Gehört der Islam zu Deutschland? Beyond Böckenförde
Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, posaunt Horst Seehofer in der Bild-Zeitung, und die Diskussion geht wieder los. Auch Markus Söder sagt nun, der Islam gehöre “ kulturgeschichtlich nicht zu Deutschland”, obwohl er 2012 sage, zu Bayern gehöre er schon.
Gehört also Bayern nicht mehr zu Deutschland? Alexander Dobrindt legt noch einen drauf: der Islam gehöre nicht zu Deutschland, „egal in welcher Form“. Und die AfD schreit Plagiat: der Satz, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, habe Seehofer wörtlich aus ihrem Grundsatzprogramm kopiert (dort Punkt 7.6.1).
Das ist, natürlich, schlimme Hetze und muss kritisiert werden. Solche Kritik ist leicht. Schwieriger, aber mindestens ebenso wichtig, ist es, genauer zu analysieren, wie sich Seehofers Position zum liberalen Staat verhält, so wie wir ihn heute verstehen. Das soll hier geschehen, mit Schwerpunkt auf das Werk von Ernst Wolfgang Böckenförde, das für das deutsche Selbstverständnis in diesen Fragen prägend ist.
Was soll das eigentlich heißen: der Islam gehört, oder gehört nicht, zu Deutschland? Dass der Islam nicht Staatsreligion ist, anders als in einigen anderen Ländern? Das versteht sich von selbst, gilt aber auch für andere Religionen wie das Christentum. Dass andererseits der Islam nicht ausgeübt werden darf? Auch das kann nicht gemeint sein; die Religionsfreiheit gilt auch für den Islam. Und alle, von Seehofer bis Dobrindt, machen die selbe Differenzierung: anders als der Islam gehörten (einige) Muslime selbstverständlich zu Deutschland — jedenfalls dann, wenn sie sich an die Gesetze halten. Besser macht es das nicht: an die Gesetze muss sich jeder halten (auch der Christ). Und die Idee, man könne zwischen Muslimen und ihrem Glauben trennen, ist ganz widersinnig: wenn Muslime zu Deutschland gehören, dann notwendig auch der Islam, dem sie anhängen und den sie ausüben.
Nein, gemeint ist hier offenbar eine Leitkultur, wie sie zuletzt Thomas de Maizière vor einem Jahr formuliert hat, übrigens damals auch schon in der Bildzeitung. Diese Leitkultur ist vor allem dadurch gekennzeichnet ist, was sie nicht ist. “Wir sind nicht Burka”, titelte die Bildzeitung, und auch sonst zog sich durch de Maizières Thesen vor allem eine Abgrenzung von einem stereotypischen Islam, mit Burka, Sharia-Recht und Ehrenmord — und eine explizite Berufung der christlichen Prägung des Landes. Der Freistaat (!) Bayern verleiht dieser explizit christlichen Leitkultur jetzt in seinem skurrilen Integrationsgesetz Gesetzeskraft und will Migranten (warum eigentlich nur die?) zur „unabdingbaren Achtung“ dieser Leitkultur verpflichten. In diesem Zusammenhang steht wohl auch das bayrische Burkaverbot von 2017.
Solche Umsetzung einer als Leitkultur verbrämten Islamophobie in das Recht ist nun verfassungsrechtlich problematisch; SPD und Grüne haben beim bayrischen Verfassungsgerichtshof beantragt, das bayrische Integrationsgesetz für verfassungswidrig zu erklären. Sie ist aber auch schwer vereinbar mit dem Selbstverständnis des liberalen Staates. Insbesondere liberale Kritiker halten einer solcherart gesetzlich verankerten Leitkultur gerne das sogenannte Böckenförde-Theorem entgegen, 1964 formuliert und seitdem zum Verfassungsmantra des modernen liberalen Staates aufgestiegen. Auch wenn es bekannt ist, soll es hier zur Gänze zitiert werden:
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“
Für Böckenförde selbst ergab sich aus diesem Grundsatz die Notwendigkeit einer weitreichenden Religionsfreiheit, der gewährleistet, dass die notwendige Voraussetzung einer relativen kulturellen Homogenität in der Gesellschaft entstehen kann. Diese Religionsfreiheit genießt nicht nur das Christentum, sondern auch Islam; Böckenförde selbst hat sich früh, entgegen vielen Konservativen, etwa für die Toleranz des Hidschab ausgesprochen. Insofern erscheint es folgerichtig, wenn das Böckenförde-Theorem auch regelmäßig gegen die Verordnung einer Leitkultur angeführt wird.
Aber das ist vorschnell. Es mag überraschen, aber Böckenförde steht im Streit auf der Seite Seehofers und nicht auf der seiner Kritiker. Als der damalige Bundespräsident Wulff 2010 erklärte, auch der Islam gehöre „inzwischen“ auch zu Deutschland, gehörte Böckenförde zu denjenigen, die ihn dafür kritisierten, und zwar mit derselben Differenzierung, die auch heute gemacht wird: Muslime gehören zu Deutschland, der Islam aber nicht (Interview, Frankfurter Rundschau, 2.11.2010). Für die Ungleichbehandlung von Christentum und Islam nannte er zwei Gründe: erstens habe der Islam historisch nicht die deutsche Kultur geprägt, zweitens sei der Islam, anders als das Christentum, nicht bereit, den liberalen säkularen Staat anzuerkennen. Für Böckenförde hatte diese Position weitreichende Folgen: Einen EU-Beitritts der Türkei lehnte er 2004 ab, um den Zufluss von Muslims zu begrenzen. Auch die Einwanderungspolitik müsse sorgfältig darauf achten, dass Muslime in einer Minderheitenposition verbleiben. Mit anderen Worten: nicht so weit von der CSU.
Seehofers Polemik lässt sich als Populismus abtun. Mit Böckenförde tut man sich schwerer. Wie geht das zusammen — liberaler säkulare Staat mit weitreichender Religionsfreiheit auch für Muslime einerseits, islamophobe Positionen andererseits? Das Problem liegt im Böckenförde-Theorem selbst. Formuliert wurde es, in der Zeit vor dem vatikanischen Konzil, um den damals noch staatskritischen Katholiken ein Angebot zu machen: Wenn sie den liberalen Staat anerkannten, würde dieser ihnen nicht nur im Gegenzug die Religionsfreiheit gewähren. Weiter noch, der liberale Staat bliebe angewiesen auf die kulturellen Werte, die er selbst nicht garantieren kann, und die daher weiter geprägt blieben durch die historische Tradition.
Man versteht Böckenförde falsch, wenn man ihm vorwirft, damit gewissermaßen heimlich das Christentum doch zum Träger des Staates zu machen. Böckenförde selbst weist darauf hin, dass selbst die abendländische Tradition sich nicht auf das Christentum beschränkt — Aufklärung und Menschenrechte gehören auch dazu — und dass die Grundlagen sich auch wandeln können. Erforderlich ist lediglich, aber auch immerhin, eine gewisse Homogenität. Den Begriff Leitkultur lehnt Böckenförde zwar ab, die Idee aber ist ihm wichtig, um das für ihn unabdingbare „Wir-Gefühl“ zu erzeugen.
