24 October 2018

Eine stille Föderalismusreform III: die Ausweitung der Bundes­kompetenzen für Investitionshilfen

I.

Die erste große Reform der bundesstaatlichen Strukturen in Deutschland in diesem Jahrtausend ist zwölf Jahre her, die zweite neun. Beide Male waren die Eingriffe in die Verfassung, die mit den Reformen einhergingen, ein großes Nachrichten- und Diskussionsthema. Jetzt wird die bundesstaatliche Ordnung erneut auf grundlegende Weise umgestaltet. Doch die Öffentlichkeit scheint sich kaum für diese stille Föderalismusreform III zu interessieren.

Die erste Etappe dieser Föderalismusreform III wurde schon im letzten Jahr abgeschlossen: Im Juli 2017 wurden die grundgesetzlichen Regeln zu den bundesstaatlichen Finanzbeziehungen neu gestaltet (BGBl. I S. 2347) und dabei nicht nur der bundesstaatliche Finanzausgleich ab 2020 grundlegend neu geregelt, sondern u.a. auch die Kompetenzen des Bundes zu Finanzhilfen für Investitionen der Länder und Kommunen weiter ausgebaut. Die bestehende Bundeskompetenz, Investitionsvorhaben von Ländern und Kommunen mitzufinanzieren, ist um weitreichende Steuerungs- und Kontrollrechte des Bundes ergänzt worden (Art. 104b Abs. 2 S. 2 bis 4 GG). Und der neue Art. 104c GG, auf den diese Steuerungs- und Kontrollrechte auch Anwendung finden, erlaubt dem Bund nunmehr auch Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Kommunen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur.

Aktuell durchläuft ein Regierungsentwurf zu einer Änderung des Grundgesetzes (BT-Drs. 19/3440) das Gesetzgebungsverfahren, der diese Investitionshilfekompetenz des Art. 104c GG auf Investitionen auch der Länder und (aller) Kommunen im Bereich der Bildungsinfrastruktur erstrecken will. Außerdem soll er in einem neuen Art. 104d GG eine weitere Bundesinvestitionshilfekompetenz für den Bereich des sozialen Wohnungsbaus einführen.

Diese vollzogenen bzw. geplanten Grundgesetzänderungen darf man, weil sie konzeptionell bedeutsame Verschiebungen im Bund-Länder-Verhältnis bewirkt haben und womöglich weiter bewirken, der Sache nach als eine weitere Föderalismusreform bezeichnen. Still und heimlich könnte man sie nennen, weil sie als solche kaum wahrgenommen wird und sich im Vergleich zu früheren Bundesstaatsreformen eher schnell und unbemerkt vollzogen hat und möglicherweise weiter vollzieht.

II.

Wenn in die bundesstaatliche Verfassung des Grundgesetzes grundlegend eingegriffen wurde, dann war das bisher – bei allen Unterschieden im Einzelnen – regelmäßig Gegenstand intensiver politischer, auch wissenschaftlicher Vorbereitung und Begleitung. Der erste große Wurf, die Große Finanzreform 1969, die eine ausgefeilte bundesstaatliche Finanzverfassung mit Bund-Länder-Finanzausgleich, staatsschuldenrechtlichen Vorgaben sowie der Einführung von Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben und Bundesinvestitionshilfekompetenzen etablierte, war durch die sog. Troeger-Kommission vorbereitet. Für die so genannte Föderalismusreform I des Jahres 2006, die – u.a. mit einer restriktiveren Regelung von Gemeinschaftsaufgaben und Bundesinvestitionshilfekompetenzen – die Verantwortlichkeiten entflechten und die Länderautonomie stärken sollte, hatte eine Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung die Grundlagen gelegt. Schon bald danach wurde die Gemeinsame Kommission von Deutschem Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen eingesetzt, deren Beratungen im Jahr 2009 in die sog. Föderalismusreform II mündeten und die vor allem die so genannte Schuldenbremse für Bund und Länder (Art. 109 Abs. 3, 115, 143d Abs. 1 GG) hervorbrachten.

Im Vergleich dazu erweckt die Entstehungsgeschichte der Grundgesetzänderung 2017 weniger den Eindruck eines inhaltlichen Vorberatungs-, als den eines interessengeleiteten Verhandlungsprozesses. Der Bund lockte schon früh mit einem zusätzlichen Transfervolumen in Milliardenhöhe. Die Länder verfolgten höchst unterschiedliche Interessen – Bayern, Baden-Württemberg und Hessen als bisherige Geberländer im Länderfinanzausgleich, Nordrhein-Westfalen, das nicht mehr durch den Umsatzsteuervorwegabzug zum Nehmerland mutieren wollte, finanzschwächere Länder, Stadtstaaten, neue Bundesländer und Haushaltsnotlagenländer. Das Ergebnis war die Verständigung auf einen neuen bundesstaatlichen Finanzausgleich, bei dem Ausgleichsleistungen zwischen den Ländern entfallen und in den der Bund zusätzliche Milliarden einbringt, von denen alle Länder im Vergleich zur bisherigen Lage im Ergebnis profitieren.

