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26 November 2020

“Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt…”

Empirische SozialforscherInnen brauchen Vertrauen – sowohl von den Institutionen, die ihre Tätigkeit finanziell unterstützen, als auch von den ProbandInnen, die ihnen Zugang zu persönlichen Informationen gewähren. Verfassungsrechtlich sind die Bedingungen, die akademisch eingebundene SozialwissenschaftlerInnen für ihre Arbeit benötigen, durch die Wissenschaftsfreiheit in Art 5 Abs. 3 GG abgesichert. Dennoch kann die notwendige Vertrauensbasis gefährdet werden, wenn sie sich beruflich mit Fragen beschäftigen, die für Strafverfolgungsbehörden von Interesse sein können, wie etwa Vorgänge im Justizvollzug oder Dispositionen ihrer Probanden zu terroristischen Straftaten. Solche Insider-Informationen können von großer Bedeutung für die Strafverfolgung sein. Ob entsprechende Unterlagen bei den ForscherInnen für Zwecke eines Strafverfahrens beschlagnahmt werden dürfen, ist zum Gegenstand heftiger Kontroversen geworden.

Eigentlich hat der Gesetzgeber die Frage im Jahre 2002 zugunsten der Forscher entschieden: Nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO sind Personen, die berufsmäßig bei der Vorbereitung oder Herstellung von „Druckwerken“ mitwirken, berechtigt, im Strafverfahren das Zeugnis über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen sowie über berufsbezogene Wahrnehmungen zu verweigern; und nach § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO ist in gleichem Umfang die Beschlagnahme u.a. von Schriftstücken und Datenträgern bei ihnen unzulässig.

Dennoch hat das OLG München im Sommer 2020 in einem Beschluss (8 St ObWS 5/20) die Beschlagnahme von Unterlagen im Besitz eines Sozialforschers an der Universität Erlangen-Nürnberg für Zwecke des Strafverfahrens gegen von ihm befragte Personen bestätigt. Das Gericht hat eine ganze Batterie von Argumenten in Stellung gebracht, um zu begründen, dass §§ 53 und 97 StPO auf die Unterlagen des Professors nicht anwendbar sind. Die drei wichtigsten Gesichtspunkte sind:

  1. Der Gesetzgeber von 2002 hat an die Einbeziehung von WissenschaftlerInnen in das Beschlagnahmeverbot nicht gedacht, sondern wollte nur den Schutzbereich für Presse- und Rundfunkjournalisten erweitern.
  2. Wissenschaftliches Arbeiten ist auf größtmögliche Transparenz ausgerichtet, daher besteht anders als bei journalistischer Arbeit kein schützenswertes Interesse an Quellenschutz.
  3. Zwar können sich WissenschaftlerInnen grundsätzlich auf die Wissenschaftsfreiheit berufen; diese ist aber in jedem Einzelfall gegen das durch den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit geschützte Interesse an einer „funktionierenden Strafrechtspflege“ abzuwägen. Beim Verdacht schwerer Straftaten muss die Wissenschaftsfreiheit zurücktreten.

Diese Erwägungen wiegen nicht leicht, aber sie tragen letztlich das vom Gericht postulierte Ergebnis – Unanwendbarkeit von §§ 53, 97 StPO auf die Unterlagen empirischer Sozialforscher – nicht.

