29 August 2012

Mutterschaft zum Nachteil werden lassen ist Frauendiskriminierung

Wieder einmal hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber nach einem Versuch, ein früheres Urteil aus Karlsruhe umzusetzen, zurück an den Schreibtisch geschickt. Solche inkrementellen Annäherungen ganzer Regelungsmaterien an die Verfassungsmäßigkeit im Dialog zwischen Berlin und Karlsruhe wird immer mehr zur Übung, scheint mir.

Diesmal geht es um das Elterngeld für Ausländer: 2004 hatte der Erste Senat befunden, dass ein weniger verfestigter Aufenthaltstitel allein kein legitimer Grund ist, Ausländern das Erziehungsgeld vorzuenthalten.

Dabei hatte der Senat aber festgehalten, dass es schon legitim sei, solche Leistungen nur an Leute zu zahlen, die auch dauerhaft im Lande bleiben. Nur sei halt der Aufenthaltstitel kein tragfähiges Indiz dafür, wie lang jemand bleibt.

Prima, sagte der Gesetzgeber: Dann schränken wir das bisschen ein und dann passt das schon. Geduldete Flüchtlinge bekommen weiterhin dann kein Elterngeld, auch wenn sie eine Erwerbserlaubnis haben und länger als drei Jahre im Lande sind, wenn es an ihrer “aktiven Integration in den Arbeitsmarkt” fehlt. Wer nicht arbeitet, kriegt nichts.

Das, so der Erste Senat, ändert aber leider überhaupt nichts am bereits 2004 getroffenen Befund: Zu dem Ziel, diese Leistung nur dauerhaft hier lebenden Ausländern vorzubehalten, trägt das Kriterium, ob jemand arbeitet oder nicht, überhaupt nichts bei. Wer nicht in sein Heimatland zurück kann, bleibt hier, ob er arbeitet oder nicht.

Diskriminierung?

Juristisch interessant ist an der Entscheidung aber etwas anderes: Der Senat hat die betroffenen Regelungen nämlich nicht nur am allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG), sondern auch am speziellen Diskriminierungsverbot aus Art. 3 III 1 GG scheitern lassen: Hier werden ganz spezifisch Frauen wegen ihres Geschlechts diskriminiert.

Wie das? Das Gesetz unterscheidet weder ausdrücklich nach Frauen und Männern, noch knüpft es an ein Merkmal an, das faktisch überwiegend Frauen erfüllen. Es trifft Flüchtlinge, die nicht arbeiten – was hat das mit dem Geschlecht zu tun?

Das Geschlecht kommt ins Spiel, weil Mütter, anders als Väter, nach der Geburt überhaupt nicht arbeiten können bzw. dürfen. Und auch nach den acht Wochen Mutterschutz stillen sie eventuell ihre Kinder, und das schränkt sie in der Arbeit weiterhin ein:

Grundsätzlich müssen sich Mütter nicht entgegenhalten lassen, sie stillten ihr Kind freiwillig und hätten, wenn sie auf das Stillen verzichteten, (nach der Mutterschutzfrist) die gleichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen wie Männer. Dem steht Art. 6 Abs. 4 GG entgegen, der gerade auch stillenden Müttern während der durch die Mutterschaft bedingten Einschränkungen der Erwerbstätigkeit einen besonderen Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft gewährt.

Faktische Nachteile

Wenn es um faktische Auswirkungen von Gesetzen geht, ist sonst eigentlich erstmal Art. 3 II GG einschlägig: Männer und Frauen sind gleichberechtigt, heißt es dort, und dafür hat der Gesetzgeber zu sorgen, indem er Benachteiligungen von Frauen abschafft, wo er kann.

Das Verbot, nach dem Geschlecht zu diskriminieren, wirkt strikter: Eine solche Diskriminierung muss “zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur bei Männern oder Frauen auftreten können, erforderlich sein“, wie zum Beispiel das erwähnte Beschäftigungsverbot im Mutterschutz.

Um eine solche Diskriminierung soll es sich jetzt hier handeln: Die Benachteiligung der Frauen, so der Senat, sei

aufs Engste mit den rechtlichen und biologischen Umständen der Mutterschaft verbunden und kommt darum einer unmittelbaren Benachteilung wegen des Geschlechts besonders nahe.

Ich musste eine Weile auf der Nuss herumkauen, aber jetzt leuchtet mir das schon ein. Im ersten Schritt sagt die Regelung zwar Vätern wie Müttern gleichermaßen, ihr kriegt kein Elterngeld, wenn ihr nicht arbeitet. Aber im zweiten Schritt sagt sie Vätern, ihr müsst halt arbeiten, um Elterngeld zu kriegen, und Müttern sagt sie, Pech gehabt. Und ich kann nicht erkennen, warum der Gesetzgeber für diese diskriminierende Konsequenz seines Handelns nicht genauso Verantwortung übernehmen soll wie in Fällen, in denen die Diskriminierung sich direkt aus dem Gesetz ergibt.

Dogmatisch ist das sicher eine haarige Aufgabe, das sauber zu fassen, und dieser Aufgabe hat sich der Senat erkennbar nicht unterziehen wollen. Vielmehr lässt er ausdrücklich offen, wie es sich generell verhält mit dem Verhältnis von Art. 3 II und Art. 3 III 1.

Aber da soll sich mal eine kluge Doktorandin drüber hermachen, dann wird das schon.

Foto: Dennis Jarvis, Flickr Creative Commons


4 Comments

  1. tinitussi Sat 1 Sep 2012 at 07:48 - Reply

    Alles richtig. Nur, müsste man dann nicht eine ganz andere Ungerechtigkeit auch endlich mal beseitigen? Ich spreche von den Krankenkassenbeiträgen. Die sind nämlich immer bei Frauen höher als bei Männern, ganz offen wird mit dem Argument hantiert, dass man bei Frauen schließlich schon mal von mindestens einem Krankenhausaufenthalt ausgehen kann (Geburt des Kindes). Es ist eine Schande, dass wir die Kosten, die auf diesen biologischen Unterschied zurückgehen, auf die Frauen abwälzen und ihn eben nicht gesellschaftlich tragen.

  2. Jens Sun 2 Sep 2012 at 21:11 - Reply

    Wer war bei dem Urteil eigentlich Berichterstatter? Und wie findet man das heraus?

    Bei den Amis steht wenigstens “Justice … delievered the opinion of the court.” dabei, da weiß man, woran man ist …

  3. Johannes Wed 5 Sep 2012 at 15:53 - Reply

    @tinitussi.

    Es ist schon usus, dass die Kosten für Schwangere und Geburten auf beide Geschlechter gleichermassen kalkuliert werden.

    Die Kostenunterschiede, die es gibt kommen aus anderen Unterschieden; aber selbst dazu gibt es bereits das sogenannte Unisex-Urteil.

  4. tinitussi Tue 11 Sep 2012 at 11:06 - Reply

    ah, vielen dank für den Hinweis. Dann wissen wohl die Herrschaften bei den Versicherungen selber auch nicht bescheid… und das Unisex-Urteil ist völlig an mir vorübergegangen (wie an vielen anderen auch).

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