28 March 2012

Tag 2 vor dem US-Supreme Court: Freiheit oder Solidarsystem?

Am Dienstag ging die mündliche Verhandlung über die Gesundheitsreform vor dem Supreme Court in die zweite Runde. Heute ging es sozusagen ans Eingemachte: Erörtert wurde die Frage, ob die bußgeldbewehrte Versicherungspflicht, die individual mandate provision, in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt. Drei Kompetenznormen kommen hierfür in Betracht: die commerce clause, die tax clause und die necessary and proper clause des Art. 1 der US-Verfassung.

Steuern und andere Steuern

Die Frage nach der Steuer hatte Regierungsvertreter Solicitor General Verrilli bereits gestern in die Bredouille gebracht, denn anders als noch in den Vor­instanzen argumentiert die Regierung vor dem Supreme Court, das Bußgeld zur Sanktionierung der Versicherungspflicht falle nicht unter den Steuerbegriff des Anti-Injunction Act; da es jedoch Staatseinnahmen generiere, sei die davon untrennbare Versicherungspflicht von der Steuergesetzgebungskompetenz umfasst.

Richter Scalia zeigte sich wenig überzeugt: Der Präsident habe bekräftigt, es handle sich nicht um eine Steuer, wiederholte er mehrfach. Verrilli stellte mit erneuter Unterstützung von Richterin Ginsburg richtig, der Präsident habe das Bußgeld deswegen nicht als Steuererhöhung bezeichnet, weil das Ziel der Regelung sei, dass niemand das Bußgeld zahlen müsse. Doch trage das Bußgeld ansonsten alle Insignien einer Steuer. Richterin Sotomayor stimmte in der Befragung von Paul Clement, des Vertreters der Bundesstaaten ein: Wo liege der Unterschied, wenn die Bundesregierung eine Steuer zur Finanzierung der Gesundheitskosten erhebe, aber alle mit Krankenversicherung davon ausnehme?

Handel und der Zwang zum Handeln

Zur Sache ging es heute vor allem hinsichtlich der Handelsklausel. Besonders die drei konservativen Richter Scalia, Roberts und Alito nahmen Regierungsvertreter Verrilli in die Zange. Doch es war der mögliche swing vote-Richter Kennedy, der sofort mit der aus Klägersicht zentralen Frage einstieg: „Can you create commerce in order to regulate it?“

Grundsätzlich erfasst die commerce clause auch innerstaatliche Wirtschaftstätigkeit, wenn sie einen „substanziellen Effekt“ auf den „zwischenstaatlichen Handel“ (commerce among the several states) hat. Vier Präzedenzfälle stehen im Fokus: In zwei Fällen hat der Supreme Court den Einfluss auf das zwischenstaatliche Wirtschaftsleben bejaht, obwohl die Betroffenen daran gerade nicht teilnehmen wollten: In Wickard ging es 1942 um den Mehranbau von Weizen zur Selbstversorgung, in Raich 2005 um Marijuana-Anbau zum medizinischen Eigengebrauch. In Lopez und in Morrison dagegen hielt das Gericht 1995 und 2000 den Einfluss von Schusswaffen in Schulnähe und von sexualisierter Gewalt auf Wirtschaftsleben und Produktivität für zu indirekt, um unter die commerce clause zu fallen.

Paul Clement argumentierte für die klagenden Bundesstaaten, der Affordable Care Act stelle eine bisher nie dagewesene Regulierung des „zwischenstaatlichen Handels“ dar, da er die Bürger erst dazu zwinge, ins Wirtschaftsleben einzutreten. Das Gesetz reguliere daher nicht, wie üblich, bestehende Tätigkeit, sondern erzeuge sie erst. Richter Kennedy formulierte es so:

In the law of torts, our tradition, our law has been that you don’t have the duty to rescue someone if that person is in danger. The blind man is walking in front of a car and you do not have a duty to stop him, absent some relation between you. And there is some severe moral criticisms of that rule, but that’s generally the rule. And here the government is saying that the Federal Government has a duty to tell the individual citizen that it must act, and that is different from what we have in previous cases, and that changes the relationship of the Federal Government to the individual in a very fundamental way.

