24 December 2018

Der Schein und das Nichts: der Gesetzes­entwurf für Fach­kräfte­einwanderung

Wenn sich gesellschaftliche Umstrittenheit und politische Richtungslosigkeit in Bezug auf ein Thema an der Zahl der neu in Umlauf gebrachten Euphemismen, Oxymora und Formelkompromisse zeigt, dann zeichnet das Migrationsrecht derzeit ein furchteinflößendes Bild: Von den europäischen „Hotspots“ und „regionalen Ausschiffungsplattformen“ über den „atmenden Deckel“ bis hin zu „Transitverfahren“ mit Nichteinreisefiktion scheint der politisch-juristischen Phantasie zur begrifflichen Paradoxiebewältigung kaum eine Grenze gesetzt.

Eine weitere Stilblüte trieb der Anfang des Jahres zwischen CDU/CSU und SPD geschlossene Koalitionsvertrag: Aus den Forderungen nach einem „Fachkräftezuwanderungsgesetz“ (CDU/CSU) bzw. „Einwanderungsgesetz“ (SPD) wurde dort – fast schon folgerichtig – der Plan für ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“. Im Juli wiederum wurde im Koalitionsausschuss beschlossen, das Gesetzgebungsverfahren hierfür noch 2018 in Gang zu setzen. Auch dieses Vorziehen des Projekts war Ergebnis eines Kompromisses – nämlich ein Zugeständnis an die SPD für deren Zustimmung zur Einrichtung von „Transitverfahren“ an der deutsch-österreichischen Grenze, für die Bundesinnenministers Horst Seehofer damals fast die Koalition hatte platzen lassen.

Ziele und Kernpunkte des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes

Am 19. Dezember, zum letztmöglichen Zeitpunkt 2018, beschloss das Bundeskabinett nun den Entwurf für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Doch was sieht dieser eigentlich vor und wird er tatsächlich den mit dem Namensbestandteil „Einwanderungsgesetz“ verbundenen Assoziationen – Hoffnungen der einen, Befürchtungen der anderen – gerecht? 

Ausgangspunkt des Gesetzes ist die Diagnose eines Fachkräftemangels auf dem deutschen Arbeitsmarkt, der derzeit 1,2 Mio. offene Stellen aufweist. Der Mangel betreffe bei weitem nicht mehr nur akademische Berufe, sondern auch solche, die eine Berufsausbildung voraussetzen. Der Bedarf sei weder durch inländische Arbeitnehmer, noch Unionsbürger zu decken, so dass das neue Gesetz eine gesteuerte Steigerung der Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten ermöglichen soll.

Folglich regelt der Gesetzentwurf im Kern eine weitgehende Gleichstellung von Fachkräften mit akademischer und solchen mit einer Berufsausbildung. Während bislang nur Bildungsinländer, Akademiker und Personen mit einer Ausbildung in einem sog. Engpassberuf Aufenthaltstitel erhalten, sollen künftig alle Ausländer mit einer anerkannten qualifizierten (d.h. mindestens zweijährigen) Berufsausbildung ein Aufenthaltsrecht erhalten können. Der Inländervorrang wird für alle diese (akademische wie nicht-akademische) Fachkräften – nicht aber insgesamt – abgeschafft. Voraussetzung ist dabei weiterhin grundsätzlich ein Arbeitsvertrag, das vieldiskutierte Punktesystem nach kanadischem Vorbild soll es also auch künftig nicht geben.

Allerdings wird es Möglichkeiten geben, auch vor Abschluss eines Arbeitsvertrags ein Visum zu erhalten: Fachkräfte mit anerkannter ausländischer Berufsausbildung und passenden Deutschkenntnissen sollen für sechs Monate zur Arbeitsplatzsuche einreisen dürfen. Bislang ist dies nur Akademikern möglich. Auch soll der Aufenthalt für sog. Anpassungsqualifizierungen für Personen mit abgeschlossener, aber noch nicht als mit einer deutschen Ausbildung gleichwertig anerkannter ausländischer Ausbildung erleichtert werden. Analog der bisherigen Norm für einen Aufenthaltstitel zur Studienplatzsuche soll eine neue Rechtsgrundlage zudem die Einreise auch zur Suche nach einem Ausbildungsplatz ermöglichen. Allerdings wird der Anwendungsbereich der Norm durch sehr hohe Hürden eingeschränkt: Unter anderem darf der Ausländer höchstens 24 Jahre alt sein, muss deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2 des europäischen Referenzrahmens nachweisen, seinen Lebensunterhalt sichern und entweder eine deutsche Auslandsschule besucht haben oder einen Schulabschluss mit deutscher Hochschulzugangsberechtigung erworben haben.

