schließen, dass es dem Gesetzgeber untersagt (!) ist, Versammlungen von Nicht-Deutschen zuzulassen.
4) Das Trauerspiel der Auslegung von Artikel 6 GG im Sinne eines “Abstanzgebotes” u.ä. ist eine Folge von Leuten wie Kirchoff (Paul), die das GG als Mittel ansehen, den von einer Mehrheit der Deutschen gewollten gesellschaftlichen Wandel gegen das Parlament durchzusetzen.
@Johannes P.: Nein. Wenn man den Ehebegriff des BGB ändert, ändert sich automatisch auch jener des GG. Der Gesetzgeber gestaltet die Ehe des Art. 6 GG aus: normgeprägtes Grundrecht. Deswegen behauptet auch niemand, dass die gleichgeschlechtliche Ehe jetzt schon von Art. 6 GG geschützt würde. Sie wird das erst nach der Gesetzesänderung sein. Die Frage ist vielmehr, ob Art. 6 GG die gleichgeschlechtliche Ehe verbietet.
Was die Heirat von Blutsverwandten angeht: Zur Rechtfertigung derselben können Sie das BVerfG-Urteil zur Verfassungskonformität von 173 StGB lesen. Man kann dessen Gründe aus guten Gründen für bescheuert halten, aber das rechtliche Problem ist jedenfalls nicht dasselbe. Und auch die Ungleichbehandlung, dass Geschlechtsverkehr von Geschwistern unter Strafe steht, der von Homosexuellen aber nicht hält niemand im Ernst für ein Gleichheitsproblem.
@Johannes P.: Zu 2) könnte man noch etwas zuspitzen: Bei den einen ist das Problem, dass sie Kinder zeugen könnten, bei den anderen soll das Problem sein, dass sie das nicht ohne fremde Hilfe tun können.
@Johannes P
zu 1) Paragraph 1353 Absatz I BGB wird in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ehebegriff des Grundgesetzes ausgelegt. Dies zu ändern, bedarf also einer Gesetzesänderung (oder eines -von der bisherigen Rechtsprechung abweichendes – Urteils des BVerfG).
zu 2) wenn sich keine anderen nachvollziehbaren Gründe für ein Verbot bei Blutsverwandten finden ließen, wäre dies die Konsequenz. Wenn Sie keine finden bzw. bestimmte Argumente nicht gelten lassen wollen (was in der rechtswissenschaftlichen Diskussion durchaus vertreten wird), wäre diese Konsequenz hinzunehmen. Ihr Argument bliebe aber ein rein Ergebnisorientiertes, da sich dann, wie Sie ja selbst zuvor festgestellt hätten, keine Anhaltspunkte für die pausible Begründung der Schlechtigkeit einer Blutsverwandtenehe finden ließen.
Lassen sie hingegen besondere Gründe für die Schlechterstellung von Verwandtenverhältnisse gelten (was in der rechtswissenschaftlichen Diskussion weit überwiegend vertreten wird), löst sich der “Widerspruch” von selbst auf, da alle in Betracht kommenden Gründe für eine Diskriminierung sich nicht auf gleichgeschlechtliche Ehen übertragen lassen. (Förderung sozialer Einbindung in die Gesellschaft v. Verwandten; Gefahr des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Verwandten in gerader Linie; “Gefahr” genetisch benachteiligter Kinder)
Das GG verlangt eine Ehe für “Alle” keinesfalls. Der Gleichheitsgrundsatz verlangt lediglich, dass Gleiches gleich behandelt wird. Ungleiches darf ungleich behandelt werden. Die Privilegierung von selbsttragenden sozialen Strukturen, welche zum Fortbestand der Gesellschaft erforderlich sind, wie die naturgegebene Familie aus Frau, Mann mit leiblichen Kindern ist zulässig. Schaut man sich den Anteil der Ehen mit Familie an, so scheint auch heute noch die Ehe dieser ursprünglichen Aufgaben – Zeugung, Geburt und Kindererziehung einen stabilen Rahmen zu geben – gerecht zu werden. Sollte die Ehe diese Aufgaben nicht mehr erfüllen, dann ist nicht etwa eine Ehe für Alle die logische Konsequenz sondern allein die Abschaffung der Privilegien für die Ehe. Es ist grober Unfug Privilegien für Alle zu fordern anstatt viel einfach die Abschaffung von ungerechtfertigten Privilegien.
