24 January 2020

Aufsichtssache

Türkische Auslandsschulen in Deutschland

I.

Es ist nicht oft der Fall, dass sich alle im Bundestag vertretenen Parteien einig sind. Die zuerst in der Süddeutschen Zeitung verbreitete Nachricht, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der Türkei ein Abkommen aushandelt, welches die Gründung dreier türkischer Schulen in Berlin, Köln und Frankfurt am Main ermöglichen soll, hat indes Vertreter*innen der Linken über die CDU bis hin zur AFD einhellig die Befürchtung äußern lassen, dass es in diesen Schulen zu einer ideologischen Indoktrination der Schüler*innen kommen könnte. Bildungspolitiker*innen aus den für das allgemeine Schulwesen zuständigen Bundesländern, denen das Abkommen laut Medienberichten derzeit zur Diskussion und Prüfung vorliegt, begegnen der Gründung türkischer Schulen ebenfalls einhellig mit Skepsis. Ein entsprechendes Abkommen wäre jedoch politisch klug und je nach Ausgestaltung würden türkische Auslandsschulen der Schulaufsicht in Bundesländern unterliegen.

II.

Politische Achtsamkeit ist angesichts der Person und der Politik des türkischen Staatspräsidenten durchaus angebracht: Er unterdrückt oppositionelle Kräfte, versucht, kritische Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Menschenrechtsaktivist*innen (und deutsche Showmaster) mit konstruierten Strafverfahren mundtot zu machen und bekämpft jegliche Ansätze kurdischer Selbstbestimmung bis hin zum Einsatz militärischen Mittel. Dies gilt umso mehr, als der Grund für die Aufnahme entsprechender Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der Türkei, überhaupt erst das Resultat einer im zwischenstaatlichen Verhältnis eher zweifelhaften politisch-polizeilichen Maßnahme seitens türkischer Sicherheitsapparate sein dürfte. Im Sommer 2018 wurde nämlich die Deutsche Schule in Izmir von Mitarbeiter*innen des türkischen Bildungsministeriums in Begleitung mehrerer Polizist*innen vorübergehend mit der Begründung geschlossen, der Schule fehle die erforderliche rechtliche Grundlage. Seitdem scheint man von deutscher Seite aus darum bemüht, langfristige Rechtssicherheit nicht nur für den Betrieb der Deutschen Schule in Izmir, sondern auch für die anderen beiden in der Türkei vorhandenen Deutschen Schulen in Istanbul und Ankara zu schaffen.

Wie die anderen der weltweit insgesamt 140 deutschen Auslandsschulen mit ihren knapp 85.000 Schüler*innen (zu diesen und weiteren Zahlen s. hier) sind die drei deutschen Schulen in der Türkei eingebettet in die allgemeinen Ziele und Aufgaben der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Dementsprechend dienen sie nicht nur der schulischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen deutscher Staatsangehöriger, die ihren Wohnsitz vorübergehend im Ausland haben, sondern darüber hinaus der Förderung der deutschen Sprache sowie der Begegnung mit der Kultur und Gesellschaft der Türkei. Das spiegelt sich auch in den Schülerschaften wider. Waren Auslandsschulen ursprünglich gedacht für die Kinder des Personals deutscher Auslandsvertretungen oder von Beschäftigten deutscher Unternehmen, werden sie heute zunehmend auch von Schüler*innen aus dem jeweiligen Sitzland besucht. Die Unterscheidung zwischen rein deutschsprachigen Schulen einerseits und sogenannten Begegnungsschulen andererseits spielt hierbei kaum noch eine Rolle. Während Erstere auf die für deutsche Inlandsschulen maßgebenden Bildungsziele ausgerichtet sind, ausschließlich deutsche Lehrpläne verwenden, die in der Bundesrepublik geltenden Schulstrukturen übernehmen und die dort üblichen Abschlüsse anbieten, findet in so genannten Begegnungsschulen neben einem intensiven Deutschunterricht für die fremdsprachigen Schüler*innen ein zweisprachiger Fachunterricht nach bilateral abgestimmten Lehrplänen statt. Es können neben deutschen Schulabschlüssen auch Schulabschlüsse des jeweiligen Sitzlandes oder das gemischtsprachige international Baccalaureate erworben werden. Schulträger der deutschen Auslandsschulen ist nicht die Bundesrepublik Deutschland. Vielmehr handelt es sich um Privatschulen, die von (Eltern-)Vereinen, Stiftungen, Kirchengemeinden oder religiösen Orden nach dem Recht des jeweiligen Sitzlandes betrieben werden und die der deutsche Staat lediglich als Deutsche Auslandsschulen offiziell anerkennt. Als Privatschulen finanzieren sie sich zu einem nicht unerheblichen Teil aus Schulgeldeinnahmen und freiwilligen Beiträgen. Darüber hinaus werden sie finanziell vom Bund nach Maßgabe des Auslandsschulgesetzes (ASchulG) durch Zuwendungen aus dem Auslandsschulfonds des Auswärtigen Amtes und personell von den Bundesländern durch die Freistellung von Lehrer*innen unterstützt. Soweit die völkerrechtlichen Verträge, die dem Betrieb der Schulen zugrunde liegen, dies vorsehen und/oder das Recht des Sitzlandes es zulässt, übt der Bund auf der Grundlage des mit dem Träger der Schule geschlossenen Verleihungs- und Fördervertrags die Aufsicht über die deutschen Auslandsschulen aus (vgl. § 4 Abs. 1 ASchulG). Dies geschieht insbesondere dadurch, dass der Bund eigene Überprüfungen vor Ort durchführt, die vertragsgemäße Verwendung der Fördermittel prüft und die Berichte der Schulen an die fördernden Stellen auswertet (§ 4 Abs. 2 ASchulG). Schließlich kann der Bund im Rahmen der Schulaufsicht den Auslandsschulen Weisungen erteilen (§ 4 Abs. 3 ASchulG).

