08 June 2010

Von aufgegessenen Torten und hohlen Gerechtigkeitssprüchen

Die große Sahnetorte ist aufgegessen. Lecker hat sie geschmeckt. Vielleicht ein bisschen schwer verdaulich und nicht besonders gut für den Cholesterinspiegel. Aber jedenfalls ist sie weg.

Was tun wir jetzt?

Wir könnten jetzt darüber reden, wer den Abwasch macht. Wir könnten auch darüber reden, ob einer loszieht und eine neue Torte kauft.

Aber das tun wir alles nicht. Sondern wir streiten uns weiter über die Größe der Tortenstücke, als stünde das Ding noch auf dem Tisch wie eh und je.

Die öffentliche Reaktion auf das Sparpaket der Bundesregierung hat etwas eigentümlich Hilfloses. Wir fuchteln mit Begriffen und Bewertungsmaßstäben herum, die offenkundig nicht mehr passen. Tatsächlich haben wir allesamt keine Ahnung, nach welchen Maßstäben wir in diesen Zeiten des Schrumpfens die Lasten verteilen sollen.

Wir haben allesamt keine Ahnung und schreien einstweilen “soziale Gerechtigkeit” in der Hoffnung, dass das dann vielleicht keiner merkt.

Wer zahlt, wer empfängt?

Die Hartz-IV-Empfänger bekommen etwas weggenommen, die Reichen nicht. Okay, das ist so. Aber was folgt daraus? Sind es nicht zuerst einmal die Hartz-IV-Empfänger, die etwas bekommen, Hartz IV nämlich? Und die Reichen, die etwas hergeben müssen, nämlich Steuern? Wer zahlt hier und wer empfängt?

Oder jener Teil des Sparpakets, dass die Deutsche Bahn AG  500 Millionen im Jahr Dividende an den Bund als Eigentümer ausschütten soll, statt sie in die maroden Netze zu investieren. Was soll ich davon halten? Wer wird da belastet, wer begünstigt? Die Bahn, der Bund, die Berliner S-Bahn-Fahrer, wir alle?

Wie bewerte ich den Plan, Steuerschulden insolventer Unternehmen künftig wieder privilegiert zu bedienen? Auf die Gefahr hin, dass die Handwerksbetriebe leer ausgehen und ihrerseits pleite gehen?

Was hilft es mir bei der Bewertung dieser Vorhaben, wenn ich soziale Gerechtigkeit gut finde?

Und in der Spüle türmt sich das dreckige Geschirr und wird und wird nicht sauberer…


7 Comments

  1. Dietrich Herrmann Tue 8 Jun 2010 at 12:07 - Reply

    Das ist ja im Grunde die alte Gerechtigkeitsfrage, deren umfassende Erörterung diesen Blog wohl sprengen dürfte – deshalb mal die Reduktion auf die verfassungsrechtlich/ -gerichtlichen Fragen:
    Das Bundesverfassungsgericht hat schon frühzeitig in den späten 1970er Jahren gemerkt, dass es irgendwann mit der Ausweitung der Verteilungspolitik ein Ende haben wird, dass man auch verfassungsgerichtlich nicht mehr jeden Anspruch in Mark und Pfennig beziffern kann, sondern dass man verfassungsgerichtliche Judikate zu staatlichen Leistungen (das trifft aber umgekehrt auch Steuern) stets in Relation zur Leistungskraft des Staates betrachten muss (Diese Problematik hat mir Ernst Benda vor einigen Jahren sehr eindrücklich erläutert).
    Insofern hält sich das Gericht meist ganz bewusst zurück, wenn es um die Benennung konkreter Beträge geht, sondern mahnt allenfalls an, dass Gesetzgeber und Verwaltung ihre Maßstäbe klar benennen und sich in der Praxis an diese Maßstäbe halten (und überprüft dann im Zweifelsfall diese Maßstäbeund die entsprechende Anwendungspraxis auf ihre Verfassungsmäßigkeit).
    Solange das – allgemein gefasste – Sozialstaatsgebot nicht verletzt ist (wie will man das messen?), bleibt jedoch die Art der Belastung bzw. Entlastung von Bürgern oder Gruppen von Bürgern dem Spiel der Politik überlassen. Aus guten Gründen: Das Verfassungsgericht würde sich übernehmen, wollte es selbst Sparkommissar spielen. Es kann allenfalls Exzesse verhindern.
    Auch wenn ich selbst – aus politischen Gründen – den jetzt bekannt gewordenen (im Übrigen reichlich vagen) Sparplänen kritisch gegenüberstehe, sehe ich gegenwärtig keine verfassungsrechtliche Relevanz.
    Es muss also im öffentlichen – politischen! – Diskurs darum gehen, zu beraten, welche Dinge uns wie viel wert sind. Das wird zweifellos ein Hauen und Stechen geben, gehört aber fundamental zur politischen Auseinandersetzung dazu.

