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23 December 2021

Open Access in der Schweizer Rechtswissenschaft

In der schweizerischen Rechtswissenschaft bewegt sich einiges in Sachen Open Access. Auf der einen Seite sind viele Bottom-Up-Initiativen entstanden, auf der anderen Seite wird der freie Zugang zu rechtswissenschaftlicher Literatur vermehrt Top-Down gefordert – und teilweise auch gefördert. Es bleibt allerdings noch einiges zu tun, bis Open Access zum Standard wird. Dies gilt insbesondere für die Finanzierung von Zeitschriften. Die bisher bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten fördern ein System, in dem Quantität mehr zählt als Qualität.

Im Mai 2016 wurde in Bern (Schweiz) die erste Tagung zu Open Access in der Rechtswissenschaft durchgeführt. Anwesend waren Forscher:innen, Bibliothekar:innen, Förschungsförder:innen und Verlagsvertreter:innen aus der Schweiz und – zur Freude des Schreibenden – auch aus Deutschland. Zu dieser Zeit war Open Access in unserer Disziplin noch ein kaum diskutiertes Thema, sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz. Zwei Jahre später, im Herbst 2018, hat der Schreibende gemeinsam mit Hanjo Hamann und Alexander Peukert in Frankfurt am Main die zweite jurOA-Tagung organisiert. Aus dieser Tagung ist ein Tagungsband in Form eines Sonderhefts der Zeitschrift «Rechtswissenschaft» hervorgegangen. In diesem Tagungsband findet sich zur Frage, ob Open Access auch die Rechtswissenschaft etwas angeht, der folgende Satz aus der Feder von Marion Goller:

«Im demokratischen Rechtsstaat, der sich zu seiner Organisation des Rechts als primäres Instrument bedient, hat daher die Rechtswissenschaft keine geringere Verpflichtung zur Offenheit als die Mathematik, Biologie oder Medizin, sondern eine größere.»

Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen, jedenfalls ich nicht.

Seit der Tagung in Frankfurt sind nun drei Jahre vergangen. Eigentlich hätte 2020 die dritte jurOA stattfinden sollen, diese musste aber pandemiebedingt zunächst auf 2021 verschoben und dann leider ganz abgesagt werden. 2022 wird die Tagung voraussichtlich wieder in Bern stattfinden.

Finanzierungsfrage erst teilweise gelöst

Während 2016 der Eindruck vorherrschte, dass die Schweiz in Sachen Open Access in der Rechtswissenschaft vorangeht, hat sich bereits 2018 gezeigt, dass die OA-Bewegung auch in Deutschland an Fahrt aufgenommen hat. In den letzten drei Jahren hat die Open-Access-Bewegung in der Rechtswissenschaft in beiden Ländern zusätzlich an Momentum gewonnen. Dabei zeigt sich allerdings, dass die zentrale Frage der Finanzierung nur teilweise gelöst ist. In der Schweiz ist diesbezüglich eine große Diskrepanz zwischen der Finanzierung von Monographien und der Zeitschriftenfinanzierung auszumachen. Während es bei Monographien immer so war, dass die Autor:innen für die Publikation persönlich oder in Form von Drittmittelakquisition einen Beitrag beisteuern mussten, gilt dies nicht für Zeitschriftenbeiträge. In der Schweiz scheint das Problem der Finanzierung von Monographien auf den ersten Blick als gelöst, weil der Nationalfonds (das Schweizer Pendant zur DFG) Open-Access-Monographien in sehr hohem Maße, nämlich mit bis zu CHF 25‘000 für die Publikation eines Buches, finanziell fördert. Die Verlage haben sich damit arrangiert und auch Autor:innen können gut damit leben, u.a. deshalb, weil für die Publikation von Monographien schon immer Geld geflossen ist.

Anders sieht es aber bei Zeitschriften aus: Hier ist es gänzlich unüblich, dass Autor:innen für die Publikation etwas bezahlen – im Gegenteil: Während es in Deutschland verbreitet ist, dass Autor:innen für die Publikation von Beiträgen in rechtswissenschaftlichen Zeitschriften entschädigt werden, ist dies in der Schweiz nur ausnahmsweise der Fall. Artikelgebühren, die von Autor:innen an die Verlage zu entrichten wären, waren aber in beiden Ländern bisher kein Thema. Dies unterscheidet die Rechtswissenschaft von anderen Disziplinen, insbesondere von den Naturwissenschaften, in denen sich das System der Article-Processing-Charges durchgesetzt hat.

