29 June 2010

EuGH zieht Informationsfreiheit in der EU die Zähne

Transparenz – das ist auch so ein Wort, zu dem man immer gut ein feierliches Gesicht machen kann. Aber gerade was die EU-Kommission betrifft, ist Transparenz mehr als ein Wort zum Sonntag. Die EU-Kommission hat immer mit dem Einwand zu kämpfen, dass die Frage, woher die eigentlich ihre Autorität beziehen, gar nicht so leicht zu beantworten ist. Das Mindeste, was der Bürger erwarten kann, ist daher Transparenz – dass die demokratisch so dünn legitimierte Kommission aus ihrem Tun und Handeln kein Staatsgeheimnis macht.

Zu einem feierlichen Gesicht besteht aber angesichts der heutigen EuGH-Urteile Bavarian Lager und Technische Glaswerke Ilmenau aber schon sowieso überhaupt kein Anlass. Eher zu einem ausgesprochen düsteren Gesicht.

Die Luxemburger Richter haben heute die Informationsfreiheit in Europa enteiert. In zwei gedanklich selten dürren Entscheidungen haben sie die Arbeit zweier Generalanwältinnen und des Gerichts erster Instanz vom Tisch gewischt und der Kommission signalisiert: Mauert nur weiter, das ist total in Ordnung so.

Das ist ein trüber Tag für alle, denen am Gelingen Europas liegt.

Datenschutz für Lobbyisten

Der erste Fall Bavarian Lager betrifft einen Importeur, der bayerisches Bier (good man!) in Großbritannien vertreiben wollte, und zwar in Flaschen. Dort gab es aber eine Regelung, die Fassbier begünstigte. Die britische Regierung traf sich mit der Kommission und dem Bierbrauerverband. Der Importeur wollte dabei sein, durfte aber nicht. Bei dem Treffen wurde das Problem aus der Welt geschafft und die Regelung zugunsten von Flaschenbier geändert. Der Importeur aber war misstrauisch geworden und verlangte ein vollständiges Protokoll des Treffens, bekam es aber nicht: Die Namen der Teilnehmer, soweit sie ihrer Preisgabe widersprochen hatten, verweigerte ihm die Kommission.

Seit 2001 gelten zwei Verordnungen, um die es hier geht: Die eine betrifft den Schutz persönlicher Daten, die andere den Zugang der Bürger zu Dokumenten der Europäischen Union. Die Kommission stand vor dem alten Erz-Dilemma zwischen Transparenz und Datenschutz, und es fiel ihr nicht schwer, sich hier für den Datenschutz zu entscheiden und den Antrag auf Zugang abzulehnen.

Das Gericht erster Instanz hatte indessen keinen rechten Grund erkennen können, warum das Interesse der Brauerei-Lobbyisten, anonym auf die Entscheidungsträger in Brüssel und London einwirken zu können, so furchtbar schutzwürdig sei und hatte den Bescheid der Kommission für nichtig erklärt. Die Kommission legte daraufhin Rechtsmittel ein.

Auch Generalanwältin Eleanor Sharpston hatte sich ungeheure Mühe gegeben. Ihre Schlussanträge eröffnete sie mit einem Zitat von Isaac Asimov, um das Dilemma greifbar zu machen:

„Was geschähe, wenn eine unwiderstehliche Kraft auf einen unbewegbaren Gegenstand träfe?“. Setzt man für „unwiderstehliche Kraft“ das Recht auf Zugang zu Dokumenten und für „unbewegbarer Gegenstand“ personenbezogene Daten ein, ergibt sich ein recht anschauliches Bild von der Komplexität, die dem beim Gerichtshof anhängigen Rechtsmittel der Kommission innewohnt.

Sie schlug eine andere Möglichkeit vor als das Gericht erster Instanz, Datenschutz und Informationsfreiheit zum Ausgleich zu bringen: Die Datenschutz-Verordnung betreffe die (elektronische) Verarbeitung von Daten und nicht den Zugang zu Dokumenten. Dokumente, in denen Namen beiläufig erwähnt sind, müssten somit zugänglich gemacht werden, ohne dass die Datenschutz-Verordnung im Wege stehe. Ob das so clever ist, darüber kann man streiten. Aber jedenfalls waren die Schlussanträge durchtränkt von dem Willen, dem freien Zugang der Bürger zu Dokumenten der EU zur Geltung zu verhelfen.

Das kann man von dem heutigen Urteil, vorsichtig gesprochen, nicht behaupten. Die Richter schreiben kühl, dass die Namen der Lobbyisten persönliche Daten und damit von der Datenschutz-Verordnung geschützt seien. Damit hätten sie der Weitergabe zustimmen müssen. Haben sie aber nicht. Also: Nix gibt’s.

Hinter den dicken Mauern des Berlaymont

Kaum weniger frustrierend ist das zweite Urteil Technische Glaswerke Ilmenau (TCI). TCI hatte vom deutschen Staat eine Beihilfe erhalten, und die Kommission war dagegen eingeschritten. TCI wollte die Akte sehen, bekam sie aber nicht, klagte und bekam beim Gericht erster Instanz ebenfalls Recht.

Auch hier hatte die Generalanwältin Juliane Kokott mühevoll die Flugbahn für den EuGH freigeräumt. Punkt für Punkt hatte sie das Gejammer der Kommission, die Offenlegung ihrer Akten mache ihnen die Arbeit unmöglich, widerlegt. Um nur einen herauszugreifen: Dass Beihilfeempfänger nicht Verfahrensbeteiligte sind und daher kein Recht auf Akteneinsicht haben, könne man nicht dem Anspruch auf Zugang zu Dokumenten entgegen halten, argumentierte Kokott, denn dieser Anspruch sei gerade nicht von besonderen Interesselagen und Gründen abhängig – jeder kann ihn stellen.

