29 November 2021

Time to Say Goodbye

Warum die Ministererlaubnis abgeschafft werden sollte

Entgegen der Einigung in der Arbeitsgruppe, die Ministererlaubnis abzuschaffen, hat sich die Ampel im Koalitionsvertrag auf eine bloße Reform verständigt. Eine verpasste Chance. Spätestens das Verfahren Edeka/Tengelmann hat gezeigt, dass es höchste Zeit ist, die Ministererlaubnis abzuschaffen. Seit knapp 50 Jahren ist die Geschichte der Ministererlaubnis eine Geschichte der politischen Skandale und wirtschaftlichen Fehlschläge.

Die Ministererlaubnis – Exoticum in der deutschen Rechtsordnung

Die gelegentlich als „ordre du mufti“ bezeichnete Ministererlaubnis (§ 42 GWB) gestattet es dem Bundeswirtschaftsminister eine vom Bundeskartellamt zum Schutz des Wettbewerbs untersagte Unternehmensfusion zu genehmigen, wenn „gesamtwirtschaftliche Vorteile“ oder „überragende Interessen der Allgemeinheit“, kurz das Gemeinwohl, die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegen.

Bei Erteilung der Ministererlaubnis kommt es also mit Sicherheit zu einer Beschränkung des Wettbewerbs, der in einer sozialen Marktwirtschaft als Garant von Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit gilt.

In ihrem Charakter ist die Ministererlaubnis in der deutschen Rechtsordnung damit nahezu einzigartig. Am ehesten ist sie mit dem aus Absolutismus und Gottesgnadentum stammenden (BVerfG, 2 BvR 552/63, Rn. 35) Begnadigungsrecht des Bundespräsidenten (Art. 60 Abs. 2 GG) vergleichbar.  Während das Gnadenrecht jedoch stets nur das Schicksal einer Einzelperson verändert, hat die Ministererlaubnis durch die Außerkraftsetzung des Wettbewerbsschutzes weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft.

Praktische Bedeutung der Ministererlaubnis

Seit ihrer Einführung 1973 ist die Ministererlaubnis insgesamt 23 Mal beantragt und davon 10 Mal erteilt worden, zuletzt im Jahr 2019 im Verfahren Miba/Zollern. Im Vergleich zu jährlich über 1000 angemeldeten Fusionen mögen diese Zahlen für einen Zeitraum von 48 Jahren gering wirken. Entscheidend ist jedoch nicht die hohe Zahl angemeldeter Fusionen, sondern die nur sehr geringe Zahl vom Bundeskartellamt untersagter Fusionen – im Jahr 2015 etwa einzig Edeka/Tengelmann.

In diesen besonders bedeutsamen Fällen einer verbotenen „Elefantenhochzeit“ war die Ministererlaubnis ein game changer und hat die Sektoren Rüstung (Daimler/MBB 1989), Energie (E.on/Ruhrgas 2002) und Lebensmitteleinzelhandel (Edeka/Tengelmann 2016) für immer verändert, während im Verfahren Burda/Springer (1981/82) das Entstehen eines übermächtigen Mediengiganten gerade noch verhindert wurde.

Zu Recht wurde immer wieder davor gewarnt, dass durch die Ministererlaubnis Machtkonzentrationen entstehen könnten, die Demokratie und Gemeinwesen in ihren Grundfesten erschüttern könnten.

Der Bundeswirtschaftsminister als Kartellbehörde

Besonders bemerkenswert ist, dass der Bundeswirtschaftsminister im Ministererlaubnisverfahren nicht als Politiker, sondern nach § 48 Abs. 1 GWB als Kartellbehörde entscheidet. Ob sich der Bundeswirtschaftsminister dieser Rolle auch stets bewusst ist, mag angesichts der bisherigen Entscheidungspraxis allerdings durchaus bezweifelt werden. Die Ministererlaubnis ist dabei eine gebundene Entscheidung, so dass die Erlaubnis zu erteilen ist, wenn deren (gerichtlich überprüfbare) Voraussetzung – das überragende Gemeinwohl – vorliegt.

Nach § 42 Abs. 5 GWB ist vor der Entscheidung des Ministers eine Stellungnahme der Monopolkommission – eines unabhängigen Expertengremiums aus Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlern sowie Experten aus der Wirtschaftspraxis – einzuholen. Möchte der Bundeswirtschaftsminister vom Votum der Monopolkommission abweichen, so ist dies seit der 9. GWB Novelle nach § 42 Abs. 1 S. 3 GWB gesondert zu begründen. Die Erfahrung der Vergangenheit lehrt dabei, dass der jeweilige Bundeswirtschaftsminister nie große Hemmungen hatte, sich über eine Stellungnahme der Monopolkommission hinwegzusetzen.