Davon abgesehen, könnte viel mehr die Frage gestellt werden, ob nicht eine stärkere Privilegierung der Familie d.h. Kindererziehung gegenüber der (kinderlosen) Ehe zu erfolgen hätte. Aber statt für eine sachbezogene, wirkungsvolle Politik zu streiten, beschränkt man sich lieber auf eine wirkungslose Symbolpolitik, wie die heute praktisch gleichberechtigte eingetragene Lebenspartnerschaft dann offiziell Ehe nennen zu dürfen.
@ Ronald Fein.
Ihre Ausführungen wären dann zutreffend, wenn wir in einem Staat leben würden, in dem der Einzelne nur als Teil der Gemeinschaft aufgefasst wird – indem gilt: “Du bist nichts, Dein Volk ist alles”.
So ist es aber nicht.
Vielmehr steht am Anfang (!) des GG die Würde des Menschen, sein/ihr Glück, seine/ihre Freiheit, und zwar nicht, weil diese Anerkenntnis “nützlich” ist, sondern weil sich darin eine bestimmte Vorstellung vom Menschen ausdrückt. Beim Artikel 6 GG geht es nicht um Demographie, es geht um Würde & Freiheit.
@Charles Ryder
Falsch. Individuum und Gesellschaft sind mehr oder minder gleichberechtigt, da der Mensch ein soziales Wesen und keine Einzelgänger, welcher fern ab jeglicher anderer Mitglieder der eigenen Spezies sein Leben vollständig selbständig verbringt, ist.
Was hat das Einräumen von ungerechtfertigten Privilegien mit der Menschenwürde zu tun?
Artikel 6 hat ausschliesslich etwas mit Kindern zu tun. Einfach mal lesen und verstehen, dann begreift man auch den ersten Satz.
@ Ronald Fein
1) Nach dem Grundgesetz sind Individuum und Gemeinschaft nicht gleichberechtigt. Der Grundrechtsteil besagt ja gerade: die Freiheit (in verschiedenen Formen) wird vorausgesetzt, ihre Einschränkung muss gerechtfertigt sein. Der Gebrauch der Freiheit ist nicht rechtfertigungsbedürftig.
2) Bei Artikel 6 GG geht es natürlich nicht nur um Kinder. Es geht (auch) darum, den besonderen Stellenwert einer intimen, dauerhaften Beziehung zu schützen. Wie wäre etwa ein Staat denkbar, der zum einen sich zu Grundrechten bekennt und zum anderen (etwa) kein Aussageverweigerungsrecht des Ehepartners kennt?
@schorsch (13:22)
§ 173 StGB pönalisiert nur den vaginalen Geschlechtsverkehr zwischen Verwandten verschiedenen Geschlechts, nicht die Zeugung von Kindern (auf anderem Wege) und auch nicht das bloße Zusammenleben im Rahmen einer “Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft”.
Wenn sich schon § 1307 BGB nicht mit dem Inzesttabu rechtfertigen lässt, dann wohl erst recht nicht § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 LPartG bzw. § 1307 BGB in seiner kommenden Bedeutung unter dem Regime der “Ehe für (vermeintlich) alle”.
@Charles Ryder
1) Falsch. Es ist immer eine Abwägung zwischen den Rechten des Individuums und der Gemeinschaft. Ansonsten wären Zwangsenteignungen zum Wohle der Gemeinschaft nicht möglich.