Das imponiert den Richtern überhaupt nicht. Im Beihilfeverfahren gibt es keinen Zugang zu Dokumenten für den Beihilfeempfänger, und punkt. Beim Beihilfeverfahren gelte die Ausnahme, dass der Zugang verweigert werden kann, wenn der Zweck des Verfahrens beeinträchtigt zu werden droht. Dem gegenüber hätte der Kläger ein überwiegendes öffentliches Interesse an dem Dokument geltend machen müssen. Hat er aber nicht. Also: Nix gibt’s.

Außerdem deutet der Gerichtshof an, dass der Anspruch auf Zugang zu Dokumenten sich sowieso nur auf legislative Dokumente bezieht und nicht auf solche aus Verwaltungsverfahren (RNr. 60). Da werden die Kommissionsbeamten bestimmt auch auf das Wärmste applaudieren.

Ganz egal, zu welchem Ergebnis man im konkreten Fall kommt – zu dem Anspruch auf Zugang und dem Umgang der Kommission mit demselben hätte man noch eine Menge mehr sagen können. Zum Beispiel dies hier:

Intern müssen die zuständigen Dienststellen vor allem kritisch hinterfragen, inwieweit ihre Geheimhaltungsbedürfnisse im Licht der Verordnung Nr. 1049/2001 fortbestehen können. Die Herausgabe von Dokumenten ist häufig weniger aufwendig als die Begründung einer Ablehnung in den Grenzbereichen der Ausnahmen oder jenseits davon. Anträge können aber auch mit weniger Aufwand abgelehnt werden, wenn die zuständigen Stellen die Gründe für die vertrauliche Behandlung von Dokumenten präzise identifiziert haben. Auf dieser Grundlage können die zuständigen Bediensteten geschult und die Behandlung von Dokumenten kann von vornherein im Hinblick auf etwaige Zugangsersuchen optimiert werden. Zu denken ist neben einer elektronischen Erfassung, die die Dokumentensuche und ihre Vervielfältigung erleichtert, etwa an die Kennzeichnung sensibler Dokumente oder Abschnitte und an die Strukturierung von Dokumenten oder Akten in vertrauliche und nicht vertrauliche Teile.

Diese Passage aus den Schlussanträgen hätte ich gern in dem Urteil des Gerichts gelesen, dem der Schutz meiner Grundrechte anvertraut ist.

Aber: Nix gibt’s.


4 Comments

  1. Guido Strack Tue 20 Jul 2010 at 23:06 - Reply

    Die EuGH-Urteile sind wirklich besorgniserregend.

    Aber wussten Sie schon, dass die Informationsfreiheit in Europa jetzt von der Kommission unter Verweis auf den – angeblich doch so bürgerfreundlichen – Vertrag von Lissabon noch weiter zurückgedrängt wird: http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-901-22768–f258588.html#q258588 und http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-901-22768–f259434.html#q259434 – zuvor hatte ich auf jenem Wege noch die Klageschrift von Irland in Sachen Vorratsdatenspeicherung herausbekommen, deren Herausgabe in Deutschland nach dem Ausnahmen-IFG verweigert wurde.

    Leider findet dies alles in den deutschen Leitmedien auch keinerlei Beachtung, genauso wenig wie andere EU-Themen also z.B. http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-901-22787–f259800.html#q259800 oder http://guido-strack.de/EU-Wahl

  2. Guido Strack Tue 20 Jul 2010 at 23:07 - Reply

    Die EuGH-Urteile sind wirklich besorgniserregend.

    Aber wussten Sie schon, dass die Informationsfreiheit in Europa jetzt von der Kommission unter Verweis auf den – angeblich doch so bürgerfreundlichen – Vertrag von Lissabon noch weiter zurückgedrängt wird: http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-901-22768–f258588.html#q258588 und http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-901-22768–f259434.html#q259434 – zuvor hatte ich auf jenem Wege noch die Klageschrift von Irland in Sachen Vorratsdatenspeicherung herausbekommen, deren Herausgabe in Deutschland nach dem Ausnahmen-IFG verweigert wurde.

    Leider findet dies alles in den deutschen Leitmedien auch keinerlei Beachtung, genauso wenig wie andere EU-Themen also z.B. http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-901-22787–f259800.html#q259800 oder http://guido-strack.de/EU-Wahl .

  3. […] in Denmark, a British EU transparency activist, a Finnish web editor of the European Parliament, a German constitutional law blogger, a Bulgarian PhD researcher, a British agriculture expert, a Portuguese intellectual property law […]

  4. […] ein paar Wochen erst die Informationsfreiheit (Bavarian Lager). Jetzt die […]

Leave A Comment

WRITE A COMMENT

1. We welcome your comments but you do so as our guest. Please note that we will exercise our property rights to make sure that Verfassungsblog remains a safe and attractive place for everyone. Your comment will not appear immediately but will be moderated by us. Just as with posts, we make a choice. That means not all submitted comments will be published.

2. We expect comments to be matter-of-fact, on-topic and free of sarcasm, innuendo and ad personam arguments.

3. Racist, sexist and otherwise discriminatory comments will not be published.

4. Comments under pseudonym are allowed but a valid email address is obligatory. The use of more than one pseudonym is not allowed.




Explore posts related to this:
Beihilferecht, Datenschutz, EuGH, Persönlichkeitsrecht, Transparenz


Other posts about this region:
Deutschland