III.

Lässt man einmal die oben angesprochene politisch-polizeiliche „Motivationshilfe“ für die Aufnahme der Verhandlungen außer Betracht, scheint der Wunsch der Türkei, mit der Bundesrepublik über die Gründung türkischer Schulen in Deutschland zu verhandeln, vor diesem Hintergrund legitim. Auch wenn der genaue Inhalt des Entwurfes eines Abkommens bislang nur den Verhandlungsführer*innen und nun den mit der Prüfung betrauten Vertreter*innen der Bundesländer bekannt ist, sollen die türkischen Schulen in Berlin, Köln und Frankfurt, wie die Süddeutsche Zeitung vermutet, ebenso wie die deutschen Auslandsschulen als Ersatzschulen betrieben werden. Das würde aber bedeuten, dass die Schulen gemäß Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG nicht nur der Aufsicht der Schulaufsichtsbehörden in den Ländern unterstehen, sondern nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG ferner „in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen“ dürften. Würde die Türkei analog zu den deutschsprachigen Auslandsschulen in der Türkei nun fordern, dass der Unterricht in den drei türkischen Schulen in Deutschland auf der Basis türkischer Lehrpläne von in der Türkei ausgebildeten Lehrer*innen erfolgen soll, müsste geprüft werden, inwieweit diese verfassungsgesetzlichen Voraussetzungen eingehalten werden. Auch wenn die Praxis der Aufsicht über Privatschulen durch die Schulaufsichtsbehörden in den Bundesländern, wie jüngere Untersuchungen zur (Nicht-)Einhaltung des Sonderungsverbotes im Sinne des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG gezeigt haben (s. dazu auch hier), stark verbesserungsbedürftig ist, dürften die türkischen Schulen an den drei Standorten nicht nur vergleichsweise viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sehr wahrscheinlich werden sie zudem im besonderen Fokus der berliner, nordrhein-westfälischen und hessischen Schulaufsichtsbehörden stehen. Insofern dürfte bei offiziellen Auslandsschulen der Türkei eine größere Transparenz herrschen als bei Ersatzschulen, deren Träger türkisch geprägt sind, bei denen aber nicht immer klar ist, wer eigentlich hinter den Schulen steht.

Auf der anderen Seite wird man diese schon seit längerem in Deutschland bestehenden Ersatzschulen, die seit Jahren einen starken Zulauf nicht nur türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher verzeichnen, nur sehr eingeschränkt mit den nun avisierten Auslandsschulen vergleichen können. Die Mitglieder der Trägervereine der bestehenden Ersatzschulen gehören häufig zur selbständigen, bildungsaffinen und eher säkularen Mittelschicht. Türkischstämmige Eltern schicken ihre Kinder auf diese Schulen, weil sie mit dem deutschen Bildungssystem, in dem Schüler*innen gerade mit einem türkischen Migrationshintergrund strukturell benachteiligt werden, unzufrieden sind oder sich von der Privatschule eine gezieltere Förderung ihrer Kinder und den Erwerb höherer Bildungsabschlüsse erwarten (Akbaba/Strunck, Deutsch-türkische Schulen in Deutschland: Ein kontroverser Diskurs, in: Ullrich/Strunck (Hrsg.), Private Schulen in Deutschland – Entwicklungen – Profile – Kontroversen, Wiesbaden 2012, S. 131).

Die curriculare Ausrichtung der türkischen Auslandsschulen, die nun in der Diskussion stehen, dürfte sich jedenfalls, wenn Erdogans Vorstellungen sich durchsetzen, von den bestehenden Ersatzschulen genauso grundlegend unterscheiden, wie die Klientel, die durch diese Schulen angesprochen werden soll. Abgesehen davon, dass man ansonsten die Schließung der deutschen Auslandsschulen in der Türkei riskiert, dürfte es gleichwohl politischer Klugheit entsprechen, sich mit der Türkei auf einen für beide Seiten akzeptablen rechtlichen Rahmen für den Betrieb sowohl der türkischen wie auch der deutschen Auslandsschulen zu einigen. Zu diskutieren gibt es dann Einiges: von Regelungen bezüglich der Schulträgerschaft, über Vorgaben hinsichtlich der Curricula, Bestimmungen zu den Unterrichtssprachen, Professionalitätsanforderungen an das Lehrpersonal, bis hin zu Befugnissen der Aufsichtsbehörden sowie auf Unterricht und Erziehung bezogene Indoktrinationsverbote und die Beachtung der jeweiligen Toleranz- und Verfassungsgebote.


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