Bankenabwicklungsfonds: Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode
Unter dem Mantel einer eher technisch anmutenden Detaildebatte wird in Brüssel zurzeit ein Präzedenzfall von großer Tragweite für die künftige europäische Rechtsetzung und die Stellung des Europäischen Parlaments ausgefochten. Es geht darum, ob die Gemeinschaftsmethode die Unionsmethode sticht oder andersherum.
Zur Erinnerung: Die Gemeinschaftsmethode zeichnet sich dadurch aus, dass die Europäische Kommission den EU-Gesetzgebungsprozess durch einen Vorschlag einleitet und anschließend das Europäische Parlament als Repräsentant der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger und der Rat als Repräsentant der Regierungen der Mitgliedstaaten diesen Vorschlag diskutieren und beschließen. Dabei können das Parlament und der Rat jeweils Änderungsvorschläge einbringen, für deren Annahme sie die eigene Mehrheit und die Mehrheit der anderen Institution brauchen.
Die Unionsmethode wurde von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich einer Rede vor dem Collège d’Europe in Brügge folgendermaßen skizziert: Sie soll die Gemeinschaftsmethode außerhalb der Unionskompetenzen im Sinne der Subsidiarität ergänzen. Im Europäischen Rat soll in den Fällen, in denen die Staats- und Regierungschefs zwar ein gemeinsames Handeln für notwendig erachten, es jedoch keine Unionskompetenzen gibt, auf Grundlage von zwischenstaatlichen Verträgen bindendes Recht geschaffen werden. Bekannte Beispiele für die Unionsmethode sind der ESM-Vertrag und der sog. Fiskalpakt.
Das Demokratieproblem der Unionsmethode
Klingt die Unionsmethode in Merkels Worten noch einigermaßen sinnhaft („abgestimmtes solidarisches Handeln – jeder in seiner Zuständigkeit, alle für das gleiche Ziel.“), werden die Probleme dieser Methode offenkundig, wenn man sie unter Demokratiegesichtspunkten durchleuchtet. Was irgendwie innovativ unter dem Namen „Unionsmethode“ erscheint, ist in Realität nichts anderes als das klassische Völkerrecht. Ein völkerrechtlicher Vertrag wird von den Regierungen hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Der ausgehandelte Text wird von einem Regierungsvertreter unterzeichnet und dem heimischen Parlament zur Ratifikation vorgelegt. Der unterzeichnete Text kann vom Parlament nicht mehr geändert werden. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier können den Text nur annehmen oder komplett ablehnen und dabei riskieren, die von ihnen mehrheitlich getragene Regierung zu düpieren. Einmal ratifiziert, darf ein nationales Parlament nur noch in Ausnahmefällen Gesetze erlassen, die im Bruch mit dem völkerrechtlichen Vertrag stehen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Görgülü-Beschluss deutlich gemacht, dass der “lex posterior”-Grundsatz, wonach das zeitlich jüngere Gesetz ein ranggleiches zeitlich späteres Gesetz inhaltlich ersetzt, bei einem völkerrechtlicher Vertrag, auch wenn er im deutschen Recht den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat, aufgrund des Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes nicht uneingeschränkt gilt (zum sog. “treaty override”: Vorlage des BFH an das BVerfG). Ist keine Kündigungsklausel vorgesehen, kann ein völkerrechtlicher Vertrag außer in einigen sehr außergewöhnlichen Ausnahmefällen nur im Einvernehmen mit allen Vertragsstaaten wieder aufgehoben werden.
Der Demokratiemehrwert der Gemeinschaftsmethode
Die Gemeinschaftsmethode sieht mit dem Europäischen Parlament eine direkt von den Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern gewählte Institution vor, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemeinsam mit dem Rat gleichberechtigter Mitgesetzgeber ist. Das Europäische Parlament hat das Recht, Änderungen an den Gesetzesentwürfen der Kommission vorzuschlagen und Änderungen, die der Rat vorgenommen hat, selbst zu ändern oder zurückzuweisen. Im Extremfall kann das Parlament mit seinem Veto den kompletten Gesetzesvorschlag samt den Änderungen des Rates zurückweisen.