Dieses „Wir-Gefühl“ als Grundlage der Nation ist nun aber seinerseits problematisch. Das Wir-Gefühl hat nämlich ein Inneres und ein äußeres: Es kreiert relative Homogenität nach innen, zusammen mit relativer Abgrenzung nach außen. Meist betont Böckenförde den inneren Aspekt. Aber die Abgrenzung nach außen ist untrennbarer Bestandteil: „Das Eigene, was Zusammengehörigkeit und Gemeinsamkeit ausmacht, wird stets nicht nur positiv in sich, sondern auch in der Abgrenzung zu einem Gegenüber erfahren und bestärkt sich darin.“ (Böckenförde, Staat Nation Europa, 2. Aufl. 2000, S. 111). Und die Andersheit kann sich „aufsteigern, auch emotional aufladen und wird dann leicht zu einer aggressionsbesetzten Fremdheit und schließlich zu aggressiver Ablehnung und Feindlichkeit.“ (ebda.)
Die Position dieses Gegenüber des nationalen Wir-Gefühls füllt nun heute der Islam aus. Die aggressive Ablehnung und Feindlichkeit erlebt er ebenfalls. Was beunruhigt, ist, wie offenbar ein gewisses Maß an Islamophobie nicht nur kompatibel mit dem liberalen säkularisierten Staat Böckenförde‘scher Prägung ist, sondern sogar notwendig, um die relative Homogenität hervorzubringen, die der Staat allein nicht schaffen kann, die aber auch die Gesellschaft nicht erreichen kann, ohne sich gegen ein Gegenüber abzugrenzen. Insofern, als Gegenüber, ist der Islam Teil Deutschlands geworden.
Wohlgemerkt: Es ist, ironischerweise, gerade die Schwäche des Staates, die zur aggressiven Ablehnung führt – weil der liberale Staat die Kultur nicht kontrollieren kann, muss er hoffen, dass die Kultur ihrerseits das Andere ablehnt. Wenn also zwei Drittel der Deutschen Seehofer zustimmen darin, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, so ist das in dieser Logik, perverserweise, ein Schritt zur Herstellung relativer Homogenität, inklusive Abgrenzung.
Das ist nun ausgesprochen unattraktiv. Auflösen lässt es sich in zweierlei Richtungen. Die eine ist die, die sich im bayrischen Integrationsgesetz ausdrückt: Der Staat kann, in Anbetracht der (vermeintlichen oder wirklichen) Bedrohung durch den Islam, auf seinen liberalen Charakter verzichten oder diesen wenigstens zurückfahren. Böckenförde selbst erwägt das durchaus zur „Selbstverteidigung“ des liberalen Staates. Dagegen hilft es nur bedingt, darauf hinzuweisen, dass die meisten Muslime dem westlichen Staat gegenüber ja keineswegs so feindlich sind, wie es Böckenförde und andere dem Islam zusprechen, sie also zu dem „wir“ gezählt werden können, wie das Wolfgang Schäuble 2016 betont hat. Denn damit ist das Freund-Feind-Denken nicht aufgehoben, sondern nur verschoben: Man trennt jetzt eben zwischen „guten“ und „schlechten“ Muslimen und braucht die letzteren weiterhin zur Abgrenzung. Das ist das Problem des Liberalismus, der auf Homogenität besteht.
Aus diesem Grund erscheint die andere Richtung vorzugswürdig: nämlich, die Idee der relativen Homogenität aufzugeben oder zumindest zu relativieren. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mag es notwendig gewesen sein, das identitätsstiftende Kriterium von der Rasse zur Kultur zu verschieben, dabei aber die Idee der nationalen Identität selbst aufrecht zu erhalten. Aber diese Idee, zumal als Idee der Homogenität, ist ja ihrerseits eine Entdeckung der Neuzeit, und der weltweite Anstieg des Nationalismus ist vielleicht eher ein Zeichen der Schwäche denn der Stärke des über Identität definierten Nationalstaats. In der heutigen, pluralisierten Gesellschaft ist es doch eher risikoreich, sich auf ein Nationalgefühl zu verlassen, das über einen Verfassungspatriotismus, also eine aktive Zustimmung zum geltenden System in seinen Grundlagen, hinausgeht.
Die amerikanische Philosophin Danielle Allen hat darauf hingewiesen, dass wir uns einer Herausforderung gegenüber sehen, die neu ist: einen modernen liberalen Staat aufzubauen, ohne uns auf eine kulturelle Mehrheit verlassen zu können. Ihre Antwort heißt difference without domination — eine egalitäre connected society, in der Unterschiede zwischen Gruppen überbrückt werden, ohne dass Hierarchieverhältnisse entstehen. Eine Utopie? Vielleicht. Aber angesichts der bestehenden Realität eine, die ernst genommen werden sollte. Auf das Böckenförde-Theorem allein werden wir die pluralistische Gesellschaft nicht gründen können.
Dem Autor sei eine etwas intensivere Beschäftigung mit dem Islam und dessen Rechtsordnung empfohlen. Zumindest in der gegenwärtigen vorherrschenden Auslegung ist der Islam mit allem, was einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat auch nur nahe kommt, unverträglich. Nachweisbar wurde bisher in keiner islamischen Mehrheitsgesellschaft eine an den allgemeinen Menschenrechten orientierte Gesellschaftordnung etabliert.
Ich will Ralf Michaels gar nicht unbedingt im Ergebnis widersprechen, möchte aber doch darauf hinweisen, dass man ggf. zwischen dem Theorem und der nachträglichen Interpretation durch seinen Verfasser unterscheiden muss. Mich hat der Artikel jedenfalls noch nicht überzeugt, dass eine Abgrenzung nach außen eine notwendige Konsequenz des Böckenförde-Diktum darstellt. Ich habe dessen Bedeutung vor allem immer darin gesehen, deutlich zu machen, dass im Rechtsstaat die notwendigen Grundüberzeugungen jedenfalls nicht durch Zwang herstellbar sind – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Insofern vielleicht als Ergänzung interessant:
https://makroskop.eu/2018/01/zur-gretchenfrage-eines-linken-kommunitarismus/
https://www.juwiss.de/40-2015/
Gute Analyse! Der Links-Schmittianer in Böckenförde war eben doch nicht so liberal. Skeptische Prognose: Allein der notwendige Verfassungspatriotismus wird es nicht richten. Hinzukommen muss zwar keine Identitätspolitik für alle möglichen Mehr- und Minderheiten, wohl aber eine Kohäsionspolitik, vor allem in der Wirtschaft – auch wenn die Verfassung diese in der Tat nicht garantiert. Zufriedenheit macht tolerant.
