04 September 2019

Auf dem Weg zum selektiven Grundrechtsschutz

Anmerkungen zum Gutachten von Prof. Dr. Martin Nettesheim zum „Kinderkopftuchverbot“

Wie bestellt, so geliefert: Im Auftrag des Vereins Terre des Femmes hat Prof. Dr. Martin Nettesheim geprüft, wie ein Kopftuchverbot für Kinder (bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Ergebnis: Das Kopftuchverbot für Grund- und Mittelstufler kann auch in Deutschland kommen. Der Versuch Nettesheims, ein Kopftuchverbot für Schülerinnen zu rechtfertigen, überzeugt aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht.

Laut Nettesheim verfügen Kinder bis zu ihrem 14. Geburtstag in der Regel nicht über die „kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten (…), die für ein – im freiheitstheoretischen Sinn – glaubensorientiertes Leben erforderlich sind“ (S. 25 f.) und daher sei bereits der Schutzbereich der Religionsfreiheit bei Kindern nicht eröffnet. Hilfsweise sei ein Eingriff in die Religionsfreiheit des Kindes jedenfalls gerechtfertigt, weil dem Tragen des Kopftuchs in der Schule (dann unabhängig vom Alter des Schülers?) das Verfassungsgut der „Erziehung zur Freiheit“, d.h. nach Nettesheim die Erziehung zu einem selbstbestimmten und gleichberechtigten Leben, entgegenstehe. Dieses Verfassungsgut sei aus Art. 7 Abs. 1 GG herzuleiten (S. 31 ff.). Ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit von Kindern liege demnach nach Nettesheim nicht vor, ein daneben wohl aber bestehender Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht sei aufgrund der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs gerechtfertigt (dazu S. 38 ff.).

Mit dem Grundgesetz sind diese Ausführungen kaum vereinbar.

Das Grundgesetz kennt keine „Grundrechtswahrnehmungsfähigkeit“

Während Nettesheim die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hinsichtlich des Tragens eines Kopftuchs in der Schule rasch bejaht, wird der Grundrechtsschutz ratio personae umfassend untersucht und im Ergebnis in Bezug auf 0 bis 13-Jährige abgelehnt.

Die meisten Grundrechte – auch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG – berechtigen jedermann und damit nach h.M. grundsätzlich jede natürliche Person zwischen Geburt und Tod. Weder das GG noch das BVerfGG kennt eine Grundrechtsmündigkeit. Der Verfassungsgeber hat Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch nicht wörtlich mit einer Altersgrenze versehen – und das, obwohl die Verfassung durchaus starre Altersgrenzen enthält (Art. 38 Abs. 2 GG). Auch das beinahe 100 Jahre alte Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RelKErzG) kann mit der Festlegung der vollen Religionsmündigkeit ab 14 Jahren (§ 5) als einfachgesetzliche Norm lediglich Indiz für die Feststellung der Geltendmachung der grundgesetzlich verbürgten Religionsfreiheit sein.

Interessant ist jedoch besonders, dass sich Nettesheim gar nicht auf den Status der viel diskutierten Grundrechtsmündigkeit berufen will, sondern eine Kategorie der „Grundrechtswahrnehmungsfähigkeit“ erschafft, die eine zuvor beschriebene, besondere geistige Reife voraussetze. Zu einer Einzelfallprüfung sei der Gesetzgeber in diesem Fall nicht verpflichtet, da eine starre Altersgrenze bei 14 Jahren mit dem GG vereinbar und eine Prüfung „praktisch nicht sinnvoll durchzuführen sei“ (S. 26). Dieses Verständnis entbehrt nicht nur einer verfassungsrechtlichen Grundlage, es birgt auch die Gefahr, dass der persönliche Schutzbereich der Grundrechte mit dieser Begründung (schrittweise) auf bestimmte Gruppen begrenzt werden kann. Heute sind es Schüler (die mit 12 oder 13 Jahren teilweise bereits die weiterführende Schule besuchen mit Unterrichtsfächern wie Ethik, Religion oder Philosophie), denen die intellektuelle Reife zur Wahrnehmung von Grundrechten ausnahmslos abgesprochen wird, morgen womöglich Senioren mit Vollendung des 80. Lebensjahrs, Menschen ohne Schulabschluss oder Angehörige bestimmter politischer oder sozialer Randgruppen. „Schwärmereien“ und „unreflektierte Religiosität“ (S. 26) sind schließlich auch keine Erscheinungen die lediglich bei Kindern auftreten. Diesen Handlungen den „Freiheitsgebrauch“ i.S.d. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG abzusprechen, öffnet Tür und Tor für eine Lesart der Grundrechte, die genau im Widerspruch zu den von Nettesheim herausgearbeiteten Werten der Verfassung steht.