Nun wäre es ein Leichtes, auch in der Rechtswissenschaft Zeitschriften auf dieses System umzustellen oder neue, auf APC basierende Zeitschriften aufzubauen. Eine solche Zeitschrift könnte aufgrund bestehender Finanzierungsinstrumente (SNF und universitäre Open-Access-Fonds) einen hohen Gewinn erzielen. Genau hier zeigt sich aber eines der Probleme dieses Systems: Es schafft auch auf Verlagsseite einen Anreiz zur Publikation möglichst vieler Beiträge. Dieser Anreiz schlägt unweigerlich auf die Qualität durch. Selbst wenn ein doppel-blindes Peer Review durchgeführt wird, kann durch die Auswahl der Peer-Reviewer:innen und die Kommunikation mit diesen dafür gesorgt werden, dass Ablehnungen von Beiträgen selten bis nie vorkommen. Hinzu kommt die wenig erstaunliche und empirisch nachgewiesene Tendenz, dass APCs im Laufe der Zeit stetig ansteigen. Aus diesen Gründen ist im Factsheet Open Science der Akademien Schweiz auch festgehalten, dass in Disziplinen, in denen sich APCs nicht bereits durchgesetzt haben, von der Einführung dieses Systems abgesehen werden soll.

Juristische Open-Access-Zeitschriften

In der Schweiz existieren bis anhin – abhängig davon, wie Open Access definiert wird – drei bis acht rechtswissenschaftliche Open-Access-Zeitschriften. Stellt man auf die BBB-Definition des Begriffs «Open Access» ab (Suber, Open Access, S. 7), ist eine offene Lizenz ein Wesensmerkmal. Zeitschriften, die nicht mit einer offenen Lizenz operieren, sind demzufolge keine Open-Access-Zeitschriften. Dabei ist zu beachten, dass nicht jede Creative-Commons-Lizenz eine offene Lizenz ist. Die BBB-Definition von Open Access verlangt, dass wissenschaftliche Beiträge nicht nur frei zugänglich sind, sondern darüber hinaus auch weiterverbreitet und bearbeitet werden dürfen – und dies zeitlich unbeschränkt, also unwiderruflich. Bei Creative-Commons-Lizenzen, die eine Bearbeitung verbieten (Zusatz ND für „No Derivatives) und/oder die Weiterverwendung nur im nichtkommerziellen Rahmen erlauben (Zusatz NC für „Non Commercial“), handelt es sich nicht um offene Lizenzen im Sinne der BBB-Definition.

Auf Grundlage dieser Definition existieren in der Schweiz nur gerade drei juristische Open-Access-Zeitschriften: Ancilla Iuris, Cognitio und sui generis. Zum Vergleich: Im gesamten deutschsprachigen Raum sind es gemäß Hamann fünf von 46 sogenannten Internetzeitschriften. Wenn alle rechtswissenschaftlichen Zeitschriften gezählt werden, die kostenlos zugänglich sind (Hamann verwendet dafür den Begriff «Internetzeitschriften»), existieren in der Schweiz acht solche Zeitschriften. Nur zwei davon erscheinen bei einem Verlag: Die Zeitschriften ex ante (Dike Verlag) und LeGes (Editions Weblaw).

Rechtswissenschaftliche Bücher

Im Unterschied zur Situation in Frankreich, wo schon heute vier von zehn juristischen Dissertationen in frei zugänglicher Form erscheinen, dürfte dieser Anteil in der Schweiz – wie auch in Deutschland – derzeit noch im einstelligen Prozentbereich liegen. Leider werden hierzu in der Schweiz keine Daten erhoben, sodass sich über den Anteil lediglich mutmaßen lässt. Eine Suche in der Forschungsdatenbank des SNF führt zum Ergebnis, dass im Jahr 2020 gerade einmal 10 rechtswissenschaftliche Bücher mit finanzieller Unterstützung des SNF publiziert worden sind. Im Jahr 2021 hat sich dieser Wert aber bereits mindestens verdreifacht (30 Treffer für das Zeitfenster vom 1. Januar bis 31. November 2021).

