06 November 2019

Rechtsschutz gegen Verkehrsprojekte als Störfaktor einer Politik der maximalen Beschleunigung

Das Bundeskabinett hat am 6. November 2019 den Entwurf des Genehmigungsbeschleunigungsgesetzes beschlossen. Er benennt zwölf Pilotprojekte, die durch Maßnahmengesetze des Bundestages statt durch behördlichen Verwaltungsakt genehmigt werden sollen. In fünf Fällen geht es um den Ausbau von Wasserstraßen, wie z.B. die Vertiefung der Außenweser, und in sieben Fällen um ein Eisenbahnprojekt, u.a. den Ausbau der Strecke von Hof nach Obertraubling. Wesentliches Ziel des Gesetzentwurfs ist es, den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz und insbesondere die Umweltverbandsklage auszuschalten, die gegen einen Gesetzesbeschluss nicht zur Verfügung stehen. Diese Konsequenz ist weder verfassungs- noch europarechtskonform.

Kein OK aus Karlsruhe

Verfassungsrechtlich steht ganz offensichtlich die Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 4 GG im Vordergrund. Die Begründung des Gesetzentwurfs erkennt durchaus an, dass eine Planfeststellung durch Gesetz zu einer „Minderung des gerichtlichen Rechtsschutzes“ führt. Zur Rechtfertigung verweist der Gesetzentwurf auf ein Urteil vom 17. Juli 1996, in dem das Bundesverfassungsgericht das bisher einzige Maßnahmengesetz zur Genehmigung der Südumfahrung Stendal für verfassungskonform erklärte. Der zweite Senat hat damals einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 GG, Art. 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 3  und Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG verneint, weil eine Legalplanung ausnahmsweise dann zulässig sei, wenn die Durchführung einer behördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre. Eine solche Rechtfertigung sah es in diesem Fall darin, dass es sich um ein Teilstück der Schnellstrecke Hannover-Berlin handelte, das für den Aufbau der Verkehrsinfrastruktur nach der deutschen Einheit und damit für den Aufbau der Wirtschaft in den neuen Ländern von zentraler Bedeutung sei.

Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung nur am Rande erwähnt, dass die Legalplanung auch den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten effektiven Rechtsschutz schmälert. Es hat diesem Gesichtspunkt aber keine eigenständige Bedeutung beigemessen und ist dafür auch kritisiert worden. Art. 14 Abs. 3 GG stellt zwar eine Ausnahme zu Art. 19 Abs. 4 GG dar, weil er Enteignungen durch Gesetz ausdrücklich vorsieht und dagegen nur verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz möglich ist. Dabei geht es aber um eine Entscheidung mit einem oder wenigen Betroffenen, wie etwa im Fall der im Berliner Volksbegehren angestrebten Sozialisierung von Wohnungsunternehmen. Das Bundesverfassungsgericht könnte in einem solchen Fall ohne weiteres sowohl den Gemeinwohlzweck wie auch die Angemessenheit der Entschädigung überprüfen. Maßnahmengesetze, die einen Planfeststellungsbeschluss ersetzen, sind dagegen sehr viel komplexer. Enteignungen im Rahmen von Infrastrukturprojekten betreffen häufig Dutzende oder sogar Hunderte Personen. Wegen der zunehmenden Immissionen gibt es regelmäßig noch sehr viel mehr betroffene Nachbarn, denen ebenfalls Klagerechte zustehen. Schließlich sind auch Belange des von Art. 20a GG erfassten Naturschutzes zu beachten. Planfeststellungsverfahren sind folglich auch viel fehleranfälliger, was sich in der hohen Erfolgsquote der Verbandsklagen niederschlägt. Deshalb ist die schlanke Schlussfolgerung, dass wegen ihrer enteignungsrechtlichen Vorwirkung auch solche Maßnahmengesetze von Art. 14 Abs. 3 GG gedeckt werden und nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen, nicht überzeugend.

