06 November 2014

Im Namen der Wahrheit? – Kritische Anmerkungen zu der mit Otto-Brenner-Preis geehrten Berichterstattung zu TTIP und CETA

Vorletzte Woche wurde in Berlin der renommierte Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus verliehen. Der erste Preis ging an drei Journalisten der „Zeit“ für ihren Beitrag mit dem Titel „Im Namen des Geldes“ (Die Zeit, Dossier Nr. 10, 27. Februar 2014). Darin beschreiben die Autoren zunächst aktuelle Fälle, Hintergründe und besondere Charakteristika des Internationalen Investitionsrechts. Als ein Kernkritikpunkt des heutigen Systems wird herausgearbeitet, dass dessen Mechanismus der Streitbeilegung, der sog. Investor-Staat-Schiedsmechanismus, der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Dabei handelt es sich um eine durchaus berechtigte Kritik.

Im weiteren Verlauf des Beitrags bauen die Autoren eine Brücke vom geltenden Investitionsrecht zu dem Thema, das die Medien seit ca. einem Jahr besonders intensiv beschäftigt, den geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP) und Kanada (Comprehensive and Economic Trade Agreement, kurz CETA) und dem darin jeweils verankerten Investitionsschutz. Hier geht es den Autoren folglich um das zukünftige System des europäischen Investitionsschutzes. Ausweislich der Presseerklärung der Otto-Brenner-Stiftung vom 6. Oktober 2014 ist es gerade auch dieser Teil des Beitrags, der wesentlich zur Entscheidung der eingesetzten Expertenjury beigetragen hat. Der diesbezügliche Text der Presseerklärung, der sinnvoller Weise nur nahezu vollständig wiedergegeben werden kann, lautet wie folgt:

Als die Verhandlungen über die europäisch-amerikanische Freihandelszone (TTIP) starteten, versprachen die Regierungen Wachstum und Jobs. Erst nach und nach gab es erste Kritikpunkte und Hinweise auf mögliche Gefahren dieses großangelegten Liberalisierungsprojektes. Doch kaum jemand warnte vor den geplanten “Investitionsschutzklauseln”. Die sollen amerikanischen Unternehmen künftig erlauben, europäische Staaten vor speziellen Schiedsgerichten zu verklagen – wenn Gesetze ihre Investitionen schmälern. Und wenn die Apologeten von politischen Großprojekten auf Widerstand treffen, dann zetteln sie gerne eine Propagandaschlacht an, die Verwirrung statt Aufklärung stiftet. So war es auch beim Streit um das geplante europäisch-amerikanische Deregulierungsabkommen TTIP. Den Autoren Kerstin Kohlenberg, Petra Pinzler und Wolfgang Uchatius ist es nach Einschätzung der OBS-Jury gelungen, “diese Strategie zu durchkreuzen”. Ihre “hervorragend recherchierte Geschichte” über die geheimen Sondergerichte für Investoren lässt für die Jury keinen Zweifel, “dass die EU-Kommission und eine Heerschar Lobbyisten drauf und dran waren, eine undemokratische Paralleljustiz für Konzerne auf ganz Europa und Nordamerika auszudehnen”. […] Diese “spannende Geschichte” über ein ebenso kompliziertes wie wichtiges Thema, so die Jury weiter, “ist anschaulich umgesetzt, herausragend belegt und wird dem Leser verständlich dargelegt.

Es ist in der Tat eine spannende Geschichte, leider ist sie aber in Teilen unzutreffend und dies nicht im Hinblick auf marginale juristische Details, sondern in zumindest einer zentralen Frage der kritischen öffentlichen Debatte um die europäischen Freihandelsabkommen. Dies soll in der Folge zunächst belegt werden. Daran anschließend wird der Frage nachzugehen sein, wie es sich erklärt, dass derartige Aussagen seitens der Jury der Otto Brenner Stiftung nicht nur prämiert, sondern in der Begründung zur Preisverleihung auch heute noch explizit wiederholt werden.

