13 November 2014

Auf der Suche nach dem atomaren Endlager: das Dilemma der doppelten Legitimation

Deutschland sucht das atomare Endlager: Im Sommer 2013 wurde das sog. Standortauswahlgesetz (StandAG) beschlossen, das festlegt, wie diese Suche in den kommenden Jahren vonstattengehen soll. Dazu wurde beim Deutschen Bundestag eine Endlagerkommission eingerichtet, die vor sechs Monaten ihre Arbeit aufgenommen hat und die einen Bericht vorlegen soll, „in dem sie die für das Auswahlverfahren relevanten Grundsatzfragen für die Entsorgung radioaktiver Abfälle untersucht und bewertet“ (§ 3 Abs. 2 StandAG). Blickt man auf die hitzigen Debatten der letzten Jahrzehnte zum Umgang mit Atommüll zurück – Stichwort: Gorleben –, kann man unschwer ermessen, vor welche Herkulesaufgabe die Endlagerkommission damit gestellt ist.

Glaubt man der Gesetzesbegründung, hat der Gesetzgeber mit dem Standortauswahlgesetz die Hoffnung verbunden, einen „nationalen Konsens“ in der Frage der Endlagersuche herbeiführen zu können. Bei einer Expertenanhörung, die die Endlagerkommission in der vergangenen Woche durchgeführt hat, hat sich indes deutlich gezeigt, welche Fallstricke auf dem Weg zu einer endgültigen Standortauswahl noch zu erwarten sind. Dabei sind insbesondere strukturelle Mängel des Standortauswahlgesetzes deutlich zu Tage getreten.

Als eines der größten Probleme bei der Suche nach einem atomaren Endlager dürfte sich gerade eine Konstruktion erweisen, mit der die damit verbundenen Konflikte eigentlich ausgeräumt werden sollen. Das Standortauswahlgesetz sieht nämlich vor, dass die Endlagersuche in mehreren Etappen erfolgt und jede Etappe durch breite Öffentlichkeitsbeteiligung flankiert sowie durch eine gesetzgeberische Entscheidung abgeschlossen wird. Im Einzelnen geht es dabei um die Festlegung von Auswahl- und Ausschlusskriterien für einen künftigen Standort (1.), die Entscheidung über die übertägig zu erkundenden Standorte (2.), die Entscheidung über die untertägig zu erkundenden Standorte (3.) und zu guter Letzt um die abschließende Standortfestlegung (4.). Jede dieser Entscheidungen soll nach der Konzeption des Standortauswahlgesetzes durch ein gesondertes Gesetz getroffen werden. Bei der Vorbereitung der jeweiligen Parlamentsentscheidung durch die Verwaltung ist die Öffentlichkeit umfassend zu beteiligen.

Eine gute Idee, könnte man meinen: Repräsentativ-parlamentarische Verfahren werden mit partizipatorischen Elementen so kombiniert, dass ein Höchstmaß demokratischer Legitimation entsteht.

Aber geht diese Rechnung am Ende tatsächlich auf? Die Kopplung von breiter Öffentlichkeitsbeteiligung und parlamentarischer Beschlussfassung verweist nämlich auf strukturelle Unvereinbarkeiten zwischen repräsentativen und partizipatorischen Elementen der Entscheidungsfindung und führt zu einer Konstellation, die ich als „Dilemma der doppelten Legitimation“ bezeichnen möchte. Deutlich wird das Problem, wenn man sich die Konsequenzen der Kombination von Öffentlichkeitsbeteiligung und legislativer Entscheidung vor Augen führt: Da es letztlich der Gesetzgeber ist, der über die Erkundung von Standorten oder über die abschließende Standortauswahl entscheidet, ist alles vorausgehende Verwaltungshandeln auf die Ausarbeitung eines diese Entscheidung vorbereitenden Gesetzentwurfs ausgerichtet. Das Verwaltungshandeln erlangt mithin keine Außenwirksamkeit, gegen den im verwaltungsgerichtlichen Wege vorgegangen werden könnte. Was bleibt, ist ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, der wegen des ihr verfassungsrechtlich garantierten Initiativrechts von niemandem angegriffen werden kann – und hat der Gesetzgeber einmal entschieden, ist der Weg zu den Verwaltungsgerichten ohnehin versperrt. Möglich bleibt nur der Gang nach Karlsruhe.