Es trifft zwar zu, dass die Gesetzesbegründung für die Erweiterung des Schutzes von Journalisten und Medienschaffenden ausschließlich auf die Presse- und Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) Bezug nimmt und die Wissenschaft nicht erwähnt. Die Feder des Gesetzgebers war hier aber offenbar klüger als sein Kopf. Unbestreitbar (und zu Recht) wurde durch die Gesetzesänderung die früher bestehende Beschränkung des Schutzes auf die Mitwirkenden an „periodisch erscheinenden“ Druckwerken etc. aufgegeben; damit wurden neben Publikationen im Internet also auch Bücher bewusst in den Schutzbereich einbezogen. Es kommt für § 53 I Nr. 5 StPO auch nicht darauf an, dass eine Information der Vorbereitung einer bestimmten Veröffentlichung dient, sondern nur darauf, dass der Betroffene berufsmäßig an der Herstellung etc. von Druckwerken mitwirkt. Mit dem Erfordernis der „Berufsmäßigkeit“ wollte der Gesetzgeber bloß gelegentliche Informanten aus dem Schutzbereich herausnehmen; jemand, der längerfristig für eine Publikation recherchiert, ist aber durchaus „berufsmäßig“ mit deren Vorbereitung beschäftigt.

Damit wurden (zumindest) Sozial- und Rechtswissenschaftler in den Schutzbereich der Vorschriften einbezogen. Denn sie möchten nicht nur, dass die Öffentlichkeit die Früchte ihrer Bemühungen zur Kenntnis nimmt, sondern sie werden auch in ihrer Fachwelt üblicherweise nach ihren Publikationen beurteilt; daher sind sie unbedingt daran interessiert, ihre Forschungsergebnisse in Büchern, Zeitschriften oder auch Internet-Blogs zu veröffentlichen. Im Übrigen ist die Gleichbehandlung von (im strengen Sinne) journalistischen und anderen Publikationsmedien auch deshalb berechtigt, weil sich eine Unterscheidung – zumal im hier relevanten Vorfeld der Veröffentlichung – nicht sinnvoll durchführen lässt. Sollten beispielsweise die Materialien einer empirischen Untersuchung unter Strafgefangenen nur dann schutzwürdig sein, wenn die Ergebnisse in der „Zeit“ oder im „Verfassungsblog“ publiziert werden sollen, aber nicht bei einer geplanten Veröffentlichung in einer kriminologischen Fachzeitschrift oder einer Monographie?

Auch der von Gärditz (StV 2020, 336, 337) erhobene Gegeneinwand, dass der Gesetzgeber den Schutzbereich in § 53 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Publikationen im „redaktionellen Teil“ des Mediums beschränkt habe und damit implizit von einer Veröffentlichung in einem journalistischen Organ ausgegangen sei, schlägt nicht durch, da auch viele juristische und sozialwissenschaftliche Fachzeitschriften einen Anzeigenteil haben. Im Übrigen sollte die vom Gesetzgeber 2002 eingefügte Beschränkung auf redigierte Beiträge nach ihrer Begründung nur dafür sorgen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht nicht auf beliebige private Posts im Internet erstreckt wird.

Was die Ratio der Vorschrift betrifft, so hat sich diese durch die Erweiterung auf nicht-periodische Druckwerke gewandelt, möglicherweise ohne dass der Gesetzgeber dies klar erkannt hat. Jedenfalls kann man den Schutzzweck nach der Neufassung nicht mehr auf die Pressefreiheit im traditionellen Sinn (also auf die „journalistische Investigation“, wie Gärditz StV 2020, 336, 337 schreibt) beschränken. Es geht zwar immer noch um die Sicherung der Grundlagen des Diskurses in der demokratisch verfassten Gesellschaft, allerdings nicht beschränkt auf unmittelbar politische Publizistik, sondern erweitert auf die Information und Meinungsbildung der Öffentlichkeit zu gesellschaftlich (im weitesten Sinne) relevanten Themen. Dazu gehört unbedingt auch die Vermittlung und Diskussion wissenschaftlicher Erkenntnisse, wie die aktuelle Corona-Debatte, aber auch die vor ein paar Jahren heiß geführte Diskussion um „Ausländerkriminalität“ deutlich vor Augen führen. Quellenschutz durch Zeugnsiverweigerungsrechte und flankierende Beschlagnahmeverbote sollen dazu beitragen, dass die WissenschaftlerInnen auch vertraulich gegebene Informationen ohne Furcht vor einer ungewünschten Instrumentalisierung in Strafverfahren sammeln und festhalten können. Daher trifft es nicht das Richtige, wenn das OLG München in seinem Beschluss (Umdruck S. 7) behauptet, dass es bei den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung nicht um die Unterrichtung eines breiten Publikums, sondern nur um die „Verbreitung wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts“ gehe. Beides lässt sich nicht voneinander trennen, wie schon die zahlreichen „populärwissenschaftlichen“ Formate in Print-, Rundfunk- und Onlinemedien zeigen.