Marcus Hieber empfehle ich ebenfalls eine etwas intensivere Beschäftigung mit “dem” Islam. Und ich wünsche ihm die Erkenntnis, dass der Islam kein homogene Weltanschauung darstellt. Und dass er den Kräften zuhört, die sich gegen eine faschistische Auslegung des Korans wehren.
https://www.nzz.ch/feuilleton/das-beruehrt-die-grundfesten-des-islam-ld.1365477
Der Beitrag zeigt, was im Zuge des Weimarer Methodenstreits und in der Bundesrepublik mit Ernst Fraenkel erkannt wurde, aber immer wieder vergessen wird: Das alte, leere Pluralismusargument, auch reforumuliert als “difference without domination”, bleibt eine oberflächliche gesellschaftliche Deskription, die nichts zu normativen Grundlagen politischer Gemeinschaftsbildung beiträgt. Verschiedenheit braucht einen sie moderierenden Rahmen, der selbst nicht maßstabsfrei sein kann. Die Allgemeinheit des Gesetzes braucht Verhandlung, Interessenabwägung und Inverhältnissetzung, in der sich nicht alle Interessen gleich durchsetzen können, weshalb notwendigerweise manche zurücktreten oder den Vorzug erhalten. Dass dieser Rahmen sich nicht in einem verfassungspatriotischen Wertekanon erschöpft, zeigt die Unterschiedlichkeit allein der westlichen Staatengemeinschaft, die sich auf dieselben Verfassungswerte beruft.
Die Staatengemeinschaft hat, inklusive der mit gesellschaftlicher Diversität versehenen Staaten, denn auch eine andere Antwort im Völkerrecht gegeben: Die Pflege der nationalen Mehrheitskultur ist ebenso völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und völkervertraglich vereinbart wie es die Offenheit und das Belassen von Entfaltungsspielräumen für andere Kulturen ist (dazu zuletzt etwa Baade, Die Identität der Mehrheit und die Grenzen ihres Schutzes, AöR 142 (2017), 566 (586)).
Da individuelle Identität immer im Verhältnis zu kollektiver Identität entsteht und sich entwickelt/fortbildet, bleibt der moderne liberale Verfassungsstaat ohne Mehrheitskultur genau so Utopie, wie die substanziell-homogene Gesellschaft immer ein geschichtsfreies Schreibtischprodukt war.
Wie Benjamin Rusteberg würde auch ich vorschlagen, die theoretischen Positionen Böckenfördes von ihrer Auslegung zu trennen – auch zwar auch durch ihren Urheber. Bezogen auf die Zuwanderung aus muslimisch geprägten Gesellschaften könnte man vielleicht sogar für ein sanftes »mit Böckenförde gegen Böckenförde« plädieren. Zentral für dessen verfassungsrechtliches Denken scheint mir die hohe Sensibilität für die vorstaatlichen Bedingungen der demokratisch organisierten Staatlichkeit. Böckenförde ist in all seinen mir bekannten Texten immer auch merklich Historiker. Er verbindet die operative Geschlossenheit des Denkens in Rechtsbegriffen mit einem für Juristen ungewöhnlich wachen Bewusstsein für historische Kontingenz, kulturelle Vielfalt und soziale Wirklichkeit. Als Historiker, der oft an der Begriffsarmut des eigenen Fachs leidet, werden mir Böckenfördes Texte gerade dadurch zum Genuss, dass die scharfen Begriffe immer auf etwas Unscharfes verweisen. Dabei ist er niemals unpräzise. Im Gegenteil, er weiß nur sehr genau, dass die vielzitierten »Voraussetzungen« des säkularen Staates sich nicht theoretisch oder gar definitorisch einholen lassen. Darum nähert er sich ihnen tastend, umschreibend und – wenn ich richtig sehe – nur als Privatperson so konkret wie im Fall des Islams. Der von Michaels zitierte Vortrag behandelt das Thema – ich paraphrasiere – »sense of belonging als Demokratievoraussetzung« jedenfalls ganz im Geiste des Historikers, der um die Vielfalt und Wandelbarkeit des unverzichtbaren Minimums an »relativer Homogenität« weiß. Besonders interessant und zukunftsweisend erscheint mir dabei die Möglichkeit einer »Toleranzkultur als Homogenitätsgrundlage« (S. 114), und zwar gerade in Abweichung von der in Deutschland traditionellen Berufung auf Volk, Nation und christliche Kultur. Böckenförde weist allerdings auch immer wieder darauf hin, wie langsam solche Wandlungsprozesse vonstatten gehen. Wenn er also an anderer Stelle Vorbehalte gegen die Zuwanderung von Muslimen hegt, dann scheint es mir überinterpretiert, darin eine quasi dogmatische Festlegung auf ein »Fremdes« zu sehen. Wenn dieser Theoretiker des liberalen Staates konkret wird, spricht er als immer als konservativer Skeptiker und ja, auch als Christ. Aber er wäre sicher der erste, der zugäbe, dass man auch mit ganz anderen Hintergründen konkret werden und es entsprechend anders sehen kann. Die Umstellung von der relativen Homogenität in ethnisch-kultureller Hinsicht auf eine relative Homogenität der Pluralisten hält Böckenförde jedenfalls für möglich, genauso wie die Entstehung eines europäisches Nationalgefühls. Takes just time.
Die geforderte Beschäftigung mit dem Islam dauert bei mir an. Letzte Woche habe ich der Muslima Lale Akgün zugehört. Die sagte mir, dass die moderaten Muslime in Deutschland es aus schierer Angst nicht mehr wagen sich gegen die Orthodoxen zu wenden. Den anwesenden Islamophilen in der Kategorie des Autors wurde dabei erkennbar schwindlig. Bassam Tibi stellt schon 2016 fest, dass der Euro-Islam gescheitert ist. Tariq Ramadan, ein Vordenker des Euro-Islams, sitz seit drei Monaten wegen mehreren Vergewaltigungsvorwürfen in französischer Untersuchungshaft (#hetoo).
Am Ende wird – wenn es ganz gut läuft – dann doch die schmerzhafte Erkenntnis stehen, dass es schwer fälltt, Liberalismus mit Illiberalen, Demokratie mit Theokraten und Justiz mit Klerikern zu betreiben.
Nichts gegen Utopien, aber gäbe es zur vorgeschlagenen Böckenförde-Falsifikation nicht harmlosere Versuchsfelder als die weltweit knappen, halbwegs funktionierenden Demokratien Westeuropas?