Regierungsvertreter Verrilli hielt dagegen, auch wer keine Versicherung kaufe, nehme im Krankheitsfall am Wirtschaftsleben teil, nur eben finanziert durch die Versicherten. Eine Entscheidung gegen eine Krankenversicherung sei eine Entscheidung für die Selbstversicherung und damit ebenfalls Aktivität, nicht Passivität. Dem stimmten insbesondere die Richterinnen Kagan, Sotomayor und Ginsburg sowie Richter Breyer zu. Breyer verdeutlichte dies am Beispiel Wickard: Dieser habe aufgrund der Regelung auch aktiv werden, nämlich seinen Weizen anderweitig einkaufen müssen.

Brokkoli und Begräbnisse: Grenzen für die Handelsklausel?

Doch wie im deutschen System sind in den USA die Bundeskompetenzen gegenüber denen der Staaten streng begrenzt. Öffnet aber eine Billigung des Gesetzes unter der Handelsklausel in föderalistischer Hinsicht die Box der Pandora? Müsste dann nicht auch eine Erwerbspflicht für Brokkoli, Autos, Telefone, Fitnessclub-Mitgliedschaften verfassungsmäßig sein? Wenn nicht, warum nicht? Insbesondere Richter Kennedy fragte hier gezielt nach; es wird vermutet, dass der Verfassungsmäßigkeit zustimmen könnte, wenn er hier überzeugt würde. Doch auch Richter Scalia bildete fröhlich Beispiele:

JUSTICE SCALIA: Could you define the market — everybody has to buy food sooner or later, so you define the market as food, therefore, everybody is in the market; therefore, you can make people buy broccoli.

Verrilli argumentierte, das Besondere an der Krankenversicherung sei, dass praktisch jeder am Gesundheitsmarkt teilnehme, früher oder später, zu einem unberechenbaren Zeitpunkt, dann aber Anspruch auf Versorgung habe, mit oder ohne Versicherung. Chief Justice Roberts wandte ein, so verhalte es sich doch auch mit dem Notruf – könne die Bundesregierung dann auch Mobiltelefone verpflichtend machen, damit man bei Unfällen leichter den Notruf wählen könne? Doch bei Ambulanzen und Feuerwehr, so Verrilli zu Recht, handelt es sich nicht um einen Markt. Anders bei Begräbnissen, wie Richter Alito einwandte:

JUSTICE ALITO: All right. Suppose that you and I walked around downtown Washington at lunch hour and we found a couple of healthy young people and we stopped them and we said: You know what you’re doing? You are financing your burial services right now because eventually you’re going to die, and somebody is going to have to pay for it, and if you don’t have burial insurance and you haven’t saved money for it, you’re going to shift the cost to somebody else. Isn’t that a very artificial way of talking about what somebody is doing?

Doch hier, so Verrilli mit Richter Breyers Unterstützung, gebe es nicht die gesundheitstypische Kostenverschiebung auf andere Marktteilnehmer; für unbezahlte Begräbnisse komme allenfalls der Staat auf, und damit indirekt alle Bürger und Bürgerinnen. Dies unterscheidet die Krankenversicherung auch von den vielfachen Autokauf-Beispielen, die sich die Richter und Richterinnen für Paul Clement ausdachten: Wer keine Autos kauft, trägt zwar dazu bei, dass Autopreise steigen und Jobs in der Autoindustrie verloren gehen und erhöht dadurch Kosten für Autos auf die Autokäufer und verschiebt Kosten für Arbeitslosenhilfe auf die Allgemeinheit – aber die Kostenverschiebung ergibt sich nicht daraus, dass die Nichtkäufer trotzdem das Recht haben Auto zu fahren. Wer aber keine Krankenversicherung hat, bekommt trotzdem Gesundheitsleistungen.

Richter Alito gab zu bedenken, die Zwangsversicherung koste viel mehr als die tatsächlichen Gesundheitsleistungen, die ein junger gesunder Mensch im Jahr in Anspruch nehme – damit müsse dieser für Leistungen zahlen, die ein anderer erhalte. So argumentierte auch Klägervertreter Paul Clement. Richterin Ginsburg dagegen sah hier die Präzedenzfälle auf Seiten der Regierung:

Congress, in the ’30s, saw a real problem of people needing to have old age and survivor’s insurance. And, yes, they did it through a tax, but they said everybody has got to be in it because if we don’t have the healthy in it, there’s not going to be the money to pay for the ones who become old or disabled or widowed. So, they required everyone to contribute. There was a big fuss about that in the beginning […] But that’s constitutional.