Im Übrigen stellt sich die Frage, ob nicht wissenschaftliche Untersuchungen angesichts ihrer gesellschaftlichen Relevanz und des Schutzes der Wissenschaft in Art. 5 Abs. 3 GG gerade besonders intensiv geschützt werden müssten – etwa im Vergleich zu Informationen, die in Internet-Diensten zur „Unterrichtung“ der Bevölkerung über banale Ereignisse im Leben von celebrities gesammelt und veröffentlicht werden. Dagegen lässt sich nicht – mit Gärditz StV 2020, 336, 337 – einwenden, dass Wissenschaftler nicht bloße Meinungen, sondern Ergebnisse „rationalisierender Methoden“ veröffentlichen. Denn auch die Autoren in sonstigen Publikationen sind ja nicht nur dann durch §§ 53, 97 StPO geschützt, wenn sie Meinungen äußern, sondern gerade auch in Bezug auf bloße Tatsacheninformationen.

Wenig einleuchtend ist auch der Hinweis des OLG München (Umdruck S. 7), dass wissenschaftliche – anders als journalistische – Tätigkeit darauf ausgerichtet sei, mit größtmöglicher Transparenz bezüglich ihrer Methoden und Quellen zu arbeiten. Dies trifft zwar grundsätzlich zu, wird aber in Bezug auf die Probanden sozialwissenschaftlicher Untersuchungen durch datenschutzrechtliche Vorgaben begrenzt. Dies bedeutet, dass WissenschaftlerInnen ihre Quellen zwar kennen und dokumentieren müssen, dass sie ihre Identität aber keineswegs ohne berechtigten Grund preisgeben dürfen.

Schließlich bleibt die Annahme des OLG München (Umdruck S. 9 f.), wonach bei wissenschaftlichen Untersuchungen zwar §§ 53, 97 StPO nicht eingreifen, aber ein Beschlagnahmeverbot unter Umständen unmittelbar aus der Wissenschaftsfreiheit abgeleitet werden kann. Allerdings soll dies nur der Fall sein, wenn eine Abwägung mit den Interessen einer durch das Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich gebotenen Strafverfolgung zugunsten der Beschlagnahmefreiheit ausgeht (was im konkreten Fall wegen der Schwere der untersuchten Straftaten verneint wurde). Eine solche „freihändige“ Abwägung ist jedoch nach der hier vertretenen Auffassung nicht angezeigt, wenn und weil der Gesetzgeber sie bereits vorgenommen hat: In § 97 Abs. 5 StPO hat er eine differenzierende Regelung getroffen, die selbst beim Verdacht einer Beteiligung des Journalisten oder der Wissenschaftlerin an der zu untersuchenden Straftat eine Beschlagnahme nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässt. Hielte man dagegen die §§ 53 und 97 StPO auf unsere Fallgestaltung für unanwendbar, so könnten die betroffenen Forscher immer noch auf Art. 5 Abs. 3 GG rekurrieren; und man könnte – mit Gärditz (StV 2020, 336, 340) – den Schluss ziehen, dass eine Regelungslücke vorliegt, aufgrund derer eine Beschlagnahme mangels einer gesetzlichen Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) unzulässig ist.

Damit ist als Zwischenfazit festzuhalten, dass nach dem geltenden § 97 Abs. 5 StPO Forschungsdaten, die als Grundlage einer Veröffentlichung dienen können, bei dem Forscher nicht beschlagnahmt werden dürfen.