Während damit bei der Gemeinschaftsmethode Parlamentarier bestimmenden Einfluss auf den Inhalt eines rechtlich bindenden Textes haben, befinden sich die nationalen Parlamentarier bei der Unionsmethode lediglich im Nachvollzug der durch die Regierung geschaffenen Rechtslage. Dies hat keine mit der Gemeinschaftsmethode vergleichbare demokratische Qualität. Diese „Flucht aus dem Europarecht“ wurde von Lukas Oberndorfer als „autoritärer Konstitutionalismus“ kritisiert.
Es darf daher nicht im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten stehen, zwischen der Unionsmethode und der Gemeinschaftsmethode zu wählen. Andernfalls stünde den Regierungen ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Qualitätsgraden von demokratischer Teilhabe zu.
Lackmustest: Bankenabwicklungsmechanismus (single resolution mechanism)
Genau diese Frage des Wahlrechts steht im Zentrum einer Auseinandersetzung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat im Rahmen der Errichtung eines Bankenabwicklungsmechanismus (single resolution mechanism). Die Europäische Kommission hat hierzu im Juli 2013 einen Gesetzgebungsvorschlag vorgelegt. Die Rechtsgrundlage für diesen Vorschlag ist Artikel 114 AEUV. Diese Rechtsgrundlage verlangt für die Beschlussfassung das ordentliche Gesetzgebungsverfahren. Der Vorschlag beinhaltete die Einrichtung eines Bankenabwicklungsfonds, der durch Beiträge von Banken finanziert werden soll. Der gesamte Fonds soll künftig bei Bankenabwicklungen einspringen. Dies bedeutet im Kern, dass die Beiträge aller Banken, die in den Fonds einbezahlt haben, dazu verwendet werden können, eine einzelne Bank abzuwickeln.
Mit diesem Fonds hatte der Rat seine Probleme, weshalb er beschloss, Teile der Regelungen über den Fonds in einen zwischenstaatlichen Vertrag auszulagern. Anstelle der EU sollen die Mitgliedstaaten die Beiträge der Banken einziehen und dem Fonds anschließend übertragen. Die Beiträge sollen zudem für eine Übergangsphase nationalen Abteilungen innerhalb des Fonds zugewiesen werden. Diese nationalen Abteilungen sollen dann sukzessive über einen Zeitraum von zehn Jahren miteinander verschmelzen, indem jährlich jeweils 10 % der Abteilung eines nicht von einer Bankenabwicklung betroffenen Mitgliedstaates für die Abwicklung eingesetzt werden kann. Im Unterschied zum Kommissionsentwurf können dann Beiträge einer deutschen Bank zum Zeitpunkt der Errichtung des Fonds nicht dazu verwendet werden, eine Bank mit Sitz außerhalb Deutschlands abzuwickeln.
Der Präzedenzfall
Die Mitgliedstaaten nehmen mit diesem Beschluss einen massiven Eingriff in die Gemeinschaftsmethode vor. Während der Rat nach den Regeln der Europäischen Verträge entweder konkrete Änderungen an Teilen eines Kommissionsentwurfs vorschlagen kann und dafür eine Mehrheit im Europäischen Parlament suchen muss oder den Entwurf als Ganzes ablehnen kann, nimmt sich der Rat mit seinem Beschluss vom 18. Dezember 2013 das Recht heraus, einen Teil des Kommissionsentwurfs abzulehnen und konkrete Änderungen in einem völkerrechtlichen Vertrag zu beschließen, ohne dafür die notwendige Mehrheit im Europäischen Parlament suchen zu müssen.