2) Nun zeigen Sie auch nur einen einzigen Satz im Art. 6 GG, welcher nicht mit Kindern zu tun hat. Gibt es bei Ihnen eine Familie oder Mutter ohne Kinder? Dagegen findet sich Ihre Theorie mit der “intimen, dauerhaften Beziehung” als Selbstzweck mit keinem einzigen Wort im Art. 6 GG.
@ R. Fein:
1) Aus der allgemeinen Dogmatik des Grundrechtsschutzes ergibt sich, dass die Inanspruchnahme der Freiheit keiner besonderen Rechtfertigung bedarf – ihre Einschränkung aber schon. Das zeigt: das GG gibt der individuellen Freiheit erhebliches Gewicht. Nach dem Horror der dt Geschichte stand das den Verfassungsvätern und -müttern klar vor Augen.
2) Zum Familienbegriff des Artikel 6 lese man dies hier:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2013/02/ls20130219_1bvl000111.html
“Sofern das einfache Recht die rechtliche Elternschaft zweier gleichgeschlechtlicher Partner begründet, sind diese auch im verfassungsrechtlichen Sinne als Eltern anzusehen. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schützt nicht nur verschiedengeschlechtliche Eltern, sondern schützt auch zwei Elternteile gleichen Geschlechts. ”
3) Dass Artikel 6 auch die Ehe “alleine” schützt, ergibt sich schon daraus, dass dieser Schutz nicht entfällt, wenn Ehepaare keine Kinder haben, oder keine Kinder (mehr) haben können.
Nehmen wir doch einfach das GG ernst. Was sagt uns das BVerfG etwa zum Ehegattensplitting:
“Eingetragene Lebenspartner leben wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft. Auch sie partizipieren bereits zu Lebzeiten am Vermögen ihres eingetragenen Lebenspartners und erwarten, den gemeinsamen Lebensstandard im Falle des Todes eines Lebenspartners halten zu können. Nicht anders als ein Ehegatte wird auch ein eingetragener Lebenspartner sein Vermögen nicht nur für sich, sondern auch für seinen Lebenspartner und gegebenenfalls für seine in der Partnerschaft lebenden Kinder schaffen.”
Sie sehen: “gegebenfalls”.
@Ano Nym: Weiß ich. Hab auch nichts anderes behauptet. Nur der Zweck des Verbots ist halt derselbe.
@schorsch: Welchen Zweck meinen Sie?
Vor allem die Auswirkungen des Inzests auf die Restfamilie, Schutz vor Abhängigkeitverhältnissen innerhalb der inzestuösen Beziehung, “ergänzend” Verhinderung von Kindern mit geschädigtem Erbgut.
@Charles Ryder
1) Nun wird in Art 6 GG. aber keine voraussetzungslose Freiheit wiedergegeben sondern eine an Voraussetzungen geknüpfte Privilegierung aka “dem besonderen Schutze”. Jemandem der die Voraussetzung nicht erfüllt, diese Privilegierung zu verweigern, stellt eine Selbstverständlichkeit dar.
2) Nun Sie bestätigen doch nur meine Theorie, dass es primär nur um Kinder geht. Es war schon immer so, dass die Familie – egal ob klassisch, alleinstehend, Stiefeltern … – unter “dem besonderen Schutze” des Art. 6 GG stand.
3) Den Altvorderen ging es aber gar nicht um den Schutz der Ehe ihrer Selbstwillen wegen, sondern nur um die Ehe als Vorstufe zur Familie mit leiblichen Kindern. Das zeigt der gesamte Art. 6 GG, welcher sich ausschliesslich mit Kindern und nichts anderem auseinandersetzt. Weiterhin sollte man sich fragen, welches gesellschaftliche Interesse bestehen sollte, eine reine Paarbeziehung unter “dem besonderen Schutze” vor allen anderen zwischenmenschlichen Beziehungen zu privilegieren. Es gibt schlicht kein besonderes Interesse, die nicht auch von anderen zwischenmenschlichen Beziehungen problemlos erfüllt werden könnten.