Daneben sieht der Gesetzentwurf eine interessante und nicht unproblematische institutionelle Veränderung vor: Für Fachkräfte und ihre Arbeitgeber soll es künftig ein eigenes beschleunigtes und „serviceorientiertes“ Verfahren zur Erteilung des Aufenthaltstitels geben. Zuständig hierfür sollen nicht mehr die jeweiligen Ausländerbehörden in den Landkreisen, sondern neu zu errichtende zentralisierte Landesbehörden sein. Der Grund liegt auf der Hand: Im Referentenentwurf wurde noch die pointierte Kritik einer Studie zitiert, welche die bisherige Entscheidungspraxis der Ausländerbehörden als häufig „intransparent und willkürlich“ (S. 113) bezeichnete – was das federführende Innenministerium auf den lautstarken Protest der Kreise hin in der Begründung zum Kabinettsentwurf in der Wortwahl, nicht aber in der Sache, entschärft hat. Weitaus problematischer erscheint freilich, dass mit der institutionellen Ausgliederung der Fachkräftemigration die bereits seit Jahren zu beobachtenden Tendenzen der Überdifferenzierung und Etablierung eines Zwei-Klassen-Aufenthaltsrechts fortgeschrieben und formalisiert werden.

Die ausgelagerten Duldungsfragen

Soviel zunächst zum Entwurf für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Noch auf der Zielgeraden der Fertigung des Entwurfs entschied man sich dafür, die ursprünglich im selben Gesetz vorgesehenen Neuregelungen zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung in ein eigenes „Beschäftigungsduldungsgesetz“ auszulagern, um so Kritiker eines sog. „Spurwechsels“, also einer Verschränkung von Asyl- und Erwerbsmigration zu besänftigen. Dabei erscheinen die Regelungen ohnehin kaum geeignet, neue Anreize zur unerlaubten Einreise und Stellung eines Asylantrags zu setzen: Während die Möglichkeit, trotz gescheiterten Asylverfahrens ein Bleiberecht über eine qualifizierte Berufsausbildung zu erlangen („Ausbildungsduldung“) punktuell um sog. Helfertätigkeiten erweitert werden soll, wird in künftigen Fälle die – oft schwierige – Identitätsklärung innerhalb von sechs Monaten nach Einreise zwingende Voraussetzung für die Erteilung einer solchen Duldung sein. Außerdem bleibt den Ausländerbehörden ein weiter Spielraum zur Verhinderung einer Duldungserteilung durch Einleitung von Abschiebungsmaßnahmen. Weitere Ausschlusstatbestände, speziell für Migranten aus sog. sicheren Herkunftsstaaten, hat David Werdemann in seinem Verfassungsblog-Beitrag bereits kritisch diskutiert.

Daneben sieht der Gesetzentwurf analog zur Ausbildungsduldung die Einführung einer Beschäftigungsduldung vor. Deren Erteilung setzt freilich neben der Identitätsklärung erhebliche, kaum zu erfüllende Kriterien voraus: So müssten Betroffene seit mindestens 18 Monaten eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von mindestens 35 Wochenstunden nachgehen , eine ausreichende Lebensunterhaltssicherung für die Gegenwart und die vergangenen 12 Monate sowie deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 nachweisen. 

Einschätzungen

Die Ausgestaltung der Beschäftigungsduldung ist symptomatisch für beide Gesetzesvorhaben: Mit ihr wird zwar einerseits dem Namen und ersten Anschein nach eine langjährige Forderung liberaler Kräfte (in diesem Fall nach Ermöglichung eines „Spurwechsels“) verwirklicht, tatsächlich aber durch die konkrete Ausgestaltung derart verwässert, dass sie wohl weitgehend ins Leere laufen wird („Kann Spuren eines Spurwechsels enthalten“ wäre der richtige Warnhinweis für das Gesetz) und zudem als Projekt vorerst als „verbraucht“ erscheint. 

