27 March 2012

Steuern oder Steuerung? US Supreme Court beginnt Verhandlung um Gesundheitsreform

Heute begann das dreitägige Verhandlungsmarathon um den Patient Protection and Affordable Care Act vor dem US-Supreme Court. Die Verhandlung war mit großer Spannung erwartet worden. Bereits am Freitag begann das Schlangestehen, offenbar vor allem von bezahlten Schlangestehern zu 36 USD die Stunde, aber auch von hartnäckig Interessierten. Eine zeitgemäße Live-Berichterstattung hatte das Gericht unterbunden: Nur Stift und Block durften benutzt werden. Dafür hat der Supreme Court einen kompletten Audio-Mitschnitte veröffentlicht, dazu eine Transkription mit den Namen der Sprechenden.

Die Sitzung widmete sich der Frage, ob die Klagen gegen die Versicherungspflicht gegen den Anti-Injunction Act von 1867 verstoßen: „pay first, litigate later,“ so lässt sich die Regelung dieses Gesetzes zusammenfassen. In diesem Fall wäre das Verfahren mehrere Jahre unzulässig, da die Versicherungspflicht erst 2014 in Kraft tritt und eine Strafe damit erst mit den Einkommenssteuererklärungen 2015 fällig würde.

So hatte in der Vorinstanz der 4th Circuit Court of Appeal in Richmond, Virginia, befunden. Beide Parteien, die Regierung und die Kläger, wollen jedoch, dass der Fall jetzt entschieden wird. Der Supreme Court musste daher einen amicus curiae benennen, um Argumente gegen die Zulässigkeit zu hören. Und der „Freund des Gerichts“, Richard A. Long, hatte es nicht leicht im Kreuzverhör der 9 Richter und Richterinnen des höchsten Gerichts der USA.

Ein Hindernis, auf das verzichtet werden kann?

Zunächst war das Gericht daran interessiert, ob der Anti-Injunction Act tatsächlich ein absolutes Zuständigkeitshindernis darstellt, d.h. jurisdictional ist, oder ob es den Parteien freisteht, darauf zu verzichten. In verschiedenen Präzedenzfällen (insb. Helvering v. Davis) hatte der Supreme Court bereits in ähnlichen Situationen einen Verzicht für möglich befunden. Chief Justice Roberts befand die Rechtsprechung des Supreme Courts allerdings für so inkonsistent, dass sich der Congress im ACA nicht wirklich habe darauf beziehen können. Auf Richterin Sotomayors wiederholte Nachfragen nach der „parade of horribles“, die Long für den Fall der Verzichtsmöglichkeit ersehe, merkte Richter Scalia in gewohnt süffisanter Weise an, es müsse immer ein „intelligentes Bundesgericht“ darüber entscheiden müsse, ob eine Ausnahme vom Klagehindernis bestehe: „And there will be no parade of horribles because all federal courts are intelligent.“

Die Bundesregierung hat dagegen keinerlei Interesse daran, die Regelung des Anti-Injunction Act für generell verzichtbar zu erklären, wie auch Prozessvertreter Verrilli deutlich machte; vielmehr sei sie auf das Bußgeld gar nicht anwendbar. Auf Nachfrage seitens Richterin Ginsburg stimmte er daher zu, dass aus Sicht der Regierung kein Anlass bestehe, die Zuständigkeitsfrage zu entscheiden. Unter Gelächter fragte Richter Kennedy nach: „Don’t you want to know the answer?“

Richter Breyer dagegen scheint die Antwort sehr wohl geben zu wollen. In Reed Elsevier hatte der Supreme Court ein Zuständigkeitshindernis im Urheberrecht, dessen Formulierung mit der des Anti-Injunction Act fast identisch ist, für verzichtbar erklärt. Anders als das Urheberrecht aber seien Steuern, „for better or for worse, the life’s blood of government.“ Dies müsse auch auf die Auslegung der Absolutheit des Zuständigkeitshindernisses Einfluss haben.

Tax, penalty, tax penalty?

Die weitere Frage ist jedoch, ob es sich überhaupt um eine Steuer handelt. Der Affordable Care Act (ACA) nennt die strittige Gebühr „Bußgeld“ (penalty), verwendet jedoch nicht ausdrücklich den Begriff der Steuerstrafe. Das Bußgeld wird lediglich „wie eine Steuer“ berechnet und erhoben, was es nicht automatisch selbst zu einer Steuer macht, wie Richter Breyer zu bedenken gab. Zudem, so wandte Richterin Ginsburg ein, diene der Anti-Injunction Act der Sicherung der Staatseinnahmen, und diese sollten im Bereich der Gesundheitsvorsorge gerade vermieden werden:

The Tax Injunction Act does not apply to penalties that are designed to induce compliance with the law, rather than to raise revenue. And this is not a revenue-raising measure because, if it’s successful, they — nobody will pay the penalty, and there will be no revenue to raise.

