Afghanische Frauen und der Widerstand gegen den „War on Terror“
Normalerweise beginne ich meine Ausführungen zum Thema Widerstand mit einer Anmerkung zum Zuhören. Diese Anmerkung muss als Warnung und gleichzeitig als Versicherung verstanden werden. Sie dient als Warnung vor der Macht der altbekannten internationalen Rechtsnarrative, die unsere Institutionen beherrschen, aber als Versicherung, dass es einen Ausweg aus diesen alten und statischen Denkweisen gibt, indem man einfach zuhört. Die Arbeit von Fred Moten hat mein Verständnis von Zuhören als Akt des “Herausfindens” gefördert. Zuhören wird zu einer Form der Reaktionsfähigkeit und nicht zu einer reaktionären Praxis.
Ich glaube, dass meine Sicht auf den Krieg gegen den Terror und den Aufstieg der Taliban von der großen Dringlichkeit geprägt ist, ein antikoloniales Bewusstsein zu formulieren und die Verwirklichung eines postkolonialen Denkens zu gewährleisten. Ich glaube nicht, dass die Taliban als Gruppe zur Entwicklung eines solchen Bewusstseins beitragen. Vielmehr sollten die Taliban in ihrem imperialistischen Kontext analysiert werden, wobei andere, geeignetere Narrative antikolonialer Macht zu beachten sind. Zum Beispiel die Mobilisierung afghanischer Frauen, die mich gelehrt hat, wie man die fortbestehenden kolonialen Einflüsse bei der Konzeption von Handlungsfähigkeit im Bereich der Menschenrechte berücksichtigen kann. Ich bin auch auf die Politik des Überlebens aufmerksam geworden, die diese Mobilisierung jenseits des Befreiungsnarrativs bestimmt, das während der US-geführten Invasion in Afghanistan und durch die aktuelle Rückkehr der Taliban an die Macht verwendet wurde.
In diesem Blogbeitrag untersuche ich zunächst die Verbindung zwischen dem „War on Terror“ und den Einfluss, den die Menschenrechtspraxis auf den ständigen Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter hat. Anschließend analysiere ich die Handlungsbedingungen, die afghanische Frauen in ihrem Widerstand nutzen. Ich werde behaupten, dass die Erfahrungen der afghanischen Frauen von wesentlicher Bedeutung sind, um die Entstehung von Bewusstsein und Subjektbildung in einem nicht-liberalen Bereich ernst zu nehmen. Ihre Erfahrungen sind auch wichtig, um die Funktion von Menschenrechten bei der Reproduktion von Geschlechternormen in Frage zu stellen. Ich betrachte den nicht-liberalen Bereich als eine Gegenerzählung zur Konzeptualisierung von Handlungsfähigkeit in liberalen Menschenrechtspraktiken. Diese Gegenerzählung stellt die Kluft zwischen dem liberalen und dem islamischen Bereich in Frage, die für die Funktion der Menschenrechte bei der Verknüpfung von dem Kampf um geschlechtliche Gleichstellung mit dem Krieg gegen den Terror ausschlaggebend war.
Geschlecht, Menschenrechte und der Krieg gegen den Terror
Die feministische internationale Rechtswissenschaft hat sich mit der geschlechtsspezifischen Ausgestaltung des “War on Terror ” ausgiebig befasst. Insbesondere im Zusammenhang mit der sich ausbreitenden Praxis der Demokratisierung in den Gesellschaften der Dritten Welt. Praktiken der Demokratisierung bestätigen der internationalen Gemeinschaft eine ‚moralische Leitkultur,‘ die darauf abzielt, Leiden zu beseitigen, während humanitäre Interventionen als notwendig gerechtfertigt werden. Im Mittelpunkt solcher Praktiken steht die Rolle des Sicherheitsrates bei der Erhaltung des Friedens nach der Zeit des Kalten Krieges gemäß Artikel 24 und 39, Kapitel VI und VII der UN-Charta. Artikel 39 gibt dem Sicherheitsrat die Befugnis zur Anwendung von Gewalt im Falle einer “Bedrohung des Friedens”, was in den Resolutionen des Sicherheitsrates weit ausgelegt wurde und auch Verletzungen der Menschenrechte und der demokratischen Ordnung einschließt ((Siehe das Beispiel der Intervention im Kosovo im Jahr 1999. Anne Orford, Reading Humanitarian Intervention: Human Rights and the Use of Force in International Law, (Cambridge Uni. Press, 2003).)). Eine liberale Haltung gegenüber der Anwendung von Gewalt hat zur Legitimierung der Rolle des Sicherheitsrates und anderer regionaler Organisationen wie der NATO geführt, deren Präsenz in so genannten “failed states” stetig zunimmt.