Schon zwei Mal trat ein Vorsitzender der Monopolkommission aus Protest gegen eine Ministererlaubnis zurück: 1989 im Verfahren Daimler/MBB Prof. Dr. Ulrich Immenga, 2016 im Verfahren Edeka/Tengelmann Prof. Dr. Daniel Zimmer, der – Ironie der Geschichte – der akademische Schüler Immengas ist.

Die Krux der Ministererlaubnis: Das Gemeinwohl

Die Ministererlaubnis steht und fällt mit dem Gemeinwohl, das die Wettbewerbsbeeinträchtigung überwiegen muss. Dennoch weiß niemand genau, wie diese Tatbestandsvoraussetzung zu bestimmen ist.

Schon die Gesetzesbegründung lässt den Leser ratlos zurück. Die dort genannten „staats-, wirtschafts- oder gesellschaftspolitischen Gründe“ (BT-Drs. VI/2520, S. 31) sind derart unbestimmt, dass es schwer fällt, einen Grund zu finden, der sich nicht darunter fassen lässt.

In der Praxis behelfen sich Monopolkommission, Bundeswirtschaftsminister und kartellrechtliche Literatur mit einer Kasuistik in der Vergangenheit anerkannter Gemeinwohlgründe. Diese Kasuistik ist so bunt und vielfältig wie die bisherigen Ministererlaubnisverfahren: Energieversorgung, Arbeitsplätze, Klimaschutz, Sicherung technischen Know-Hows oder medizinische Versorgung, um nur einige Beispiele aufzuzählen.

Diese Kasuistik ist jedoch inkonsistent: Was einmal als Gemeinwohlgrund anerkannt wurde, galt teils schon wenige Jahre später nicht mehr, und umgekehrt. Die vergangenheitsbasierte Kasuistik führt daher mitnichten zu Verlässlichkeit und Rechtssicherheit.

Das Gemeinwohl in der modernen pluralistischen Gesellschaft

Die Breite und Wankelmütigkeit bei der Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs liegt in der Struktur der modernen pluralistischen Gesellschaft begründet. In ihr existieren eine Vielzahl von Gemeinwohlvorstellungen nebeneinander, die sich teils überschneiden, teils ausschließen. Solange keine Entscheidung zwischen zwei Gemeinwohlzielen zu treffen ist, ist dies kein Problem – konkurrierende Vorstellungen können ohne Weiteres nebeneinander existieren.

Bei der Ministererlaubnis kommt es jedoch zum Schwur. Der Minister muss zwischen dem vom Bundeskartellamt überwachten Gemeinwohlziel des Wettbewerbsschutzes und einem anderen Gemeinwohlziel, das (angeblich) durch die Fusion verwirklicht wird, entscheiden.

In den besonders bedeutsamen Ministererlaubnisverfahren der Vergangenheit war die öffentliche Meinung dabei regelmäßig vollkommen gespalten, welche Entscheidung dem Gemeinwohl entspreche. Typischerweise standen sich zwei unversöhnliche Lager gegenüber, die ihre jeweilige Position mit einer Vielzahl von Argumenten und Experten untermauerten und der jeweiligen Gegenseite vorwarfen, das Gemeinwohl zu verraten. „Jedem sein Gemeinwohl“, wie die FAZ einst treffend kommentierte.

Das Zünglein an der Waage: Die Politik

Was tat der Bundeswirtschaftsminister nun in diesen ausweglosen Entscheidungssituationen? Nach der Auffassung vieler Zeitgenossen war das Zünglein an der Waage nur allzu oft ein vollkommen sachfremder Aspekt, wie die Initiation der Fusion durch den Minister (Daimler/MBB), der Einfluss gut organisierter Interessengruppen (Ver.di bei Edeka/Tengelmann) oder die Karriere des Ministers („Rettergestus“ bei Edeka/Tengelmann, „Konzernschmied“ bei Daimler/MBB).

Die Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs macht die Ministererlaubnis zu einem Spielball politischer Interessen und nicht zu einem Garant der sachlichen Abwägung zwischen Wettbewerbsschutz und sonstigen Gemeinwohlgütern.

Die Gegenposition hierzu ist, dass die Ministererlaubnis eine genuin politische Entscheidung sei. Die Ausrichtung der Entscheidung an subjektiven, politischen Kriterien, und nicht an einem objektivierten Gemeinwohlbegriff, sei daher hinzunehmen.

Selbst diese Argumentation setzt für ihre ohnehin schwache Überzeugungskraft eine positive Erfolgsbilanz der Ministererlaubnis voraus. Diese existiert jedoch nicht.

Die Erfolgsbilanz der Ministererlaubnis

Die Geschichte der Ministererlaubnis ist eine Geschichte des ökonomischen Misserfolges und der politischen Skandale.

In einer ökonomischen Ex-post-Analyse hat sich nur in Ausnahmefällen, und selbst dann meist nur teilweise, nachweisen lassen, dass ihre angestrebten Gemeinwohlziele erreicht wurden (Stöhr/Budzinski, WuW 2019, 508).

