21 May 2010

Karlsruhe nimmt Entparlamentarisierung durch EU pragmatisch

Der Zweite Senat betont immer wieder mal gerne, dass die europäische Einigung nicht zur Entparlamentarisierung in Deutschland führen darf. Jetzt hatte der Senat, genauer die aus den drei Erz-EU-Skeptikern Di Fabio, Broß und Landau bestehende 2. Kammer, Gelegenheit, damit mal so richtig ernst zu machen. Er hat diese Gelegenheit verstreichen lassen.

Das ist die Kernbotschaft des heutigen Milchquoten-Nichtannahmebeschlusses.

Geklagt hatten zwei Milcherzeuger aus Hessen und Thüringen, die offenbar mit einiger krimineller Energie versucht hatten, die europäischen Milchquotenregelungen auszutricksen. Sie hielten ihre strafrechtliche Verurteilung für verfassungswidrig: Die Strafbarkeit ihres Handelns ergebe sich aus einer Kette von Verweisungen vom Steuerhinterziehungstatbestand bis in irgendwelche EU-Verordnungen, die kein Mensch versteht. Nach Art. 103 II, 104 I GG darf aber nur bestraft werden, wer eine in einem förmlichen Gesetz klar und deutlich für strafbar erklärte Tat begangen hat.

Dazu kommt, dass diese Verweisungskette über das Marktordnungsgesetz läuft, das grob vereinfacht besagt, dass im Bereich der Landwirtschaftspolitik so ziemlich alles in Verordnungen geregelt wird. Was die Frage aufwirft, wie eine solche Ermächtigung mit Art. 80 I 2 GG zusammengeht, wonach Verordnungen einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfen, in der Inhalt, Zweck und Ausmaß der Regelung im Wesentlichen festgelegt wird. Denn schließlich ist es nicht Sache der Regierung, sondern der souveränen Volksvertretung, des Parlaments, die wesentlichen Festlegungen zu fällen, was verboten sein soll und was nicht.

Für Milcherzeuger bestimmt genug

Wenn ich mich selber zum Maßstab nehme, muss ich sagen: Da ist was dran. Welches Verhalten verlangt das geltende Recht in punkto Milchquoten von mir, damit ich mich nicht strafbar mache? Ich habe keine Ahnung. Und um mir dieses Wissen zu verschaffen, wäre ein Aufwand nötig, den kein Mensch von mir verlangen kann.

Ich bin aber auch kein Milcherzeuger.

Die Beurteilung der Frage, ob der Tatbestand einer Strafnorm „gesetzlich bestimmt” im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG ist, kann auch davon abhängen, an welchen Kreis von Adressaten sich die Vorschrift wendet. Richtet sie sich ausschließlich an Personen, bei denen aufgrund ihrer Ausbildung oder praktischen Erfahrung bestimmte Fachkenntnisse regelmäßig vorauszusetzen sind und regelt sie Tatbestände, auf die sich solche Kenntnisse zu beziehen pflegen, so begegnet die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 2 GG dann keinen Bedenken, wenn allgemein davon ausgegangen werden kann, dass der Adressat aufgrund seines Fachwissens imstande ist, den Regelungsinhalt solcher Begriffe zu verstehen und ihnen konkrete Verhaltensanweisungen zu entnehmen.

Mit anderen Worten: Wenn findig genug ist, im stark regulierten Milch-Sektor Geschäfte zu machen, von dem kann man auch verlangen, dass er sich informiert, was er tun darf und was nicht. Die Kammer wählt pragmatischerweise nicht den “Bürger” oder den abstrakten “Normunterworfenen” zum Maßstab, sondern den ganz konkreten Adressatenkreis, der sich jeden Tag im Milchquotendschungel so geschickt von Ast zu Ast hangelt wie eine Horde Affen.

Von wegen Blanko-Ermächtigung

Genauso pragmatisch ist, was die Kammer zum Thema Entparlamentarisierung schreibt. EU-Verordnungen sind eine hoch dynamische Angelegenheit, sie ändern sich permanent. Ohne solche Pauschalermächtigungen wie die des Marktordnungsgesetzes käme der deutsche Gesetzgeber überhaupt nicht zurecht.

Eine Blanko-Ermächtigung der Regierung, EU-Recht durch Verordnungen umzusetzen, wäre allerdings mit dem Demokratieprinzip unvereinbar, so die Kammer. Aber davon könne keine Rede sein, denn die Regierung werde nur ermächtigt, zu regeln, was das EU-Recht im Wesentlichen determiniert:

Vielmehr stand der (mögliche) Inhalt der von der Verweisung erfassten Normen von vornherein im Wesentlichen fest. Es musste sich um – formal unter § 1 Abs. 2 MOG fallende – Regelungen hinsichtlich Marktordnungswaren im Sinne des § 2 MOG handeln. Deren möglicher Inhalt war weiter dadurch begrenzt, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG zunächst nur den Erlass von Verfahrensregelungen im Zusammenhang mit Mengenregelungen und Abgaben zu Marktordnungszwecken gestatteten, mithin sich nur auf Normen bezogen, die auch Mengenregelungen oder Abgaben zu Marktordnungszwecken beinhalteten. Die Entscheidung über die Voraussetzungen und die Höhe der Mengenregelungen oder der Abgaben selbst übertrugen beide Ermächtigungsnormen zudem nur für den Fall an den nationalen Verordnunggeber, dass diese schon nach dem Gemeinschaftsrecht bestimmt, bestimmbar oder jedenfalls der Höhe nach begrenzt waren. Damit hat der parlamentarische Gesetzgeber dafür gesorgt, dass Rechtsverordnungen nur dann und nur insoweit erlassen werden durften, als das Gemeinschaftsrecht bereits die wesentlichen Entscheidungen selbst getroffen hatte.


One Comment

  1. Julien Frisch Tue 25 May 2010 at 22:39 - Reply

    Manchmal fragt man sich selbst, wie man solche abstrusen Dinge faszinierend finden kann. Aber dann sagt man sich: Egal, das ist einfach nur schön.

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