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01 October 2019

Kommunikations­adressen als digitale Rechtssubjekte

Die Rechtswissenschaft hat schon seit langem unter dem Stichwort “Legal Tech” einen sehr weiten und kaum eingrenzbaren Gegenstandsbereich von großer Heterogenität diskutiert (vgl. Cornelius 2019 ((Cornelius, Kai. 2019. Autonome Softwareagenten im Verbandssanktionenrecht. In: ZRP 2019, 8.)), Sorge 2006((Sorge, Christoph. 2006. Softwareagenten. Vertragsschluss, Vertragsstrafe, Reugeld. Karlsruhe: Universitätsverlag.))). Dieser umfasst ein breites Spektrum an Phänomenen, die von big data über Algorithmen, künstliche Intelligenz und lernende Software bis hin zu autonomen Agenten reichen. Dabei geht es zum einen um verwaltungs­vereinfachende und assistierende Techniken, also Legal Tech im weitesten Sinne, oder Expertensystemen wie z.B. myright, Anwaltssoftware oder Programmen, die bei Bewährungsentscheidungen an Hand von automatisierten Rückfallprognosen eingesetzt werden (COMPAS, PSA u.ä.). Zum anderen stellen autonome, maschinelle Entscheidungsprozesse das Recht zunehmend vor Herausforderungen. Die empirischen Fälle umfassen etwa speed trading (Gruber 2016), smart contracts (Müller/Seiler 2019) und neuerdings unter Umständen auch digitale Rechtsprechung (robot judges). Jedenfalls findet man solche Erwartungen in der Literatur, etwa mit Blick auf das bisweilen als “Chinas erstes Digitalgericht” oder als “virtuelles Gericht” bezeichnete Zivilgericht in Hangzhou (Lichtenstein/Ruckteschler 2017), bei dem es sich freilich wohl um ein herkömmliches Zivilgericht handeln dürfte, das für Online-Verträge zuständig ist und vor dem in komplett papierfreier elektronischer Form prozessiert wird. Mit weitergehenden Ambitionen geht der von der Regierung in Estland in Auftrag gegebene Robot Judge einher (Velsberg 2019). Hier handelt es sich zwar der Namensgebung zum Trotz eher um ein elektronisches Mahnverfahren, vergleichbar etwa dem deutschen automatisierten gerichtlichen Mahnverfahren, als um einen digitalen Subsumtionsautomaten, der komplexe Lebenssachverhalte juristisch auszulegen im Stande wäre. Die mit der Entwicklung der Software einhergehenden Ambitionen beziehen sich aber ausdrücklich auf eine geplante Ausweitung auf andere Bereiche der Rechtsprechung (Velsberg 2019).

Spannend ist an diesen Beispielen weniger die Frage, wie weit deren technische Umsetzung im Einzelfall vorangeschritten ist, als vielmehr der Umstand, dass die Rechtsdogmatik und die Rechtstheorie die Entwicklung früh aufgegriffen haben und aufmerksam beobachten. Sie eilen damit, wie noch zu diskutieren sein wird, der Soziologie voraus und stellen diese vor Herausforderungen.

Autonomie, Verbund, Vernetzung

Gunther Teubners Aufsatz überzeugt mich als Rechtssoziologen vor diesem allgemeinen Hintergrund insbesondere deshalb, weil er das große und aktuelle Thema differenziert und umfassend angeht. Das Konzept der partiellen Rechtssubjektivität in den von ihm behandelten drei Formen – Autonomie, Verbund, Vernetzung – erscheint aus der Perspektive der Rechtssoziologie ausgesprochen plausibel.