Art. 7 Abs. 1 GG enthält keine konkreten Erziehungsziele

Art. 7 Abs. 1 GG soll nach dem Gutachten ein Erziehungsziel „Erziehung zur Freiheit“ zu entnehmen sein. Dieses Erziehungsziel besitzt nach Nettesheim Verfassungsrang und stellt damit eine taugliche Schranke der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG dar.

Der inhaltliche Gehalt des „Schulartikels“ des GG wird klassischerweise in Rechtsprechung und Literatur aufgebläht. Was bisher schon hinsichtlich des sogenannten Schulfriedens galt, zeigt sich nunmehr auch bei dem hier hergeleiteten konkreten Erziehungsziel. Dem Wortlaut nach stellt die Norm nur eines fest: Der Staat (und nicht die Kirchen) haben die Aufsicht über das gesamte Schulwesen. Art. 7 Abs. 1 GG ist durch einen Vorschlag des Fünferausschusses, ohne Debatte über seinen inhaltlichen Gehalt im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rats, in das Grundgesetz gelangt. Nach h.M. in Judikatur und Lehre folgt aus Art. 7 Abs. 1 GG aber zumindest ein sogenannter „staatlicher Bildungs- und Erziehungsauftrag“, der dem Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gleichzustellen ist. Während die Herleitung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags (angesichts der fehlenden Mehrheiten im Parlamentarischen Rat für ein vollumfängliches elterliches Erziehungsrecht und die Aufnahme des Schulartikels in die Verfassung) noch nachvollziehbar erscheint, ist es die Herleitung konkreter Erziehungsziele wie der „Erziehung zur Freiheit“ (S. 32) nicht. Konkrete Erziehungsziele sind durch den Verfassungsgeber vor dem Hintergrund der 1949 bereits bestehenden Landesverfassungen und Schulgesetze gerade nicht genannt worden. Art. 7 Abs. 1 GG (insofern ist Nettesheim zuzustimmen, S. 17) bildet einen schulverfassungsrechtlichen Rahmen, den die Länder inhaltlich, d.h. mit konkreten Bildungs- und Erziehungszielen, ausgestalten sollen. Das tun die Länder im Detail auf unterschiedliche Weise (vgl. nur die Bildungs- und Erziehungsziele der Länder Bayern und Berlin).

Denkbar ist natürlich eine einfachgesetzliche Normierung des Ziels „Erziehung zur Freiheit“ durch die Länder. Der Religionsfreiheit der Schüler*innen kann ein solches, einfachgesetzlich normiertes Erziehungsziel jedoch (mangels Verfassungsrang) keine Grenze setzen. Es kann auch nicht angenommen werden, dass die Erziehungsziele „als Rahmen“ Verfassungsrang besitzen und diese durch die Länder inhaltlich ausgestaltet werden können und somit die konkreten Erziehungsziele der Länder „durch die Hintertür“ Verfassungsrang erhalten. Eine solche Theorie führt zu einer Aushöhlung vorbehaltloser Grundrechte wie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Erziehungsziele könnten dann stets eine Schranke gegenüber vorbehaltslosen Grundrechten darstellen – man würde Art. 4 Abs. 1und 2 GG in der Schule damit de facto einem Gesetzesvorbehalt unterstellen. Für solche Experimente unter dem Stichwort „besondere Wirkung von Grundrechten in Schulen“ fehlt es (anders als z.B. im Soldatenverhältnis nach Art. 17a Abs. 1 GG oder im Beamtenverhältnis nach Art. 33 Abs. 5 GG) ebenfalls an einer entsprechenden Grundlage im GG.

Ein Konflikt zwischen dem Kopftuch und dem Erziehungsziel „Erziehung zur Freiheit“ ist nicht deutlich geworden