Der Preis für das Entgegenkommen des Bundes beim Finanzausgleich waren die sog. Maßnahmen zur Verbesserung der Aufgabenerledigung im Bundesstaat, zu denen auch die Ausweitung der Bundeskompetenzen für Investitionshilfen und die Stärkung der damit verknüpften Rechte des Bundes zählt. Auf dieses Paket verständigten sich die Regierungschefs von Bund und Ländern Anfang Dezember 2016; von Februar bis Juli 2017 wurde das Gesetzgebungsverfahren beschleunigt durchgeführt. Und auch das jetzt anstehende Grundgesetzänderungsvorhaben ist bislang von begrenztem öffentlichem Aufmerksamkeitswert.

III.

Die 2017 in Kraft gesetzten und die jetzt geplanten Grundgesetzänderungen haben jedoch erhebliches bundesstaatliches Gewicht. Das gilt – was hier nicht vertieft werden soll – für den neuen bundesstaatlichen Finanzausgleich, denn die solidarischen Ausgleichsleistungen unter den Ländern werden durch verstärkte vertikale Leistungen des Bundes ersetzt, was die Länderebene, auch wenn ihr dies mehr Geld bringt, am Ende strukturell schwächen wird. Und es gilt auch für die erfolgten und geplanten Ausweitungen der Bundesinvestitionshilfekompetenzen, die aus aktuellem Anlass hier vornehmlich interessieren.

Sie berühren die finanzverfassungsrechtliche Grundkonstruktion des Bundesstaats des Grundgesetzes. Diese beruht darauf, dass primär die staatlichen Aufgaben unter Bund und Ländern verteilt werden und jede staatliche Ebene die damit verknüpften finanziellen Lasten zu tragen hat; hierfür müssen dann der Bund und insbesondere die Länder finanziell adäquat ausgestattet sein. Diese Finanzausstattung namentlich der Länder erfolgt grundsätzlich durch allgemeine, nicht zweckgebundene Finanzmittel, was die Autonomie in der Aufgabenwahrnehmung schützt. In diese Grundkonstruktion fügen sich Kompetenzen des Bundes zur Mitfinanzierung von Investitionen im Aufgabenbereich der Länder durchaus ein. Das gilt gerade für das Grundgesetz, das die bundesstaatliche Kompetenzverteilung nicht umfassend nach Sachmaterien, sondern differenziert nach Staatsfunktionen vornimmt, so dass in großem Umfang auch bundesgesetzlich geregelte Aufgaben in die Verwaltungszuständigkeit die Länder fallen. Gerade solche bundesgesetzlich geregelten, ihrem Charakter nach offenbar gesamtstaatlich relevanten Aufgaben können die Länder u.U. in ihrer Planungs-, Steuerungs- und Finanzkraft überfordern, woraus ein Bedürfnis nach einer Mitwirkung des Zentralstaates bei der Ausführung und Finanzierung solcher Sachaufgaben erwachsen kann. Allerdings: Bundesinvestitionshilfen müssen die Ausnahme zur aufgabengerechten Verteilung nicht zweckgebundener Finanzmittel bleiben, soll nicht die Autonomie der Gliedstaaten in der Wahrnehmung ihrer Sachzuständigkeiten unterlaufen werden.

Vor diesem Hintergrund verschieben die Neuregelungen die Verantwortung in beträchtlichem Maße. Das gilt wohlgemerkt nicht für die vorgesehene Streichung der Beschränkung auf Investitionen finanzschwacher Kommunen und die Erweiterung auf Investitionen der Länder in Art. 104c GG; diese beabsichtigten Änderungen sind bundesstaatlich begrüßenswert, weil sie die Verantwortlichkeit der Länder für die kommunale Finanzausstattung und die Aufgabenverteilung zwischen Ländern und ihren Kommunen als Länderangelegenheit respektieren.

Wohl aber greift der seit 2017 in Art. 104b Abs. 2 S. 2 und 3 GG eröffnete Einfluss des Bundes auf die Ausgestaltung der Länderprogramme zur Verwendung der Finanzhilfen nicht unerheblich in die Autonomie der Länder ein. Und dass Art. 104b Abs. 2 S. 4 GG der Bundesregierung erlaubt, alle auch nachgeordneten Behörden der Länder in Bezug auf die Durchführung der geförderten Projekte zu kontrollieren und von ihnen Informationen zu verlangen, ist eine tief in den Hoheitsbereich der Länder eingreifende bundesstaatliche Besonderheit. Vor allem aber relativieren Art. 104c GG und der geplante Art. 104d GG die in Art. 104b Abs. 1 GG verankerte Vorgabe, dass der Bund Investitionshilfen grundsätzlich nur gewähren dürfen soll, soweit ihm Gesetzgebungsbefugnisse zustehen. Die Aufgabenfelder der Bildungsinfrastruktur und des sozialen Wohnungsbaus aber stehen in der Gesetzgebungszuständigkeit und damit insgesamt in der Aufgabenverantwortlichkeit der Länder. Es fällt schwer, die Mitfinanzierung des Bundes aus einer besonderen sachlichen Eigenart der Aufgaben heraus zu rechtfertigen, abgesehen davon, dass diese Aufgabenfelder politisch für gesamtstaatlich bedeutsam gehalten werden, weshalb der Bund zusätzliche Finanzmittel dafür – zweckgebunden – zu gewähren bereit ist.

