Angst vor der eigenen Courage? Licht und Schatten im Drohnenurteil des OVG Münster
Das OVG Münster hat am Dienstag ein wegweisendes Urteil zum US-geführten Drohnenkrieg im Jemen gefällt, der immer wieder zu zivilen Todesopfern führt. Wenn das Urteil in der wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision Bestand hat, wird es künftig nicht mehr ausreichen, dass sich die Bundesregierung von der Regierung der USA beschwichtigen lässt, es sei schon alles rechtmäßig, was im Jemen und anderswo geschieht. Das ist an sich sehr zu begrüßen. Leider scheut sich das OVG am Ende dann doch, die Konsequenzen aus den eigenen rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen zu ziehen.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Urteils ist davon auszugehen, dass der Datenstrom zur Fernsteuerung der Drohnen in Echtzeit aus den USA über eine Satelliten-Relaisstation geleitet wird, die sich auf der US-amerikanischen Airbase in Ramstein befindet. Jenseits der Frage einer durch diese Nutzung des deutschen Staatsgebiets für den Drohnenkrieg begründeten völkerrechtlichen Mitverantwortung Deutschlands geht das OVG davon aus, dass die Bundesregierung durch den Ursachenbeitrag von deutschem Territorium verfassungsrechtlich zum Überwachungsgaranten der US-Streitkräfte wird: Danach darf völkerrechtswidriges Handeln der in Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte von Verfassungs wegen nicht hingenommen werden. Das ist überzeugend – und eigentlich nicht wirklich neu. Neu ist am Urteil des OVG aber, dass es den großen Schwierigkeiten tatsächlicher Feststellungen und völkerrechtlicher Bewertungen nicht unter Hinweis auf den Spielraum bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten ausweicht, deren Geltung es entgegen einer teilweise noch vertretenen Auffassung zu Recht auch für ausländische Staatsangehörige annimmt. Solange weder der tatsächliche Kausalzusammenhang feststeht noch klar ist, dass der Drohnenkrieg wirklich völkerrechtswidrig ist, ist der Schutzpflicht schon dadurch Genüge getan, dass man – ich überspitze bewusst – immer mal nachhört, ob denn auch alles mit rechten Dingen zugeht. Das war der Ansatz des erstinstanzlichen Urteils aus dem Jahr 2015 gewesen, der im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO und den auch für das Völkerrecht geltenden Grundsatz iura novit curia nicht überzeugen konnte. Insofern war die Mühe, die sich das Berufungsurteil mit der Aufklärung der tatsächlichen wie rechtlichen Seite des Drohnenkriegs gemacht hat, zwar rechtlich geboten – sie ist aber trotzdem positiv zu würdigen.
Leider verlässt das Gericht an entscheidender Stelle dann doch etwas der Mut, das, was in den eigenen Feststellungen angelegt ist, auch auszusprechen. Ich meine damit die völkerrechtliche Bewertung des US-geführten Drohnenkriegs. In völkerrechtlicher Hinsicht geht das OVG letztlich wohl davon aus, dass der US-amerikanische Drohnenkrieg wegen mangelnder Schutzvorkehrungen für die Zivilbevölkerung sowohl gegen das humanitäre Völkerrecht als auch gegen die Menschenrechte (angeführt wird das Verbot willkürlicher Tötungen nach Art. 6 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte) verstößt (hierzu Näheres im Beitrag von Michael Bothe). Die entscheidende Passage lautet:
„Das sehr weite Verständnis der USA von der Reichweite bewaffneter Konflikte sowie die offiziell vertretene Annahme, Angriffe seien selbst außerhalb bewaffneter Konflikte präventiv schon zulässig, wenn ein potenzieller Gegner noch keinen konkreten Angriff plant, wecken Zweifel, ob die generelle Einsatzpraxis für Angriffe auch im Jemen dem Unterscheidungsgebot des humanitären Völkerrechts genügt. […] Indem die mit al-Qaida „assoziierten“ Kräfte umfassend als Beteiligte an einem weltweiten bewaffneten Konflikt angesehen werden, selbst wenn Zeit und Ort eines möglichen Angriffs noch ungewiss sind, bleibt unklar, ob sich direkte bewaffnete Angriffe im Jemen auf solche Personen beschränken, die innerhalb der örtlichen Gruppierung al-Qaida auf der arabischen Halbinsel eine fortgesetzte Kampffunktion einnehmen, also insbesondere als Mitglieder seines militärischen Zweigs, sowie auf sonstige Personen, die unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Der Senat hat keine Anzeichen dafür feststellen können, dass diese völkerrechtlich zum Schutz der Zivilbevölkerung zwingend notwendige Differenzierung in ausreichendem Maße erfolgt. Verlässliche Informationen über Drohnenangriffe im Jemen einschließlich solcher von offiziellen amerikanischen Stellen deuten vielmehr darauf hin, dass die völkerrechtlich erforderliche Unterscheidung nicht nur im Einzelfall nicht genügend vorgenommen wird.“