Selbst wenn man annehmen würde, aus Art. 7 Abs. 1 GG erwachse das Verfassungsgut „Erziehung zur Freiheit“, dann bleibt die Frage, warum gerade das muslimische Kopftuch (und nicht auch das christliche Kreuz, der Turban der Sikhs, die jüdische Kippa oder auch die Markenbekleidung oder das BVB-Trikot) diesem Erziehungsziel zuwiderläuft. Nach Nettesheim ist das Kopftuch als „ständig sichtbarer Ausweis der Religionszugehörigkeit“ Grund für Segmentierung und Trennung und „lässt gerade bei jungen Menschen Vorstellungen von Unterschiedlichkeiten aufkommen“ (S. 33). Dem ist zu entgegnen, dass auch andere religiöse Symbole (s.o.) ständig sichtbar getragen werden (dazu S. 37 f.) und genauso wie auch nicht-religiöse Symbole und Handlungen zu Gruppenbildungen im Schulalltag führen (s. obige Beispiele). Dass das Kopftuch lediglich vereinzelt als eine „geschlechtsspezifische Diskriminierung und eine gesundheitliche (psychische und körperliche) Gefahr“ angesehen wird, kann auch nicht dazu führen, dass man jeder Trägerin eines Kopftuchs (auch unter 14 Jahren) pauschal unterstellt, durch das Kopftuch in einem Konflikt zum staatlichen Erziehungsziel „Erziehung zur Freiheit“ zu stehen. Genauso kann auch den Eltern einer kopftuchtragenden Schülerin nicht unterstellt werden, sie würden ihrem Kind die eigene Identität aufzwingen, während die Eltern, die ihrem Kind morgens zum Anziehen die Kreuzkette, den Atomkraft-Nein-Danke-Button oder den Gucci-Pullover herauslegen, ihrem Kind freie Hand bei der Wahl der eignen Identität lassen. Um etwaiger Kritik vorzugreifen: Tatsächlich ist Markenbekleidung oder eine politische Ansteckplakette nicht dasselbe wie das muslimische Kopftuch. Der Unterschied ist, dass dem Kopftuch als religiöses Bekleidungsstück gerade ein höherer Schutz durch die Verfassung zukommt. 

Besonders schwer nachzuvollziehen ist schließlich auch, warum ein Kopftuchverbot als vorrangiges Mittel zur Abwehr von „Mobbing und sozialer Ausgrenzung“ (S. 33) der Betroffenen dienen soll. Hier wird einmal mehr eine Tendenz deutlich, nicht etwa auf pädagogische Mittel und damit die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern bei der Bewältigung von Konflikten im Zusammenhang mit religiöser Pluralität in Schulen zurückzugreifen, sondern, ganz entgegen dem polizei- und ordnungsrechtlichen Grundsatz, vorrangig den sogenannten Nichtstörer für die Konfliktlösung in Anspruch zu nehmen.

Offene Fragen

Wesentliche verfassungsrechtliche und praktische Fragen streift das Gutachten nur am Rande oder lässt sie ganz offen: Der Hinweis, dass das Grundgesetz im Falle eines „Kinderkopftuchverbots“ eine Gleichstellung des Kopftuchs mit allen anderen „hinreichend wahrnehmbare(n) religiös konnotieren Bekleidungsstücke(n)“ (S. 38) fordert, ist so ein wesentlicher Punkt, der, kurz vor dem Ende des Gutachtens, beinahe untergehen zu droht. Auch die Frage der konkreten Zuständigkeit für ein „Kinderkopftuchverbot“ oder die praktische Schwierigkeit der Umsetzung eines „Kinderkopftuchverbots“ an Oberschulen stellt das Gutachten nicht ausdrücklich klar.

Es bleibt abzuwarten, welche weiteren politischen und rechtlichen Begründungen aufgefahren werden, um die gesellschaftlich fortschreitende Diversität zurückzudrängen. Eine „Grundrechtswahrnehmungsfähigkeit“ und die Rechtfertigung eines Kopftuchverbots mittels einfachgesetzlicher Erziehungsziele i.V.m. Art. 7 Abs. 1 GG können dafür jedenfalls nicht ausreichen.


7 Comments

  1. Steffen Wasmund Thu 5 Sep 2019 at 03:57 - Reply

    Die Erziehung zur Freiheit als Erziehungsziel und Erziehungsauftrag ist bereits in der Kommentarliteratur festgehalten. Stern/Becker Art. 4 Rn. 25: “Eine »Erziehungsdiktatur« nach dem Muster platonischer Philosophenschulen scheidet, wie oben bereits angeklungen, ebenso aus wie eine völlige erzieherische Neutralität oder Distanz des Staates, da Freiheitlichkeit die Ermöglichung von Freiheit, d.h. die Erziehung zu Freiheit und Toleranz 111, auch ein werbendes Eintreten für die Grundwerte und die Essenz der Verfassung (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 20 GG, Art. 79 Abs. 3 GG) erfordert. Es gilt dabei weiterhin zu bedenken, dass der staatliche Erziehungsauftrag ein eigenständiger, nicht lediglich vom elterlichen Erziehungsrecht abgeleiteter ist.” (111 Verweis auf BVerfGE 47, 46)

    Nettesheim weist darauf hin, dass alle religiösen und weltanschaulichen Symbole gleichermaßen betroffen sein sollten. Dass diese einen stärkeren verfassungsrechtlichen Schutz als der Gucci-Pullover genießen, ist nicht ausschlaggebend, sondern dass der Gucci-Pullover nicht in diesen Schutzbereich fällt und somit kein Vergleichsgegenstand ist.