Es könne nicht angehen, dass ein solches Solidarsystem nur verfassungsmäßig sei, wenn der Staat ein eigenes System einführe, statt auf bestehende Marktmechanismen zurückzugreifen und dadurch mehr Wahlfreiheit zu ermöglichen. Doch, so Chief Justice Roberts, deckt die Krankenversicherung auch Risiken wie Drogenmißbrauch ab, die keineswegs alle träfen.

Eine Frage des Timings

Wie in der Befragung Paul Clements deutlich wurde, geht es allerdings letzten Endes auch um eine Frage des Timings: Denn die Kläger stimmen zu, dass der Bund eine Versicherungspflicht für den Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Leistungen regeln könne, denn dann trete eine ökonomische Tätigkeit ein. Doch der Kongress, so Richterin Sotomayor und Richterin Kagan, habe eine breite Einschätzungsprärogative, wie er seine Befugnisse ausübe: Dann müsse er auch entscheiden können, dass es sinnvoller sei, die Versicherungspflicht zu einem früheren Zeitpunkt zu regeln.

Es wird eng, sehr eng, für die Regierung. Soviel ist klar. Richter Breyer und die Richterinnen Ginsburg, Kagan und Sotomayor machten durch ihre Nachfragen sehr deutlich, dass sie die Versicherungspflicht für verfassungsmäßig halten. Doch ihnen fehlt die fünfte Stimme für die Mehrheit. Richter Scalia und Richter Alito stehen dem Gesetz klar ablehnend gegenüber, wie wohl auch der schweigsame konservative Richter Thomas. Der Vorsitzende Richter Roberts machte ebenfalls deutlich, dass er die Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes für überschritten hält. Es wird also, wie so oft, auf Richter Kennedy ankommen, den swing voter zwischen den Konservativen und den Liberalen. Ganz am Ende der Verhandlung sah es dafür dann gar nicht so schlecht aus: Er schien dem Argument nicht abgeneigt, dass der Gesundheitsmarkt doch anders sei als andere Märkte – ein limiting principle in Sicht?

Morgen wird es dann zunächst darum gehen, ob die Versicherungspflicht bei Verfassungswidrigkeit vom Rest des Gesetzes trennbar ist. Am Nachmittag steht zuletzt die Verfassungsmäßigkeit der Ausweitung von Medicaid auf dem Plan.

Steuern und andere Steuern

Die Frage nach der Steuer hatte Regierungsvertreter Solicitor General Verrilli bereits gestern in die Bredouille gebracht, denn anders als noch in den Vor­instanzen argumentiert die Regierung vor dem Supreme Court, das Bußgeld zur Sanktionierung der Versicherungspflicht falle nicht unter den Steuerbegriff des Anti-Injunction Act; da es jedoch Staatseinnahmen generiere, sei die davon untrennbare Versicherungspflicht von der Steuergesetzgebungskompetenz umfasst.

Richter Scalia zeigte sich wenig überzeugt: Der Präsident habe bekräftigt, es handle sich nicht um eine Steuer, wiederholte er mehrfach. Verrilli stellte mit erneuter Unterstützung von Richterin Ginsburg richtig, der Präsident habe das Bußgeld deswegen nicht als Steuererhöhung bezeichnet, weil das Ziel der Regelung sei, dass niemand das Bußgeld zahlen müsse. Doch trage das Bußgeld ansonsten alle Insignien einer Steuer. Richterin Sotomayor stimmte in der Befragung von Paul Clement, des Vertreters der Bundesstaaten ein: Wo liege der Unterschied, wenn die Bundesregierung eine Steuer zur Finanzierung der Gesundheitskosten erhebe, aber alle mit Krankenversicherung davon ausnehme?

Handel und der Zwang zum Handeln

Zur Sache ging es heute vor allem hinsichtlich der Handelsklausel. Besonders die drei konservativen Richter Scalia, Roberts und Alito nahmen Regierungsvertreter Verrilli in die Zange. Doch es war der mögliche swing vote-Richter Kennedy, der sofort mit der aus Klägersicht zentralen Frage einstieg: „Can you create commerce in order to regulate it?“