Einzelne Stimmen aus dem Lager der Länder und Kommunen, insbesondere der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Hans-Günter Henneke vom Deutscher Landkreistag, sind deshalb gegen zweckgebundene Finanzzuweisungen und fordern stattdessen die Gewährung zusätzlicher nicht zweckgebundener, allgemeiner Steuermittel. Sie postulieren damit eine autonomiefreundliche Lösung des Finanzierungsproblems. Soll allerdings die Finanzierung gerade bestimmter Aufgabenfelder wie Schulen und sozialer Wohnungsbau sichergestellt werden, muss man zwei Probleme dieses Vorschlags zugestehen. Erstens gestaltet es sich außerhalb von Bundesinvestitionshilfeleistungen schwierig, eine zweckgebundene, zielgerichtete Verwendung vom Bund zusätzlich bereitgestellter Mittel verbindlich sicherzustellen. Und zweitens wirft die bedarfsgerechte Verteilung der für diesen Zweck vorgesehenen Mittel Probleme auf, wenn diese als allgemeine Finanzmittel nach den dafür geltenden Maßstäben auf die Länder und Kommunen verteilt werden.

IV.

Die 2017 vorgenommenen und die jetzt geplanten Grundgesetzänderungen bewirken durch die Ausweitung der Bundesinvestitionshilfekompetenzen – und die Neugestaltung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs – im bundesstaatlichen Gefüge des Grundgesetzes einen kräftigen Zentralisierungsschub. Der verfassungsändernde Gesetzgeber kann diesen 2017 beschrittenen Weg – wie im vorliegenden Regierungsentwurf vorgesehen – weitergehen. Dass er daran durch die sog. Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG gehindert wäre, ist fernliegend. Er sollte sich nur bewusst sein, dass er damit verfassungspolitisch eine nicht unbedeutende Veränderung der bundesstaatlichen Ordnung vornimmt.

Bleibt die Frage, ob sich dafür jetzt die nötigen Zwei-Drittel-Mehrheiten finden. Schon im Bundestag sind die Verhältnisse nicht einfach; die Oppositionsfraktionen haben jedenfalls in unterschiedlicher Weise abweichende Anträge eingebracht (BT-Drs. 19/4543,19/4556,19/13), und bei der Anhörung im Haushaltsausschuss am 8. Oktober 2018 sind durchaus unterschiedliche Einschätzungen erkennbar geworden. Und für die Beschlussfassung im Bundesrat wird ggf. interessant sein, wie die Länder sich weiterhin zu Grundgesetzänderungen stellen, die ihnen Geld bringen, sie aber Autonomie kosten.


One Comment

  1. Dominic Schelling Fri 26 Oct 2018 at 12:53 - Reply

    Der Verfall der herkömmlichen Volksparteien mag in gewisser Hinsicht bedauerlich sein aber er ermöglicht auch einen breiteren demokratischen Diskurs. Die grosse Koalition konnte Ende der sechziger Jahre noch unter Ausschluss der Opposition grosse politische Vorhaben durchdrücken, SPD und Union mussten sich einfach einig sein und beschlossen war die Sache… Die heutige “grosse” Koalition kann nicht einmal mehr Zustimmungspflichtige Bundesgesetze alleine durch den Bundesrat bringen, geschweige den eine Grundgesetzänderung. Somit dürfte es nicht einfach ein Durchwinken geben und dies scheint mir bei so einem wichtigen Thema doch sehr angebracht zu sein. Es stellt sich für mich schon die Frage, ob mit solchen Eingriffs- und Kontrollrechten, noch von einem föderalen Bundesstaat gesprochen werden kann. Gerade hohe finanzielle Autonomie ist für mich ein Kennzeichen eines Bundesstaates, die nun noch weiter abgebaut wird. Schon die Reformen von 1969 machten nach meiner Auffassung Deutschland zu einem Zentralstaat, wenn es um Finanzen und Steuern geht, mit der Einschränkung, dass die Länder ein hohes Mitbestimmungsrecht im Bundesrat haben. Gegenüber Frankreich ist die Bundesrepublik Deutschland natürlich immer noch ein klar föderales Gebilde, da die Bundesgewalten keine Gebietsreformen à la française durchführen können, wenn die betroffenen Länder und ihre Bevölkerungen nicht explizit dafür sind. Aber auch die faktische Abschaffung des Finanzausgleiches stärkt die Bundesebene, was definitiv die Bundesländer zu Empfängern des Bundes macht. An dieser Tatsache ändert auch die Mitbestimmung über den Bundesrat nichts. Ich halte einen Finanzausgleich zwischen den Gliedstaaten für ein Wesensmerkmal eines “richtigen” Bundesstaates, wo eben nicht fast alles über die Zentrale, sprich in Deutschland über den Bund, läuft.

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