    Erziehung ist unabhängig von der Frage der „Grundrechtswahrnehmungsfähigkeit“ immer Fremdbestimmung. Die Bestimmenden, Eltern und Staat, stehen sich hier grundsätzlich gleichberechtigt gegenüber. Der Staat darf offensichtlich Religionen und Weltanschauungen mit ihren Wertsetzungen entgegentreten. So rechtsextremen Weltanschauungen von der Ungleichheit der Menschen, oder über die religiös verbotene Teilnahme am Schwimmunterricht. Und nun können wir uns fragen, ob das permanente, ununterbrochene, unentrinnbare Aufzwingen der Darstellung der eigenen Religionszugehörigkeit und die daraus folgenden Abgrenzung gegenüber “den anderen” Freiheit oder Zwang, Gleichheit oder (aufgezwungene) Diskriminierung ist. Für die Kinder rechter Eltern haben wie die gepriesene Anleitung der Amadeu Antonio Stiftung. Die Kinder religiöser Eltern überlassen wir der Religionsfreiheit.

    Wenn ich richtig verstanden habe, darf der Staat über Art. 7 GG Religion und Weltanschauung auch bewerten und dem elterlichen Erziehungsrecht als Schranke gegenübertreten auch ohne die sonst notwendige Voraussetzung der Verletzung der Rechte anderer, da sein Erziehungsrecht selbst der Wert von Verfassungsrang ist. Er “darf […] auch neue Fächer einführen und wertegebundene Erziehung beabsichtigen.” (Gröpl/Windthorst/van Coelln Art. 7 Rn 11) Wenn er das – in dieser Abstraktion darf – muss auch das konkretisierende einfache Gesetz den Verfassungsrang übernehmen/umsetzen dürfen. Ansonsten könnte die Abstraktion nie konkretisiert werden und wäre somit gegenstandslos.

    • Steffen Wasmund Fri 6 Sep 2019 at 23:17 - Reply

      Korrektur: Stern/Becker Art. 7 Rn. 25 natürlich

  2. Ulrich Reinhardt Thu 5 Sep 2019 at 21:25 - Reply

    Auch wenn es mir naturgemäß widerstrebt so muss ich doch in diesem Fall mich eindeutig an die Seite muslimischer Eltern stellen, welche ihre religiösen Ideale für ihre Kinder verwirklichen möchten. Die ständig zunehmende Einmischung des Staates in die Freiheit der Menschen in diesem Land (Nanny-Staat) und insbesondere die immer extremer werdende Einmischung des Staates in die Familien und die elterliche Erziehung stehen meiner Überzeugung nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

    Eltern und Staat sollten und dürfen nicht einmal gleichberechtigt sein, solange die Erziehung der Eltern ebenfalls auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stattfindet. Und das bloße Tragen von Kopftüchern, so sehr diese auch als Symbol in der derzeitigen Debatte über die Vereinbarkeit von freiheitlich demokratischer Grundordnung und Islam überbewertet werden, gefährden diese eben nicht wirklich. Sie müssen daher in einer freien ! Gesellschaft erlaubt sein.

    Die Darstellung der eigenen Religionszugehörigkeit ist keine Einschränkung der Freiheit und Freiheit wird nicht durch Gleichmacherei und Gleichheit erzielt, gerade aber dahin zielt die immmer mehr nach links abgleitende, sozialistische und postliberale sozialkulturelle Grundströmung in diesem Land. Gleichmacherei statt Freiheit.

    So kritisch ich rein persönlich dem Islam als Religion gegenüber stehe, ist es dennoch unerträglich und inaktzeptabel wie hier der Staat Kindern das Tragen religiöser Symbole verbieten will. Man schafft damit zudem einen Präzedenzfall der dann nach belieben ausgeweitet werden kann (kein Tragen von Kreuzen, kein Tragen von Kippas usw usf)

    Dieser linken kulturellen Gleichschaltung muss entschieden entgegen getreten werden, wenn wir die Freiheit in diesem Land nachhaltig erhalten wollen.

