25 February 2014

Ukraine: Morgendämmerung des Parlaments?

Seit etwa einer Woche überstürzen sich die politischen Ereignisse in der Ukraine. Waren Sie überrascht von den jüngsten Umwälzungen oder hatten Sie mit dem Umsturz gerechnet?

Der Fall des Regimes Janukowitsch war vorherzusehen; ich habe das auch bereits mehrfach im Vorfeld bemerkt. Schon bei der ersten großen Demonstration am 1. Dezember 2013 war zu beobachten, dass sein Regime dem Ende zugeht, und seitdem handelte es sich eigentlich nur noch um eine Art Agonie. Allerdings hat mich die Geschwindigkeit, mit der es in der letzten Woche dann mit Janukowitsch bergab ging, auch überrascht – der Wandel vollzog sich am Freitag ja teils im Stundentakt.

Wie schätzen Sie die Rolle des Parlaments bei dieser schnellen Absetzung von Präsident Janukowitsch ein?

Das Parlament hat eine Schlüsselrolle gespielt. Es hat eine erstaunliche Kräfteverschiebung im Parlament gegeben. Bis vor kurzem hatte die Mehrheit im Parlament ja noch Janukowitsch unterstützt, aber dann haben mehrere Duzend Abgeordnete die Seiten gewechselt und so gab es auf einmal sogar eine verfassungsändernde Mehrheit gegen Janukowitsch. Mit dieser Mehrheit wurde dann auch die „neue alte“ Verfassung eingesetzt, das heißt die Verfassung von 2004. Diese Kräfteverschiebung und die Radikalität und Schnelligkeit der Änderungen waren bemerkenswert.

Kann man sagen, dass das Parlament nunmehr für das ukrainische Volk oder zumindest für die Demonstranten auf dem Maidan spricht?

Wahrscheinlich kann man das so sagen, zumindest nimmt das Parlament viele Impulse aus der Bevölkerung auf. Allerdings ist die Legitimität des Parlaments selbst fragwürdig. Die Parlamentswahlen im Jahr 2012 wurden von der OSZE kritisiert. Es gab dann am 15. Dezember vergangenen Jahres Nachwahlen in fünf Direktwahlkreisen, die aber auch nur unter erheblichen Mängeln stattgefunden haben.

Jedoch hat es nun den oben angesprochenen Mandatswechsel etlicher ehemaliger Anhänger der Regierungspartei gegeben. In Zukunft wird das Parlament eine größere Rolle spielen, weil mit der Rückkehr zu der 2004er-Verfassung nun wieder ein semipräsidentielles Regime existiert, bei dem das Parlament erhebliche Rechte hat, und nicht mehr der „Superpräsidentialismus“, den es bis letzte Woche gab.

Wie beurteilen Sie die jüngsten Maßnahmen, über die in der deutschen Medienlandschaft eher kritisch berichtet wird, wie die Absetzung aller Verfassungsrichter und die Verabschiedung eines Gesetzes, das Russisch als zweite Amtssprache verbietet?

Bei den Verfassungsrichtern handelt es sich meiner Ansicht nach tatsächlich um dubiose Persönlichkeiten, die widersprüchliche Entscheidungen getroffen haben und deren Entlassung meines Erachtens gerechtfertigt ist. Beispielsweise hat das Verfassungsgericht im Jahre 2008 eine Entscheidung zu Parlamentskoalitionen getroffen, die es bereits zwei Jahre später wieder revidiert hat. Ebenfalls fragwürdig war die Entkräftung der Verfassung von 2004 durch das Verfassungsgericht im Jahr 2010. Da hat sich das Verfassungsgericht Entscheidungen angemaßt, die einem Verfassungsgericht eigentlich nicht zustehen. Insofern ist die Auswechselung dieser diskreditierten Richter meiner Ansicht nach richtig.

