Muss Straßburg hinter der Eurokrise zusammenkehren?
Die Eurokrise und der fürchterliche Flurschaden, den sie in Südeuropa angerichtet hat, hat den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, soweit ich sehe, noch nicht erreicht. Heute hat er wieder zwei Klagen von portugiesischen Beamten als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen, die sich darüber beschwerten, dass man ihnen unter dem Druck der Austerity-Politik einen Teil ihrer Pensionen gestrichen hatte.
Wie schon in einem entsprechenden griechischen Fall zeigt der EGMR wenig Neigung, sich schützend vor die jäh ihres Lebensstandards beraubten Staatsdiener zu werfen. Wenn der Staat bereits erworbene Pensionsansprüche zusammenstreicht, ist das zwar ein Eingriff in das Eigentumsrecht. Aber in dieses Recht kann natürlich auf rechtmäßige Weise eingegriffen werden.
Auf rechtmäßige Weise? Immerhin hatte das portugiesische Verfassungsgericht die Pensionskürzung 2012 für verfassungswidrig erklärt: Sie verlange Beamten ein viel höheres Opfer ab als Beschäftigten der Privatwirtschaft, und das sei unverhältnismäßig.
Allerdings schreckte das portugiesische Verfassungsgericht davor zurück, die Kürzung tatsächlich für nichtig zu erklären und damit die Rettungskredite der EU und des IWF zu gefährden und Portugal in den Bankrott zu treiben. Die portugiesische Verfassung erlaubt dem Verfassungsgericht, auch mildere Mittel verhängen zu können als die Nichtigkeit, “wenn die Rechtssicherheit, Gründe der Billigkeit oder des Allgemeininteresses von besonderer und dargelegter Bedeutung dies erfordern” (Art. 282 IV). Deshalb sah es davon ab, die Suspendierung der Kürzungen für das Haushaltsjahr 2012 anzuordnen.
Prima, sagt der EGMR: Dann ist ja alles in Ordnung. Wenn das portugiesische Verfassungsgericht das so sieht, dann ist die Kürzung sicherlich rechtmäßig gewesen.
(Wobei das eigentlich eine interessante Frage wäre: Kann ein verfassungswidriges Gesetz einen Menschenrechtseingriff rechtfertigen? Die Verfassungswidrigkeit ist ja vom zuständigen Gericht amtlich festgestellt. Das nationale Verfassungsrecht sieht im Fall Portugals nur verschiedene mögliche Rechtsfolgen vor…)
Jedenfalls hält der EGMR an seiner Linie fest, bei der Frage, wie der Staat seine knappen Ressourcen sozial verteilt, einen weiten Ermessensspielraum einzuräumen. Ein legitimer Zweck sei mit der Ermöglichung des Rettungspakets auch gegeben. Dass die portugiesischen Pensionäre unverhältnismäßig belastet seien, weil sie einen Teil ihres Weihnachts- und Urlaubsgelds gestrichen kriegen, könne die Kammer nicht erkennen.
Der UK Human Rights Blog berichtet, dass auf den EGMR noch ein anderer Fall südeuropäischer Krisenbewältigung zukommt: Britische Ferienhauskäufer müssen offenbar in großer Zahl wehrlos zusehen, dass die spanischen Behörden ihre Ferienhäuser abreißen, weil sie sich als Schwarzbauten herausstellen. Die Käufer hatten von den örtlichen Bürgermeistern die prächtigsten Baugenehmigungen erhalten, aber leider sitzen die heute vielfach wegen Korruption im Gefängnis, und die Bauunternehmer, die ihnen das hübsche Häuschen an der Costa Blanca verkauft hatten, ebenfalls.
Kann ein Staat die Korruption seiner eigenen Bediensteten auf diese Weise auf die Schultern irgendwelcher arglosen britischen Häuserkäufer abladen? Der Fall könnte noch interessant werden.