Der Liberal-Islamische Bund veranstaltete letzten Monat, das Böckenförde-Diktum als Ausgangspunkt nehmend, eine Podiumsdiskussion unter dem Titel: „Islamische Werte – auch in Deutschland?“, die hier von Interesse sein dürfte:
„Der freiheitliche, säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das heißt, er ist auf die ethische Prägekraft der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen angewiesen. Auch Religionsgemeinschaften spielen dabei eine wichtige Rolle. Aber welchen Beitrag leisten eigentlich die hier lebenden Musliminnen und Muslime bei der ethischen Wertebildung? Bietet die islamische Lehre Anknüpfungspunkte für so wichtige Werte wie Freiheit, Gleichheit, Offenheit? Wie stellt sich das Engagement von Musliminnen und Muslimen auf lokaler, regionaler und bundesweiter Ebene dar? Und würde die deutlichere Anerkennung des Beitrags, den Musliminnen und Muslime in unserer Gesellschaft leisten, zu einem stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt führen?
Diese und weitere Fragen diskutieren miteinander und mit dem Publikum:
– Prof. Dr. Mathias Rohe (Jurist, Islamwissenschaftler & Gründungsdirektor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa)
– Dr. Yasemin El-Menouar (Soziologin, Islamwissenschaftlerin & Senior Expert bei der Bertelsmann-Stiftung, u.a. Leiterin der Studie „Religionsmonitor“)
– Ender Çetin (Theologe & Erziehungswissenschaftler)
– Waqar Tariq (Jurist & Koordinator der LIB-Gemeinde Frankfurt a.M.)
Moderation: Nushin Atmaca (Islamwissenschaftlerin & Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes)“
Link zum YouTube-Video: https://youtu.be/x1r-CWfl3Jo
Vielen Dank allen für die sehr gedankenreichen Reaktionen; ich will kurz im Zusammenhang auf einiges antworten.
Mit Böckenförde gegen Böckenförde (Per Leo) -damit bin ich ganz einverstanden. Aber die Frage ist doch, wie viel bei Böckenförde kontingent ist und wie viel essentiell. Dass der liberale Staat die Gesellschaft nicht erzeugen kann, das bleibt (man kann sagen: per definitionem) richtig. Aber ob, und wenn ja wie viel, gesellschaftliche Homogenität für den Staat nötig ist, das kann man nicht voraussetzen, das muss man m.E. für jeden Staat separat fragen. Und da hilft m.E. sowohl der Weimarer Methodenstreit (R., warum eigentlich anonym?) als auch die Situation der Katholiken 1964 nur bedingt, weil unsere Gesellschaft nicht diejenige jener Diskussionen ist (zu Weimar siehe Stolleis 2001) und auch weil sich der Katholizismus in Deutschland, der der Anlass für das Böckenförde-Theorem war, vom Islam in Deutschland unterscheidet.
Der Minimalkommunitarismus, den Benjamin Rusteberg und Per Leo vorschlagen, scheint mir das Problem nicht zu lösen. Insbesondere zu Böckenfördes Toleranzkultur (S. 114): abgesehen davon, dass diese Toleranz bei B. wohl nur nach innen und nicht nach außen geschuldet ist (so auch in der Tendenz Rusteberg in JuWiss), ist Toleranz (“the mildest form of indifference”) als Homogenitätsgrundlage ausgesprochen dünn. Auch Böckenförde selbst scheint ihr nicht ganz zu trauen, wenn er später von der Gefahr durch Individualisierung und Globalisierung schreibt. Zudem bleibt in Begriffen wie Menschenrechte und Toleranz die Mehrheit/Minderheit-Hierarchie erhalten; die jedenfalls Böckenförde nicht aufgeben will und vielleicht von seiner Perspektive her auch nicht aufgeben kann. (Baade aaO überzeugt mich nicht.)
Die Crux scheint mir weiterhin die zu sein, inwieweit die Abgrenzung vom Anderen, was immer das auch genau ist, konstitutiv sein soll, und das ist sie für jede Homogenitätstheorie. Der Islam der CSU ist ein Zerrbild, und Lale Akgün, die Marcus Hieber anführt, sieht es ausweislich ihrer Facebook-Posts eher wie ich als wie Horst Seehofer (da stimme ich Thomas Frenzel zu; danke auch wt für den Hinweis auf den Liberal-Islamischen Bund und seine Veranstaltung). Es geht der CSU aber eben auch gar nicht um den echten Islam sondern nur um die Identitätsbildung durch Abgrenzung, und das ist nicht nur hinsichtlich der echten Muslime problematisch, sondern auch hinsichtlich der Mehrheit. Corey Robin hat gegen einen “Liberalism of Fear” geschrieben, (etwa hier https://newrepublic.com/article/140431/political-fear-works), und auch meine Hoffnung ist ein Staatsverständnis, das ohne diese Furcht auskommt, die die CSU ausnutzt, die sich aber auch bei Böckenförde zeigt (und m.E. nicht nur als Privatmann, Per Leo, sondern quasi konstitutiv). Danielle Allens Brücken ziehe ich vor (ebenso wie Per Leos Forderung nach Reden mit den Anderen), auch wenn da noch viel zu tun ist.
Schließlich: Die Falsifikation des homogenitätsgestützten liberalen Staates (Marcus Hieber) jedenfalls habe nicht ich zu verantworten, die ist bereits im vollen Gange, und wir sollten sie konstruktiv, nicht defensiv führen.
Nochmals: allen vielen Dank.
Mir scheint als Aufhänger für den gesuchten Aus- und Mittelweg vor allem der Hinweis von Thomas Frenzel entscheidend. Lasst uns doch die (sogar in Ländern wie Saudi Arabien) unübersehbaren liberalen Bewegungen innerhalb des Islams anerkennen und befördern, indem wir uns diesen aktiv zuwenden und uns lediglich vom orthodoxen Islam abgrenzen. Da die Entwicklung noch am Anfang steht und auch auf europäischer Ebene zu diskutieren ist, könnte man der negativ-destruktiven Formulierung „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ bei aller Zurückhaltung eine positiv-konstruktive entgegensetzen: „Ein liberaler Islam kann zu Deutschland und Europa gehören“.
„Der Begriff der Islamophobie wird als politischer Kampfbegriff eingesetzt, insbesondere von Organisationen, die dem politischen Islam zuzurechnen sind, und die versuchen, ihre eigene, oftmals anti¬demokratische Haltung und politische Praxis über diesen Umweg gegen Kritik zu immunisieren.“ (Luzie H. Kahlweiß und Samuel Salzborn, Islamophobie und Antisemitismus – ein umstrittener Vergleich)
Wenn ich mir den Fortgang der erneuten „Islam-Debatte“ ansehe, muss wohl noch genauer zwischen der erwünschten Rolle eines moderaten (liberalen) Islams in Deutschland und der Zugehörigkeit der Muslime zu Deutschland unterschieden werden. Nur so dürften sich beide Aspekte auch wieder miteinander in Einklang bringen lassen. D.h.:
Ob und in welchem Maß der Islam zu Deutschland (und zu Europa) gehört, betrifft erklärtermaßen nur die Frage der kulturgeschichtlichen Prägung, v.a. in der Vergangenheit. In die Zukunft gerichtet geht es darum, unter welchen Voraussetzungen wir dem Islam eine aktive, prägende Rolle für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zuerkennen wollen. Es dürfte weitgehend Konsens sein, dass wir das nur für einen liberalen Islam wollen können, der sich nicht nur „still“ in unsere Rechts- und Verfassungsordnung einfügt, sondern sich auch gegen einen radikalen, intoleranten und rückwärtsgewandten Islam wehrt und abgrenzt. Denn nur so werden wir auf Dauer als liberale, pluralistische Gesellschaft überleben. Und zwar nicht nur wegen der sonst drohenden Vereinnahmung durch den radikalen Islam, sondern auch durch seinen Gegenpol: den radikalen Populismus und Nationalismus.