Die Autoren werfen gegen Schluss ihres Beitrags die Frage auf, inwieweit zukünftige Regeln des europäischen Investitionsschutzes eine, in den Worten der Autoren „neue, reformierte Art von Investitionsschutzvertrag“ darstellen, wie europäische Repräsentanten es behaupten. Diese zentrale Frage wird nachdrücklich verneint. So heißt es im Beitrag im Hinblick auf das CETA, dass „riesige Reformen nicht zu erkennen“ seien. Begründet wird dies insbesondere damit, dass die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und deren Gastgeberstaaten nach wie vor der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden soll. Die Autoren schreiben: „Klagen Unternehmen gegen die EU oder gegen Deutschland, soll die Öffentlichkeit weiterhin ausgeschlossen werden können“. Dabei beruft man sich auf „unveröffentlichte Vertragsentwürfe“, die der Zeit vorgelegen hätten.

Bekanntlich handelt es sich bei dieser Frage nach der Öffentlichkeit oder auch Transparenz der Schiedsverfahren um einen der bedeutendsten Kritikpunkte im Hinblick auf das gesamte investitionsschutzrechtliche Regelwerk. Mit der von ihnen getroffenen Aussage erwecken die Autoren den Eindruck, dass „Geheimgerichte“, „Hinterzimmerverfahren“ oder – in den Worten der Presseerklärung der Otto Brenner Stiftung – „geheime Sondergerichte“ in der geplanten europäischen Investitionsschutzpolitik fest verankert seien. Diese Aussage war jedoch im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrags im Februar 2014 ebenso unzutreffend, wie sie es heute ist.

Die EU-Kommission hat seit ihrer ersten offiziellen Stellungnahme zur zukünftigen Konzeption des europäischen Investitionsrechts im Sommer 2010 gebetsmühlenartig wiederholt, dass Investitionsschiedsverfahren auf Grundlage der neu zu schaffenden Regeln in höchstem Maße der Öffentlichkeit zugänglich sein sollen. Sie schrieb:

[…] the EU should ensure that investor-state dispute settlement is conducted in a transparent manner (including requests for arbitration, submissions, open hearings, amicus curiae briefs and publication of awards).

Auch während der laufenden Verhandlungen hat die Kommission sich immer wieder zu diesem Ziel bekannt, so speziell auch im Herbst 2013, also im Vorfeld der Veröffentlichung des prämierten Beitrags, etwa in Stellungnahmen unter den Titeln „Incorrect claims about investor-state dispute settlement“, „Investitionsbestimmungen im Freihandelsabkommen EU-Kanada (CETA)“ oder „Investment Protection and Investor-to-State Dispute Settlement in EU agreements“.

So durfte es auch nicht überraschen, dass geleakte Texte des CETA, die bereits im November 2013 im Netz frei verfügbar waren, genau diese Politik der umfänglichen Transparenz der Schiedsverfahren widerspiegelten (siehe Annex I des Texts zur Streitbeilegung im Investitionsrecht). Selbst das kritische International Institute for Sustainable Development hat in einer im Februar 2014 erschienenen Kommentierung des Investitionsschutzes im geleakten CETA-Text vom 4. Februar 2014 die Regeln zur Öffentlichkeit der Schiedsverfahren (siehe Art. 18) als „very welcome development“ bezeichnet. So war es auch nicht überraschend, dass der nun am 26. September 2014 offiziell veröffentlichte Text des CETA, der noch dem Europäischen Parlament und ggf. auch nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten zur Zustimmung vorgelegt werden muss, weitreichende Regeln zur Öffentlichkeit der Schiedsverfahren enthält. Betrachtet man diese im Detail, so wird schnell deutlich, dass besagte Regeln die Grundsätze der Öffentlichkeit deutscher Prozessordnungen weit in den Schatten stellen. Sämtliche schriftlichen Verfahrensdokumente sind zu veröffentlichen (so etwa auch die Schriftsätze der Streitparteien), die mündlichen Verhandlungen werden öffentlich durchgeführt und die Entscheidungen sind ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um nur Kernaspekte der Gesamtkonzeption der Transparenz solcher Verfahren zu nennen (siehe Art. X.33 CETA, welcher in Teilen auf die UNCITRAL Transparency Rules verweist).