Im Kapitel über die Autonomie dann die Handlungsfähigkeit in Parallele zu Organisationen als Principal-agent-Problem auszuflaggen und weg von ontologischen Annahmen über Menschen auf eine Kette von Mitteilungen zu verlegen, also eine Entpsychologisierung der rechtlichen Anknüpfungspunkte zu vollziehen, das hat aus soziologischer Perspektive geradezu etwas Zwingendes. Man könnte allenfalls überlegen, statt von mehrdimensional gradualisierter Autonomie eher von Modalitäten der Autonomie zu sprechen, da sich im Gradualisierungsbegriff Skalenprobleme verstecken. Zugleich wird dabei aber auch die Nähe zum soziologischen Thema “Inklusion” deutlich, die man als modal ausgeprägte Form der kommunikativen Adressierbarkeit definieren kann (Bora 2002((Bora, Alfons. 2002. „‚Wer gehört dazu?‘ Überlegungen zur Theorie der Inklusion“. In Theorie der Politik, herausgegeben von Kai-Uwe Hellmann und Rainer Schmalz-Bruns. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 60–84.))).

Eine weitere soziologisch relevante Einsicht betrifft den Aspekt der Handlung. Häufig wird ja die Auffassung vertreten, dass immer die Menschen “letztlich” die Entscheidungen träfen und nie die Algorithmen. Daher liest man mit umso größerer Zustimmung die Passage über die digitalen Verträge in Teubners Aufsatz. Es ist geradezu eine kollusive Beziehung zwischen Programmierer, Programm und Betreiber, welche die Verantwortung (und damit dann auch die Haftung für Störungen in den Rechtsbeziehungen) im Programm bzw. Algorithmus zum Verschwinden bringt und der Dogmatik damit Schwierigkeiten zu bereiten droht – alle “handeln” ja unter Beachtung aller jeweils für sie relevanten Sorgfaltspflichten. Es sei denn, man entschließt sich auf die Software zu attribuieren und anzuerkennen, dass im Kommunikations- und Entscheidungsprozess selbst ‘agency’ und ‘adressability’ liegen, und sie damit rechtstheoretisch und ‑dogmatisch zu einer kommunikativen Adresse zu machen, wie Teubner es hier vorschlägt.

Beim Thema “Verbund und Vernetzung” schließlich zeigt sich meines Erachtens besonders deutlich, dass es am Ende um die Frage der Letzt-Adressierbarkeit (‘ultimate addressability’) geht, also darum, wo die “Quelle” rechtlich relevanter Operationen liegt (Bora 2016). Die jahrhundertelang bewährte Antwort liegt in Begriffen des Subjekts, des Willens, der Person. Die meisten der eingangs erwähnten rechtswissenschaftlichen Debatten kommen nicht ohne Annahmen über das Wesen “des” Menschen, dessen Autonomie und die Vorstellungen eines freien Willens aus (so im Ergebnis etwa auch die aktuelle Arbeit von Chinen 2019). Teubner erinnert uns allerdings mit seinem Beitrag über die “digitalen Rechtssubjekte” daran, dass solche Topoi mit der Zeit problematisch geworden sein könnten. Die Philosophie hat spätestens seit Nietzsche die Figur menschlicher Willensfreiheit als letzten Zurechnungspunkt für rechtliche und moralische Verantwortungszuschreibung ernsthaft in Frage gestellt. Neuere entwicklungs­psychologische und (neuro-)biologische Forschungen scheinen diese Zweifel zu unterstützen. Auch in der Rechtstheorie ist die Frage durchaus diskutiert worden; so hat etwa Kelsen den Personenbegriff entzaubert und als eine in der Reflexionstheorie des Rechts konstruierte Figur aufgefasst (Kelsen 2000, S. 193: “Person ist “eine Konstruktion der Rechtswissenschaft”, vgl. auch Altwicker 2015). Das Recht erzeugt in seiner Reflexion also erst die “Personalisierung”, die es in seinen Operationen voraussetzt.

Personifizierung

Was bedeutet diese “Personifizierung” aus der Perspektive der Soziologie im Allgemeinen und der Rechtssoziologie im Besonderen? Die allgemeine Soziologie hat das Thema bislang nur sehr zaghaft aufgegriffen (vgl. Esposito 2017, Überblick in Muhle 2019). Kommunikationstheoretisch konsequent geht erstmals Florian Muhle (2019) vor, dessen überzeugende Kritik früherer, im Kern essentialistischer Ansätze zu einer Sichtweise führt, die mit Teubners Thesen über weite Strecken konvergiert.