Diese Passage ist einerseits erfrischend deutlich und völkerrechtlich aus meiner Sicht auch überzeugend, andererseits aber erstaunlich vage – indem sie nämlich die in ihr angelegte Konsequenz scheut. Das OVG spricht von „Zweifeln“ an der Vereinbarkeit des Drohnenkriegs mit dem Völkerrecht, obwohl seine Bewertung als völkerrechtswidrig bei allen verbleibenden Zweifeln die Konsequenz aus den ausführlichen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen sein müsste. Diese Konsequenz hätte auch gezogen werden müssen – das OVG weist ja sogar selbst darauf hin, dass es dabei nicht um eine politische Frage, sondern um eine Rechtsfrage geht. Deshalb bedürfte es der Prüfung der völkerrechtlichen Zulässigkeit des Drohnenkriegs „rechtlich notwendig“, um die deutsche (Mit-)Verantwortlichkeit beurteilen zu können. Das Gericht sieht sich ausdrücklich „nach deutschem Verfassungsrecht verpflichtet, die Vereinbarkeit amerikanischer Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen mit geltendem Völkerrecht zu prüfen“.
Zumindest der bisher allein vorliegende Wortlaut der mündlichen Urteilsbegründung erhellt nicht, warum es trotzdem nicht zu einer endgültigen Feststellung des OVG zur Frage der Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht kommt. Lag es dann doch am Ergebnis? Schließlich hätte der Antrag der Kläger, die Nutzung der Air Base in Ramstein für den Drohnenkrieg zu unterbinden, im Fall der Feststellung seiner Völkerrechtswidrigkeit Erfolg haben müssen – und das wäre natürlich ein Paukenschlag gewesen. Stattdessen verpflichtet das Urteil die Bundesregierung sozusagen weicher, sich „auf der Grundlage der rechtlichen Prüfung durch den Senat“ zu vergewissern, ob die generelle Praxis der amerikanischen Drohnenangriffe im Jemen mit dem Völkerrecht vereinbar ist, soweit dafür Einrichtungen in Deutschland genutzt werden. In diesem Fall muss die Bundesregierung „durch ihr geeignet erscheinende Maßnahmen“ auf die Einhaltung des Völkerrechts hinwirken. Das wirkt dann doch etwas kleinlaut, zumal man sich fragen darf, ob die von der Bundesregierung zu ergreifenden Maßnahmen wirklich nur ihr geeignet erscheinen oder ob sie es nicht wirklich sein müssen. Vielleicht schaffen aber auch die vollständigen Urteilsgründe hier Klarheit.
Man mag dieses Vorgehen, das einen diplomatischen Eklat erst einmal vermeidet, ja für weise halten: Die abschließende völkerrechtliche Bewertung obliegt jetzt der Bundesregierung mit ihren weiter gehenden Aufklärungsmöglichkeiten, und sie kann und muss jetzt in Verhandlungen mit der US-amerikanischen Seite eintreten, die sich dem Licht der Öffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens entziehen. Den Klägern, aber auch dem Völkerrecht hätte das OVG aber einen größeren Dienst erwiesen, wenn es die Konsequenzen der eigenen – überzeugenden! – Feststellungen nicht gescheut hätte. Dann hätte es aussprechen müssen, dass die Bundesregierung für die Einhaltung des Völkerrechts sorgen – oder aber die Nutzung der Air Base Ramstein einschränken muss. Dabei würde ich davon ausgehen, dass auch eine nicht unwahrscheinliche Weigerung der US-amerikanischen Seite, die erforderlichen näheren Informationen über das genaue Vorgehen im Jemen zu liefern, ein verfassungsrechtliches Einschreiten nicht verhindern, sondern im Gegenteil erst recht triggern müsste. Das ist politisch ganz sicher höchst unwillkommen – aber das Urteil hat in begrüßenswerter Deutlichkeit ausgesprochen, dass die Bundesregierung der Nutzung deutschen Staatsgebiets für Verletzungen des Völkerrechts nicht tatenlos zusehen darf. Vielmehr stellt sich das Verfassungsrecht hier um seiner selbst willen in den Dienst des Völkerrechts. Man darf hoffen, dass diese Feststellung jetzt auch praktische Konsequenzen hat.