In zwei späteren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht jedoch die Bedeutung des Rechtsschutzes stärker akzentuiert und ist damit von der sehr pauschalen Ausnahme im Stendal-Urteil abgerückt. Im Urteil vom 17. Dezember 2013 über den Braunkohletagebau Garzweiler hat der erste Senat die Garantie effektiven Rechtsschutzes viel deutlicher hervorgehoben und moniert, dass ein Rechtsschutzkonzept, das den in ihren Rechten Betroffenen erst ganz am Ende des Verfahrens die erste Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet, nicht verfassungsrechtlichen Effektivitätsanforderungen entspricht. Hier ging es allerdings noch um eine administrative Planung.

Von zentraler Bedeutung ist ein auf den ersten Blick ganz anders gelagerter Fall, in dem es um die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts ging. Nach einer Vorschrift in der Bremer Landesverfassung erfolgte diese Entscheidung durch Gesetz, das im konkreten Fall aber abgelehnt wurde. Diese Vorschrift hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 30. Juni 2015 für nichtig erklärt, weil sie gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoße. In der Begründung verweist er zwar zunächst auf die Aussage des Stendal-Urteils, wonach das Parlament eine Verwaltungstätigkeit nur an sich ziehen darf, wenn hierfür im Einzelfall hinreichende sachliche Gründe bestehen. Es folgt dann aber ein eigener Abschnitt über das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes, das in diesem Fall über Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG unmittelbar im Rechtsstaatsprinzip verankert wird. Der Senat weist darauf hin, dass gegenüber Eingriffen, die unmittelbar durch den Erlass eines Gesetzes bewirkt werden, die Verfassungsbeschwerde der einzige mögliche Rechtsbehelf ist, während gegen Maßnahmen oder die Untätigkeit der Verwaltung sonst der jeweilige fachgerichtliche Rechtsweg offen steht. Die Verfassungsgerichtsbarkeit könne jedoch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle mit Blick auf Gesetze schon deshalb nicht gewährleisten, weil deren Prüfungsmaßstab auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt sei.

Zwar bezieht sich diese Aussage hier auf den Sonderfall eines Einpersonengesetzes. Es ist aber nicht einzusehen, dass das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes dann geringer gewertet werden kann, wenn nicht nur ein Adressat, sondern sehr viele betroffen sind. Ist es weniger wichtig, wenn etwa Landwirte ihre Betriebe verlieren, als wenn einer Religionsgemeinschaft bestimmte Privilegien verweigert werden? Vielmehr gilt dann erst recht, dass die eingeschränkte Prüfungskompetenz eines Verfassungsgerichts für die Beurteilung solch komplexer Verfahren völlig ungeeignet ist. Im Übrigen wird man im konkreten Fall selbst nach Kriterien des Stendal-Urteils bezweifeln, können, ob die ausgewählten zwölf Projekte so wichtig sind, dass sie eine Ausnahme rechtfertigen können. Hat die bessere Bahnanbindung der Oberpfalz wirklich das gleiche Gewicht wie eine der zentralen Achsen in die Bundeshauptstadt Berlin?

…und eine Absage aus Luxemburg

Ein weiterer Aspekt, der in der Begründung des Gesetzesentwurfs gar nicht erwähnt wird, ist die europarechtliche Problematik. Zwar nimmt Art. 1 Abs. 4 UVP-Richtlinie, gestützt auf Art. 2 Nr. 2 Aarhus-Abkommen, Projekte, die durch einen besonderen einzelstaatlichen Gesetzgebungsakt genehmigt werden, von ihrem Anwendungsbereich und damit auch von den Vorschriften über den Rechtsschutz aus. In den zwei Vorlageverfahren Boxus und Solvay aus Belgien hat der Europäische Gerichtshof diese Bestimmung (damals noch Art. 1 Abs. 5 UVP-Richtlinie) jedoch eingeschränkt. Er argumentiert, dass die Anforderungen an den Rechtsschutz jegliche praktische Wirksamkeit verlieren würden, wenn allein die Genehmigung eines Projekts durch einen Gesetzgebungsakt, Rechtsbehelfe ausschließen würde, mit denen die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit des Projekts angefochten werden könnte. Die Ausnahme für Maßnahmengesetze ist an die Voraussetzung geknüpft, dass die mit der Richtlinie verfolgten Ziele, einschließlich des Ziels der Bereitstellung von Informationen, im Wege des Gesetzgebungsverfahrens erreicht werden; deshalb müsse die Möglichkeit bestehen, diese Frage einem nationalen Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle vorzulegen oder sonst von einem nationalen Gericht im Rahmen seiner Zuständigkeit prüfen zu lassen.