Vor diesem Hintergrund fragt man sich, mit welchen „unveröffentlichten Vertragsentwürfen“ die Autoren von „Im Namen des Geldes“ gearbeitet haben und warum nicht auf die allseits bekannten geleakten Texte aus den Vertragsverhandlungen zwischen der EU und Kanada zurückgegriffen wurde. Waren diese Texte den Autoren unbekannt oder verließ man sich an dieser Stelle auf die Bewertung dieser Texte oder anderer Dokumente durch ungenannte Außenstehende? Speziell die geleakten Fassungen zum Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus vom 15. November 2013 und vom 4. Februar 2014 lassen an der Intention der Kommission, die eigenen Ankündigungen zur Transparenz durchzusetzen, keinen Zweifel. Dies gilt umso mehr als es auch dem Interesse Kanadas zu jedem Zeitpunkt entsprach, für transparente Verfahren zu sorgen, so wie es im Übrigen auch der erklärte und zudem bereits praktizierte Standpunkt der USA ist. Wer einen Eindruck von der zukünftigen Transparenz der Schiedsverfahren gewinnen möchte, mag sich über den Fall der Mesa Power Group LLC (USA) v. Government of Canada informieren, denn hier sind alle Verfahrensdokumente online verfügbar und die Verhandlungen werden sogar als Videostream bereitgestellt. Es sind in der Tat die USA und Kanada, die – wie in diesem Verfahren deutlich wird – Vorreiter im Hinblick auf öffentliche Investitionsschutzverfahren sind.

Bei der Kritik am prämierten Beitrag soll nicht unerwähnt bleiben, dass in den vergangenen Monaten zahlreiche andere Beiträge zu TTIP und CETA in renommierten Tageszeitungen und Zeitschriften erschienen sind, die einer vergleichbaren Analyse mit entsprechenden Ergebnissen unterzogen werden könnten. Und dabei wäre es auch nicht schwierig, neben der Frage der angeblichen Geheimgerichte auch andere beliebte Unterstellungen zur europäischen Investitionsschutzpolitik aufzugreifen. Ein prämierter Beitrag muss sich allerdings diesen eingehenden Blick gefallen lassen.

Neben den Autoren ist aber auch gerade die Otto-Brenner-Stiftung und deren sehr prominent besetzte Auswahljury gefragt, nicht zuletzt weil man hier die Preisverleihung mit dem Motto “Kritischer Journalismus – Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten” verbindet. Entspricht es diesem Anspruch, wenn ein prämierter Beitrag zentrale Aussagen in einen intensiven politischen Diskurs einbringt, welche bei guter Recherche bereits zum Zeitpunkt ihrer Äußerung nachweislich nicht zutreffend waren und heute definitiv als widerlegt gelten können? Wie konnten gerade diese als Grund für die Preisverleihung angeführt werden? Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, wenn es in der Pressemitteilung der Stiftung zur nunmehr unsicheren Einbeziehung des Investitionsschutzes im TTIP heißt:

Wenn es nun doch nicht so kommen sollte „ist dies auch das Verdienst dieser Arbeit“, schreibt die Jury in ihrer Begründung der Preisvergabe.

Gerade in einem solchen Fall, in dem die Jury solche Konsequenzen annimmt, hätte doch ein viel höherer journalistischer Sorgfaltsanspruch angelegt werden müssen. Stattdessen wird das CETA in der Presseerklärung wiederum wie selbstverständlich auch heute noch mit „geheimen Sondergerichten“ in Verbindung gebracht und damit von einer ganzen Gruppe namhafter Journalisten weiterhin zu Unrecht diskreditiert.

Dass die Jury zu diesem Ergebnis kam, mag jedoch vielleicht nicht überraschen, wenn man einbezieht, dass Mitglieder der Jury selbst zum Thema der „Geheimgerichte“ inhaltlich deckungsgleiche Beiträge veröffentlicht haben. So hat etwa ein prominentes Jury-Mitglied in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 22. April 2014 und weiter in einem Video vom 6. Mai 2014 ebenfalls unterstellt, in den Abkommen seien geheim tagende Schiedsgerichte geplant. In einem Interview vom 22. August, also nach dem (semioffiziellen) Erscheinen eines CETA-Texts von Anfang August 2014, äußerte sich das Jury-Mitglied zudem dahingehend, in den Verfahren müssten lediglich die Schriftsätze veröffentlicht werden, das sonstige Verfahren wäre aber geheim.

Zusammenfassend hat sich damit gezeigt, dass der Artikel in einer wesentlichen Charakterisierung des CETA auf einer unrichtigen Annahme beruhte. Dies ist insbesondere bedauerlich, wenn dieser Beitrag als Vorbild einer „gründliche[n] Recherche“ dienen soll, wie es das Motto des Otto-Brenner-Preises verlangt. Hier wäre die Jury der Otto-Brenner-Stiftung gefragt gewesen, kritischer zu prüfen, statt sich der unrichtigen Annahme selber anzuschließen. So bleibt nur zu hoffen, dass derartige Sorgfaltsfehler sowohl bei entsprechenden Beiträgen als auch bei deren Bewertung im Rahmen von Preisverleihungen keine Schule machen.