Die Rüge der Verletzung von Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung verhallt aber in jedem Fall ungehört: Vor der Entscheidung des Gesetzgebers gibt es keine Verwaltungsentscheidung, bei deren Anfechtung man sich auf eine fehlende oder mangelhafte Öffentlichkeitsbeteiligung berufen könnte – und nach der Entscheidung des Gesetzgebers entscheidet das BVerfG ausschließlich am Maßstab des Grundgesetzes, nicht aber anhand der Vorschriften des Standortauswahlgesetzes über die Öffentlichkeitsbeteiligung.

Eine vermeintliche Ausnahme besteht nur bei der Auswahlentscheidung für untertägig zu erkundende Standorte: Vor Übermittlung des entsprechenden Auswahlvorschlags an das Bundesumweltministerium stellt das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung durch Bescheid fest, ob das bisherige Standortauswahlverfahren nach den Anforderungen und Kriterien des Standortauswahlgesetzes durchgeführt wurde und ob der Auswahlvorschlag diesen Anforderungen und Kriterien entspricht (§ 17 Abs. 4 Satz 1 StandAG). Gegen diesen Bescheid kann vor dem Bundesverwaltungsgericht geklagt werden (§ 17 Abs. 4 Satz 5 StandAG). Doch sollte man sich hiervon nicht allzu viel erhoffen: Die Auswahlentscheidung trifft der Bundestag durch Gesetz – nichts hindert ihn daran, von einer verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen und Standorte für die untertägige Erkundung auszuwählen, die nicht den Anforderungen und Kriterien des Standortauswahlgesetzes entsprechen.

Die rechtspolitischen Risiken einer Kombination von Öffentlichkeitsbeteiligung und gesetzgeberischer Entscheidung liegen damit offen zu Tage: Man kann ein Verfahren, an dessen Ende der Bundestag entscheidet, nicht mit einer Beteiligung der Öffentlichkeit befrachten, ohne zuzugestehen, dass sich diese Beteiligung im Ungefähren verliert. Vielleicht ist sie nicht nutzlos, da Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung sich durchaus im politischen Prozess wiederfinden und die gesetzgeberische Entscheidung beeinflussen mögen. Jedenfalls scheint genau dies die dem Standortauswahlgesetz zugrunde liegende Vorstellung zu sein, wenn es in dessen § 20 Abs. 2 Satz 1 heißt: „Über den Standortvorschlag wird unter Abwägung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange durch ein Bundesgesetz entschieden.“ Aber ob dies der Fall sein wird, ist ungewiss. Abgesehen davon, dass eine solche Vorschrift den späteren Gesetzgeber bei der Standortentscheidung rechtlich nicht bindet, ist die Annahme realistisch, dass das Verfahren der Standortsuche auch in Zukunft und auch dann, wenn der Standort nicht Gorleben heißen wird, in hohem Maße von gegensätzlichen Interessen geprägt sein wird. Ob man es will oder nicht: Konfliktvermeidung lässt sich nicht dekretieren. Die Aufgabe des Rechts muss es vielmehr sein, das Vorhandensein von Konflikten anzuerkennen und Bedingungen zu finden, unter denen sie allgemeinverbindlich und legitim gelöst werden können. Vor diesem Hintergrund stellt sich durchaus die Frage, ob es klug ist, Verfahren einzuführen, die zu einer formalisierten Artikulation von Konflikten und einer Entscheidung darüber nicht beitragen. Am Ende könnte die Enttäuschung über die Konsequenzlosigkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung größer sein als der erhoffte Konsens.

Das Standortauswahlgesetz selbst wird von der Endlagerkommission evaluiert und auf seine Tauglichkeit für die anstehende Endlagersuche überprüft. Es wäre wünschenswert, dass dabei die bestehenden Friktionen zwischen Parlamentsentscheidungen und Öffentlichkeitsbeteiligung Berücksichtigung finden.

Unabhängig von der Endlagersuche zeigt das Standortauswahlgesetz aber jedenfalls eines sehr deutlich: die Anreicherung repräsentativ-demokratischer mit partizipatorischen Elementen zum Zweck der Erhöhung demokratischer Legitimation will wohl überlegt sein. Eine mathematische Gleichung, wonach verschiedene Arten der Legitimation addiert werden könnten und ein Mehr an Legitimation ergäben, existiert nicht.


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