19 June 2014

Fünf Gemeinplätze über rechtswissenschaftliche Blogs, und was von ihnen zu halten ist: Teil 2

Zum ersten Teil dieses Blogposts hier

3. Blogs sind der Triumph der halbinformierten Masse über die professionelle Spezialistenelite

Dieser Punkt kam in Paris nur am Rande vor, was bei einer Tagung der bloggenden professionellen Spezialistenelite Frankreichs vielleicht nicht überrascht. Trotzdem begegne ich diesem Vorurteil immer wieder. Woher es kommt, ist ebenfalls leicht zu erklären: Jeder Dödel kann ein WordPress-Blog einrichten und sofort loslegen, das ist ja das schöne daran. Dazu kommt der im Zusammenhang mit Blogs und Internet etc. populäre Mythos, dass 50.000 Dödel mehr an intellektueller Wertschöpfung produzieren als der tollste Spezialist, was mal mehr für sich hat und mal weniger, jedenfalls aber dazu beitragen mag, dass Bloggen und Dödeltum vielen irgendwie inhärent verbunden erscheinen.

Ich will gar nicht leugnen, dass da etwas dran ist. Wenn der Maßstab des Erfolgs die öffentliche Resonanz ist, die man erzeugt, dann kann man zweifellos sehr erfolgreich bloggen, ohne allzu viel Ahnung haben zu müssen von dem, worüber man schreibt. Ein Blogpost läuft um so besser, je steiler seine These ist, und langes Nachdenken ist steilen Thesen oft nicht zuträglich. Wer sich darauf versteht, über all die lästigen Differenzierungen, die Spezialisten für nötig halten, durch geschicktes Metaphorisieren und andere rhetorische Tricks hinwegzubügeln und obendrein ein gewisses Maß an schierer polemischer Unverschämtheit mitbringt, dem steht beim Anstieg zum Gipfel des Bloggerruhms nichts im Wege.

Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Ich habe in meiner journalistischen Karriere unzählige juristische Expertentexte redigiert und dabei immer wieder festgestellt, dass Differenziertheit zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung ist für einen guten Text. Eine These nach allen Regeln der Kunst in seine kleinsten Fasern auseinanderzufieseln, ist zwar immer ein eindrucksvoller Beweis für die eigene Expertise, aber Erkenntnisgewinn für die Leser kommt so, für sich genommen, noch nicht unbedingt zustande. Der entsteht erst, wenn sich die Autorin (oder ihr Redigator) die Mühe macht, die Differenzierungen zu priorisieren, die wichtigen von den nebensächlichen zu scheiden, letztere auch einfach mal beiseite zu lassen, die übrigen in Thesen, Gegenthesen und Gegen-Gegenthesen zu ordnen und zuletzt zu einem folgerichtigen Ganzen zusammenzusetzen. Verglichen mit dem leidigen Gutachtenstil, den Juristinnen an der Uni und beim Repetitor beigebracht bekommen (“Dem Prüfer zeigen, dass man das gesehen hat!”), und verglichen mit der Art, wie wissenschaftliche Texte regelmäßig aufgebaut sind (“Nach der Einleitung werde ich zunächst Punkt A vertiefen und dann auf Punkt B eingehen, schließlich noch Punkt C behandeln, und am Ende fasse ich alles noch mal zusammen”), scheint mir der Zwang zur klaren These, dem man beim Verfassen eines Blogposts ausgesetzt ist, nicht die schlechteste Schulung zu sein für Spezialistinnen, die gehört und verstanden werden wollen.

Dazu kommt noch etwas weiteres: Bei der Tagung in Paris war auch Jean Quatremer zu Gast, Brüssel-Korrespondent der Libération und Betreiber des sehr erfolgreichen Euro-Blogs Coulisses de Bruxelles. Er erzählte, wie er 2007 auf seinem Blog einen offenen Brief an den Präsidenten der Republik thematisiert hatte, den 40 Juraprofessorinnen und Juraprofessoren in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlicht hatten. Die Verfasser, offenbar les super-réac des super-réac, hatten darin angekündigt, einen EU-Rechtsakt zur Schuldrechtsharmonisierung als ultra vires künftig weder in ihren Schriften noch in der Lehre als Recht behandeln zu wollen:

Car ils ne pourront plus longtemps se résoudre à se déshonorer, dans leurs écrits comme dans leurs enseignements, en affectant de tenir pour du droit ce qui n’en est évidemment pas.