Dieser Präzedenzfall ist nichts anderes als ein Konflikt zwischen der Gemeinschaftsmethode und der Unionsmethode. Es stellt sich die Frage, welche Methode sich in diesem Konfliktfall durchsetzt. Aus demokratietheoretischen Erwägungen muss die Antwort klar sein: Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode. Sieht dies das Europarecht aber auch so?
Eine entscheidende Vorfrage für das Europarecht ist, ob die von der Kommission vorgeschlagenen und vom Rat ausgelagerten Elemente von einer Unionskompetenz erfasst sind. Wäre nämlich der ausgelagerte Teil gar nicht auf der Grundlage einer Unionskompetenz erlassbar, könnte dieser Teil auch nicht im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beschlossen werden. Gutachten des Autors und der Juristischen Dienste des Rates und der Kommission haben sich jedenfalls dafür ausgesprochen. Das soll auch die Grundlage für die folgenden Erwägungen sein.
Die Unionstreue und das Demokratieprinzip
Die Unionstreue (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV) verlangt von den Mitgliedstaaten, alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. Darunter fällt auch das Verbot der Hintertreibung des Unionsrechts. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren und das hierin zum Ausdruck kommende „checks and balances“ zwischen dem Rat, dem Parlament und der Kommission gehören zum Verfassungskern der EU. Die Mitgliedstaaten dürfen daher das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, wenn es einmal eingeleitet wurde, nicht hintertreiben. Die Rechte des Rates sind in diesem Verfahren klar definiert und begrenzt. Würden die Mitgliedstaaten trotz Einleitung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens durch einen Kommissionsvorschlag noch die Wahlfreiheit zwischen der Gemeinschaftsmethode und der Unionsmethode haben, wäre dieses wohl austarierte System von „checks and balances“ bedeutungslos.
Das Demokratieprinzip gilt auch in der Europäischen Union (Art. 10 Abs. 1 EUV). Hierzu hat der EuGH klar und deutlich entschieden:
„Die wirksame Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft gemäß den im EG-Vertrag vorgesehenen Verfahren stellt […] ein wesentliches Element des vom EG-Vertrag gewollten institutionellen Gleichgewichts dar. Diese Befugnis ist Ausdruck des grundlegenden demokratischen Prinzips, daß die Völker durch eine repräsentative Versammlung an der Ausübung der Hoheitsgewalt beteiligt sind“ (Rs. C-392/95, Europäisches Parlament gegen Rat, Slg. 1997, I-3213 Rn. 14).
Die wirksame Beteiligung des Europäischen Parlaments, die vom ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vorgesehen ist, darf deshalb von den Mitgliedstaaten nicht dadurch verhindert werden, dass der Rat Teile eines Kommissionsvorschlags in einen zwischenstaatlichen Vertrag auslagert, wenn diese Teile von einer Unionskompetenz abgedeckt sind.
Die geteilte Kompetenz
Einem Vorrang der Gemeinschaftsmethode kann die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten entgegen gehalten werden (Art. 2 Abs. 2 AEUV). Hiernach nehmen die Mitgliedstaaten „ihre Zuständigkeit wahr, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat.“ Die Mitgliedstaaten verlieren demnach ihre Zuständigkeit erst mit dem Inkrafttreten eines Unionsrechtsakts. Wenn die Mitgliedstaaten damit während des Gesetzgebungsverfahrens noch über ihre Zuständigkeiten verfügen, dann können sie diese auch für den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags nutzen.