Grundsätzlich erfasst die commerce clause auch innerstaatliche Wirtschaftstätigkeit, wenn sie einen „substanziellen Effekt“ auf den „zwischenstaatlichen Handel“ (commerce among the several states) hat. Vier Präzedenzfälle stehen im Fokus: In zwei Fällen hat der Supreme Court den Einfluss auf das zwischenstaatliche Wirtschaftsleben bejaht, obwohl die Betroffenen daran gerade nicht teilnehmen wollten: In Wickard ging es 1942 um den Mehranbau von Weizen zur Selbstversorgung, in Raich 2005 um Marijuana-Anbau zum medizinischen Eigengebrauch. In Lopez und in Morrison dagegen hielt das Gericht 1995 und 2000 den Einfluss von Schusswaffen in Schulnähe und von sexualisierter Gewalt auf Wirtschaftsleben und Produktivität für zu indirekt, um unter die commerce clause zu fallen.

Paul Clement argumentierte für die klagenden Bundesstaaten, der Affordable Care Act stelle eine bisher nie dagewesene Regulierung des „zwischenstaatlichen Handels“ dar, da er die Bürger erst dazu zwinge, ins Wirtschaftsleben einzutreten. Das Gesetz reguliere daher nicht, wie üblich, bestehende Tätigkeit, sondern erzeuge sie erst. Richter Kennedy formulierte es so:

In the law of torts, our tradition, our law has been that you don’t have the duty to rescue someone if that person is in danger. The blind man is walking in front of a car and you do not have a duty to stop him, absent some relation between you. And there is some severe moral criticisms of that rule, but that’s generally the rule. And here the government is saying that the Federal Government has a duty to tell the individual citizen that it must act, and that is different from what we have in previous cases, and that changes the relationship of the Federal Government to the individual in a very fundamental way.

Regierungsvertreter Verrilli hielt dagegen, auch wer keine Versicherung kaufe, nehme im Krankheitsfall am Wirtschaftsleben teil, nur eben finanziert durch die Versicherten. Eine Entscheidung gegen eine Krankenversicherung sei eine Entscheidung für die Selbstversicherung und damit ebenfalls Aktivität, nicht Passivität. Dem stimmten insbesondere die Richterinnen Kagan, Sotomayor und Ginsburg sowie Richter Breyer zu. Breyer verdeutlichte dies am Beispiel Wickard: Dieser habe aufgrund der Regelung auch aktiv werden, nämlich seinen Weizen anderweitig einkaufen müssen.

Brokkoli und Begräbnisse: Grenzen für die Handelsklausel?

Doch wie im deutschen System sind in den USA die Bundeskompetenzen gegenüber denen der Staaten streng begrenzt. Öffnet aber eine Billigung des Gesetzes unter der Handelsklausel in föderalistischer Hinsicht die Box der Pandora? Müsste dann nicht auch eine Erwerbspflicht für Brokkoli, Autos, Telefone, Fitnessclub-Mitgliedschaften verfassungsmäßig sein? Wenn nicht, warum nicht? Insbesondere Richter Kennedy fragte hier gezielt nach; es wird vermutet, dass der Verfassungsmäßigkeit zustimmen könnte, wenn er hier überzeugt würde. Doch auch Richter Scalia bildete fröhlich Beispiele:

JUSTICE SCALIA: Could you define the market — everybody has to buy food sooner or later, so you define the market as food, therefore, everybody is in the market; therefore, you can make people buy broccoli.

Verrilli argumentierte, das Besondere an der Krankenversicherung sei, dass praktisch jeder am Gesundheitsmarkt teilnehme, früher oder später, zu einem unberechenbaren Zeitpunkt, dann aber Anspruch auf Versorgung habe, mit oder ohne Versicherung. Chief Justice Roberts wandte ein, so verhalte es sich doch auch mit dem Notruf – könne die Bundesregierung dann auch Mobiltelefone verpflichtend machen, damit man bei Unfällen leichter den Notruf wählen könne? Doch bei Ambulanzen und Feuerwehr, so Verrilli zu Recht, handelt es sich nicht um einen Markt. Anders bei Begräbnissen, wie Richter Alito einwandte:

JUSTICE ALITO: All right. Suppose that you and I walked around downtown Washington at lunch hour and we found a couple of healthy young people and we stopped them and we said: You know what you’re doing? You are financing your burial services right now because eventually you’re going to die, and somebody is going to have to pay for it, and if you don’t have burial insurance and you haven’t saved money for it, you’re going to shift the cost to somebody else. Isn’t that a very artificial way of talking about what somebody is doing?