Zum zweiten Punkt: Die russische Sprache ist natürlich nicht verboten worden, sondern es ist nur ein unter dubiosen Bedingungen angenommenes Sprachengesetz von 2012 wieder zurückgenommen worden. Dies geschah aber insbesondere deshalb, da die ursprüngliche Annahme dieses Gesetzes aufgrund von Verfahrensfehlern nicht rechtens war. Ich halte die Rücknahme dieses Sprachengesetzes, welches de facto das Russische zu einer Art zweiten Staatssprache gemacht hat, auch für falsch. Dennoch ist es nach wie vor jedoch so, dass die Bürger auch auf Russisch mit den ukrainischen Ämtern kommunizieren können, nur sind eben die Ämter selbst (mit Ausnahme in der autonomen Krim) gehalten, Ukrainisch zu verwenden.

Russisch wird ja vor allem in der Süd- und Ostukraine gesprochen. Im Hinblick auf diese Regionen wird derzeit ja auch immer wieder vor einer möglichen Spaltung der Ukraine gewarnt. Was wären die Gefahren einer derartigen Spaltung des Landes? Halten sie ein solches Szenario für wahrscheinlich?

Die Gefahr besteht darin, dass es keine eindeutige Grenze zwischen den beiden Sprach- bzw. Kulturräumen gibt. Die Lage in der Ukraine ist nicht vergleichbar mit beispielsweise der Tschechoslowakei, bei der relativ klar war, wo Tschechien aufhört und die Slowakei anfängt. Es gibt in der Ukraine keine Region, die als eindeutig russophon definiert werden könnte. In der Krim gibt es als einziger Region eine Mehrheit von ethnischen Russen. Aber dort lebt gleichzeitig auch eine bedeutende krimtatarische Minderheit, die in der Ukraine verbleiben möchte. Ähnliche Komplikationen bestehen in allen Gebieten, sodass eine Spaltung organisatorisch nur schwer durchführbar wäre.

Letztlich wird Russland eine entscheidende Rolle bei einer möglichen Spaltung spielen. Denn die separatistischen Bewegungen werden nur stark sein, solange Russland sie unterstützt und tatsächlich eine Alternative bietet. Wenn Russland das Angebot einer Protektion oder sogar Annektion an die Separatisten macht, dann könnte es tatsächlich zur Abspaltung kommen.

Wie ist Ihre Prognose für die Zukunft der Ukraine? Es sind ja Präsidentschaftswahlen für Mai angesetzt – welche Oppositionspolitiker könnten die ja doch sehr heterogene Masse des Maidan oder allgemein der ukrainischen Bevölkerung hinter sich sammeln?

Ich denke, dass die derzeitige Fokussierung auf die Wahlen im Mai ungerechtfertigt ist, weil der Präsident nach der neuen Verfassung nur beschränkte Vollmachten hat. Die Wahl wird daher eher symbolische Bedeutung haben. Es wird hauptsächlich darum gehen, ob Vitali Klitschko oder Julija Timoschenko das Rennen machen – das sind die beiden Frontrunner. Nach den Umfragen zu urteilen hat Klitschko die besseren Chancen.

Wird es bei der Verfassung von 2004 bleiben oder halten Sie nochmalige Verfassungsänderungen für wahrscheinlich?

Es könnte in der Tat noch einmal zu einer weiteren Verfassungsänderung kommen. Ich würde vermuten, dass dies eine weitere Parlamentarisierung und somit eine weitere Schwächung des Präsidenten nach sich ziehen würde. Möglich wäre sogar der Übergang zu einem vollständig parlamentarischen System.

Was kommt der EU für eine Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Ukraine zu?

Die EU spielt nach meiner Ansicht in dreierlei Hinsicht eine Schlüsselrolle:

Zum einen braucht die Ukraine in den nächsten Wochen eine Art finanzielle Soforthilfe, da das Budget und die Währung wackelig sind. Früher gab es die Hilfszusage von Moskau, die derzeit ausgesetzt ist und bei der zu vermuten steht, dass dies dauerhaft so bleiben wird. Daher muss die Ukraine erst einmal finanziell über die nächsten Monate kommen.