Gegenüber der Actor-Network-Theory wendet Muhle ein, sie propagiere ein sozialtheoretisch wenig aussagekräftiges Konzept, das den selbst vorausgesetzten Akteur-Begriff inhaltsleer lasse. Der Sozialkonstruktivismus Bergers und Luckmanns hingegen mache den Begriff des Sozialen abhängig von der Fähigkeit “von Lebewesen zum kommunikativen Handeln” (151). Smart contracts und ähnliches wären mit diesem Konzept nicht beschreibbar. Beide Ansätze, so Muhle, setzen also Menschen ins Zentrum der Analyse, “die ihre Umwelt vor dem Hintergrund ihrer anthropologischen Eigenschaften auf der einen Seite und bestehenden gesellschaftlichen Deutungsmustern auf der anderen Seite deuten.” (153) Sie hypostasieren damit eine “asymmetrische Ausgangsposition, in der bereits konzeptuell (…) vorentschieden ist, welche Entitäten unzweifelhaft als soziale Akteure gelten …” (ebd.).

Aber auch pragmatistische Ansätze helfen nach Muhles Auffassung nicht weiter. Sie setzen, wie er sagt, auf einen gradualisierten Handlungsbegriff und bezahlten dafür den Preis eines kaum kaschierten Substantialismus, einer unklaren Kriteriologie des Handlungsbegriffs sowie einiger methodischer Probleme (155). Muhles Schlussfolgerung überzeugt aus soziologischer Sicht durchweg:  Nur die Kommunikation kann “personifizieren”, also die als willens- und handlungsfähige Akteure ausgestalteten Zurechnungsadressen des kommunikativen Operierens erzeugen. “Personifizierung ist als ein Prozess zu verstehen, in dem Kommunikation Zurechnungspunkte für Mitteilungen errechnet.”(155)  “Personen sind demnach nicht leibliche Menschen, sondern kommunikative Konstruktionen bzw. Erwartungsbündel, durch die Kommunikation Halt in ihrer Umwelt gewinnt …” (156.) Diese Einsicht geht dann in rechtssoziologischer Sicht über Kelsens reflexionstheoretische Konstruktion hinaus: Nicht die Rechtswissenschaft erfindet die Zurechnungssubjekte, sondern die kommunikative Praxis erzeugt diese im Vollzug.

Wenn damit der (rechts-) soziologische Kern der kommunikationstheoretischen Sichtweise umrissen ist, bleibt noch die Frage, wie man sich Muhles “Personifizierung” genau vorzustellen hat. Hier sind seine Antworten vielleicht etwas zu vage. Der Umgang mit doppelter Kontingenz provoziere gewissermaßen mitgeteilte Erwartungs-Erwartungen, die in der Kontingenzformel der Person aufgingen. Das überzeugt vor allem im Hinblick auf die soziologische Systemtheorie (Luhmann 1995((Luhmann, Niklas. 1995. Die Form “Person”. In: Ders. Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch. Opladen: Westdeutscher Verlag, 142-154.))). Allerdings kommt der Aspekt der sozialen Adresse bzw. der “Autorschaft” etwas zu kurz, also die in der kommunikativen Praxis immer schon mit erzeugte Antwort auf die Frage, wer etwas mitteilt, auf welchen Punkt in der Welt mit anderen Worten eine Kommunikation letztlich zurechenbar ist.

Deixis

Diese kommunikative Aufgabe, so will ich im Folgenden noch kurz erörtern, wird in jeder Erwartungsmitteilung immer schon mit gelöst, vornehmlich in Gestalt von Deixis und Indexikalität, etwa im Gebrauch von Personal- und Possessivpronomen, die als so genannte Shifter fungieren und Letztadressierbarkeit erzeugen. Wenn man sich fragt, welche kommunikative Funktion Personalisierungen haben, welches Problem sie in der Kommunikation lösen, so geht es offenkundig nicht um präsupponierte Subjekteigenschaften. Kommunikationen sind als operative Selektionen von Information, Mitteilung und Anschlussselektion auf derartige Theoriesedimente nicht angewiesen. Vielmehr, so kann man vermuten, liegen dahinter Paradoxievermeidungen, die mittels der Figur einer “ultimate addressability” erzeugt werden.

