06 May 2013

“Secret Courts” in Großbritannien: Ab jetzt Realität

Während wir uns hier, zuletzt mit gelegentlich leicht überschnappender Stimme, über das Thema Öffentlichkeit im NSU-Verfahren aufregen, entsteht in Großbritannien gerade etwas, was die dortige Presse – wie so oft grob vereinfachend, aber mit einem zutreffenden Kern – “secret courts” getauft hat.

Vor wenigen Tagen ist nach jahrelangem heftigem Streit und gegen den ebenso erbitterten wie letztlich erfolglosen Widerstand weiter Teile der Presse und der Juristenschaft der Justice and Security Act in Kraft getreten. Damit ist es künftig möglich, dass der Staat sich gegen Schadensersatzforderungen z.B. von Folteropfern oder willkürlich Inhaftierten vor Gericht auf Staatsgeheimnisse beruft. Das Gericht kann ein so genanntes “Closed Material Procedure” (CMP) anordnen. Dann finden diese Tatsachen Eingang in den Prozess und können das Urteil beeinflussen – aber weder Kläger noch Öffentlichkeit erfährt jemals von ihnen.

Das klingt für deutsche Ohren vielleicht gar nicht mal so skandalös. Strafverfahren sind ausdrücklich nicht betroffen. Und was Zivilverfahren betrifft, so sorgt hierzulande schließlich unser bizarres Staatshaftungsrecht ohnehin dafür, dass Opfer staatlichen Unrechts nicht ermutigt werden, sich über Schadensersatzklagen Genugtuung zu verschaffen.

Außerdem hat die Regierung nicht die Kontrolle darüber, ob die CMP angeordnet wird oder nicht. Das bleibt im Ermessen des zuständigen Richters.

Das Gruseligstee an diesem Gesetz sind vielleicht auch gar nicht in erster Linie die Missbrauchsmöglichkeiten, die es der Regierung eröffnet (wenngleich man die Entschlossenheit gerade der britischen Regierung, ihre Anti-Terror-Kompetenzen zweckzuentfremden, nicht unterschätzen sollte – zumal CMP auch etwa bei Habeas-Corpus-Fällen angeordnet werden kann, in denen es um die Rechtmäßigkeit einer Inhaftierung geht).

Das Gruseligste daran scheint mir, dass es mit den fundamentalsten Prinzipien des fairen Prozesses brichst. Mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs, dass mir ein Recht darauf gibt, dass sich das Urteil nur auf Tatsachen stützt, zu denen ich mich äußern konnte. Mit dem Prinzip der Waffengleichheit, das mir ein Recht darauf gibt, dass mein Gegner nicht über einen privilegierten Zugang zum Gericht verfügt. Mit dem Prinzip der Öffentlichkeit, das mir ein Recht darauf gibt, dass die Tatsachen nicht auf eine Weise ermittelt und das Recht nicht auf eine Weise auf sie angewandt wird, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen müsste.

Ein Prozess, in dem CMP angeordnet wird, läuft stattdessen nach folgendem Muster ab: Ich klage – der Beklagte tuschelt dem Gericht etwas zu – ich verliere.


4 Comments

  1. Claire Mon 6 May 2013 at 16:04 - Reply

    Oft wird es beschworen, bei diesem Beispiel ist man aber dann schon wirklich recht nahe dran am Kafkaesken…

  2. O. García Mon 6 May 2013 at 16:48 - Reply

    Wenn ich die Neuerung in Großbritannien nicht mißverstehe, dann gibt es entsprechendes im deutschen Recht in Form des in-camera-Verfahrens (§ 99 Abs. 2 VwGO – http://dejure.org/gesetze/VwGO/99.html). Dieses geheime Zwischenverfahren wird vor speziellen Senaten geführt (§ 189 VwGO).

  3. Matthias Tue 7 May 2013 at 02:28 - Reply

    Ich kenne die britische Vorschrift nicht. § 99 VwGO scheint mir aber etwas anderes zu meinen. Dort geht es zwar um ein geheimes Zwischenverfahren. Aber es geht der VwGO um die Beschränkung des Prozessstoffes, die sich daraus ergibt, dass Akten aus dem Prozess herausgehalten werden, deren Bekanntwerden aus bestimmten Gründen – ich sage es mal salopp – nicht schön ist. (I.Ü. trifft die Entscheidung darüber, wenn ich es richtig sehe, immerhin ein Senat des OVG, der am Verfahren nicht beteiligt ist.) Wenn ich den Blogpost richtig verstehe, soll dort gerade das Gegenteil erreicht werden. Oder nicht?

  4. Maximilian Steinbeis Tue 7 May 2013 at 15:05 - Reply

    Vor allem bezieht sich das auf den Verwaltungsprozess.

    In dem Justice and Security Act gibt es tatsächlich eine weitere neue Vorschrift, die man da auch noch erwähnen sollte. Sie bezieht sich auf die “Norwich Pharmacal”-Rechtsprechung, die Klägern ermöglicht, vom Staat Informationen über rechtswidriges Verhalten Dritter zu erklagen. Dieses Recht soll es künftig nicht mehr geben, wenn es sich um Geheimdienstinformationen handelt. Außerdem kann der Secretary of State anordnen, dass bestimmte Informationen nicht mehr auf diese Weise erhalten werden können, wenn deren Veröffentlichung “gegen die nationalen Sicherheitsinteressen” oder “gegen die Interessen der internationalen Beziehungen des UK” wäre. Mit anderen Worten: Du bist mit Wissen deiner Regierung vom CIA in ein Foltergefängnis in Albanien verschleppt worden und willst darüber Genaueres erfahren? Good luck trying, sucker…

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