17 June 2010

Apropos WM: Was wir von Südafrika in punkto Verfassungsrichter-Wahlverfahren lernen können

Wir schauen doch alle dieser Tage die ganze Zeit nach Südafrika, wo ein Grottenkick nach dem anderen stattfindet. Das ist so langweilig, dass wir uns gerade so gut ein bisschen mit dem südafrikanischen System der Verfassungsrichterwahl beschäftigen können.

Und siehe: Da kann man eine Menge lernen.

Im zweiten Senat in Karlsruhe werden noch in diesem Jahr zwei Posten zu besetzen sein, wenn die Richter Broß und Osterloh aufhören. Im ersten Senat wird Anfang nächsten Jahres die Stelle der Richterin Hohmann-Dennhardt frei. Im Dezember 2011 wird im Zweiten Senat Udo Di Fabio seinen Posten räumen.

Intransparenz

Bei uns werden die Richter des Bundesverfassungsgerichts auf denkbar intransparente und unpolitische Weise bestimmt: Nominell werden die Posten je zur Hälfte von Bundesrat und Bundestag gewählt. Tatsächlich fällt die Entscheidung in einer informellen und intransparenten Kungelrunde zwischen Kanzleramt, SPD-Fraktion und den jeweils gerade besonders muskulösen Ministerpräsidenten mit gelegentlichen Zugeständnissen an den kleinen grünen bzw. liberalen Koalitionspartner. Es gibt keine Debatte, keine Anhörung, keine öffentliche Meinungsbildung über die Kandidaten, diese werden vielmehr der Öffentlichkeit (von Ausnahmen wie bei Horst Dreier abgesehen) als vollendete Tatsache präsentiert. Darüber habe ich an dieser Stelle schon oft und ausführlich gejammert.

Das Richterwahlverfahren in Südafrika ist in Art. 174 der Verfassung von 1996 geregelt: Eine Kommission aus Politikern und Juristen stellt eine Kandidatenliste auf. Darauf befinden sich drei mehr Kandidaten als zu besetzende Plätze – also vier Namen, wenn ein Posten zu besetzen ist. Der Präsident, der die Verfassungsrichter ernennt, kann diesen Nominierungen widersprechen: Wenn er einzelne Nominierte für inakzeptabel hält, dann muss die Kommission die Liste entsprechend ergänzen. Aus dieser Liste wählt dann der Präsident den neuen Verfassungsrichter.

Beim Vorsitzenden des Verfassungsgerichts und seinem Stellvertreter ist das Verfahren etwas anders: Die wählt der Präsident selber aus, muss dabei aber die anderen im Parlament vertretenen Parteien und die Richterwahlkommission konsultieren.

Besser als das US-Modell

Das Verfahren scheint mir einige Vorzüge zu haben, und zwar sowohl gegenüber unserem als auch gegenüber dem gewöhnlich als Gegenmodell zitierten US-amerikanischen, wo der Präsident seinen Kandidaten frei auswählt und dann in einem peinigenden Prozess durch den Senat bringen muss.

Es belässt die Besetzung der Posten in der Hand der demokratisch verantwortlichen Politik, gewährleistet aber gleichzeitig, dass der jeweilige Machthaber das Gericht nicht mit seinen Buddies bestücken kann. Es verteilt die Kompetenz, diese Personalien zu bestimmen, auf mehrere Schultern, ohne dass dies zu einem intransparenten Kuhhandel der Parteiführer führen muss. Es macht den Nominierungsprozess öffentlich und ermöglicht eine Debatte über die Kandidaten, ohne dass diese so polarisiert wie in den USA geführt werden muss und zum Oppositionswerkzeug, um dem Präsidenten politisch eins mitzugeben, verkommt.

Mitte der 90er Jahre war das Grundgesetz eins der Vorbilder für die südafrikanische Verfassungsgebung. Kommt jetzt die Zeit, wo wir unsererseits etwas von den Südafrikanern lernen können?

(via)


2 Comments

  1. carl maria schulte Sat 10 Jul 2010 at 07:30 - Reply

    ist schon bezeichnend, daß verfassungsrechtler schneider (hannover) “auswandern” muß, um solche innovationen im südafrikanischen verfassungsrecht zu implementieren.
    so eine (findungs-)kommission ist erwägenswert und auch in anderen bereichen denkbar: wahl bundespräsident…
    mein aufruf/weckruf für einen bürgerkonvent 2010 in der FAS/FAZ vom 8.11.09 (26) zeigt wie’s geht. ein solcher konvent kann verfassungsrechtliche innovationen beraten und (vor-)entscheiden. danach referendum gemäß artikel 146 GG. gerade anläßlich jubiläum deutsche einheit am 3. oktober 2010 gilt es, schwung in die sache zu bringen.

    unterstützung jedweder art ist willkommen:

    carlo.difabio@yahoo.de

  2. carl maria schulte Sat 10 Jul 2010 at 07:32 - Reply

    ist schon bezeichnend, daß verfassungsrechtler schneider (hannover) “auswandern” muß, um solche innovationen im südafrikanischen verfassungsrecht zu implementieren.
    so eine (findungs-)kommission ist erwägenswert und auch in anderen bereichen denkbar: wahl bundespräsident…
    mein aufruf/weckruf für einen bürgerkonvent 2010 in der FAS/FAZ vom 8.11.09 (26) zeigt wie’s geht. ein solcher konvent kann verfassungsrechtliche innovationen beraten und (vor-)entscheiden. gerade anläßlich jubiläum deutsche einheit am 3. oktober 2010 gilt es, schwung in die sache zu bringen.

    unterstützung jedweder art ist willkommen:

    carlo.difabio@yahoo.de

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