Der „War on Terror“ war nie eine Ausnahme. Postkoloniale Stimmen – wie Paul Gilroy und Gayatri Spivak – argumentieren seit langem, dass der War on Terror eine Ausweitung der kolonialen Beziehungen ist, die durch hilfe einer heilsgeschichtlichen Rhetorik maskiert werden. Diese Rhetorik schafft ein entmenschlichtes radikales Subjekt (einen “Anderen”), das zum Objekt der Angst wird, und ein geschlechtliches Subjekt (z. B. muslimische Frauen), dem es an Handlungsfähigkeit fehlt und das schutzbedürftig ist. Die Beziehung zwischen Kolonialismus und Menschenrechten ist durch eine kontinuierliche Produktion mangelnder (geschlechtsspezifischer und ethnischer) Subjekte und eine Unterscheidung zwischen regressiven und progressiven Gesellschaften gekennzeichnet. Das Geschlecht wird zu einem Mittel, um diese Unterschiede in der Menschenrechtspraxis zu reproduzieren. Des Weiteren hat die Verabschiedung der UN-Resolution 1325 über Frauen, Frieden und Sicherheit im Jahr 2000 wesentlich dazu beigetragen, die Stärkung der Rolle der Frau mit der Forderung nach humanitären Maßnahmen in Einklang zu bringen. Die Resolution geht davon aus, dass die Einbeziehung von Frauen in humanitäre Missionen eine geschlechtsspezifische Sichtweise auf Sicherheit bietet. Wie Ratna Kapur argumentiert, bietet die Resolution 1325 jedoch keine Gegenerzählung zur kolonialistischen Konzeption der ‚Sicherheit‘. In der Resolution werden die Kämpfe zwischen den Geschlechtern der “eindringlichen Rhetorik des Protektionismus und des „‚Andersseins‘” zugeschlagen, während Frauen in ihren Handlungen nicht berücksichtigt werden.
Afghanische Frauen und die Grundlagen des Handelns in einem nicht-liberalen Bereich
Ich nutze die taktischen Tricks der afghanischen Frauen, um ihr Bewusstsein aus dem liberalen Bereich herauszuholen, in dem sie als unvollständige Subjekte wahrgenommen werden. Mit taktischen Tricks beziehe ich mich auf Handlungen, die die Fähigkeit zum Widerstand aufrechterhalten, obwohl ein solcher Widerstand im humanistischen und geschlechtsspezifischen Rahmen als unmöglich angesehen wird. In diesem Rahmen werden afghanische Frauen als Opfer in ihren sozialen Beziehungen dargestellt. Die Arbeit von Elaheh Rostami-Povey zeigt, wie afghanische Frauen die Geschlechterverhältnisse im eigenen Land und auf globaler Ebene in Frage stellen. Rostami-Povey konzeptualisierte die Geschlechterkämpfe in Afghanistan innerhalb der materiellen Bedingungen, die den politischen und sozialen Bereich während der Taliban-Herrschaft, der Bürgerkriegszeit und der US-geführten Invasion geprägt haben. Die verschiedenen Phasen haben die Taktiken beeinflusst, die Frauen anwenden, um ihre kollektiven Räume zu erhalten. In der Zeit des Bürgerkriegs beispielsweise war das Überleben das wichtigste Ziel. Afghanische Frauen schufen Netzwerke (wie die Women’s Association of Afghanistan) mit anderen Frauen, um soziale Bindungen aufzubauen, während andere auswanderten und solche Gemeinschaften in der Diaspora bildeten. Die Frauen nutzten diese Netzwerke, um wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen, ethnische Konflikte zu bewältigen und einen sicheren Raum füreinander zu schaffen. Ihre Netzwerke waren wichtig, um sich gegenseitig Fertigkeiten beizubringen, um Einkommen zu erzielen (z.B. durch Teppichwebereien, Sprach- und Computerkurse), und um sich gegenseitig vor Formen der Gewalt zu schützen, denen sie während des Krieges ausgesetzt waren. Die afghanischen Frauen haben die Einschränkungen ihrer Mobilität innerhalb des Landes und in der Diaspora erkannt und sich entsprechend organisiert. Wie Rostami-Povey darlegt, haben sich ihre geheimen Netzwerke unter anderem dadurch entwickelt, dass sie sich an der von den Vereinten Nationen unterstützten Verteilung von Lebensmitteln beteiligten, die von den Taliban gebilligt wurde (und in der Regel von Pro-Taliban-Frauen geleitet wurde), um Wissen weiterzugeben und geheime Schulen für Kinder zu gründen.