@schorsch: Bei Partnern gleichen biologischen Geschlechts sind aus biologischen Gründen keine gemeinsamen Kinder möglich. Ein Verbot, das etwa die Ehe zwischen Mutter und Tochter umfasst, kann nicht vor etwas schützen, was von vornherein nicht möglich ist: Nachwuchs.
So sehr ich mit der “Ehe für alle” sympathisiere: Die hier vertretene Position der “Beweglichkeit” der Grundrechte ist mir ein bisschen unheimlich. Erfreulich sicherlich, wenn es um die Durchsetzung von politischen Auffassungen geht, die man schätzt. Aber wer garantiert, dass der Zug demnächst nicht in die andere Richtung fährt? Und mit nämlichen Argumenten Grundrechte eingeschränkt werden. Anders gesagt: Ich möchte nicht, dass in meinem Bücherschrank etwas “lebt”. Zumal das Grundgesetz durchaus leicht zu ändern ist, wie die Geschichte zeigt.
@Ano Nym: Danke für die Nachhilfe. Jetzt müssen Sie nur noch ein Argument daraus herleiten. Worauf wollen Sie hinaus? Dass nur Homosexuelle ihre Geschwister heiraten dürfen sollten? Was ist mit den anderen Zwecken, die ich genannt hatte und die das BVerfG, dem Gesetzgeber folgend, in der 173er-Entscheidung als eigentliche, nicht nur “ergänzende” Rechtfertigung geprüft hat?
@schorsch: (a) Bitte verwechseln Sie nicht (wie andere auch) die sexuelle Orientierung (“Homosexuelle”) mit der Eigenschaft von Partnern, das gleiche Geschlecht zu haben, (Gleichgeschlechtlichkeit).
(b) Sie können mit dem Argument, es diene dem Schutz der Zeugung von Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf, ein Heiratsverbot gleichgeschlechtlicher naher Verwandter
begründen, weil gleichgeschlechtliche Personen keine Menschen miteinander zeugen können.
Aber beide Details gehen leider in der Diskussion unter in dem Wunsch des führenden Interesses, sowohl die Differenzierung unter (a) zu negieren als auch (b) die Gleichbehandlung des Ungleichen zu verlangen, um das Trugbild von Gleichstellung zu bewirken.
Ihre dritte Frage verstehe ich nicht. Personen gleichen Geschlechts können – wenn es bei der Definition des Begriffs “Beischlaf” bleibt – den Tatbestand nicht verwirklichen.
Es muss richtig heißen: „(b) Sie können mit dem Argument, es diene dem Schutz der Zeugung von Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf, ein Heiratsverbot gleichgeschlechtlicher naher Verwandter NICHT begründen, weil gleichgeschlechtliche Personen keine Menschen miteinander zeugen können.“
Wenn Art. 6 GG in seinem bisherigem Wortlaut einer Gesetzgebung nicht entgegenstand, die Homosexualität unter Strafe stellt, und gleichzeitig eine Gesetzgebung begründen kann, die eine Homo-Ehe sanktioniert, dann kann man aus dem Grundgesetz noch so einiges machen …
“dann kann man aus dem Grundgesetz noch so einiges machen …”
Man bedenke, dass das evident verfassungswidrige “Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz” des vortrefflichen Herrn Maas heute auf der Tagesordnung des Bundestags steht …
@Ano Nym: Halten wir erst einmal fest, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in keiner Weise die generelle Öffnung der Ehe auch für Beziehungen unter Blutsverwandten erfordert. Das schien mir der Punkt von Johannes P. zu sein, auf den ich reagiert hatte. Sie meinen nun aber, dass die gleichgeschlechtliche Ehe für solche Beziehungen geöffnet werden müsste. Dass also die “Ehe für alle” nicht “dieselbe Ehe für alle” sein könne. Das ist falsch. Die Nichtöffnung lässt sich aus Gründen rechtfertigen, die ich bereits genannt habe, auf die Sie mir aber hartnäckig die Antwort verweigern: (1) die Auswirkung der Beziehung auf den Rest der Familie, (2) die Gefahr von Abhängigkeitsverhältnissen in inzestuösen Beziehungen. Das reproduktionsbezogene Argument war selbst in der Rechtfertigung des § 173 StGB nur ein ergänzendes Argument.
