27 November 2015

Auschwitzvergleich als Beleidigung: EGMR schlägt sich auf Seite der Meinungsfreiheit

Vergleicht man den ärztlich assistierten Schwangerschaftsabbruch mit dem Holocaust, verletzt man das allgemeine Persönlichkeitsrecht des namentlich benannten, ausführenden Mediziners. Zieht man zwischen NS-Regime und Abtreibung jedoch lediglich eine Parallele, scheint dies noch von der Meinungsfreiheit umfasst zu sein. Zumindest könnte man so das gestern veröffentlichte Urteil des EGMR in der Rechtssache Annen vs. Germany verstehen.

Herr Annen ist den Richtern in Straßburg bereits bestens bekannt. Als „christlicher Lebensrechtler“, Aktivist und Betreiber der Internetseite „Babycaust.de“ hat er sich dem lebenslangen Kampf gegen die Abtreibung verschrieben.

Die scheinbar endlose Geschichte des Klaus Günter Annen beginnt bereits 1997. In diesem Jahr verteilte Herr Annen vor einem Klinikum Flugblätter mit der These „damals: Holocaust – heute: Babycaust“ und rief dazu auf, den hier angeblich stattfindenden „Kinder-Mord im Mutterschoß“ zu beenden. Als wäre diese Aussage nicht bereits prekär genug, wurde ein Gynäkologe auf der Vorderseite des Flyers als „Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder“ bezeichnet. Kein Wunder also, dass Annen von dem betroffenen Arzt und der Klinik auf Unterlassung und wegen Beleidigung verklagt wurde.

Die Annen-Saga zog sich über viele Jahre hin und beschäftigte wiederholt auch den EGMR, der 2011 feststellte, dass die Auswirkungen einer Meinungsäußerung auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht grundsätzlich nicht von ihrem historischen Kontext gelöst werden können. Aus diesem Grund verletze der Vergleich von Holocaust und Abtreibung mit Blick auf die deutsche Geschichte in besonders schwerem Maße das Persönlichkeitsrecht des betroffenen Gynäkologen. Dass die deutschen Gerichte Annen wegen Beleidigung verurteilt haben, sei daher mit Art. 10 EMRK vereinbar (Rn. 48 f.).

Herr Annen kämpft bis heute unermüdlich gegen die Abtreibung weiter; er scheint jedoch mit tatkräftiger Unterstützung des EGMR mit der Zeit dazu gelernt zu haben. Die These „Damals: Holocaust – Heute: Babycaust“ formuliert er 2005 auf einem anderen Flyer spitzfindiger: „In der Tagesklinik Dr. M/ Dr. R. […] werden rechtswidrige Abtreibungen durchgeführt.“ und „Die Ermordung der Menschen in Auschwitz war rechtswidrig, aber der moralisch verkommene NS-Staat hatte den Mord an den unschuldigen Menschen erlaubt und nicht unter Strafe gestellt.“ (Rn. 8 ff.)

Wer sich jetzt fragt, wo denn genau der Unterschied zu dem eben erläuterten Sachverhalt liegt, findet den Teufel wohl im Detail.

Der EGMR versteht die auf dem jüngsten Flyer vorgenommene Gegenüberstellung von Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, und NS-Regime als Versuch, auf ein Auseinanderfallen von Recht und Moral aufmerksam zu machen. Nach dieser Auslegung ziehe Herr Annen bei der rechtlichen Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs den Holocaust lediglich als historisches Beispiel eines rechtswidrigen, aber im Dritten Reich straflosen Handelns heran (Rn. 63). Denn auch der Schwangerschaftsabbruch ist nach § 218a StGB zwar straflos, aber dennoch rechtswidrig (Rn. 17).

Diese Erkenntnis der Straßburger Richter lässt jedoch Raum für Kritik. Ohne Zweifel ist der Schwangerschaftsabbruch ein gesellschaftlich kontrovers diskutiertes Thema. Soll das aber bedeuten, dass man in seinem Kampf gegen die Abtreibung beliebig Gynäkologen mit dem Holocaust in Verbindung bringen und ihre Arbeit dadurch „dämonisieren“ kann? Mit einem klaren Nein beantworten diese Frage die Richterinnen Yudkivska und Jäderblom in ihrem zum Urteil ergangenen Minderheitsvotum. Denn das Persönlichkeitsrecht der von Herr Annen willkürlich herausgepickten Mediziner könne ihrer Ansicht nach nicht weniger durch das Gegenüberstellen von Holocaust und Abtreibung als durch den direkten Vergleich von „ damals Holocaust- heute Babycaust“ betroffen sein.


3 Comments

  1. Johannes P. Mon 30 Nov 2015 at 17:52 - Reply

    Diese Darstellung erweckt den Eindruck, als sei nicht nur der Holocaust-Vergleich, sondern auch die Bezeichnung des Klinikmitarbeiters als “Tötungsspezialist für ungeborene Kinder” gerichtlich beanstandet worden. Tatsächlich wurde sie aber als inhaltlich zutreffende Tatsachenbehauptung bewertet (siehe 1 BvR 2031/00) und ist seitdem nicht mehr Teil der Auseinandersetzung.

  2. Günter Annen Tue 7 Mar 2017 at 09:00 - Reply

    Grüß Gott! Sie werden doch sicher nichts dagegen haben, wenn ich Ihre sehr interessanten Ausführungen,auch wenn ich diesen nicht gänzlich zustimmen kann, verwende und. Ggf. auf meiner Homepage veröffentliche? Danke und freundliche Grüße Günter Annen

  3. Maximilian Steinbeis Tue 7 Mar 2017 at 09:06 - Reply

    Grüß Gott zurück! Der Text steht unter einer CC-Lizenz, der Sie entnehmen können, was Sie bei einer Veröffentlichung auf Ihrer Homepage zu beachten haben.

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