Hierauf stützte sich auch der Solicitor General, Donald B. Verrilli, Jr., dem die Prozessvertretung des Bundes vor dem Supreme Court obliegt. Verrilli ist der Nachfolger von Elena Kagan, die diese Position vor ihrer Ernennung zum Supreme Court als erste Frau ausgeübt hatte. Verrilli befand sich allerdings in einer durchaus unbequemen Position: Einerseits argumentiert die Regierung, dass die Strafgebühr nicht als Steuer im Sinne des Anti-Injunction Act zu gelten habe und eine Klage somit zulässig sei; andererseits wird sie für die Versicherungspflicht neben der commerce clause auch die Gesetzgebungsbefugnis der tax clause in Art. 1 der US-Verfassung geltend machen. Hierauf wies auch umgehend Richter Alito hin:

General Verrilli, today you are arguing that the penalty is not a tax. Tomorrow you are going to be back and you will be arguing that the penalty is a tax.

Der schmale Grat der Regierungsargumentation führte immer wieder zu Heiterkeit:

JUSTICE KAGAN: But as long as they pay the penalty —

GENERAL VERRILLI: If they pay the tax, then they are in compliance with the law.

JUSTICE BREYER: Why do you keep saying it’s a tax? [Gelächter]

GENERAL VERRILLI: If they pay the tax penalty, they’re in compliance with the law.

JUSTICE BREYER: Thank you.

GENERAL VERRILLI: Thank you, Justice Breyer.

JUSTICE BREYER: The penalty.

GENERAL VERRILLI: Right. That’s right.

So hatte die Regierung in ihrem Schriftsatz deutlich gemacht, dass sie von der Bußgeldvorschrift 4Mrd. USD Einnahmen im Jahr erwarte; Verrilli argumentierte jedoch, dies sei eine Nebenfolge und nicht Ziel der Regelung.

„not … a perfect model of clarity“

Einen Ausweg gibt es noch: Richterin Ginsburg gab dem amicus curiae zu bedenken, dass die Klagen das Bußgeld selbst gar nicht angreifen; es geht allein um die Versicherungspflicht selbst, die durch das Bußgeld nur sanktioniert wird. Die Kläger hätten erklärt, dass sie das Bußgeld nicht angreifen würden, wenn sich die Versicherungspflicht als verfassungsmäßig erwiese. Zudem, so Richterin Kagan, seien beide Teile der Regelung – Versicherungspflicht und Bußgeld – getrennt normiert. Long gab zu, das Gesetz sei kein Modell an Klarheit, doch handle es sich um eine einheitliche Regelung. Der Vorsitzende Richter Roberts schien dem in seiner Auseinandersetzung mit dem Klägervertreter Katsas zuzustimmen – in diesem Fall wäre die Anti-Injunction Act-Frage doch zu entscheiden. So hatte in der Vorinstanz der 4th Circuit Court of Appeal in Richmond, Virginia, befunden. Beide Parteien, die Regierung und die Kläger, wollen jedoch, dass der Fall jetzt entschieden wird. Der Supreme Court musste daher einen amicus curiae benennen, um Argumente gegen die Zulässigkeit zu hören. Und der „Freund des Gerichts“, Richard A. Long, hatte es nicht leicht im Kreuzverhör der 9 Richter und Richterinnen des höchsten Gerichts der USA.

Ein Hindernis, auf das verzichtet werden kann?

Zunächst war das Gericht daran interessiert, ob der Anti-Injunction Act tatsächlich ein absolutes Zuständigkeitshindernis darstellt, d.h. jurisdictional ist, oder ob es den Parteien freisteht, darauf zu verzichten. In verschiedenen Präzedenzfällen (insb. Helvering v. Davis) hatte der Supreme Court bereits in ähnlichen Situationen einen Verzicht für möglich befunden. Chief Justice Roberts befand die Rechtsprechung des Supreme Courts allerdings für so inkonsistent, dass sich der Congress im ACA nicht wirklich habe darauf beziehen können. Auf Richterin Sotomayors wiederholte Nachfragen nach der „parade of horribles“, die Long für den Fall der Verzichtsmöglichkeit ersehe, merkte Richter Scalia in gewohnt süffisanter Weise an, es müsse immer ein „intelligentes Bundesgericht“ darüber entscheiden müsse, ob eine Ausnahme vom Klagehindernis bestehe: „And there will be no parade of horribles because all federal courts are intelligent.“

Die Bundesregierung hat dagegen keinerlei Interesse daran, die Regelung des Anti-Injunction Act für generell verzichtbar zu erklären, wie auch Prozessvertreter Verrilli deutlich machte; vielmehr sei sie auf das Bußgeld gar nicht anwendbar. Auf Nachfrage seitens Richterin Ginsburg stimmte er daher zu, dass aus Sicht der Regierung kein Anlass bestehe, die Zuständigkeitsfrage zu entscheiden. Unter Gelächter fragte Richter Kennedy nach: „Don’t you want to know the answer?“