Dass ich nun auf Argumente aus der Karlsruher 173er-Entscheidung rekurriere, bedeutet in keiner Weise, dass ich glaube, dass gleichgeschlechtliche Paare den Tatbestand des § 173 StGB erfüllen könnten. Das scheint Sie irgendwie umzutreiben, tut aber in dieser Diskussion nichts zur Sache. Wenn überhaupt bedeutet es ein Problem der Verfassungsmäßigkeit des § 173 StGB (dagegen Rn. 56 der 173er-Entscheidung).
Es ist doch auch nur die heute wohl gelingende Überrumpelung, die Verfassung ohne Verfassungsänderung einem selbst ernannten Fortschritt anzupassen – auch in der Gewissheit, dass dieser nicht sehr mutige Vorstoß in Karlsruhe – paribus vocibus – abgesegnet werden wird.
Vielleicht sollte man Nägel mit Köpfen machen und die Verfassung in fortschrittlich erleichterter Sprache neu formulieren unter Löschung störender Begriffe wie „besonderer Schutz“, die man dann nicht mehr mit zeitraubenden Spitzfindigkeiten umschiffen müsste.
Einen besonderen Schutz bietet Karlsruhe in verwandten Fragen eh nicht. Oder haben da Alarmglocken geschrillt, als Länder die Frühsexualisierung zum Unterrichtsthema machten und damit in die Intimsphäre des Elternrechts eingriffen?
Das Thema Homosexualität ist noch lange nicht wissenschaftlich geklärt, v. a. nicht die Frage der eher physiologischen oder eher sozialen (also Lernen, Mitmachen) Prägung. Aber es geht nicht um eine Klärung, die womöglich unliebsame Ergebnisse brächte, sondern um die Scheidung in Einstellungen: hier fortschrittlich, da konservativ-ultramontan. Und da kommt es bloß auf die Reichweite der lautesten, einflussreichsten Stimmen und Kanäle an.
Die Gesetzgebung kann bei der Festlegung zur Ehe nur an Mann und Frau gebunden gewesen sein, da zu dieser Zeit noch der Paragraf 175 Gültigkeit hatte und somit eine gleichgeschlechtliche Ehe nicht annähernd denkbar war.
Die Ehe als Institut zur Fortpflanzung wird nicht mehr benötigt, auch ein besondere Schutz nicht. Den Nachwuchs oganisiert der Staat durch Zuzug. Der Rest ist Freiwild für den Staat, siehe sex. Früherziehung. Mit den gleichen Argumenten wie im Artikel kann und muss ich auch die polygame Lebensform öffnen.
> Der Rest ist Freiwild für den Staat …
… und, nicht zu vergessen, seine illegalen Gäste.
Ein argumentativ sehr starker Beitrag. Obschon ich Verfechter der Ehe für alle bin, bleibt mir folgender dogmatischer Zweifel:
Unter 2. wird behauptet, dass der “besondere Schutz der Ehe” bei Annahme des Grundgesetzes allein gegenüber der wilden Ehe von Mann und Frau eingeräumt werden sollte. Dafür spreche, dass man sich über eine gleichgeschlechtliche Ehe noch keine Gedanken gemacht habe.