Dabei erscheint zumindest die Finanzierung von Open-Access-Monographien in der Schweiz vorerst als gelöst: Der SNF fördert die Open-Access-Publikation von Büchern nämlich auch dann, wenn sie nicht aus SNF-Projekten hervorgegangen sind, mit bis zu CHF 25’000 pro Buch. Wer in der Schweiz ein rechtswissenschaftliches Buch Open Access publizieren möchte, hat heute die Wahl zwischen mehreren traditionsreichen (Dike Verlag, Helbing Lichtenhahn Verlag) sowie drei im Zuge der Open-Access-Bewegung neu gegründeten Verlagen (EIZ Publishing, sui generis Verlag, Éditions juridiques libres).

Juristische Lehrbücher

In der Schweiz bestehen unterschiedliche Auffassungen zur Frage, ob es sich bei juristischen Lehrbüchern um wissenschaftliche Werke handelt. Wenn Lehrbücher generell als nicht-wissenschaftliche Werke betrachtet würden und Open Access einzig den freien Zugang zu wissenschaftlichen Werken meint, wären Lehrbücher von dieser Diskussion ausgeklammert. Im Folgenden soll die Frage nach der der Wissenschaftlichkeit von Lehrbüchern nicht weiter vertieft werden. Unumstritten dürfte sein, dass einzelne Lehrbücher einen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs leisten, während andere sich auf eine überblicksmäßige Darstellung von Gesetz und höchstrichterlicher Rechtsprechung beschränken.

Abhängig davon, ob ein Lehrbuch als wissenschaftliches Werk betrachtet wird oder nicht, läuft die Diskussion zur frei zugänglichen Publikation entweder unter dem Begriff Open Access oder Open Educational Resources (OER). In der Schweiz existieren bis heute – soweit ersichtlich – nur zwei juristische Lehrbücher, die unter einer offenen Lizenz publiziert worden sind: Das englischsprachige Buch «Introduction to Swiss Law», herausgegeben von Marc Thommen, und das von RA Stephan Bernard verfasste Buch «Was ist Strafverteidigung?». Im Unterschied zur Finanzierung von Buchpublikationen, die unbestritten dem wissenschaftlichen Diskurs zugeordnet werden können, ist die Finanzierung von frei zugänglichen Lehrbüchern bis heute in erster Linie abhängig von der Finanzkraft der Autor:innen bzw. Herausgeber:innen. Dies hat zur Folge, dass Student:innen die Lehrbücher auch weiterhin kaufen oder in einer Bibliothek ausleihen und manuell einscannen oder kopieren müssen.

Mit Blick auf frei zugängliche juristische Lehrmaterialien bleibt zu hoffen, die von OpenRewi angestoßene Bewegung (gemeinsames Schreiben hochwertiger rechtswissenschaftlicher Lehrmaterialien, siehe dazu den Verfassungsblog-Beitrag von Maximilian Petras) auch in der Schweiz eine Gefolgschaft finden wird.

Gesetzeskommentare

Anders als bei Dissertationen und Habilitationen, die in der Schweiz häufig als druckfertige PDF-Datei dem Verlag abzuliefern sind und anschließend ungelesen gedruckt werden, ist bei Gesetzeskommentaren der von juristischen Verlagen geschaffene Mehrwert sichtbar. Bis vor Kurzem wurden Kommentare denn auch kaum von der Open-Access-Bewegung tangiert. Eine Ausnahme bilden die angepassten Förderrichtlinien des SNF, die auch für Kommentare festhalten, dass eine finanzielle Förderung nur möglich ist, wenn Open Access publiziert wird. Damit ist es nicht mehr länger möglich, dass Steuergelder in der Höhe von bis zu 465’000 Franken in das Verfassen eines Kommentars fließen, der anschließend nur von Käufer:innen des gedruckten Buches gelesen werden kann.

In jüngerer Zeit ist nun aber auch im Kommentarbereich eine Bewegung in Richtung Open Access entstanden. Vor wenigen Wochen wurde der erste hybride Gesetzeskommentar (gedrucktes Buch und frei zugängliche Online-Publikation) zu schweizerischem Recht publiziert: Es handelt sich um den bei EIZ Publishing erschienenen Kommentar zur Schaffhauser Verwaltungsrechtspflege.

