Schottland sieht Island als Modell bei Verfassungsgebung
300.000 Isländer können sich kollektiv eine Verfassung geben; das hat gegen alle Skepsis (auch meine) die Erfahrung gezeigt. Aber können das auch 5 Millionen Schotten?
Die schottische Regierung hat heute ein Papier veröffentlicht, das aufzeichnet, wie sie sich den Weg zu einer Verfassung eines unabhängigen Schottland vorstellt. Dieser Weg ist lang: Nach dem Unabhängigkeitsreferendum im Herbst 2014 (vorausgesetzt, die Mehrheit stimmt mit Ja) soll es zunächst eine Art Übergangsverfassung geben, die Schottland mit den zur Unabhängigkeit nötigen Institutionen ausstatten soll. Im März 2016, wenn (und soweit) die Verhandlungen mit Westminster über die Details der Trennung abgeschlossen und insbesondere das Problem der EU-Mitgliedschaft gelöst ist, soll die Unabhängigkeit formell erklärt werden. Anschließend beginnt der Wahlkampf zu den schottischen Parlamentswahlen im Mai 2016.
Das neu gewählte Parlament soll dann den Verfassungsgebungsprozess einleiten und das Verfahren dazu bestimmen. In dem Papier schlägt die Regierung einen Verfassungskonvent vor. Als Vorbild nennt sie die USA 1787. Dieser Konvent soll aber ergänzt werden durch einen „partizipativen und inklusiven Prozess, bei dem das schottische Volk, neben Politikern, Zivilgesellschaftsorganisationen, Wirtschaftsinteressen, Gewerkschaften und anderen, eine direkte Rolle bei der Ausgestaltung der Verfassung spielen.“
Das kann alles sein von bloßen Konsultationsrunden bis hin zu einem so ausgefeilten Prozess wie in Island. Dass das isländische Modell aber wahrgenommen und in Betracht gezogen wird, daran lässt das Papier keinen Zweifel.
Die schottische Regierung selbst betont, „nur eine von vielen Stimmen“ sein zu wollen, die an der Verfassungsgebung teilnehmen. Die lässt sie allerdings gleich mal sehr laut und vernehmbar ertönen, indem sie sich auf eine Reihe betont progressiver Verfassungs-Features, etwa in punkto soziale Grundrechte und Schutz der natürlichen Ressourcen, festlegt.
Es wird sehr spannend zu beobachten sein, wie offen und partizipativ der Verfassungsgebungsprozess am Ende tatsächlich sein wird. Wie wir die Scottish National Party kennen, liegen ihre Präferenzen deutlich näher an Island als an, sagen wir mal, Ungarn. Aber das ist alles noch unerprobt.
Ein Punkt immerhin ist im Indikativ formuliert, nämlich dass das unabhängige Schottland überhaupt eine geschriebene Verfassung haben wird. Das hat das Vereinte Königreich bekanntlich nicht, sondern stattdessen den Grundsatz der Parlamentssouveränität, wonach das Parlament in Westminster buchstäblich alles darf, nur eines nicht, nämlich seine Nachfolger zu binden. Von dieser Art Verfassung unabhängig zu werden ist schließlich, worum es bei dem ganzen Prozedere geht.
Voraussetzung für all das, wie gesagt, ist natürlich, dass die Schotten 2014 wirklich unabhängig werden wollen, was weiterhin alles andere als ausgemacht ist.