Hieraus wird irrig geschlossen, dass gegenüber dieser Sonderkonstellation deshalb kein besonderer Schutz gewünscht gewesen sei. Kernaussage des Parlamentarischen Rates und der Landesvertretungen 1949 war aber doch vielmehr, der Ehe notfalls gegenüber allen sonstigen Formen des Zusammenlebens besonderen Schutz einzuräumen – ob bekannt oder nicht. Dafür spricht auch, dass keine anderen Formen (wie etwa die wilde Ehe) in Art. 6 I GG aufgezählt werden. Wie im Beitrag richtig dargestellt, gingen die Beteiligten zudem allein von der gleichgeschlechtlichen Ehe aus, als sie das Schutzobjekt definierten.
Diese Schlüsse zusammengenommen müssen nun aber zu dem Ergebnis führen, dass allein der gleichgeschlechtlichen Ehe dieser besondere Schutz zukommen, und sie gegenüber allen nicht genannten Formen bevorzugt behandelt werden sollte.
Darin liegt i.Ü. keine dynamische Erweiterung des Privilegierungsgedanken des Art. 6 I GG, sondern im Gegenteil konsequentes Festhalten am ursprünglichen Gedanken: Bevorzugung der gleichgeschlechtlichen Ehe vor allen anderen Möglichkeiten des Zusammenlebens.
@schorsch: Einen Schritt zurück bitte. Schon die Einführung des LPartG hat nicht “erfordert”, dass dort Personen aufgrund ihrer Abstammung von der Verpartnerung ausgeschlossen werden. Man hätte z.B. problemlos eine Lebenspartnerschaft der ratiopharm-Zwillinge ermöglichen können. Nur hatten die keine Interessenvertretung.
Der Ausschluss wurde anscheinend dort reingeschrieben, um die Lebenspartnerschaft als maximal kompatible Imitation von Ehe zu einzurichten mit dem, was heute beschlossen wurde. Hätte man die LPart anders eingerichtet, könnten nicht alle Lebenspartnerschaften (z.B. die o.g. Ratiopharm-LPart) in eine Ehe umgewandelt werden.
Allerdings bleibt noch die Frage offen, was § 1353 Abs. 1 Satz 2 erster Halbs. bei Ehepartnern gleichen Geschlechts bedeuten soll. Diese und die im LPartG nachempfundene Formulierung hier einmal nebeneinandergestellt:
BGB: “Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet”
LPartG: “Die Lebenspartner sind einander zu Fürsorge und Unterstützung sowie zur gemeinsamen Lebensgestaltung verpflichtet.”
Das heißt: BGB = Pflicht zum vaginalen GV, LPartG = Pflicht zum gemeinsamen Verbringen der Freizeit.
Das hat der Gesetzgeber bislang nicht adressiert.
Zum 173: Ich verstehe nicht, welche Auswirkungen Sie meinen. Auswirken kann sich nur, was es gibt. Es gibt aber zwischen Personen gleichen Geschlechts keinen Inzest. Per definitionem. Insofern kann man den Ratiopharm-Zwillingen die Lebenspartnerschaft/Ehe nicht mit dem Argument abschneiden, § 173 StGB verböte dies.
Losgelöst vom § 173 können Sie mit dem “Argument”, es hätte unerwünschte Auswirkungen auf die Familie oder es schüfe Abhängigkeitsverhältnisse auch Mietverträge oder Ehen mit Rotharigen verbieten. Das hängt allein von den Wünschen ab. Und in dieser unserer Rechtsordnung sind das die Wünsche der die Entscheidungen tragenden Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter.
Artikel 6 GG muss hinsichtlich der Ehe eine inhaltlose Worthülse sein, wenn er von der Verfassung aus einfachgsetzlich völlig frei gestaltbar ist. Er sollte dann aufgehoben werden, und es sollte niemand hier mit einer Ewigkeitsgarnatie o.ä. kommen wollen. Was sollte hier noch wie von Verfassungs wegen wie besonders geschützt sein. Der einfachgesetzliche Istbestand wäre auch ohne Art. 6 GG gleichermaßen sogar verfassungsrechtlich durch die allgemeine handlungsfreiheit oder verfasungsrechtliche Ordnung usw. geschützt.
