11 November 2014

Asyl für Irakkriegs-Deserteure: die Chancen wachsen

Muss Deutschland einem US-Soldaten, der lieber desertiert, als womöglich zur Teilnahme an Kriegsverbrechen gezwungen zu sein, Asyl gewähren? Mit dieser außen- wie menschenrechtspolitisch megaheiklen Frage sieht sich die Bundesrepublik seit 2008 durch den Fall des Irakkrieg-Deserteurs André Sheperd konfrontiert. Und wenn die deutschen Behörden und Gerichte geglaubt haben sollten, einer Antwort ausweichen zu können, so wird dies durch die heutigen Schlussanträge der Generalanwältin beim EuGH Eleanor Sharpston jedenfalls deutlich schwieriger.

André Sheperd hatte sich im Dezember 2003 bei der US-Armee verpflichtet und war 2004/05 in den Irak geschickt worden. Dort wartete er als Mechaniker die gefürchteten Apache-Kampfhubschrauber mit seinen Hellfire-Raketen. Seine Einheit war in Deutschland stationiert, und als sie 2007 erneut in den Irak geschickt werden sollte, desertierte er und beantragte Asyl.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) fand indessen Wege, den Antrag abzulehnen, ohne mit den stromführenden Teilen desselben in direkten Kontakt kommen zu müssen: Es sei ja gar nicht bewiesen, dass Sheperd sich im Irak tatsächlich hätte an Kriegsverbrechen beteiligen müssen. Seine Division habe jedenfalls in ihrem ersten Einsatz im Irak 2004/05 nichts verbrochen. Ohnehin sei er ja nur Hubschraubermechaniker und kein Teil der kämpfenden Truppe. Und überhaupt, seit dem Sturz des Saddam-Regimes sei die Besatzung des Irak durch Koalitionstruppen völkerrechtlich legitimiert.

Sheperd klagte vor dem VG München, und das legte dem EuGH eine Reihe von Fragen vor. Heute hat GA Sharpston ihre Vorschläge veröffentlicht, wie sie diese Fragen beantworten würde – gewöhnlich ein guter Indikator dafür, wie sich am Ende der Gerichtshof selber positioniert. Und von den Argumenten, auf die sich das BAFM gestützt hat, bleibt aus dieser Perspektive nicht mehr viel übrig.

Zum einen fordert die Generalanwältin, den Schutz für Militärpersonal, die sich an keinen Kriegsverbrechen beteiligen wollen, weit zu ziehen und nicht nur auf kämpfende Truppen zu beschränken. Wenn ein Hubschraubermechaniker nachweisen kann, dass er zu Kriegsverbrechen genötigt wäre, braucht er genauso Schutz wie wenn er Panzerschütze wäre. Dabei komme es nicht darauf an, ob es in der Vergangenheit zu Kriegsverbrechen gekommen sei, sondern ob der Kläger in der Zukunft sich an solchen beteiligen müssen könnte. Das sei auch bei einem Hubschraubermechaniker denkbar, wenn beispielsweise der von ihm kampftauglich gemachte Helikopter mit Hellfire-Raketen einen Flüchtlingstrek in Stücke schießt.

Zum anderen kann man es sich nicht so einfach machen zu sagen, wer dem Dilemma entkommen will, solle halt den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigern statt zu desertieren. Sheperd hat sich nie als Kriegsdienstverweigerer bezeichnet; er hat nichts prinzipiell gegen das Kriegführen, nur gegen diesen Krieg und die Art, wie er geführt wurde. Auch hier kommt es für die Generalanwältin allein darauf an, ob Sheperd nachweisen kann, dass er nicht aus Angst oder Bequemlichkeit nicht in den Irak wollte, sondern aus hinreichend ersthaften, konsistenten und gewichtigen Gewissensgründen. Ein genereller Kriegsdienstverweigerer habe es beim Nachweis derselben natürlich leichter, konstatiert Sharpston nüchtern. Aber wenn ihm dieser Nachweis trotzdem gelingt (und das Gericht feststellt, dass Gewissensverweigerer in den USA als verfolgte Gruppe gelten können), warum nicht?

Und wann gelingt ihm dieser Nachweis? Welches Maß an Gewissheit, dass man zur Teilnahme an Kriegsverbrechen genötigt wäre, kann man verlangen? Ein “Nachweis jenseits vernünftiger Zweifel” (was sich wohl an die Common-Law-Formel “beyond reasonable doubt” anlehnt, also die Gewissheitsschwelle, ab der man im angelsächsischen Recht jemand einer Straftat für überführt halten darf) sei jedenfalls nicht nötig. Wenn es in dem Konflikt in der Vergangenheit schon zu systematischen Kriegsverbrechen gekommen sei und sich bis zur Entsendung nichts grundsätzlich geändert hat, seien die Nachweischancen gut. Bei bloßen Einzelfällen müsse man dagegen nachweisen, dass man selbst individuell in Gefahr geraten würde, dort aktiv mittun zu müssen.

Was für GA Sharpston auch nicht funktioniert, sind alle möglichen Versuche, den Asylschutz für Deserteure auf andere Weise diplomatisch verdaulicher zu machen – etwa indem man ihn auf Fälle begrenzt, in denen man vor dem Internationalen Strafgerichtshof verklagt werden würde, oder indem man Einsätze mit UN-Mandat von vornherein ausnimmt.

All das heißt indessen keineswegs, dass André Sheperd am Ende in Deutschland Asyl bekommt. Ob ihm tatsächlich im Irak die Teilnahme an Kriegsverbrechen bevorgestanden wäre, ob tatsächlich Gewissensgründe ihn zur Desertion bewogen haben, ob die Strafe, die ihm in den USA droht, tatsächlich unverhältnismäßig oder diskriminierend wäre – all dies und noch mehr wird Sheperd jetzt erst noch beweisen müssen. Ob ihm das gelingt?

Jedenfalls aber dürfen wir auf das Urteil des Verwaltungsgerichts München gespannt sein.


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