Dass die nötige Abgrenzung für die muslimische Gemeinde in Deutschland viel schwerer ist als für die anderen Religionsgemeinschaften, die nur mit dem Finger auf die Muslime zeigen müssen, liegt auf der Hand. Denn es geht letztlich darum, welche Richtung des Islams hier als tonangebend die Oberhand gewinnt. Aber schon die Tatsache, dass es deutsche Vereine wie den liberal-islamischen Bund gibt, der explizit für ein „freiheitliches, progressives Islamverständnis“ eintritt, ist ein deutliches Zeichen der beginnenden Emanzipation des liberalen Islams im Sinne seiner Abgrenzung vom radikalen Islam. Diese Emanzipation von innen ist die einzige Alternative zu einer gesetzlich verordneten und damit im Sinne Böckenfördes eigentlich illiberalen „Zwangsliberalisierung“ des Islams.
Wenn nun die deutsch-christliche Mehrheitsgesellschaft folgerichtig die Entwicklung ausschließlich eines liberalen Islams fordert und fördert, richtet sich das nicht gegen „die Muslime“. Selbstverständlich gehören in Deutschland lebende Muslime unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit ebenso zu Deutschland wie Christen, Juden, Buddhisten etc. Das gilt für liberale genauso wie für strenggläubige und radikale Muslime. Gegenüber Deutschen (mit und ohne Migrationshintergrund), die man ja auch dann nicht einfach aus dem eigenen Land werfen kann, wenn sie hochgradig kriminell, gefährlich, radikal oder verfassungsfeindlich sind (und die damit immer „zu Deutschland gehören“), würde ich nur eine Einschränkung machen. Diese Einschränkung gilt allerdings wieder für alle Ausländer (auch für EU-Bürger) und erweist sich somit als religionspolitisch neutral: Nicht zu Deutschland gehört, wer sich hier illegal aufhält, d.h. – aus welchen Gründen auch immer (z.B. als islamistischer Gefährder oder Verfassungsfeind) – ausreisepflichtig ist. Das allerdings betrifft zur Zeit verhältnismäßig viele Muslime, was die „Islam-Debatte“ sicher angestoßen hat. Sie darf sich darin aber nicht erschöpfen.
Kurz gesagt: Wir müssen den liberalen Islam fördern, damit weiterhin alle Muslime zu Deutschland gehören können.
Wer ist “wir”?
Wer definiert “liberal”?
Und zu letzt: darf sich der religiös-weltanschaulich neutrale Staat in binnenreligiöse Debatten zu einer, seiner Ansicht nach “politisch genehmen” religiösen Auslegung, positionieren – ergo: zur Partei in religiösen Fragen machen?
„Wir“ sind die jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Mehrheiten. Wenn ich sage: „Wir müssen den liberalen Islam fördern!“ richtet sich das zunächst an die gesamte Gesellschaft und in einem zweiten Schritt – sofern gesetzliche Maßnahmen erforderlich sind – an alle im Bundestag vertretenen Parteien und Abgeordneten. Ob und wie der Appell dann auch befolgt wird, entscheidet die Mehrheit nach demokratischen Grundsätzen. Je größer allerdings der streng islamophobe oder/und der streng islamophile Anteil in der Gesellschaft bzw. im Bundestag wird, desto mehr schwinden die Chancen auf eine solche Mehrheit.
Was „liberal“ ist, definieren wir. Das kann auch ein konservativer, aber moderater Islam sein. Entscheidend erscheint mir das Bekenntnis zum Grundgesetz, zur demokratischen Rechtsordnung und eine eindeutige Abgrenzung vom radikalen Islam(ismus).
Zum dritten Punkt: Der Staat darf sich sicher dann positionieren, wenn es um seine „Selbstverteidigung“ geht. Aber so weit sind wir gottseidank noch nicht. Die komplexen Fragen der Finanzierung der Religionsgemeinschaften u.ä. gehören ohnehin auf den Prüfstand. Im Übrigen geht es nach Maßgabe des Wanka-Urteils des BVerfG (https://staging.verfassungsblog.de/steriles-politikverstaendnis-zum-wanka-urteil-des-bundesverfassungsgerichts/) jetzt erst einmal um die Mobilisierung der Gesellschaft, der Parteien und der Abgeordneten („wir“). Und wir unterliegen im Gegensatz zum Staat und seinen Behörden keinerlei Neutralitätspflichten. Im Gegenteil.
ok danke für diese Klarstellungen, Ihre Vorstellungen sind de lege lata klar verfassungsfeindlich und weder mit dem heutigen Verständnis von Religionsfreiheit, noch mit dem im GG vorgesehenen Verhältnis von Staat und Religion (im Sinne einer religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates) vereinbar. Kleiner Tip: Es gibt nämlich sowas wie ein religiöses “Selbst”verständnis…
“Wir müssen den liberalen Islam fördern, damit weiterhin alle Muslime zu Deutschland gehören können.”
Auch in der Türkei gab es über Jahrzehnte einen liberalen Islam innerhalb eines laizistischen Staates. Am Ende setzte sich mit Erdogan der radikale Islam durch, auch wenn dem die Verfassung entgegenstand.
Selbstverständlich werden wir es in Deutschland konstruktiv angehen und besser hinbekommen.
Ich finde, dass hier Seehofers Ausfall überschätzt wird. Es wird immer auch sein folgende Satz ausgespart: “Deutschland ist durch das Christentum geprägt” Die Ausgrenzung umfasst eben auch Atheisten – und Juden. Umgekehrt fehlt natürlich das, was Deutschland besonders geprägt und gerade nichts mit Christentum zu tun hat: Der Hitler-Faschismus. Aber offensichtlich gehört Seehofer nicht zu den Leuten, die aus dieser Zeit gelernt. Na, klar passt da irgendwie Böckenförde rein. Es wäre ja schön, wenn immer das Christentum so prägend war. Ürigens wurde letzte Zeit gerade von “seinen” Christen schaft kritsiert. Denn Seehofers “starker Staat” will auch Pfarrer endlich hinter Gitter bringen, wenn sie vom Kirchenasyl Gebrauch machen.
“Selbstverständlich werden wir es in Deutschland konstruktiv angehen und besser hinbekommen.”