Indem sie den Widerstand der Frauen dokumentiert, schafft Rostami-Povey Raum für die Spannung zwischen Pro- und Anti-Taliban-Frauen. Die beiden Positionen (für oder gegen die Taliban) ergeben sich jedoch aus einer Machtstruktur, in der die Taliban ein Produkt imperialistischer Regierungsformen sind. Das heißt, es geht nicht um die Wahl zwischen einer “regressiven” oder “progressiven” Haltung. Die beiden politischen Positionen stehen für unterschiedliche Stadien des Frauenkampfes und der Geschlechterbeziehungen, die diese Kluft überwinden. Eine Möglichkeit, die Bewegung jenseits der liberalen/islamischen Kluft zu verstehen, bietet das Werk von Saba Mahmoud ((Saba Mahmoud, Politics of Piety: The Islamic Revival and the Feminist Subject (Princeton University Press, 2005); Ziba Mir-Hosseini also offers a historical mapping of gender relations in Iran beyond the liberal/Islamic divide that is helpful in contextualizing the mobilization of women’s rights by Muslim women. See, Ziba Mir-Hosseini, ‘Religious Modernists and the “Women Question”: Challenges and Complicities, in Eric Hooglund eds. Twenty years of Islamic Revolution: Political and Social Transition in Iran since 1979 (Syracuse University Press, 20002) 74-95.)).
Saba Mahmoud dokumentiert die Autorität von ägyptischen Frauen, die in der von Männern beherrschten Sphäre der Moschee arbeiten. Zwar kann man argumentieren, dass die Arbeit ägyptischer Frauen in Moscheen die Autorität eines männlichen islamischen Rechtsgelehrten untergräbt, doch dieses Argument reduziert ihre Handlungen darauf, sie mit einer vorausgesetzten befreiten Identität in der Kluft zwischen liberal-säkularen Gesellschaften und islamisch-regressiven Gesellschaften in Einklang zu bringen. Mahmoud geht auf die Machtstrukturen ein, die bei der Schaffung der liberal-islamischen Kluft außer Acht gelassen werden. Sie weist darauf hin, dass die ägyptischen Frauen ihre Arbeit in den Moscheen durch dieselbe Autorität bestätigt haben, die ihre Anwesenheit als illegitim einstuft. Mahmoud stellt daher die Nützlichkeit des liberalen Begriffs der Autonomie in Frage, wenn es darum geht, die Handlungsgrundlagen der ägyptischen Frauen zu erfassen. Die Arbeit des Bewusstseins im liberalen Bereich ist typischerweise mit dem Wunsch nach Autonomie verbunden. Mahmouds Prämisse lädt uns dazu ein, die Machtstrukturen zu durchdringen, die die Handlungsmöglichkeiten von Frauen einschränken und gleichzeitig formen. Ihre Arbeit bekräftigt, dass unsere Handlungsfähigkeit nicht Machtverhältnissen unterworfen ist. Vielmehr werden wir durch diese Verhältnisse in unseren Handlungen und in der Art und Weise, wie wir uns zu unseren Institutionen verhalten, beeinflusst.
Die Politik der ‚Befreiung‘ anfechten
Die Analyse der verschiedenen Positionen von Frauen in Afghanistan und die Überwindung der liberal-islamischen Kluft erfordern, dass man nicht auf die “Erlösungsrhetorik” hereinfällt. Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 hat die von den USA angeführte Invasion (und die “Wiederaufbauphase”) Afghanistan ohne die rudimentäre soziale, wirtschaftliche und politische Infrastruktur zurückgelassen. Die Mobilisierung der Frauen gegen die patriarchalischen Strukturen wurde fortgesetzt, während sie gleichzeitig dem westlichen Blick ausgesetzt waren, der sie als im Wesentlichen untätige muslimische Frauen abgestempelt hat. In „Do Muslim Women Really Need Saving” (Müssen muslimische Frauen wirklich gerettet werden?) demontiert Lila Abu Lughood die Rechtfertigung des Krieges gegen Afghanistan in Laura Bushs berühmt-berüchtigter Rede von 2001. Bush verband den Krieg gegen den Terrorismus mit einem “Kampf für die Rechte und die Würde der Frauen” und der Befreiung der afghanischen Frauen von den Taliban. Durch dieses heilsgeschichtliche Narrativ spielten liberale Menschenrechtspraktiken eine wesentliche Rolle bei der Rechtfertigung der Invasion und der Aufrechterhaltung des Krieges gegen den Terror.