7 Comments

  1. Horst Brot Fri 7 Nov 2014 at 11:11 - Reply

    Werter Herr Griebel,

    offenbar scheint Kritik an Ihrer Kritik nicht erwünscht zu sein und wird an dieser Stelle zensiert. Dass ausgerechnet Sie versuchen die Prämierung des ZEIT-Artikels zu diskreditieren verwundert nicht, schaut man sich doch einmal Ihre Publikationsliste an weiß man woher der Wind weht! Offensichtlich sehen Sie wohl auch ein gewisses Eigen-Geschäftsmodell in Gefährdung. Das ist peinlich und sollte so nicht akzeptiert werden! Lange wird auch mein Kommentar wohl auch nicht bestehen.
    Beste Grüße
    Horst Brot

  2. Maximilian Steinbeis Fri 7 Nov 2014 at 14:00 - Reply

    @ Brot: den Kommentar, auf den Sie vermutlich abzielen, habe ich gelöscht. Wir sind hier mit Kritik, auch wenn sie noch so sehr danebengeht, für gewöhnlich sehr geduldig. Aber was wir nicht stehenlassen, sind persönliche Beschimpfungen, schon gar nicht solche, die einen üblen 30er-Jahre-Gestank verströmen (“Systemling”).

  3. Prof. Dr. Christoph Herrmann Mon 10 Nov 2014 at 12:21 - Reply

    @Brot: Sehr geehrter Herr Brot,
    Ihre reflexhafte Kritik an dem vorzüglichen Beitrag des Kollegen Griebel dürfen wir also so verstehen: wer sich mit einer Sache regelmäßig beschäftig ist also bereits Interessen-gefangen und darf keine Meinung mehr haben? Nur wer noch ahnungslos und damit unbefangen an eine Sache herangeht, erkennt ihre wahre Natur? Das mag dann aus Ihrer Sicht vielleicht nicht “peinlich” sein, ist aber dann leider inhaltlich oft Unfug. Die Sichtweise des Kollegen Griebel wird von einer Großzahl der sachkundigen Kollegen in Deutschland so oder ähnlich geteilt. Sowohl werden dort Schwächen des bisherigen Systems des Investitionsschutzes reflektiert als auch Verbesserungen vorgeschlagen und diskutiert. Ein Ergebnis dieses Prozesses in der Fachöffentlichkeit ist unter anderem die deutlich modernere und ausgewogenere Investitionsschutzpolitik der EU (z.B. im Vergleich mit den deutschen BITs). Dem Kollegen Griebel ist dafür zu danken, dass er einen für die deutsche Medienlandschaft überaus peinlichen Vorgang aufgedeckt und gleichwohl noch sachlich kommentiert hat. Das gleiche Maß an Sachlichkeit würde sich die Wissenschaft auch von der journalistisch schreibenden Zunft erwarten.
    In diesem Sinne, Ihr CH

  4. Peter Blickensdörfer Mon 10 Nov 2014 at 17:57 - Reply

    „Geheime Sondergerichte“ = unrichtige Annahme?
    „Öffentliche Investitionsschutzverfahren“ = richtige Annahme?
    Annahme (nur) für unrichtige/ richtige Preisverleihung?
    Oder: unrichtig/ richtig „in einer wesentlichen Charakterisierung des CETA“, des TTIP?
    Wofür, für wem charakterisiert die Art und Weise der Verfahren wesentlich CETA; TTIP?
    Wodurch unterscheiden sich wesentlich die Ergebnisse der Verfahren von ihrer Art und Weise?
    Und alles unabhängig von anderen wesentlichen Charakterisierungen des CETA, des TTIP?
     „gründliche Recherche“?

  5. Moritz Zegowitz Fri 5 Dec 2014 at 15:14 - Reply

    Der prämierte Artikel der ZEIT muss sich leider auch noch einen weiteren sehr verbreiteten Irrtum gefallen lassen:

    Das ICSID ist gerade kein “Gericht”, das seinen Sitz in Washington D.C. hat, sondern eine sogenannte Schiedsinstitution. Sie bietet lediglich den institutionellen Rahmen für die eigentlichen Schiedsgerichte, stellt die Regeln bereit und ist organisatorisch als Sekretariat tätig.