Selbstverständlich ist es natürlich nicht. Aber welche Wahl haben wir? Müssen wir (natürlich wieder unter Einschluss der Muslime) nicht wenigstens mit aller Kraft versuchen, unsere liberalen Werte gemeinsam zu verteidigen? Und zwar gegen jede Form des Radikalismus, sei es der Islamismus, der Nationalismus oder ein linker Moralismus.
Eigentlich ist das jetzt, 100 Jahre nach Weimar, die 2. Stunde der Bewährung für die immer noch junge deutsche Demokratie. Gott gebe, dass wir nicht wieder versagen.
“Aber welche Wahl haben wir?”
Nun, wir könnten es beispielsweise mit einer gesteuerten statt einer ungesteuerten Einwanderung probieren. Das machen klassische Einwanderungsländer auch, was dazu führt, dass Menschen die ins Land kommen sich integrieren wollen und sich aufgrund ihrer Qualifikation auch integrieren können.
Wir haben schon genügend Menschenmassen aus dem Islamischen Kulturkreis. Die Forderung nach einer gesteuerten Zuwanderung vergisst darüber hinaus, dass wir hier fast 500 000 unberechtigte “Migranten” haben, die erstmal ausgewiesen werden müssen – was ich für ein Ding der Unmöglichkeit halte, wenn für jeden Auszuweisenden Sitzblockaden etc. veranstaltet werden. Seit Mrz 18 ist viel Wasser den Hang heruntergelaufen und Merkels Politik der Ignoranz hat wieder einige Todesopfer unter den Deutschen gefordert.Die Frage wer hier unter welchen Bedingungen einwandern darf halte ich hierfür für erledigt. 100% in meiner Umgebung sehen das genauso.
Herr Hieber, ich bin ganz Ihrer Meinung. Die Einwanderungskontrolle muss natürlich dazu kommen! Schon die Legalität der Einreise macht für die Integrationsfähigkeit und -bereitschaft (auf beiden Seiten) einen erheblichen Unterschied. Nur: Selbst wenn man die Einwanderung insbes. aus muslimischen Ländern zumindest zeitweise ganz stoppte, würde das nichts an den bereits bestehenden Integrationsproblemen ändern. Hier dürfte uns eine Auseinandersetzung mit dem radikalen Islam und den Möglichkeiten seiner Zurückdrängung nicht erspart bleiben. Der Schlüssel liegt vielleicht in einem genaueren Austarieren der gegenseitigen Toleranzbereitschaft.
Zur nötigen und möglichen Einreisekontrolle auch im Asylrecht habe ich schon vor über einem Jahr konkrete Vorschläge gemacht (ZRP 2017, 69; https://www.xing.com/communities/posts/europa-braucht-ein-elektronisches-asylvisum-1013623670), die allerdings kaum Wiederhall fanden. S. auch die Diskussion hier im Blog: https://staging.verfassungsblog.de/subjektive-rechte-aus-der-dublin-verordnung-der-fall-mengesteab-vor-dem-eugh/
Ulf Poschardt, Chefredakteur der WELTN24, bringt es in diesem sehr klaren Kommentar genau auf den Punkt (https://www.welt.de/debatte/kommentare/article174922131/Zuwanderung-Nur-wenn-Integration-gelingt-bleibt-Deutschland-stabil.html): „Jeder junge Mensch, der zu uns kommt, hat das Zeug dazu, unser Land zu bereichern, in jeder Hinsicht. Wir dürfen das nicht nur erwarten, wir sollten das auch einfordern.“
So müssen wir auch von den Muslimen fordern, dass Sie unsere liberale Gesellschaft bereichern und nicht bekämpfen oder auch nur ausnützen. Mit konkreten, ausschließlich gegen radikale Auswüchse gerichtete Maßnahmen, wie sie Herr Poschardt beschreibt, fördern wir automatisch einen liberalen Islam und bekennen uns zu seinem Platz in unserer Gesellschaft. Reine Symbolik hingegen wie etwa pauschale Kopftuchverbote in Schulen und öffentlichen Gebäuden trifft (auch) die Falschen, befördert das Misstrauen und lenkt von den eigentlichen Problemen ab.
Liebe Frau Kaufhold,
in einer freiheitlichen Gesellschaft ist von ganz normalen, steuerzahlenden, hart arbeitenden, friedliebenden Musliminnen und Muslimen überhaupt gar nicht mehr zu fordern, als von allen anderen Menschen auch. Wieso, weshalb, warum bitte, diese arrogant-einseitige Forderung an Muslime, dass sie “unsere liberale Gesellschaft bereichern und nicht bekämpfen oder auch nur ausnützen”? Ist das Ihr Ernst? Ist dieser Ton denn schon salonfähig? “Unsere liberale Gesellschaft?” – wer ist “unsere”?Und wer sagt, dass die so super erhaben und aufgeklärt ist, zumal in Zeiten eines rechtskonservativen Aufbruchs? Wo genau zwingen denn Muslime “ihrer” freien Gesellschaft ein strenges Glaubenskorsett auf? Führen Muslime ein parasitäres Dasein? Wissen Sie denn etwa nichts von muslimischem Engagement? Sind Ihnen die vielen ehrenamtlich fleißigen, aber überwiegend im Niedriglohnsektor befindlichen Muslime, denn nicht “bereichernd” genug? Und woran genau, machen Sie fest, dass Muslime nur “ausnutzen”?
Es tut mir leid, aber Ihre Forderungen zeugen einfach nur von Abgehobenheit und verinnerlichten Ressentiments. Nicht jeder “fremdländisch Aussehender” ist auch Muslim. Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie die fraglos vorhandenen sozialen, gesellschaftlichen und politischen Probleme (Sie erwähnten ja die “Flüchtlingskrise”) schlicht auf den Islam schieben, genauer genommen, den aus Ihrer Sicht “nicht liberalen” Islam. Ich bin mir sicher, Sie wissen gar nicht, was den “liberalen” Islam so viel besser machen soll, als den von der Mehrheit täglich praktizierte und gelebte Islam. Wo genau, bedroht denn bitte der normal gelebte Islam der Muslime die Demokratie? Ist Ihnen entgangen, wie viele Gotteshäuser jährlich brennen? Wie viele Übergriffe täglich stattfinden? Weil sichtbare Musliminnen und Muslime vermeintlich nicht “hier her gehören”. Ist Ihnen bewusst, dass Ihre aggressive Forderung nach einem “mehrheitsfähigen Islam” krass grundrechtswidrig ist? Manchmal liegen Lösungen für Probleme sehr nah. Am Besten man fängt bei sich selbst an…
Ich bedanke mich für eine Situationsbeschreibung, die vielleicht ungefähr für Christen, Buddhisten oder Hindus zutrifft, keinesfalls jedoch für erhebliche Anteile der Muslime.
Die Eigennutzung Ihrer abschließenden Forderung sei Ihnen wärmstens empfohlen.