(Ich muss gestehen, ich habe eine Schwäche für die gestelzte Sprache dieser Leute…)

Die Fachzeitschrift hatte in der nächsten Nummer einen Gegen-Brief von knapp 80 Professorinnen und Professoren veröffentlicht. Aber erst als Quatremer in seinem Blog auf den Vorgang aufmerksam machte, wurde der “offene Brief” tatsächlich zu einem offenen Brief und das Ganze zu einem Riesenskandal. Die Position, als Professoren einfach mal geltendem Recht die Rechtsqualität aberkennen zu können – wahrhaftig eine steile These –, wäre im gepflegten Meinungsaustausch im Rahmen einer wissenschaftlichen Zeitschrift vielleicht noch als exzentrische Marotte durchgegangen. Als Quatremers Blog den Finger drauflegte, ging das nicht mehr. “Die standen nackt da”, sagte Quatremer, glucksend vor Vergnügen.

Was ich damit sagen will, ist nicht, dass juristische Blogs möglichst oft und laut Skandal schlagen und Krawall machen sollten. Aber sie sind ein gutes Mittel, die geschlossenen Fenster, hinter denen die professionellen Spezialisteneliten gern ihre Diskurse führen (und, machen wir uns nichts vor, ihre expertokratischen Backscratching-Communities pflegen), aufzustoßen und das helle Licht der Öffentlichkeit hineinzulassen. Wenn dabei auch der eine oder andere halbinformierte Dödel seinen ungewaschenen Kopf durchs Fenster steckt, dann scheint mir das ein vergleichsweise hinnehmbares Übel.

4. Bloggen lenkt (Rechts-)Wissenschaftler von ihrem Kerngeschäft ab

Ich bin weder qualifiziert noch geneigt, theoretische Betrachtungen darüber anzustellen, was das Prädikat Wissenschaft verdient und was nicht. Das sollen die Wissenschaftler unter sich ausmachen. Jedenfalls gehört zu den Gemeinplätzen, die ich zum juristischen Bloggen immer wieder zu hören bekomme, auch dieser. In Paris nahm er die Gestalt einer Frage nach der doctrine an: Ist das, was juristische Blogs tun, abträglich für die Arbeit an der juristischen Doktrin?

Das bestritten einige unter den Teilnehmern, etwa Rosaline Letteron (Paris I-Sorbonne) oder Serge Slama (Evry-Val d’Essonne), ganz nachdrücklich. Ich bin nicht ganz sicher, was die französische Jurisprudenz unter doctrine genau versteht, aber mir scheint, es ist etwas ähnliches wie die “herrschende Meinung” bei uns: die Rechtsauslegung, die als im Rechtsverkehr erwartbar zu behandeln sich der o.g. Expertendiskurs geeinigt hat.

Warum sollen juristische Blogs keinen Beitrag leisten, diese Doktrin zu pflegen und fortzuentwickeln? Ich verstehe vollkommen, wenn Wissenschaftler sagen, sie wollen lieber in Monographien und Aufsätzen den Erkenntnisstand ihres Faches vorantreiben, anstatt sich bloggenderweise dem Sog der Aktualität und dem Druck der Kontroverse auszusetzen. Aber die Doktrin? Worin soll die denn sonst entwickelt werden, wenn nicht im Praxistest aktueller Anwendungsfälle und im Meinungskampf widerstreitender Auslegungsalternativen? Und warum soll diese Arbeit nicht auch in Form von Blogposts geleistet werden können? Wer das bestreitet, scheint mir einen ziemlich, nun ja, doktrinären Begriff von Doktrin zu haben, der das Finden und Entwickeln derselben lieber der Ex-Kathedra-Autorität eines C.H.Beck-Kommentars anvertrauen möchte als dem offenen Diskurs all jener, die sich theoretisch oder praktisch mit einer bestimmten Norm und ihrer Anwendung auseinandersetzen. Ich verweise wieder auf die Kumm-Armstrong-Kontroverse: Was soll das sein, wenn nicht Arbeit an der europarechtlichen Doktrin?

5. Blogs sind dazu da, Forschungsergebnisse zu präsentieren

Den letzten Punkt will ich kurz machen, zumal es sich eigentlich nicht um einen Gemeinplatz handelt (und es auch allmählich spät wird für heute).

Der Rechtshistoriker Yann-Arzel Durelle-Marc (Besançon) stellte die Website Nomôdos vor, den “blog d’actualité” der rechtshistorischen Online-Zeitschrift Clio&Thémis. Auf dieser Website finden sich Hinweise auf neu erschienene Bücher und Ankündigungen von Tagungen und Konferenzen im Bereich der Rechtsgeschichte. Zweifellos eine sehr verdienstvolle Sache – aber ist “Blog” nicht eigentlich ein Misnomer für so etwas?