@Ano Nym: Hilft es Ihnen, wenn ich in Großbuchstaben schreibe? ICH HABE NIE BEHAUPTET, DER GRUND FÜR DEN AUSSCHLUSS DER EHE VON BLUTSVERWANDTEN SEI DAS VERBOT DES 173 STGB. Sie verwechseln da die Ebenen. Es geht darum, dass die dahinterstehenden Gründe teilweise übertragbar sind.
Was die Gründe im Einzelnen angeht: Die können Sie ja selbst nachlesen. Es geht jedenfalls nicht um die Schaffung von Abhängigkeitsverhältnissen durch Sex/Eheschließung, sondern um die Problematik bestimmter sexueller/ehelicher Beziehungen bei zuvor bestehenden familiären Abhängigkeitsverhältnissen(Schutz sexueller Selbstbestimmung, Bruder als Nachfolger des Vaters beim Geschwisterinzest, Despoteninzest, Altersgefälle beim Eheinzest, siehe im Beschluss, Rn. 47).
Wenn Sie die Gründe in der Sache nicht überzeugend finden, meinetwegen. Ich habe von Anfang an gesagt, dass man da Zweifel anmelden mag. Ich fühle mich deswegen auch nicht berufen, die Argumentation zu verteidigen. Mein Punkt war, dass es ein vollkommen anderes Rechtsproblem als die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist und dass das eine das andere in keiner Weise präjudiziert.
@schorsch: Was genau ist „die Problematik bestimmter sexueller/ehelicher Beziehungen bei zuvor bestehenden familiären Abhängigkeitsverhältnissen(Schutz sexueller Selbstbestimmung“ bei der Ehe eines platonisch zusammelebenden Ratiopharm-Zwillingspaares? Entweder bin ich blind oder blöd oder beides. Befinde ich mich vielleicht auf Hassemers Spuren? Bitte erhellen Sie mich!
Vielleicht schreiben Sie mal, was Ihrer Meinung nach in Rn 47 drin steht. Ich habe mir die jetzt (zugegeben isoliert) drei mal durchgelesen und sehe nicht, dass die Richter irgendetwas anderes als die Strafnorm des § 173 rechtfertigen wollen.
@Ano Nym:
Natürlich geht es im Beschluss nur um § 173 StGB. Wieder habe ich nie anderes behauptet.
Natürlich geht es bei der Ehe nicht um platonisches Zusammenleben. Sie haben es vorhin selbst geschrieben.
Natürlich ist nicht jede eheliche Beziehung zwischen Blutsverwandten problematisch. Es geht um die Häufigkeit problematischer Beziehungen.
Und natürlich argumentiert das Gericht nicht einfach zu singulärem vaginalen Geschlechtsverkehr, sondern zu “Inzestverbindungen” (Rn. 44, 45), “Inzestbeziehungen” (Rn. 45), “Rollenüberschneidungen” (ebd.), “sexuellen Beziehungen” (Rn. 46), “inzestuösen Beziehungen” (ebd.) und “Eheinzest” (Rn. 47). Die Ehe böte für diese Beziehungen den rechtlichen Rahmen.
Und noch einmal: Das muss das ja alles nicht überzeugend finden. Und böse Zungen behaupten, die Entscheidung des BVerfG sei eher ein Votum über den ausscheidenden Herrn Hassemer gewesen als über die Sachfrage. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Beziehungen die Öffnung der Ehe für innerfamiliäre Beziehungen präjudiziert.
Man die Dinge übrigens noch weiter verkomplizieren. Die Frage wäre dann, ob man nicht, wenn man die Ehe zwischen Blutsverwandten zuließe, als Folge auch ihren Geschlechtsverkehr zulassen müsste. Jedenfalls ist nach der herrschenden Meinung zu § 173 StGB dessen Tatbestand dann nicht erfüllt, wenn zwischen den Beteiligten ausnahmsweise doch eine formell wirksame Ehe besteht, die (noch) nicht nach § 1314 BGB aufgehoben wurde.