Dies gilt in ganz ähnlicher Weise auch für den Namensbestandteil „Einwanderungsgesetz“: So muss man konstatieren, dass die ursprünglich von CDU/CSU präferierte Formulierung „Fachkräftezuwanderungsgesetz“ den Geist des Gesetzesentwurfs besser getroffen hat, stellt dieser doch im Wesentlichen eine Fortschreibung der Logik des Zuwanderungsgesetzes von 2005 dar, nicht aber das mit dem Begriff „Einwanderungsgesetz“ seit Jahrzehnten verbundene Projekt der Schaffung einer normativen Grundlage einer sich als solche affirmierenden deutschen Einwanderungsgesellschaft. Hierzu hätte es tiefgreifender substantieller Änderungen statt halbherzigen Stückwerks bedurft: eines klaren Bekenntnisses zu grundrechtlichen Bindungen und der internationalen Zusammenarbeit in allen Bereichen des Migrationsrechts (statt der Benennung rein ökonomisch-utilitaristischer Zielsetzungen), einer Einhegung von Ermessenstatbeständen, der Möglichkeit der Anerkennung nicht-formaler Berufsqualifikationen (jenseits der im Entwurf aufgeführten IT-Branche), einer Revision der überstrengen Regelungen über das Erlöschen von Aufenthaltstiteln durch sechsmonatige Ausreise, um nur einige überfällige Anpassungen zu nennen. Insofern ist fast noch interessanter als das was in den Gesetzentwürfen steht, dasjenige was – trotz des gesetzten Scheins – nicht darin zu finden ist.

Langfristig vermutlich von größter Bedeutung wäre aber ein anderer symbolischer Akt gewesen: eine Umbenennung des Aufenthaltsgesetzes in „Einwanderungsgesetz“ (vgl. so auch den alternativen Entwurf der Grünen). Denn hiermit wäre tatsächlich ein (an Alteingesessene und Neuankommende gleichermaßen gerichtetes) Signal für einen Paradigmenwechsel von in der Tradition der „Ausländerpolizei“ stehender Kontrolle eines vorübergehenden Aufenthalts hin zur Gestaltung von grundsätzlich auf Dauer angelegter Immigration gesetzt worden. Aber für eine solchermaßen realistische und selbstbewusste Gestaltung der eigenen gesellschaftlichen Zukunft fehlte offensichtlich der politische Wille oder zumindest Mut. Ein umfassendes und diesen Namen verdienendes „Einwanderungsgesetz“ ist auch Ende 2018 in Deutschland für viele noch ein Tabu.  Dabei könnte ein Blick in das Grundgesetz eigentlich helfen. Dort ist zu lesen, dass der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz besitzt für die Regelung der „Ein- und Auswanderung“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG). Da also schon die Mütter und Väter des Grundgesetzes ein Einwanderungsrecht als Materie voraussetzten, erstaunt es umso mehr, dass sich an der Umsetzung ihres Auftrags rund 70 Jahre später noch immer Kontroversen entzünden.


4 Comments

  1. HB Mon 24 Dec 2018 at 11:45 - Reply

    Bitte das »d« in der Überschrift bei Wort Fachkräfteeinwan(d)erung einfügen.

    • Maximilian Steinbeis Mon 24 Dec 2018 at 11:47 - Reply

      Danke und bitte um Entschuldigung, ist erledigt.

      • HB Mon 24 Dec 2018 at 11:56 - Reply

        Danke; im Link fehlt das d ebenfalls, ist aber angesichts der bereits erfolgten Verlinkung vernachlässigbar.

        Ich wünsche Ihnen und allen Autoren ein schönes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. Danke für eure Arbeit.

  2. Ulrich Reinhardt Sat 12 Jan 2019 at 12:40 - Reply

    Ich kann dem nur zustimmen dass wir dringend ein umfassendes Einwanderungsgesetz benötigen, welches insbesondere klar zwischen Einwanderern und Flüchtlingen unterscheidet und für beide jeweils klar getrennte Rechtswege vorsieht. Wer als Flüchtling hierher kommt und Asyl beantragt soll dieses erhalten, aber eben dann mit seinem Asylantrag kein Einwanderer sein, sondern ein Flüchtling. Diese klare Unterscheidung und Trennung wäre wesentlich und würde die hierher kommmenden Menschen dazu zwingen, sich für das eine oder das andere eindeutig zu entscheiden.

    Eine solche Entscheidung würde dann dazu führen, dass derjenige welcher hier als Flüchling Aufenthalt, Schutz, Unterkunft, Essen usw. erhält nicht nach Deutschland einwandern kann. Dazu müsste er die Bundesrepublik zuerst wieder verlassen. Umgekehrt müsste mehr Menschen die Einwanderung unter bestimmten Bedingungen ermöglicht werden, so dass die illegale Umgehung der Einwanderungshürden unter dem Deckmantel des Asylrechtes nicht mehr stattfindet.

    Die klare und eindeutige Trennung zwischen Einwanderung (welche für Deutschland absolut positiv wäre – wenn sie entsprechend gestaltet wird) und dem Schutz für Asylsuchende (in welchem wir ebenso nicht das tun was möglich wäre) müsste der wesentliche Kernpunkt des dringend notwendigen Einwanderungsgesetzes sein.

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