5 Comments

  1. […] Zum zweiten Teil dieses Blogposts hier. […]

  2. blog.kanzlei-delhey.de Fri 20 Jun 2014 at 10:17 - Reply

    Ausgesprochen treffende Gedanken! Insbesondere die Gegenüberstellung von Gedrucktem und Gebloggtem ist sehr gelungen. Ich habe selbst Erfahrung in der konventionellen Publikation eines rechtswissenschaftlichen Buches bei einem Verlag und versuche mich seit Kurzem im Bloggen.

    Für die Frage „Druck oder Blog?“ kommt es meines Erachtens maßgeblich darauf an, welcher Inhalt publiziert und welcher Adressatenkreis angesprochen werden soll:

    So erscheint mir der Buchdruck sinnvoll und zweckmäßig für komplexe, umfassende, nicht (nur) aktualitätsbezogene Texte, die sich vornehmlich an einen speziellen Adressatenkreis richten; hingegen eignet sich für kürzere Beiträge zu aktuellen Themen, die eine möglichst große Leserschaft erreichen sollen, die Form der elektronischen Veröffentlichung.

  3. Gast Sat 21 Jun 2014 at 13:12 - Reply

    Sie schreiben, Sie seien nicht “geneigt, theoretische Betrachtungen darüber anzustellen, was das Prädikat Wissenschaft verdient und was nicht” (oben sub 4., gleich zu Beginn). Dass in einem Blog “(Rechts-)Wissenschaft” betrieben werden kann, meinen Sie – offenbar irgendwie intuitiv – trotzdem zu wissen.

    Damit liefern Sie ein Beispiel dafür, was “(Rechts-)Wissenschaft” jedenfalls nicht ist: Fröhlich knackige Thesen zu etwas aufzustellen, was man sich und dem Leser nicht im mindesten nach den Regeln der Kunst zurechtgelegt hat.

    Auch mit sowas kann man natürlich interessante juristische Diskussionsbeiträge produzieren. Nur eben keine “(rechts-)wissenschaftlichen”.

  4. Aufmerksamer Leser Sun 22 Jun 2014 at 19:00 - Reply

    @Gast: Es gibt eigentlich nur einen Staatsrechtslehrer, der jedem zweiten Substantiv ein “(…-)”-Artefakt voranstellt. Wenn Sie das sind, freue ich mich! Schreiben Sie doch unter Ihrem Klarnamen. Zur Sache: Wieso sehen Sie einen Gegensatz zwischen “fröhlich knackigen Thesen” und Wissenschaft?

  5. Peter Blickensdörfer Sun 29 Jun 2014 at 17:50 - Reply

    Differenziertheit mag zwar auch eine notwendige Bedingung für einen als gut empfundenen Text sein. Eine hinreichende Bedingung dafür nur dann, wenn mit ihrem Lesen ein Vergnügen am mit ihr vermittelten Gedachten empfunden wird.

    Ist der Leser zu faul zum Denken, gewinnt er aber auch dann keine Erkenntnisse und es bleibt ihm wohl auch dann dieses Vergnügen verwehrt.

    Durch Priorisieren von Differenzierungen, also das Priorisieren beschriebener oder geschilderter Einzelheiten, gewinnt der Leser (vielleicht) Erkenntnisse von ihm bisher nicht bekannten Einzelheiten und vom Verständnis der Autorin (oder ihres Redigators) was wichtig, nebensächlich sei, wie sie auszulegen wären.

    Es spricht nichts dagegen, die Arbeit des Veröffentlichen von Meinungskämpfen widerstreitender Auslegungsalternativen auch in Form von Blogpost zu leisten.

    Bedenklich bleibt dabei allerdings, dass in diesem Verfassungsblog Meinungskämpfe zur doctrin, zum herrschenden Verständnis von „Wissenschaft“, dass dieses Wort beliebig verstanden werden kann, nicht veröffentlicht werden (sollen?).

    “Das sollen die Wissenschaftler unter sich ausmachen“.
    Doch hier noch im August 2013: „Forschung braucht Orte intensiver, kontroverser und gründlicher Auseinandersetzungen und Debatten, damit sie auch selbst ein solcher sein kann. Hier sehen wir eine der zentralen Aufgaben des Verfassungsblogs . . .“,

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