(Sozio-)Linguistik und Kommunikationstheorie können bei dieser Frage, mit welchen Mitteln Kommunikationen Adressen erzeugen, entscheidend weiterhelfen. Dabei fällt insbesondere die Rolle der Deixis und hier wiederum die besondere Funktion von so genannten “Shiftern” als sprachlichen Mitteln von Deixis ins Auge. Als Shifter bezeichnet man sprachliche Ausdrücke, die ihren Referenten beim Wechsel des Sprechers ändern (Jakobson 1971((Jakobson, Roman. 1971. Shifters, verbal categories, and the Russian verb. In: Ders., Selected Writings II, 130-147. The Hague: Mouton.)), Jespersen 1959((Jerspersen, Otto. 1959. Language: Its Nature, Development and Origin. London: Allen and Unwin.)), Fludernik 1991, 214((Fludernik, Monika. 1991. Shifters and Deixis. Some Reflections on Jakobson, Jespersen, and Reference. In: Semiotica 86, 193-230.))). Typischerweise geschieht dies an den Turn-Taking-Stellen in der mündlichen Interaktion (ebd. 222). Hier fungieren Shifter gewissermaßen als sprachlicher Ausdruck einer (Letzt-) Adresse, und zwar als sprachliche Errungenschaft unabhängig von menschlichen Subjekten: “… the position of the addressee, as of a third person, – a potential addressee and speaker – is a linguistic construct projected by langugage and not necessarily filled by the actual presence of ‘alien’ (alius/alienus) subjects” (Fludernik 1991, 219). Shifter symbolisieren die nicht mehr hintergehbare Position eines Sprechers, die man herkömmlich als Subjektivität bezeichnet (ebd. 222).

Shifter sind ein wesentlicher Aspekt von Deixis in der Interaktion. An der Schnittstelle von Sprache und Wahrnehmung wird die Situiertheit der Kommunikation hergestellt (Hausendorf 2003, 263ff.((Hausendorf, Heiko. 2003. Deixis and speech situation revisited. In: Lenz, Friedrich (ed.), Deictic Conceptualisation of Space, Time, and Person. Amsterdam: J. Benjamins, 249-269.))) Deixis hebt mit sprachlichen oder gestischen Mitteln etwas als kommunikativ relevant hervor, das auf sinnlicher Wahrnehmung beruht. Solche, auf gleichzeitige wechselseitige Wahrnehmbarkeit (“perceived perception”, Hausendorf 2003, 259 f.) verweisende Deixis kann in der Mensch-Maschine-Kommunikation durchaus gegeben sein, jedenfalls zumindest im Ansatz (vgl. etwa hier). Soweit es um Interaktion, also um die Prämisse gleichzeitiger wechselseitiger Wahrnehmbarkeit geht, können Softwareagenten mit shiftern operieren, soweit sie die skizzierten deiktischen bzw. indexikalischen Sprechakte vollziehen. Nicht, ob sie einen Willen haben oder in dieser Hinsicht Menschen gleichen, ist dann die theoretisch interessante Frage, sondern ob sie als Adressen in Kommunikationen dergestalt das turn-taking übernehmen, dass mit dem Sprecherwechsel der oben skizzierte basale Referenzwechsel (shift) eintritt.

