22 December 2009

Nach Kopenhagen: Staatendämmerung?

Kopenhagen war eine Zäsur. Das merkt man schon daran, dass keiner genau sagen kann, was für eine Zäsur. Die allgemeine Ratlosigkeit ist das stärkste Indiz dafür, dass etwas Neues anfängt, das sich mit unseren gewohnten Kategorien noch nicht greifen lässt.

Und nur weil Peter Sloterdijk das auch sagt, muss es nicht gleich falsch sein.

Der Neokonservativismus ist tot, gottseidank. Aber sein multilateralistisches Gegenmodell, scheint es, hat ihn nur wenige Monate überlebt. Die Regierungen von 193 souveränen Staaten nach einem Konsens suchen zu lassen, wie man am besten die Welt rettet, ist offenbar auch keine so gute Idee.

Was dann? Eine supranationale Weltorganisation nach dem Vorbild der EU, mit Kommission und Gerichtshof, die den auseinanderstrebenden Mitgliedsstaaten Paroli bieten können? Wenn wir 20 Jahre Zeit hätten, etwas derartiges wachsen zu lassen, wie bei der WTO – vielleicht. Ansonsten wünsche ich viel Vergnügen beim Versuch, China und die USA zu überreden, sich einem solchen supranationalen Regime per Vertragsschluss zu unterwerfen. Wenn das gehen würde, dann wäre Kopenhagen auch gegangen.

Ein Inside-Deal des Clubs der Mächtigen statt einer UN-Lösung? Auf den ersten Blick ganz plausibel, da ja die G20 das Problem zum allergrößten Teil verursachen und damit auch lösen könnten. Aber die Gleichheit aller Staaten als Völkerrechtssubjekte könnten wir dann in der Pfeife rauchen, sie wäre als törichte Fiktion entlarvt und diskreditiert. Die Global-Governance-Zyniker, Hugo Chavez und die sudanesischen Völkermörder vorne dran, würden sich vor Hohngelächter ihre Wänste halten. “Some States Know Best” als neue Völkerrechtsdoktrin. Trauen wir uns das?

Oder wird an die Stelle der überforderten Staaten irgendetwas anderes treten? Das Internet, die Zivilgesellschaft, die Bruderschaft aller billig und gerecht Denkenden? Die Echtzeitvernetzung der Welt ist auch eine Zäsur und schafft Möglichkeiten politischer Organisation, die alles bisher Gekannte hinter sich lässt. Wenn man mühelos zu jeder Zeit und überall auf der Welt Interessenschnittstellen identifizieren und Gleichgesinnte mobilisieren kann, dann verändert das in der Politik alles. Aber hilft das auch gegen das Misstrauen, aufs Kreuz gelegt zu werden und womöglich der einzige Idiot zu sein, der sich an die Regeln hält, während alle anderen sich bereichern? Wer sorgt im Netzwerk für Compliance? Wenn keine Polizei da ist und keiner Zwang ausübt, ist dann genügend Gewähr da, dass alle mitmachen? Und wenn nein, macht dann überhaupt jemand mit?

Ich weiß es nicht. Und bin gespannt darauf, es zu erfahren. Man kriegt zwar schon gelegentlich ganz schön das Gruseln in diesem Post-Kopenhagen-Moment am Ende des Jahrzehnts und am Anfang des Jahrhunderts. Aber irgendwie ist es auch toll, in derart spannenden Zeiten zu leben.

Ich mache jetzt jedenfalls erstmal Blog-Pause bis nach Neujahr. Dann, im neuen Jahrzehnt, sehen wir weiter.


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