“Natürlich ist nicht jede eheliche Beziehung zwischen Blutsverwandten problematisch. Es geht um die Häufigkeit problematischer Beziehungen”
Der Satz sollte sich nur auf den Rechtfertigungsgrund der sexuellen Selbstbestimmung beziehen, nicht auf den tragenden Rechtfertigungsgrund (“an erster Stelle”, Rn. 42) des Schutzes der familiären Beziehungen.
@schorsch; @Ano Nym: Vielleicht bringt dieser Hinweis Sie aus der Endlosschleife Ihres Disputs heraus. Da gibt es seit vielen Jahren Erhebungen, nach meiner Erinnerung die meisten aus den USA. Darauf u. a. könnte sich ein Kommentar eines schwulen Autors in der FAZ von heute beziehen (Fremde Federn:Johannes Gabriel) beziehren:”… Und ist es wirklich so abwegig, was manche Gegner der Homo-Ehe behaupten, dass adoptierte Kinder ungleich stärker der Gefahr sexuellen Missbrauchs ausgeliefert sind, weil die Inzest-Hemmung wegfällt und diese Gefahr bei homosexuellen Paaren besonders hoch sei, weil die sexuelle Outsider-Rolle eine habituelle Freizügigkeit erotischer Binnenverhältnisse ohne alle sexual-ethischen Normen ausgebildet habe?”
In der Begründung werden mehrere GG- Artikel kummuliert und als vermeintlich durchbrechende Rechtsgrundlage herangezogen. Der Versuch geht fehl, weil in Art. 6 ja nicht nur die Verbindung zweier Individuen geschützt wird, sondern deren Rechtstellung im Hinblick auf die Pflicht und dem Recht dem Dritten – dem/ des- der Kindes/er- gegenüber sicherzustellen. Pflicht und Recht sind hier die sich gegenseitig bedingenden Parameter und Kern des Grundrechtes, die bei gleichgeschlechtlichen Ehen so nicht vorhanden sind. Insofern kann auch nicht von einer Diskriminierung gesprochen werden. Homoehen konstituieren keine Rechtspflicht gegen Dritte.
Sehr geehrter Herr Hong, vielen Dank für Ihren informativen Artikel! Auch ich halte die rechtliche Bevorzugung bestimmter Formen des Zusammenlebens von Menschen in Art 6 GG für der Begründung bedürftig. In diesem Sinne frage ich mich auch, mit welcher Begründung die Ehe für hetero- und homosexuelle Paare gegenüber einer Ehe von drei oder mehr Personen bevorzugt werden sollte.
Der Schutz der Ehe ist ein Verfassungs-Anachronismus. Das geltende Recht folgt diesem Gebot an vielen Stellen nicht (Asylrecht – Verweigerung des Nachzugs von Ehepartnern, SGB II – reduzierte Regelsätze in Bedarfsgemeinschaften).
Lediglich im Steuerrecht entfaltet die Schutznorm noch ihre Wirkung – sie dient als Begründung für das “Ehegattensplitting”. Weitere “Schutzmaßnahmen”, die den Status “verheiratet” voraussetzen, dürften kaum oder gar nicht mehr zu finden sein.
Der von den Verfassungsvätern und -müttern damals aus guten Gründen intendierte soziale Schutz von Hausfrauen ist nicht mehr zeitgemäß.
Das erweiterte Verständnis von Ehe, das in der Gleichstellung von homosexuellen Paaren seinen Ausdruck findet, führt zu einer steuerlichen Benachteiligung allein lebender Menschen. Dies entspricht nicht den Intentionen des Grundgesetzes. Deshalb ist zu prüfen, ob der Schutz der Ehe aus der Verfassung gestrichen werden sollte. Der Schutz der Familie genießt Vorrang.Das Institut der Ehe als solches kann erhalten bleiben.