    • Titus von Unhold Sun 8 Sep 2019 at 16:59 - Reply

      “Die Darstellung der eigenen Religionszugehörigkeit ist keine Einschränkung der Freiheit und Freiheit wird nicht durch Gleichmacherei und Gleichheit erzielt, gerade aber dahin zielt die immmer mehr nach links abgleitende, sozialistische und postliberale sozialkulturelle Grundströmung in diesem Land. Gleichmacherei statt Freiheit.”

      Die hier benannte antiliberale Gleichmacherei wird eindeutig von Rechts betrieben. Es sei denn der Kompass hat sich gerade um 180 Grad gedreht und die Kopftuch-Verbotsparteien CDU/CSU und AfD sind jetzt neuerdings links.

  3. Sylvia Kaufhold Fri 6 Sep 2019 at 12:05 - Reply

    Im Grundsatz teile ich unbedingt den Ansatz von Herrn Reinhardt! Der Staat hat sich in diesen Fragen herauszuhalten. Man kann in Frankreich beobachten, welche Spannungen durch das pauschale Verbot der “ostentativen” Kopfbedeckung auf Schulen entstehen. Umgekehrt verstehe ich aber auch die Bedenken der Gegenseite, etwa auch die Überlegungen von Herrn Wasmund. Außerdem benötigen die Schulen einerseits Gestaltungsfreiheit und andererseits Rechtssicherheit in diesen schwierigen Fragen. Die Debatte muss also geführt werden.

    Die beste Lösung wäre es daher, über Kopftuchverbote und ähnliches (für Schüler und Lehrer gleichermaßen) auf der tatsächlich betroffenen Ebene, nämlich der Schule selbst (Schulordnung) oder aber des Schulträgers (i.d.R. die Kommune), prinzipiell frei und ohne Richtungsvorgaben entscheiden zu lassen. Die Situation ist überall anders und kann weder auf Landesebene pauschaliert werden, noch sollten erst massenweise Fälle von Kindeswohlgefährdung vorliegen müssen, bevor Schulen und Eltern unerwünschten Entwicklungen entgegenwirken können. Und warum nicht die Frage als Teil des pädagogischen Konzepts oder der Schulordnung auffassen, die sich die Schule im Rahmen der Gesetze und ggf. unter Mitwirkung der Elternschaft grundsätzlich selbst geben kann? Das entspräche dem Subsidiaritäts- und dem Selbstverwaltungsprinzip sowie den verfassungsrechtlichen Vorgaben m.E.am besten.

    Schließlich: Wer die Debatte über Verbote will, muss sie in erster Linie für diejenigen eröffnen, die von ihr direkt betroffen sind. Es ist ja gerade das Wesen des Pluralismus, Meinungsverschiedenheiten auf jeder der betroffenen Stufen auszutragen, auszuhalten und ggf. zu entscheiden. Daher ist es auch so wichtig, den Privatrechtsverkehr grundsätzlich aus der Grundrechtsbindung, insbesondere dem Diskriminierungsverbot herauszuhalten. Ansonsten droht uns die Gleichmacherei (um nicht zu sagen Gleichschaltung) von allen Seiten und es fragt sich nur noch, welche Seite den Kampf um die alles durchdringende, richtige “Haltung” am Ende gewinnt. Das hatten wir bereits mehrfach in der deutschen Geschichte und sollten wir nicht mehr riskieren.

  4. Sylvia Kaufhold Fri 6 Sep 2019 at 17:54 - Reply

    Ein anderer Weg wäre ein gesetzliches Kopftuchverbot mit Erlaubnisvorbehalt. Es wäre dann allgemein klargestellt, dass Kopftücher nicht gewollt sind und Ausnahmen einen begründeten Antrag erfordern. Wenn der Schulfrieden nicht gefährdet ist, wäre dem Antrag zu entsprechen, was die gebotene Einzelfallentscheidung gewährleistet. Auch per Schulordnung könnten Dispense (widerruflich) erteilt werden. Die Rechtsprechung des BVerfG dürfte nicht entgegenstehen, zumal der EuGH inzwischen ein betriebliches (per Kleiderordnung verhängtes) Kopftuchverbot ausdrücklich gebilligt hat.

  5. Richard von Holzhausen Wed 4 Mar 2020 at 21:40 - Reply

    Morgen wird ein Gutachten des Würzburger Staatsrechtlers Schwarz zum gleichen Thema vorstellt werden – für mich ein Anlass,das Gutachten von Nettesheim und die Kritik von Moir nochmals zu lesen. Es bleibt der Eindruck, dass sich Moir an der Gegenposition stört, aber nicht die argumentative Fähigkeit besitzt, eine stärkere Gegenposition zu entwickeln. Die Diskussionsbeiträge sind in diesem Fall wichtiger als der Blog-Beitrag.

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