Afghanische Frauen haben das Befreiungsnarrativ sogar in ihrer Arbeit mit internationalen NGOs in Frage gestellt, die für einige einen sicheren Raum für ihre Arbeit darstellten, wie Rostami-Povey feststellt. Während der Invasion, so Abu Lughood, wurden die Kämpfe der afghanischen Frauen auf die Burka reduziert. In Laura Bushs Rede wird die Burka (und jede Form der Verschleierung) als Zeichen der Unterdrückung verstanden. Seit der Rückkehr der Taliban an die Macht spielen Frauen auch eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung ihrer Machtstruktur. Reden von Taliban-Vertretern über ihre Unterstützung der Frauenrechte spiegeln ironischerweise dasselbe Narrativ wider wie Laura Bushs Rede: Sie befreien die Frauen von den Fesseln der Unterdrückung.
Abu Lughood stellt dem Heilsnarrativ ein Ansichtsweise entgegen, in dem muslimischen Frauen selbst entscheiden, ob sie irgendeine Form der Verschleierung tragen oder nicht, und das über die Objektivierung muslimischer Frauen im liberalen Feminismus hinausgeht. In Rostami-Poveys Dokumentation der Meinungen der afghanischen Frauen war das Tragen einer Burka eine der Möglichkeiten, die den Frauen während der Invasion Mobilität ermöglichten, weil sie sich sonst nicht sicher gefühlt hätten.
Welche Funktion hat nun der Menschenrechtsdiskurs bei all dem? Die Praktiken verschiedener internationaler Nichtregierungsorganisationen und UN-Organisationen während der US-geführten Invasion in Afghanistan waren von einer heilsgeschichtlichen Rhetorik geprägt. Ein Argument gegen diese Rhetorik wäre die Formbarkeit der Menschenrechte als politisches Instrument, bei dem das Problem darin besteht, wie die Menschenrechte aus ihrem Versagen bei der Linderung von Leiden und der Anerkennung der Menschlichkeit und der Handlungsfähigkeit des “Anderen” gerettet werden können ((Zur Formbarkeit von Menschenrechten in der kritischen Wissenschaft: Siehe Anna Grear, “”Framing the project” of international human rights law: reflections of the dysfunctional ‘family’ of the Universal Declaration” in Conor Greaty & Costas Douzinas eds. The Cambridge Companion of Human Rights Law, (Cambridge University Press, 2012) 17-35. Costas Douzinas, The Paradoxes of Human Rights, (2013) Constellations 52- 55. Upendra Baxi, “Reinventing human rights in an ear of hyper-globalisation: a few wayside remarks” in Conor Gearty & Costas Douzinas eds. The Cambridge Companion to Human Rights (Cambridge University Press, 2012) 150-170.)). Wenn wir jedoch die Rolle der Menschenrechtspraktiken bei der Aufrechterhaltung des „War on Terror“ und der Reproduktion des “Andersseins” ernst nehmen wollen, dann sollten wir vielleicht von dem ausgehen, was uns aus den verschiedenen Erfahrungen afghanischer Frauen mitgeteilt wird, die die Geschlechterverhältnisse ständig beeinflusst haben. Eine Möglichkeit des Zuhörens wäre, ihre Handlungsgrundlagen in den Kontext des Bewusstseins zu stellen, das ihre Erfahrungen bestimmt. Für eine solche Arbeit ist es notwendig, die Schichten der Unterdrückung zu untersuchen, die die afghanischen Frauen gegen die Geschlechternormen mobilisieren, die sie (und andere, die nicht dem Bild einer liberalen Akteurin entsprechen) als ohnmächtig in ihrem Widerstand identifizieren. Möglicherweise sollten wir durch die Erfahrungen afghanischer Frauen die Funktion des Menschenrechtsdiskurses als eine betrachten, die eine Vormundschaft über fortschrittliche Ideale durchsetzt, anstatt eine, die postkoloniale Zukünfte fördert.
Bei diesem Text handelt es sich um eine Übersetzung des Beitrags, ‘Afghan Women and Resistance to the War on Terror‘, durch Michael Borgers.