Netzwerkförmige Kommunikation

Die Juristen haben aber auch die weitaus komplexere Situation organisatorischer oder netzwerkförmiger Kommunikation im Blick, die nicht unter der Bedingung von Anwesenheit abläuft. Teubner spricht vernetzte Multi-Algorithmen-Systeme an, autonome Softwareagenten, deren Operationen in Begriffen von Interaktion beschrieben werden können. Lassen sich die soziologischen und linguistischen interaktionstheoretischen Konzepte auch insoweit anwenden? Anhaltspunkte finden sich zunächst in linguistischen Theorien schriftlicher Kommunikation. Auch hier erzeugen sprachliche Mittel jedenfalls ein Minimum von Deixis. In schriftlichen Kommunikationen finden sich beispielsweise mit der Verwendung von Personal- und Possessivpronomen deiktische Elemente, die in gleicher Weise wie in der Interkation als Shifter fungieren, auch wenn in der Schriftkommunikation der Autor nicht benannt werden muss, sondern in der Regel als bekannt vorausgesetzt werden kann. Hier markiert Deixis einen auf den Text orientierten Verweisraum und erzeugt damit so etwas wie “Lesbarkeit”. Der andere muss unterstellen können, dass es so etwas wie Autorschaft gibt. Erleichtert wird das durch die deiktischen Ausdrücke, weil sie einen Schreibenden gewissermaßen “lesbar” machen (Hausendorf et al. 2017, 229ff.((Hausendorf, Heiko, Wolfgang Kesselheim, Hiloko Kato und Martina Breitholz. 2017. Textkommunikation: ein textlinguistischer Neuansatz zur Theorie und Empirie der Kommunikation mit und durch Schrift . Berlin und Boston: de Gruyter.))).

Aus meiner Sicht spricht insofern wenig dagegen, von shiftern auch in nicht-mündlicher Kommunikation auszugehen, also jenseits der durch gleichzeitige wechselseitige Wahrnehmbarkeit gekennzeichneten Interaktion, etwa auf der Ebene von Funktionssystemen. So hat Luhmann beispielsweise die Funktionsweise der Geltung-Semantik in den Kommunikationen des Rechtsystems als Shifter bezeichnet (Luhmann 1993, 101ff.((Luhmann, Niklas. 1993. Das Recht der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.))) Geltung bearbeitet das Paradoxieproblem, das früher mit dem Begriff der Rechtsquelle belegt war und das den Übergang von einem Rechtszustand in einen anderen auf der operativen Ebene symbolisiert, also die Einheit der Differenz eines vorher und nachher geltenden Rechtszustandes (102). Geltung symbolisiert Systemzugehörigkeit (103). Sie ist selbst keine Norm, denn Recht “soll” nicht gelten, es gilt. Daher kann das Recht sich ändern, ohne gegen eine Norm zu verstoßen, solange es Geltung beanspruchen kann (105). Das Symbol der Geltung bewirkt Anschlussfähigkeit im System als ein zirkulierendes Verknüpfungssymbol, das seine Referenz situationsabhängig wechselt und damit in seiner Funktionsweise und Wirkung als Shifter bezeichnet werden kann (107.) Ganz offenkundig trifft dieser Gedanke eines Symbols, das sich nur auf den Prozess bezieht, der es benutzt, und deshalb situativ seine Referenz wechselt auf rechtskonstituierende wie rechtsändernde Entscheidungen zu, also auf Gesetzgebung, Rechtsprechung und ebenso auf private Rechtsgestaltung durch Verträge. Person, Willenserklärung und Geltung sind damit, wie mir scheint, auf der Ebene ihrer kommunikativen Funktionen im Begriff des Shifters in Gestalt einer Zurechnungsadresse aufs Engste miteinander verbunden.

Autorenschaft

In analoger Weise lässt dann die Frage der Autorschaft in Kommunikationen unter Beteiligung von Algorithmen beantworten, nämlich mit der Einsicht, dass Autorschaft nicht durch Ingenieure und deren Versuch, “menschenähnliche” Maschinen zu bauen, erzeugt wird, sondern durch die Kommunikation selbst. Für die (Rechts-) Theorie hat das womöglich zur Folge, dass sie in Betracht ziehen könnte, von Subjektivität und Willen abzusehen und auf die formale Struktur der Kommunikation zu setzen, in welcher die Frage, ob etwas auf eine Letztadresse im Sinne der klassischen personalen Autorschaft zugerechnet werden kann, an Hand der mit shiftern oder sonstigen deiktischen/indexikalischen Mitteln hergestellten “Lesbarkeit” beantwortet wird.