Ebenfalls noch sehr jung ist der Onlinekommentar (www.onlinekommentar.ch). Dabei handelt es sich um eine Online-Plattform, auf der zahlreiche Gesetze sowie die Bundesverfassung und die EMRK kommentiert werden. Pro Erlass zeichnet jeweils ein:e Herausgeber:in oder ein Herausgeber-Team für die Auswahl der Autor:innen und die Qualitätssicherung verantwortlich. Für einen detaillierte Vorstellung dieses Projekts sei auf den im Verfassungsblog erschienenen Beitrag des Onlinekommentar-Gründers und Bundesgerichtsschreibers Daniel Brugger verwiesen.

Vorgaben der Hochschulen und Forschungsförderer

Abschließend soll kurz auf die Open-Access-Vorgaben der Schweizer Hochschulen und Forschungsförderer eingegangen werden. Sowohl der schweizerische Nationalfonds als auch Swissuniversities, die Rektorenkonferenz, streben 100% Open Access an. Der SNF hat dieses Ziel ursprünglich bereits im Jahr 2020 erreichen wollen, Swissuniversities hat sich bis 2024 Zeit gegeben.

Während die Regeln des schweizerischen Nationalfonds verbindlich sind, gelten sie selbstredend nur die vom SNF geförderten Forschungsprojekte. Demgegenüber betreffen die Vorgaben von Swissuniversities sämtliche an Hochschulen tätige Wissenschaftler:innen, sind aber insofern unverbindlich, als Swissuniversities lediglich als privatrechtlicher Verein konstituiert ist, der den öffentlichen Hochschulen keine verbindlichen Vorgaben machen kann. Im Rahmen der Umsetzung der Open-Access-Strategie sind die Hochschulen jedoch dazu aufgerufen, eigene Open-Access-Vorgaben zu erlassen, die sich an jenen von Swissuniversities orientieren. Auf diesem Weg werden die zunächst unverbindlichen Ziele von Swissuniversities mittelfristig zu verbindlichen und durchsetzbaren Vorgaben der einzelnen Hochschulen. Als Beispiel kann auf die Open-Access-Policy der Universität Basel verwiesen werden, die unter Verweis auf die nationale Open-Access-Strategie festhält: «Alle Mitglieder der Universität Basel werden verpflichtet, ihre wissenschaftlichen Publikationen innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens frei zugänglich zu machen.»

Fazit und Ausblick

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass rechtswissenschaftliche Autor:innen in der Schweiz wählen können, ob sie ihre Publikationen frei zugänglich oder nur für zahlende Leser:innen verfügbar machen wollen. Bei Monographien ist die Finanzierung durch die überaus großzügige Förderung des SNF gewährleistet und es besteht auch eine gewisse Auswahl an Verlagen, die Open-Access-Bücher publizieren. Für Aufsätze existiert zumindest dann, wenn der Begriff Open Access auf den kostenlosen Zugang reduziert wird, ein wachsendes Angebot an Zeitschriften. Und mit dem Projekt Onlinekommentar hat auch die bis vor Kurzem als letzte Bastion der juristischen Verlage geltende Werkform den ersten Schritt in die neue Welt gemacht.

In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob für Zeitschriften eine nachhaltige Finanzierung geschaffen wird oder ob aufgrund bestehender Fehlanreize auch in der Rechtswissenschaft Artikelgebühren eingeführt werden müssen. Dies hätte zur Folge, dass auch die Verlage ein Interesse an einer möglichst hohen Anzahl an Publikationen entwickeln würden. Es ist zu hoffen, dass die Universitäten und der Nationalfonds erkennen, dass die alleinige Finanzierung von Artikelgebühren bereits bestehende Probleme des Publikationswesens (namentlich: Quantität statt Qualität) verstärkt und dass deshalb Open-Access-Modelle ohne Artikelgebühren gefördert werden müssen.

Die Frage, ob an Schweizer Hochschulen tätige Rechtswissenschaftler:innen in naher oder ferner Zukunft auch Open Access publizieren müssen, kann heute noch nicht beantwortet werden. Zwar geht die Wissenschaftsfreiheit in der Schweiz nicht so weit, dass sie einen Anspruch auf Publizieren in kostenpflichtigen Zeitschriften beinhaltet. Es ist aber gut möglich, dass Hochschulen auch weiterhin die vollumfängliche Abtretung des Urheberrechts an Verlage erlauben und die so geschaffene Rechtslage anschließend als Hinderungsgrund für das freie Zugänglichmachen akzeptieren.


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