Doch hier, so Verrilli mit Richter Breyers Unterstützung, gebe es nicht die gesundheitstypische Kostenverschiebung auf andere Marktteilnehmer; für unbezahlte Begräbnisse komme allenfalls der Staat auf, und damit indirekt alle Bürger und Bürgerinnen. Dies unterscheidet die Krankenversicherung auch von den vielfachen Autokauf-Beispielen, die sich die Richter und Richterinnen für Paul Clement ausdachten: Wer keine Autos kauft, trägt zwar dazu bei, dass Autopreise steigen und Jobs in der Autoindustrie verloren gehen und erhöht dadurch Kosten für Autos auf die Autokäufer und verschiebt Kosten für Arbeitslosenhilfe auf die Allgemeinheit – aber die Kostenverschiebung ergibt sich nicht daraus, dass die Nichtkäufer trotzdem das Recht haben Auto zu fahren. Wer aber keine Krankenversicherung hat, bekommt trotzdem Gesundheitsleistungen.

Richter Alito gab zu bedenken, die Zwangsversicherung koste viel mehr als die tatsächlichen Gesundheitsleistungen, die ein junger gesunder Mensch im Jahr in Anspruch nehme – damit müsse dieser für Leistungen zahlen, die ein anderer erhalte. So argumentierte auch Klägervertreter Paul Clement. Richterin Ginsburg dagegen sah hier die Präzedenzfälle auf Seiten der Regierung:

Congress, in the ’30s, saw a real problem of people needing to have old age and survivor’s insurance. And, yes, they did it through a tax, but they said everybody has got to be in it because if we don’t have the healthy in it, there’s not going to be the money to pay for the ones who become old or disabled or widowed. So, they required everyone to contribute. There was a big fuss about that in the beginning […] But that’s constitutional.

Es könne nicht angehen, dass ein solches Solidarsystem nur verfassungsmäßig sei, wenn der Staat ein eigenes System einführe, statt auf bestehende Marktmechanismen zurückzugreifen und dadurch mehr Wahlfreiheit zu ermöglichen. Doch, so Chief Justice Roberts, deckt die Krankenversicherung auch Risiken wie Drogenmißbrauch ab, die keineswegs alle träfen.

Eine Frage des Timings

Wie in der Befragung Paul Clements deutlich wurde, geht es allerdings letzten Endes auch um eine Frage des Timings: Denn die Kläger stimmen zu, dass der Bund eine Versicherungspflicht für den Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Leistungen regeln könne, denn dann trete eine ökonomische Tätigkeit ein. Doch der Kongress, so Richterin Sotomayor und Richterin Kagan, habe eine breite Einschätzungsprärogative, wie er seine Befugnisse ausübe: Dann müsse er auch entscheiden können, dass es sinnvoller sei, die Versicherungspflicht zu einem früheren Zeitpunkt zu regeln.

Es wird eng, sehr eng, für die Regierung. Soviel ist klar. Richter Breyer und die Richterinnen Ginsburg, Kagan und Sotomayor machten durch ihre Nachfragen sehr deutlich, dass sie die Versicherungspflicht für verfassungsmäßig halten. Doch ihnen fehlt die fünfte Stimme für die Mehrheit. Richter Scalia und Richter Alito stehen dem Gesetz klar ablehnend gegenüber, wie wohl auch der schweigsame konservative Richter Thomas. Der Vorsitzende Richter Roberts machte ebenfalls deutlich, dass er die Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes für überschritten hält. Es wird also, wie so oft, auf Richter Kennedy ankommen, den swing voter zwischen den Konservativen und den Liberalen. Ganz am Ende der Verhandlung sah es dafür dann gar nicht so schlecht aus: Er schien dem Argument nicht abgeneigt, dass der Gesundheitsmarkt doch anders sei als andere Märkte – ein limiting principle in Sicht?

Morgen wird es dann zunächst darum gehen, ob die Versicherungspflicht bei Verfassungswidrigkeit vom Rest des Gesetzes trennbar ist. Am Nachmittag steht zuletzt die Verfassungsmäßigkeit der Ausweitung von Medicaid auf dem Plan.


2 Comments

  1. Andreas Moser Wed 28 Mar 2012 at 07:39 - Reply

    Danke für diese zeitnahe und gut lesbare Zusammenfassung!

  2. […] mündliche Verhandlung und die Bedeutung des Gesetzes habe ich im März hier, hier, hier und hier […]

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