Die drei Ministererlaubnisverfahren im Energiebereich (VEBA/Gelsenberg (1974), VEBA/BP (1978/79), E.on/Ruhrgas (2002)) haben die Versorgungssicherheit nicht erhöht und zur Vermachtung des Energiemarktes beigetragen. Als Bundeswirtschaftsminister Müller und sein Staatssekretär Tacke nach der Ministererlaubnis E.on/Ruhrgas auf lukrative Posten in der Energiewirtschaft wechselten, wurden im Bundestag Rufe von „Judaslohn“, „Parteibuchwirtschaft“ und „auf höchster Ebene korrupte[m] Verhalten“ laut.

Die Ministererlaubnis Daimler/MBB (1989/90) schuf einen Rüstungsgiganten, der 70% des Bedarfes der Bundeswehr deckte. Die Ziele des Subventionsabbaus und der Privatisierung des Airbus-Risikos wurden dennoch nur teilweise erreicht, wenn auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Airbus erhöht worden sein mag. Besonders pikant: Staatssekretär Riedl sicherte die Ministererlaubnis schon vor Antragsstellung zu.

Bei Edeka/Tengelmann (2015/2016) sind Arbeitsplätze allein auf Grund der Nebenbestimmungen der Ministererlaubnis, nicht jedoch wegen des Zusammenschlusses gesichert worden: Fusionen kosten durch Effizienzgewinne regelmäßig Arbeitsplätze, sichern sie jedoch nicht. Auf Grund von Geheimgesprächen hielt das OLG Düsseldorf die Ministererlaubnis vorläufig für rechtswidrig. Sie konnte nur deshalb vollzogen werden, weil Konkurrent Rewe nach Vermittlung durch Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder und auf Grund erheblicher Gegenleistungen von Edeka seine Beschwerde zurücknahm. In Reaktion auf die Beschwerde von Rewe schuf Sigmar Gabriel mit der 9. GWB Novelle den Rechtsschutz für die Konkurrenten faktisch ab. Die nun geplante Wiedereinführung dieser Rechtsschutzmöglichkeit ist daher zu begrüßen.

Als Erfolg gilt nahezu einzig die Ministererlaubnis in dem Verfahren Universitätsklinik Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast (2008), wodurch der Verlust des Status als Universitätsklinikum wegen zu geringer Bettenzahl verhindert werden konnte.

In den Verfahren Burda/Springer (1981) und Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003) wurde die Ministererlaubnis letztlich nicht erteilt, so dass es nicht zu einer Reduktion der Meinungsvielfalt und des Wettbewerbs auf dem Zeitungsmarkt gekommen ist. Beide Verfahren hätten durchaus auch anders ausgehen können.

Ohne dies hier vertiefen zu können, sei darauf hingewiesen, dass in vielen Ministererlaubnisverfahren bereits erhebliche Zweifel daran bestanden, ob die Zusammenschlussvorhaben für die Erreichung der angestrebten Gemeinwohlziele überhaupt geeignet und erforderlich waren.

Bei dieser alles andere als gloriosen Erfolgsbilanz der Ministererlaubnis muss man sich zudem vor Augen führen, dass die Erteilung der Ministererlaubnis stets zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs und damit zu einem erheblichen Wohlfahrtsverlust für die Allgemeinheit geführt hat.

Fazit

Knapp fünfzig Jahre Ministererlaubnis bieten ein Potpourri aus Korruptionsvorwürfen, Skandalen und weitreichenden Fehlentscheidungen. Bei einem Instrument, dessen Erfolgsbilanz derart negativ ist, drängt sich die Frage auf, weshalb es nicht schon längst abgeschafft worden ist.

Hauptargument für die Ministererlaubnis ist die Entlastung des Bundeskartellamts von politischem Druck. Weder ist jedoch auf europäischer Ebene (auf der keine Ministererlaubnis existiert) erkennbar, dass sich die EU-Kommission von politischem Druck beeinflussen ließe, noch ist dies beim gerichtsähnlich organisierten Bundeskartellamt zu befürchten. Ebenso wie der Justiz ist dem Bundeskartellamt zuzutrauen, politischem Druck standzuhalten.

Tieferer Grund hinter diesem Argument ist eher die Angst, dass irgendwann der eine Fall auftauchen wird, in dem Gemeinwohlgründe tatsächlich die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegen. Dieses Risiko ist jedoch gering und noch dazu in Kauf zu nehmen, wenn im Gegenzug die bisherige Kette von Fehlschlägen und Skandalen für die Zukunft verhindert werden kann.

Angesichts der Unbestimmtheit der Tatbestandsvoraussetzung der Ministererlaubnis und ihrer miserablen Erfolgsbilanz verbleibt damit nur noch, Wilhelm Busch zu zitieren: „Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man lässt.“


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