Zum zweiten gibt es die wichtige strategische Entscheidung des Assoziierungsabkommens mit der EU. Aus meiner Sicht muss das gepaart sein mit einer bedingten langfristigen Mitgliedschaftsperspektive, um dem Assoziierungsabkommen den richtigen Push zu geben. Die Implementierung des Abkommens könnte durch eine derartige Mitgliedschaftsperspektive beschleunigt werden. Wichtig ist auch die schnelle Ratifizierung des Assoziierungsabkommens durch alle EU-Mitgliedsstaaten.

Der dritte wichtige Faktor ist das Verhalten der EU gegenüber Russland. Was ich derzeit im russischen Fernsehen, das man hier in der Ukraine empfangen kann, sehe, könnte man fast als eine Art Kriegsvorbereitung bezeichnen. Es wird dort eine unbeschreibbare Hetze gegen die jetzige Führung in Kiew betrieben. Die Führungspersonen werden als Terroristen, Faschisten und Rechtsextremisten beschrieben, die ethnische Säuberungen und Unterdrückung im Sinne haben. Wenn man die Wirkung dieser Gehirnwäsche auf die russische Bevölkerung in Betracht zieht, sieht das nach der Vorbereitung eines russischen Truppeneinmarschs in die Ukraine aus, so ähnlich wie 2008 in Georgien. Hier könnte die EU Druck auf Russland ausüben, weil die russische Exportwirtschaft im Grunde abhängig ist vom europäischen Markt, zum Beispiel vom europäischen Gasmarkt. Die EU könnte etwa Russland signalisieren, dass sie bereit wäre, ökonomische Sanktionen bzw. Handelsbeschränkungen zu verhängen, wenn es zu einer militärischen Eskalation zwischen Russland und der Ukraine kommen sollte. Zum Beispiel könnte die EU die Gasimporte aus Russland durch verstärkte Importe aus Norwegen oder Algerien ersetzen. So könnte man die Gefahr eines Krieges etwa auf der Krim oder in der Ostukraine senken.

Die Fragen stellte Almut Peters.


No Comments

  1. Sigmund Wed 26 Feb 2014 at 21:07 - Reply

    Nun ja, wenn die Wahl des Parlamentes so undemokratisch war, dann hatte das Parlament also keine demokratische Legitimität.
    Dieselben MoP, die gestern noch als Janukowitsch-Abnicker galten, sind heute nur noch ihrem Gewissen verpflichtet?
    Und jetzt hat dasselbe Parlament diese Legitimität also doch? Weil es jetzt die, aus Sicht der EU/USA “richtigen” Entscheidungen getroffen hat? Während draussen noch eine bewaffnete Meute steht? Während man sich bei youtube das Video ansehen kann, wie ein Abgeordneter von “Freiheitskämpfern” in den Plenarsaal zurückgeprügelt wird?

    Und so viele Entscheidungen werden in so kurzer Zeit durchgepeitscht. Da sieht man keine Gefahren, etwa für den Schutz der russischen Minderheit?

    Und wer wird die freigewordenen Verfassungsrichterstühle besetzen?
    Werden das wirklich unabhängige Köpfe sein, oder sind die genauso parteiisch, nur eben jetzt für das andere Lager?

    Fragen über Fragen.

  2. filtor Wed 26 Feb 2014 at 23:44 - Reply

    Wenn es so ist wie in Georgien 2008, hat die Ukraine ja maximal einen Gegenschlag zu befürchten, nachdem sie Russland völkerrechtswidrig angreift…Aber wer meint, die bisherige Opposition sei frei von Nationalismus und Korruption, muss ohnehin eine etwas eigenartige Wahrnehmung der Realität haben.

  3. satanox Tue 11 Mar 2014 at 05:20 - Reply

    naja, was ne olivgrüne stiftung und die mainstream-medien können, kann der verfassungsblog genauso. profaschistische kriegshetze und lügen. gratuliere. tolle leistung!

    eine, die promoviert hat im Öffentlichen Recht , sollte wenigstens klarstellen, dass es nicht putin war, der georgien angriff sondern dass der natogeile krawattenlutscher den krieg begonnen hat.

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