@as: Sie unterstellen mir das Gegenteil dessen, was ich gesagt und gemeint habe. Sie unterstellen mir Ressentiments, die ich nicht habe, weder gegen Muslime, noch gegen “fremdländisch Aussehende“. Auch wenn das ziemlich offensichtlich ist, muss ich mich hier noch einmal ausdrücklich gegen Ihre falschen (auch noch anonymen) Anschuldigungen verwehren. Ich habe keine Silbe gegen die “ganz normalen, steuerzahlenden, hart arbeitenden, friedliebenden Musliminnen und Muslimen” und einen “normal gelebten Islam der Muslime” gesagt – im Gegenteil! Dieser von Ihnen beschriebene normale Islam ist für mich der liberale Islam, den es ja gerade zu fördern gilt. Wie gesagt, sogar das Kopftuchverbot, wie es z.B. das Berliner Neutralitätsgesetz in öffentlichen Schulen vorschreibt, betrachte ich als überzogen, verfassungsrechtlich bedenklich und kontraproduktiv! Ich wende mich ausschließlich und allein gegen einen intoleranten, antisemitischen und radikalen Islam, der mindestens genauso gefährlich ist und um sich greift wie der Nationalismus. Und letzterer wird durch solch grob falschen und unlauteren Diskurse wie dem Ihren leider gestärkt. Mich werden Sie aber nicht in die rechte Ecke bekommen. Von dort werde ich übrigens häufig als linksliberaler Gutmensch angegriffen.
Noch einmal zur Klarstellung, wie weiter oben bereits ausgeführt: Alle verfassungsmäßigen politischen, gesellschaftlichen und religiösen Akteure („wir“) sollten über die jeweiligen Lager hinweg ihre Kräfte bündeln und die gemeinsamen, von Pluralität und Toleranz geprägten Werte auch gemeinsam verteidigen. Und zwar gegen jede Form des Radikalismus, sei es der Islamismus, der Nationalismus, der Antisemitismus oder der linke Moralismus. Letzteres mag neu sein, jedoch ist hier gerade im links-liberalen Lager Selbstkritik angebracht. Menschen, die darauf hinweisen, dürfen nicht reflexhaft als Rassisten diffamiert werden. Wir brauchen also auch eine bessere, demokratischere Diskussionskultur. Das dämmert gottseidank inzwischen so einigen (http://www.zeit.de/2018/13/uwe-tellkamp-rechtspopulismus-durs-gruenbein-dresden; http://www.faz.net/aktuell/politik/faz-net-sprinter-deutsche-eigentuemversammlung-15514281.html).
Meine Position finde ich auch in dieser Aussage der Migrationsforscherin Sina Arnold wieder, die in ihrem gestrigen FAZ-Gastbeitrag (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kann-man-antisemitismus-abschieben-15509998.html) eine doppelte Verharmlosung des Antisemitismus von Rechts wie von Links beklagt: „Die Realität der postmigrantischen Gesellschaft anzuerkennen, bedeutet hingegen, Haltungen statt Herkunft in den Mittelpunkt zu stellen. Die Frage wäre dann nicht mehr: Araber, Muslim, Deutscher oder Flüchtling? Sondern die Abwehr von religiösem Fundamentalismus, antidemokratischen Einstellungen, von Antisemitismus, aber auch von Rassismus – egal, von wem diese ausgehen. Entgegen der Verharmlosung von Links hieße dies, die Neuhinzugekommenen jenseits eines wohlmeinenden Paternalismus als politische Akteure ernst zu nehmen. Die vielgeforderte „Begegnung auf Augenhöhe“ muss eben auch bedeuten, Kritik an menschenverachtenden Einstellungen zu üben.“
Ihre Klarstellung ist so schön wie unnötig. Sie zeigt, dass der Diskurs noch immer auf dem Kopf statt auf den Füßen steht. Niemand muss sich dafür rechtfertigen, dass er die zentralen Aspekte einer Religion kritisiert, die mit dem Grundgesetz unvereinbar sind und schon gar nicht mit “Religionsfreiheit” entschuldigt werden können.
Ein zentraler Aspekt des Islam ist die ausgeprägte Diskriminierung der Frau, die ist übrigens in nahezu jeder Moschee evident. Ein weiterer, zentraler Aspekt des Islam ist die ausgeprägte Intoleranz gegen andere (“Ungläubige”) gepaart mit dem Anspruch absoluter Überlegenheit. (In anderen Zusammenhängen nennt man diese Kombination Faschismus,)
Im keineswegs seltenen Extremfall werden “Ungläubige” und Frauen aus normativ-religiösen Gründen ganz einfach umgebracht.
Gibt es eine massivere und dauerhaftere Grundrechtseinschränkung als Mord aus normativ-religiösen Gründen?
Entsprechende Taten geschehen mittlerweile vielfach in Deutschland.
Wer diese Phänomene nicht als das benennt, was sie sind, nämlich über das einzelne Verbrechen hinaus ein Angriff auf den freiheitlichen Verfassungsstaat, hat die Zeichen der Zeit schlicht nicht erkannt.
Vielen Dank für die Unterstützung, die ich für ebenso hilfreich und nötig erachte wie meine Rechtfertigung. Gerade um die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und in der Sache weiterzukommen! Daher noch einmal zur Sache:
Vielleicht wäre es sinnvoll und mehrheitsfähig, das Aufenthaltsrecht von Ausländern unabhängig von allen Konfessionsfragen stärker als bisher unter den Vorbehalt ihrer (künftigen) Erwerbstätigkeit und ihrer allgemeinen Rechtstreue und zu stellen. Relevante Strafrechtsverbote (z.B. antisemitische Handlungen wie das Verbrennen der israelischen Flagge) müssten parallel ggf. präzisiert oder erweitert und – auch mittels Ausweisung – konsequent verfolgt werden. Nicht erst die Einbürgerung und die Verleihung eines Daueraufenthaltsrechts, sondern bereits die Einreiseerlaubnis könnte außerdem von einem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung abhängig gemacht werden. Auch muss mit dem Konzept der Befristung der Aufenthaltserlaubnis auf das Bestehen des Einreisegrundes (Krieg, Verfolgung) ernst gemacht werden.
Schließlich muss die Sicherung der (Familien-)Lebensgrundlage durch Erwerbstätigkeit wieder zentrale Voraussetzung eines jeden unbefristeten Aufenthaltsrechts sein und das muss jedem, auch jedem Asylsuchenden, bereits vor der Einreise klar sein. Und zwar nicht nur aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, sondern weil letztlich nur Erwerbstätigkeit und Eigenverantwortung nachhaltig (also auch für die nachkommenden Generationen) aus jenen prekären Lebensverhältnissen herausführen können, wo Radikalität und Straffälligkeit besonders gut gedeihen. Dass der Antragsteller sich und seine Familie selbst ernähren kann, ist aber nicht einmal mehr Voraussetzung der Einbürgerung, wenn er die Inanspruchnahme von Sozialleistungen „nicht zu vertreten hat“ (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG).
