09 October 2013

“Gläserne Abgeordnete” in Frankreich sind verfassungsmäßig

Heute ist der Tag des Abgeordnetenrechts, scheint es. Auch im Nachbarland Frankreich hat der Verfassungsrat heute ein wichtiges Urteil zu den Rechten und Pflichten der Parlamentarier gefällt. Es geht um die drakonischen Vorschriften, die seit neuestem für die Veröffentlichung des Vermögens und der Berufstätigkeit von Abgeordneten des Senats und der Nationalversammlung gelten.

Die waren von Präsident Hollande erzwungen worden, nachdem dessen Budgetminister Jérôme Cahuzac als Inhaber schwarzer Konten im Ausland aufgeflogen und angeklagt worden war. Sie haben es wirklich in sich: Die Parlamentarier müssen gegenüber einer Behörde erklären, was sie besitzen und für wen sie alles arbeiten bzw. in den letzten fünf Jahren gearbeitet haben, ob entgeltlich oder nicht. Die Tätigkeiten werden veröffentlicht, die Vermögensverhältnisse können die Wähler bei der Behörde einsehen. Wer gegen die Vorschriften verstößt, dem drohen drei Jahre Gefängnis plus 45.000 Euro Geldstrafe sowie der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Entsprechende Vorschriften gibt es für Regierungsmitglieder, hohe Beamte und Regierungsberater, französische Abgeordnete des Europaparlaments, bestimmte Kommunalpolitiker und Chefs von Staatsbetrieben. Insgesamt fast 8000 Personen sind betroffen.

Unsere deutsche Diskussion, als wir vor ein paar Jahren den Bundestagsabgeordneten zumuteten, ihre Verdienstsituation wenigstens größenordnungsmäßig offenzulegen, mutet demgegenüber fast albern an.

Der Conseil Constitutionel jedenfalls fand heute nur in einigen Details etwas an der französischen Regelung zu bemängeln. Da es bei dem Gesetz darum gehe, die Rechtschaffenheit und Integrität der Parlamentsmitglieder sicherzustellen und Interessenskonflikte zu vermeiden bzw. zu bekämpfen, sei der Eingriff in die Privatsphäre der Abgeordneten im Wesentlichen gerechtfertigt.

Manche Punkte gehen dem Verfassungsrat aber zu weit: Dass etwa die Parlamentarier auch die Aktivitäten ihrer Kinder und ihrer Eltern offenlegen müssen, sei nicht gerechtfertigt, ebensowenig das Verbot, nach Beginn ihres Mandats neue berufliche Tätigkeiten oder Beratungsmandate anzunehmen. Auch die Pflicht für Bürgermeister von Großstädten, ihr Vermögen offen zu legen, findet der Verfassungsrat unverhältnismäßig, und zwar (soweit ich das verstehe) weil lokale Amtsträger davon größere politische Nachteile hätten als nationale (?). Nicht gewählte Amtsträger will der Verfassungsrat ebenfalls nicht so hart angefasst sehen wie gewählte. Schließlich zieht er der Behörde, die diese Pflichten überwacht, aus Gründen der Gewaltenteilung Grenzen.

Wenn man diese Entscheidung mit der des Bundesverfassungsgerichts zum (milch-)gläsernen Bundestagsabgeordneten von 2007 vergleicht, fällt nicht nur der wie immer im Vergleich geradezu spartanische Argumentationsstil der Franzosen auf, sondern vor allem auch der unterschiedliche Maßstab: Für die Karlsruher geht es hier um Art. 38 I GG, das freie Mandat, das immerhin vier der acht damals durch die Veröffentlichungspflichten potenziell beeinträchtigt sahen. Die Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau ängstigten sich vor allem vor der Vorstellung, hier könnte die Regierung – da sind wir wieder beim anderen abgeordnetenrechtlichen Thema des Tages – das Parlament kontrollieren und kujonieren.

Das spielt für die “Weisen” aus Paris, soweit ich sehe, allenfalls eine Nebenrolle. Für sie sind Abgeordnete erstmal Menschen, deren Privatsphäre wie bei jedem anderem auch Schutz bedarf, die sich aber als gewählte Mandatsträger mehr Einschränkungen im Interesse ihrer Integrität gefallen lassen müssen.

Für Karlsruhe müssen die Volksvertreter vor dem Staat geschützt werden. Für Paris, wenn man so will, die Staatsvertreter vor dem Volk.


2 Comments

  1. aloa5 Wed 9 Oct 2013 at 23:35 - Reply

    Müsste der Schluss nicht “das Volk vor den Staatsvertretern” lauten?

  2. AX Fri 11 Oct 2013 at 16:03 - Reply

    Bei “französische Abgeordnete des Europaparlaments” musste ich stutzen. “Nationale Beschränkungen des freien Mandats von Mitgliedern des Europäischen Parlaments” scheint mir nämlich ein Thema mit europarechtlicher Sprengkraft zu sein.

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