Richter Breyer dagegen scheint die Antwort sehr wohl geben zu wollen. In Reed Elsevier hatte der Supreme Court ein Zuständigkeitshindernis im Urheberrecht, dessen Formulierung mit der des Anti-Injunction Act fast identisch ist, für verzichtbar erklärt. Anders als das Urheberrecht aber seien Steuern, „for better or for worse, the life’s blood of government.“ Dies müsse auch auf die Auslegung der Absolutheit des Zuständigkeitshindernisses Einfluss haben.

Tax, penalty, tax penalty?

Die weitere Frage ist jedoch, ob es sich überhaupt um eine Steuer handelt. Der Affordable Care Act (ACA) nennt die strittige Gebühr „Bußgeld“ (penalty), verwendet jedoch nicht ausdrücklich den Begriff der Steuerstrafe. Das Bußgeld wird lediglich „wie eine Steuer“ berechnet und erhoben, was es nicht automatisch selbst zu einer Steuer macht, wie Richter Breyer zu bedenken gab. Zudem, so wandte Richterin Ginsburg ein, diene der Anti-Injunction Act der Sicherung der Staatseinnahmen, und diese sollten im Bereich der Gesundheitsvorsorge gerade vermieden werden:

The Tax Injunction Act does not apply to penalties that are designed to induce compliance with the law, rather than to raise revenue. And this is not a revenue-raising measure because, if it’s successful, they — nobody will pay the penalty, and there will be no revenue to raise.

Hierauf stützte sich auch der Solicitor General, Donald B. Verrilli, Jr., dem die Prozessvertretung des Bundes vor dem Supreme Court obliegt. Verrilli ist der Nachfolger von Elena Kagan, die diese Position vor ihrer Ernennung zum Supreme Court als erste Frau ausgeübt hatte. Verrilli befand sich allerdings in einer durchaus unbequemen Position: Einerseits argumentiert die Regierung, dass die Strafgebühr nicht als Steuer im Sinne des Anti-Injunction Act zu gelten habe und eine Klage somit zulässig sei; andererseits wird sie für die Versicherungspflicht neben der commerce clause auch die Gesetzgebungsbefugnis der tax clause in Art. 1 der US-Verfassung geltend machen. Hierauf wies auch umgehend Richter Alito hin:

General Verrilli, today you are arguing that the penalty is not a tax. Tomorrow you are going to be back and you will be arguing that the penalty is a tax.

Der schmale Grat der Regierungsargumentation führte immer wieder zu Heiterkeit:

JUSTICE KAGAN: But as long as they pay the penalty —

GENERAL VERRILLI: If they pay the tax, then they are in compliance with the law.

JUSTICE BREYER: Why do you keep saying it’s a tax? [Gelächter]

GENERAL VERRILLI: If they pay the tax penalty, they’re in compliance with the law.

JUSTICE BREYER: Thank you.

GENERAL VERRILLI: Thank you, Justice Breyer.

JUSTICE BREYER: The penalty.

GENERAL VERRILLI: Right. That’s right.

So hatte die Regierung in ihrem Schriftsatz deutlich gemacht, dass sie von der Bußgeldvorschrift 4Mrd. USD Einnahmen im Jahr erwarte; Verrilli argumentierte jedoch, dies sei eine Nebenfolge und nicht Ziel der Regelung.

„not … a perfect model of clarity“

Einen Ausweg gibt es noch: Richterin Ginsburg gab dem amicus curiae zu bedenken, dass die Klagen das Bußgeld selbst gar nicht angreifen; es geht allein um die Versicherungspflicht selbst, die durch das Bußgeld nur sanktioniert wird. Die Kläger hätten erklärt, dass sie das Bußgeld nicht angreifen würden, wenn sich die Versicherungspflicht als verfassungsmäßig erwiese. Zudem, so Richterin Kagan, seien beide Teile der Regelung – Versicherungspflicht und Bußgeld – getrennt normiert. Long gab zu, das Gesetz sei kein Modell an Klarheit, doch handle es sich um eine einheitliche Regelung. Der Vorsitzende Richter Roberts schien dem in seiner Auseinandersetzung mit dem Klägervertreter Katsas zuzustimmen – in diesem Fall wäre die Anti-Injunction Act-Frage doch zu entscheiden.


2 Comments

  1. […] mündliche Verhandlung und die Bedeutung des Gesetzes habe ich im März hier, hier, hier und hier […]

  2. […] mündliche Verhandlung und die Bedeutung des Gesetzes habe ich im März hier, hier, hier und hier […]

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