    Dementsprechend finden die Verhandlungen auch nicht zwangsläufig in den USA statt, sondern können auf Wunsch der Parteien auch an jedem anderen Ort stattfinden (vgl. Rule 13(3) ICSID Arbitration Rules, http://www.internationalarbitrationlaw.com/icsid-arbitration-rules/).

    Die Informationen zur Tätigkeit des ICSID sind eigentlich auch nicht besonders schwer zu recherchieren. Manchmal genügt hierfür auch einfach ein Blick in die wikipedia:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Internationales_Zentrum_zur_Beilegung_von_Investitionsstreitigkeiten#Zweck_und_Charakter_des_ICSID

    noch schöner herausgestellt auf englisch:

    https://en.wikipedia.org/wiki/International_Centre_for_Settlement_of_Investment_Disputes#Activities

  6. Eduard Meßmer Tue 6 Jan 2015 at 11:38 - Reply

    Spricht Herr GRIEBEL im Namen der Wahrheit? Spricht er im Namen demokratischer und rechtsstaatlicher Regularien? Kann man eine “Wahrheit” auf eine gutachterliche Stellungnahme eines Juristen reduzieren und wenn, welche Wahrheit? Der nächste Gutachter kommt zum gleichen Thema bestimmt auf ein ganz anderes Ergebnis wie Herr GRIEBEL, zum Beispiel ein Gutachter des DGB oder ein Gutachter des Deutschen Städtetages oder der Gutachter von Bündnis90/Die Grünen, oder gar ein Rechtsgutachten von ATTAC. Letzteres bescheinigt eine Reihe von eklatanten Verstößen gegen das Unionsrecht Art. 19 EUV wie auch Verstöße gegen grundgesetzliche Bestimmungen, dem Rechtsssprechungsmonopol des Staates aus Art. 92 GG …etc. Wem darf ich als Normalo mein Vertrauen schenken? Welchem Gutachter schenkte Sigmar Gabriel sein Vertrauen, als er am 28.11.2014 vor dem Deutschen Bundestag zu dem geplanten Freihandelsabkommen CETA und den darin enthaltenen Schiedsverfahren sprach, um die Vorzüge des geplanten CETA-Abkommens und dieser Schiedsverfahren lobhudelnd zu verteidigen. Als Herr Gabriel sechs Wochen vorher mit den Gewerkschaften eine “verbindliche Leitlinie” aushandelte, war er noch ganz anderer Meinung. Die Gerichtspraxis zeigt immer wieder, wie sich selbst eine Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit der vorangegangenen Instanz hochprofessionell überwerfen kann und zeigt, wie juristische Gutachten, je nach geleitetem Interesse, zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das ist -de jure- insgesamt nicht mehr wie “Kaffeesatzlesen auf höchstem Niveau”, das im Ergebnis -de facto- kein Normalbürger und offensichtlich Juristen selbst nicht mehr verstehen können. In der ordentlichen Gerichtsbarkeit entscheiden letztlich die Machtsprüche der höheren Instanz. Bei den ISDS-Verfahren ohne Revisionsmöglichkeit die Macht der Wirtschaft? Das offensichtlich nicht mehr überschaubare Recht der hochkomplexen Abkommen kann für sich alleine niemanden mehr nützen, weil es so die Bevölkerung der Beliebigkeit mächtiger, dem Gemeinwohl nicht verpflichteten Interessen, schrankenlos ausliefert und das womöglich noch außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die den Steuerzahler für sich alleine teuer genug kommt. Zu einem Ausverkauf demokratischer Regeln und rechtsstaatlicher Verfahren kann es nicht kommen, nur dazu, dass diese Regeln und Verfahren nichts mehr wert sind.

  7. M.Dambergen Fri 30 Jan 2015 at 11:46 - Reply

    Spannender ist doch insgesamt auch die Frageob sich eine nationale Regierung dem Abkommensbeschluss der Kommission entziehen kann. Das scheint trotz fortgeschrittener Verhandlungen immer noch unklar zu sein und auch hier im Beitrag wird von “ggf. auch nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten zur Zustimmung vorgelegt werden muss” … gesprochen. Das wäre auch mal eine Analyse wert, welche Optionen da bestehen.

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