Zwar lässt der EuGH offen, wie und von wem eine solche Prüfung erfolgen muss, weil er insofern den Mitgliedstaaten keine Vorgaben machen kann. Er macht aber klar, dass ein völliger Ausschluss des Rechtsschutzes allein durch die Wahl der Gesetzesform unzulässig ist. Dies wäre aber die Folge des Genehmigungsbeschleunigungsgesetzes, weil das einzig anrufbare Bundesverfassungsgericht nicht die Aufgabe hat, die Einhaltung der UVP-Richtlinie oder anderer EU-Rechtsakte im Bereich des Umweltrechts zu überprüfen. Auch europarechtlich ist also ein vollständiger Ausschluss verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht zulässig.

Ein fatales Signal für die Zukunft des Rechtsstaates

Wie kommt es, dass die Bundesregierung trotz dieser Einwände einen solchen Gesetzentwurf beschließt? Nachdem in der Folge von Stuttgart 21 eine Zeit lang die Verbesserung der Bürgerbeteiligung im Vordergrund der Debatten stand, ist die alte Politik der maximalen Beschleunigung von Infrastrukturprojekten wieder ganz in den Vordergrund getreten. Bereits das Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich vom November 2018 hat die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Rechtsschutz weiter zurückgedrängt. Nun soll das neue Gesetz den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz und insbesondere die bei vielen Verkehrspolitikern verhasste Verbandsklage beseitigen. Weil von Pilotprojekten die Rede ist, ist anzunehmen, dass weitere Maßnahmengesetze folgen sollen.

Fast schon grotesk ist die Behauptung des Entwurfs, es solle erprobt werden, inwieweit eine Genehmigung von Verkehrsprojekten durch den Deutschen Bundestag zu einer größeren Akzeptanz beiträgt. Wer kann denn im Ernst glauben, dass einige Bundestagsabgeordnete, die sich im Verkehrsausschuss neben vielen anderen Dingen mit diesen Projekten befassen werden, größeres Vertrauen genießen als eine Fachbehörde, die sich ständig mit Planungsverfahren beschäftigt? Der Ausschluss eines effektiven Rechtsschutzes entwertet vielmehr das vorhergehende Verfahren. Vor allem setzt er in einer Zeit, in der in anderen EU-Staaten die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt wird, ein fatales Signal für die Zukunft des Rechtsstaates in Deutschland.


One Comment

  1. Peter Camenzind Wed 6 Nov 2019 at 21:16 - Reply

    Im Eilrechtschutz beim BVerfG soll etwa eine Folgenabwegung bedeutsam sein können.
    Solche kann hier zu Gunsten gewichtiger Belange gegen ein solches Maßnahnmegesetz ausfallen, weil Rechtschutz sonst hier gegebenenfalls in ungenügender, geringerer Weise nur nachträglich erfolgen kann.
    Auf zügige Infrastrukturmaßnahmen können dagegen weniger vergleichbar gewichtige, subjektive rechtliche Belange streiten.
    Eine Verfassungsklage in der Hauptsache kann hier weiter etwa auf Art. 19 IV GG zu stützen sein.
    Dies soweit hier Rechtschutz für gewichtige, rechtliche Belange auf geringeren, nachträglichen Rechtschutz beschränkt ist, ohne dass dies genügend zu rechtferigen ist, wie eine Folgenabwägung zeigen kann.

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