Es ist jedoch dem OLG München einzuräumen, dass der Gesetzgeber bei der (Neu-)Formulierung dieser Vorschrift den Schutz von WissenschaftlerInnen nicht im Auge hatte und dass sie deshalb nicht passgenau formuliert ist. Andererseits lässt sich nicht bezweifeln, dass ein Schutzbedürfnis besteht: Empirische Sozialforschung ist in einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft unverzichtbar, da sie Informationen produziert, ohne die rational begründete und überprüfbare politische Entscheidungen nicht möglich sind (Gless NK 2020, 275, 286 f.; Gärditz StV 2020, 336, 340). Andererseits sind SozialforscherInnen in bestimmten Bereichen darauf angewiesen, den von ihnen befragten Personen die vertrauliche Behandlung der ihnen gegebenen Informationen zuzusichern, da sie sonst nicht dazu bereit sind, ihnen solche Informationen anzuvertrauen. Dabei geht es nicht – wie in §§ 53 Abs. 1 Nr. 5 und § 97 Abs. 5 StPO angesprochen – in erster Linie um die Vorbereitung eines „Druckwerks“, sondern um die Verarbeitung und Analyse der Informationen, um zu wissenschaftlich validen Aussagen über bestimmte sozial relevante Sachverhalte zu gelangen.

Es empfiehlt sich deshalb, das Geheimhaltungsprivileg für WissenschaftlerInnen in einer besonderen Vorschrift zu regeln. Entsprechende Vorschläge sind bereits in der Vergangenheit gemacht worden, beispielsweise 1996 von einem Arbeitskreis deutscher, schweizerischer und österreichischer Strafrechtslehrer in seinem als Monographie veröffentlichten „Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit“ (§ 53a Nr. 3 StPO-AE, S. 47 f.). Die Regelung könnte – muss aber nicht – auf Sozialwissenschaftler einschließlich empirisch arbeitender Kriminologen beschränkt werden, da vornehmlich bei ihnen der angesprochene Konflikt zwischen dem berechtigten Interesse am Schutz ihrer Informanten und den Bedürfnissen der Strafrechtspflege auftritt. Angezeigt ist die Schaffung sowohl eines spezifischen Zeugnisverweigerungsrechts als auch eines entsprechenden Beschlagnahmeverbots. Vor dem Hintergrund der geltenden §§ 53 und 97 StPO könnte man die folgende Vorschrift als § 53 Abs. 1 Nr. 6 StPO einfügen:

„Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt…

  1. Wissenschaftler über Informationen, die ihnen durch ein im Rahmen einer Universität oder einer anderen unabhängigen Forschungseinrichtung betriebenes Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Sozialforschung mitgeteilt worden oder bekannt geworden sind.“

Die Ausnahme vom Zeugnisverweigerungsrecht in Bezug auf selbst erarbeitete Materialien oder eigene Beobachtungen in § 53 Abs. 2 SPO für Ermittlungen wegen Verbrechen und bestimmter anderer schwerer Straftaten könnte auf Wissenschaftler erstreckt werden, da es zentral nur auf den Schutz ihrer Quellen ankommt.

In § 97 Abs. 5 StPO wäre eine auf § 53 Abs. 1 Nr. 6 StPO verweisende Regelung eines Beschlagnahmeverbots aufzunehmen. Dadurch müsste sichergestellt werden, dass Unterlagen und Dateien, die sich im Besitz des Forschers oder seines Arbeitgebers befinden, nicht beschlagnahmt werden dürfen; die Ausnahmen in § 97 Abs. 5 Satz 2 StPO für den Fall der Verstrickung des Forschers in die zu untersuchende Straftat müssten auch hier gelten.

Mit der vorgeschlagenen Regelung könnte der Gesetzgeber einen angemessenen Schutz für empirische SozialforscherInnen schaffen, ohne dass der Umweg über die „Vorbereitung von Druckwerken“ gegangen werden müsste.


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