  2. Tourix Tue 8 Jun 2010 at 12:19 - Reply

    Wunderbare Allegorie
    und die derzeitige Situation trefflich erfasst.

    Früher gab es vor jeder Wahl vorzeitige Wahlgeschenke. Z. B. Rentenerhöhungen (nicht verwechseln mit Anpassungen). Helmut Schmid war meines Wissens der letzte mit einem derartigen Wahlgeschenk.

  3. Dante Tue 8 Jun 2010 at 16:04 - Reply

    Schön in diesem Zusammenhang auch Margot Käsmann:

    Das Elterngeld, vor kurzem erst eingeführt und als moderne Errungenschaft gefeiert, ist plötzlich eine Frage der Menschenwürde.

    Kleiner hat sie es wohl nicht?

    Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht raus. Warum Hartz IV-Empfänger überhaupt bisher Elterngeld bekommen haben erschließt sich mir ohnehin nicht. Schließlich sollte das Elterngeld doch Beruf und Familie mtieinander vereinbar machen.

    Und jetzt ist die Streichung einer einjährigen Babyprämie von 300,00 € monatlich, also eines Geschenks aus Steuermitteln von 3.600,00 €, eine Frage der Menschenwürde?

  4. Wolf-Dieter Tue 8 Jun 2010 at 16:56 - Reply

    — Zitat —
    Sind es nicht zuerst einmal die Hartz-IV-Empfänger, die etwas bekommen, Hartz IV nämlich?
    — Zitat Ende —

    Nach 20 Jahren Einzahlung in Sozialkassen und 1 Jahr Arbeitslosigkeit — stelle Kosten-Nutzen-Rechnung auf: wer hat mehr gezahlt?

    — Zitat —
    Und die Reichen, die etwas hergeben müssen, nämlich Steuern? Wer zahlt hier und wer empfängt?
    — Zitat Ende —

    Die Reichen erhalten die komplette Infrastruktur, die ihren Reichtum ermöglicht. Auf Kosten der Steuerzahler. Rechnen wir nach, wie viele Steuern in Summa vom kleinen Steuerzahler (nach 1 Jahr Arbeitslosigkeit HartzIV-Opfer, siehe oben) gezahlt wurde.

    So viel, lieber Herr Steinbeis, zur Frage, wer “gibt” und wer “nimmt”.

  5. Wolf-Dieter Tue 8 Jun 2010 at 16:57 - Reply

    — Zitat —
    Sind es nicht zuerst einmal die Hartz-IV-Empfänger, die etwas bekommen, Hartz IV nämlich?
    — Zitat Ende —

    Antwort: Nach 20 Jahren Einzahlung in Sozialkassen und 1 Jahr Arbeitslosigkeit — stelle Kosten-Nutzen-Rechnung auf: wer hat mehr gezahlt?

    — Zitat —
    Und die Reichen, die etwas hergeben müssen, nämlich Steuern? Wer zahlt hier und wer empfängt?
    — Zitat Ende —

    Antwort 2: Die Reichen erhalten die komplette Infrastruktur, die ihren Reichtum ermöglicht. Auf Kosten der Steuerzahler. Rechnen wir nach, wie viele Steuern in Summa vom kleinen Steuerzahler (nach 1 Jahr Arbeitslosigkeit HartzIV-Opfer, siehe oben) gezahlt wurde.

    So viel, lieber Herr Steinbeis, zur Frage, wer “gibt” und wer “nimmt”.

  6. egal Tue 8 Jun 2010 at 21:45 - Reply

    Eine kleine Petitesse:

    Am Kindergeld, welches einkommensunabhängig spart man nicht, dafür am einkommensabhängigen Elterngeld.

  7. Pascal Fri 25 Jun 2010 at 12:45 - Reply

    Das systematische Argument von Dante bzgl. des Erziehungsgeldes greift meiner Meinung nach nicht. Fakt ist doch, dass aus haushaltspolitisichen Gründen jetzt arme Menschen 300€ im Monat weniger bekommen als vorher. Ob sie diese 300€ überhaupt nach Sinn und Zweck bekommen hätten sollen, ost eine ganz andere Frage. Sie haben es nunmal bekommen.

    Ob dann wiederum die 300€ für eine Millionärsgattinnenhausfrau das Ziel des Elterngeldes verwirklichen können, diese Frage sollte man dann aber jedenfalls auch nicht aussparen.

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