Nein, jeder, der in seinem Heimatland vor Krieg und Verfolgung sicher ist, muss sich auch dort eine wirtschaftliche Existenz aufbauen. Es sei denn, er hat es inzwischen bereits in Deutschland oder anderswo in Europa auf legalem Wege „geschafft“.
Frau Kaufhold,
wenn Sie sich am Zuspruch solcher Kommentatoren wie Ralph wärmen, zeigen Sie mir, dass ich nicht mit Ihnen “liberale Kräfte” bündeln möchte. Religionsfreiheit bedeutet eben auch, dass man die Rechte und Pflichten eines jeden ohne Ansehen seiner Religion achtet.
Als Katholik möchte ich auch keine liberale “Hilfe” gegen z.B. Opus Dei. Eine Einschätzung der Bereicherung* durch diese Gruppen steht uns auf dem Boden der Verfassung nämlich nur dann zu, wenn Kirche staatliches Handeln berührt (Schulpflicht, Sozialarbeit, Arbeitsrechte etc.), im Weiteren haben “wir Liberalen” “die Anderen” nicht auf Gesinnung zu prüfen. Durch Ihre Zeilen weht der Geist von 1972.
*Weil nahe dran: Der Begriff des Kulturbereicherers kommt übrigens nicht von linken Moralisten; beides sind Prägungen aus dem rechten Spektrum.
Sie unterliegen leider einer subtilen Fehlinterpretation von Religionsfreiheit: Im Verfassungsstaat enden die Grundrechte des einen, wo sie die Grundrechte des anderen einschränken oder auf andere Weise gegen die Verfassung verstoßen. Folglich muss der Staat bereits im Innenverhältnis von Religionsanhängern genau hinsehen – und korrigierend handeln.
Im genannten Zusammenhang sind hier beispielsweise Polygamie, Kinderehen sowie massive Ungleichberechtigung der Frau, bis hin zur Genitalverstümmelung und Ehrenmord, zu nennen oder auch die massive Diskriminierung von Schwulen, Andersgläubigen und Atheisten.
Dass sich im Milieu etlicher politischer und vor allem juristischer Entscheidungsträger seit Jahrzehnten eine seltsame, kompensatorische Kultur des Wegsehens breit gemacht hat, ist unbestritten, das macht es aber nicht besser, sondern viel schlimmer. Wozu das führt, kann in den zahlreichen Parallelgesellschaften Westeuropas begutachtet werden, in denen der Verfassungsrahmen aufgelöst ist.
Grundgesetz bleibt aber nun einmal Grundgesetz. Darum geht es.
Im Vergleich mit Opus Dei kommt dann auch gleich jener seltsame kompensatorische Drang zum Ausdruck, dem die Maßstäbe gänzlich abhanden gekommen sind: Das Opus Dei hat in Deutschland gerade mal 600 Mitglieder. Es gibt weit mehr Tatbestände der praktizierten Kinderehe in Deutschland und die Tatbestände der Genitalverstümmelungen gehen in die Zehntausende.
Sicher werden sich auch hier jene Mahner finden, die es schaffen, die Genitalverstümmelung von Kindern als subtiler Ausdruck von sexueller Selbstbestimmung zu interpretieren …
Sehen Sie, und genau das meinte ich. Kaum ein Gegenwort, bezichtigen Sie mich der Befürwortung von Genitalverstümmelung und Kinderehen. Mit Leuten wie Ihnen möchte ich nicht meine Kräfte bündeln, noch nicht einmal diskutieren.
“Kaum ein Gegenwort, bezichtigen Sie mich der Befürwortung von Genitalverstümmelung und Kinderehen.”
Wo?
Solange Diskutanten wie as und Vonfernseher vom Inhalt der Diskussionsbeiträge auf eine vermeintliche, missliebige Gesinnung schließen und die „Diskussion“ somit ihres eigentlichen Gegenstands berauben, solange werden wir keine Probleme lösen, sondern sie lediglich verstärken. Bezeichnend, dass z.B. auf meine konkreten Lösungsansätze und auch die Äußerungen von Ralph keinerlei sachliches Feedback kommt, sondern bei “Leuten wie Ihnen” gleich ein bestimmter “Geist” gewittert wird, von dem man sich abgrenzen müsse.
Wir müssen weg vom ideologisch-persönlichen hin zu einem rechtlich-sachlichen Diskussionsstil. Zumindest, wenn es um die Suche nach Lösungen und nicht um den Streit als Selbstzweck geht. Ist denn wenigstens das konsensfähig? Bestimmt nicht, denn das würde die Fähigkeit zur Selbstkritik und eine generelle Bereitschaft zum Einlenken erfordern, die immer noch zu vielen abgeht. Lieber hält man trotzig an den eigenen Positionen fest, die die vielen Probleme mitverursacht haben, als nur einen Millimeter nachzugeben und sich endlich an der schwierigen Suche nach konstruktiven Lösungen entlang der Verfassung, der europäischen Werte und der Menschenrechte zu beteiligen. Oder darf man noch hoffen?
Frau Kauffolf, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Man kann sich der Realität verweigern, aber man kann sich auf Dauer nicht den Folgen dieser Verweigerung entziehen.
Liest man sich die Biographie – um nicht zu sagen das Schicksal – moderater Muslime in Deutschland durch, und vergleicht sie, mit der einen oder anderen Reaktion hier, kann man nur den Kopf schütteln. Seyran Ateş is so ein trauriges Beispiel ( https://www.youtube.com/watch?v=z2s1uSZ4kS0 ).
Diese Muslime werden mit dem Tod bedroht und Forderungen nach deren Unterstützung werden mit “Abgehobenheit” beschimpft.
Ich bezweifle inzwischen, dass der Islam generell positive Entwicklungen für D. bereithält. Nachem tausende türkische Muslime hier ohne Not ein Fahnenmeer für einen Diktator bereitgehalten haben unterscheide ich nicht zwischen einem radikalen und gemäßigten Islam. Der Islam ist in seiner derzeitigen Form mit keiner Demokratie kompatibel. Das sieht Herr Abdel Hamad genauso.
https://www.youtube.com/watch?v=Nk_ZnODk-RY
Bezieht sich die Frage ob der Islam zu Deutschland gehört auf alle Anhänger des Islam oder nur auf die die sich selbst zu Deutschland zugehörig fühlen? Sehr viele Türken die ich kenne haben dieses Zugehörigsgefühl eben nicht. Man kann es von ihnen ja auch schlecht einfordern.
D e n Islam, ganz gleich ob nun fundamental oder liberal, gibt es für mich sowieso nicht. Selbst wenn es ihn gäbe würde sich für mich die Frage “Gehört der Islam zu Deutschland?” überhaupt nicht stellen, weil es bei uns zum Glück keine Staatsreligion(en) gibt. Sage das übrigens als jemand der selbst keinem Glaubensbekenntnis angehört.