Worin entsprechende Zurechnungspunkte in rechtsdogmatischer Hinsicht zu suchen wäre, mag im Detail noch umstritten sein. Wann sollen wir eine Mitteilung auf eine Instanz zurechnen, bei der folglich auch alle möglichen (Haftungs-) Risiken sich ansammeln werden? Ob kommunikative Operationen/Züge diese Funktion übernehmen könnten, müsste der Fortgang der juristischen Debatte zeigen, bei der ich eher ein interessierter Zuschauer bin. Mit Blick auf die Rechtssoziologie jedoch scheint mir Teubners Aufsatz den Weg zu weisen, den auch eine soziologische Theorie des Rechts gehen könnte. Aus diesem Grunde stellt der Text argumentativ einen mutigen Schritt, der, soweit ich das beurteilen kann, die juristische Debatte mit innovativen Vorschlägen anreichert, der aber vor allem auch die (Rechts-)Soziologie mit der Frage konfrontiert, was sie an dieser Stelle zur rechtstheoretischen Begriffsbildung beitragen kann – die Frage nach ihrer interdisziplinären Relevanz also. Die Soziologie hat sich, wie ich kurz angedeutet habe, mit dem “Akteurstatus” von Maschinen und Algorithmen ebenso wie nach deren Handlungsfähigkeit verschiedentlich befasst, kommt allerdings nur mit Mühe über die subjektphilosophischen Hürden hinweg. Und an dieser Stelle könnte man dann mit Teubner über Teubner hinaus etwa folgendermaßen argumentieren:

Ultimate Addressability

Was die ultimate addressability von Teubners anonymer Matrix betrifft, so scheint mir der Begriff der “Handlung” eher problematisch, soweit Handlung die Zurechnung auf einen Akteur meint. Genau davon ist jedenfalls in einem Teil der diskutierten Fälle nicht mehr auszugehen. Die Rechtskommunikation konstruiert Fluchtpunkte (Bora 2016), macht aber nicht den Kommunikationsfluss zu einem Kollektivakteur. Die Metapher des Fluchtpunkts bezeichnet ein kommunikatives Konstrukt, mit dessen Hilfe Kommunikationen eine komplexe, multidimensionale und kontingente Welt gleichsam “zweidimensional” erfassen, eben wie die perspektivische Zeichnung, in der die dreidimensionale Welt mit Hilfe von Fluchtpunkten in zwei Dimensionen dargestellt wird. Die Letztadressierbarkeit vernichtet damit Kontingenz. So können Endlosverweisungen – beispielsweise in Gestalt von Kausalketten oder Verantwortungsexternalisierungen – angehalten werden. Hier helfen Menschen, Personen und Subjekte aus, solange eine autopoietische Rechtstheorie noch für anstößig gilt oder sich noch in statu nascendi befindet. Sobald ihre Konturen aber deutlich erkennbar werden, mag man auf solche Konstrukte dann auch in der Rechtstheorie und -dogmatik verzichten. Im Fall der von Teubner besprochenen Computer-Netzwerke kann man das gut nachvollziehen, weil dort die digitale Welt keine Anhaltspunkte für Zurechnung bereitstellt, auf denen das Recht aufbauen könnte. Dann schafft sich eben das Recht eigene Zurechnungsadressen, die sich bei genauerem Hinsehen als Fluchtpunkte herausstellen. Man könnte überdies vermuten, dass auf der operativen Ebene Zurechnung auf Letztadressen eine ähnliche Lösung von Kommunikationsblockaden bewirkt, wie dies sonst nur Externalisierungen, ultimate rules of recognition, Grundnormen und Geltungssymbole angesichts drohender rechtlicher Paradoxien vermögen. Vor diesem Hintergrund lässt sich dann auch soziologisch sehr gut nachvollziehen, wie es dem Recht gelingen kann, autonomen Algorithmen soziale und rechtliche Kommunikations- und Entscheidungsfähigkeit zuzuschreiben und die Mensch-Maschinen-Beziehung als Kommunikation im strengen Sinne zu bezeichnen.

Wenn man das sowohl aus der (rechts-)soziologischen als auch der juristischen Perspektive als Anstoß von theoretisch reflektierter Begriffsbildung nimmt, würde man vielleicht in Abwandlung von Teubners Schlusssatz sagen, Kernstück des digitalen Rechtsstatus sei es, Algorithmen als kommunikativen Letztadressen Rechtssubjektivität zuzuerkennen.



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