Dieser Gedanke greift jedoch zu kurz. Auch wenn die mitgliedstaatliche Kompetenz erst mit dem Inkrafttreten eines Unionsrechtsaktes zurücktritt, so treffen die Mitgliedstaaten dennoch bereits während des Gesetzgebungsverfahrens Stillhalteverpflichtungen. Sie dürfen ihre Gesetzgebungskompetenz dann nicht mehr nutzen, um den europäischen Rechtsetzungsprozess zu hintertreiben. Ab welchem Zeitpunkt eine solche Stillhalteverpflichtung entsteht, hat der EuGH bislang noch nicht zu entscheiden gehabt. In einem anderen Verfahren, in dem es darum ging, ob ein Mitgliedstaat noch einseitig einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag ändern darf, wenn die EU auf dem Gebiet des Vertrags aufgrund einer eigenen auswärtigen Kompetenz aktiv werden möchte, entschied der EuGH, dass eine Stillhalteverpflichtung der Mitgliedstaaten entsteht, „wenn die Kommission dem Rat Vorschläge unterbreitet hat, die, obgleich sie vom Rat nicht angenommen worden sind, den Ausgangspunkt eines abgestimmten gemeinschaftlichen Vorgehens darstellen“ (Rs. C-246/07, Kommission gegen Schweden, Slg. 2010, I-3317 Rn. 74).
Überträgt man diese Erwägungen auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, dann entsteht eine Stillhalteverpflichtung der Mitgliedstaaten, keine anderen internationalen Rechtsetzungsverfahren als das ordentliche Gesetzgebungsverfahren anzustoßen, sobald die Kommission das Verfahren mit einem Gesetzgebungsvorschlag eingeleitet hat.
Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode
Eine Gesamtschau dieser rechtlichen Argumente macht damit deutlich, dass das Europarecht das Ergebnis stützt, zu dem auch demokratietheoretische Erwägungen hinführen: Die Rechte des Europäischen Parlaments stehen nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten. Teilelemente eines Gesetzgebungsvorschlags der Kommission, die von einer Unionskompetenz, die ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren verlangt, abgedeckt sind, können nicht in einen zwischenstaatlichen Vertrag ausgelagert werden. Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode.
Es ist deutlich geworden, dass die Diskussionen über die eher technisch anmutenden Fragen danach, wer Beiträge von Banken für die Finanzierung eines Bankenabwicklungsfonds erheben darf und wie diese Gelder innerhalb des Fonds genutzt werden können, eine politische und demokratietheoretische Dimension haben. Es ist der Präzedenzfall, der darüber entscheidet, ob die Mitgliedstaaten im Rat die Entscheidungsfreiheit darüber haben, die Rechte des Europäischen Parlaments in der Gemeinschaftsmethode zu beachten oder Teilfragen, bei denen die Ratsposition wahrscheinlich vom Parlament abgelehnt werden würde, einfach in einen zwischenstaatlichen Vertrag und damit in die Unionsmethode verschieben zu können. Die Ratifikation in den mitgliedstaatlichen Parlamenten kann jedenfalls mangels Einflussmöglichkeiten dieser Parlamente auf den Inhalt des Vertrags den Mangel an demokratischer Beteiligung auf europäischer Ebene nicht heilen.
Der Beitrag ist in leicht geänderter Fassung zuerst auf dem Blog Arbeit&Wirtschaft erschienen. Der Autor berät die Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament bei rechtlichen Fragen der Bankenregulierung.
Die Beschreibung der Inkorporation von Völkervertragsrecht in das deutsche Recht ist haarsträubend:
“Einmal ratifiziert, geht der völkerrechtliche Vertrag den nationalen Gesetzen vor (Art. 25 Satz 2 GG). Das Parlament kann zwar noch Gesetze erlassen, die im Bruch mit dem völkerrechtlichen Vertrag stehen. Diese müssen jedoch im Anwendungsbereich des völkerrechtlichen Vertrags unangewendet bleiben.”
Wenn der Autor hier fälschlicherweise dem Völkerrecht eine europarechtliche Normqualität zubilligt (insbs. Vorrang), dann kann der folgende Vergleich zum echten (demokratischerem) Europarecht natürlich nur deprimierend ausfallen…
Chris: . . .“deprimierend ausfallen“ deshalb, weil der Wunsch (der Glaube), einmal beschlossenes Recht könnten (dürften) die Beschließenden nicht mehr ändern, sie müssten das Beschlossene einheitlich verstehen und anwenden/ berücksichtigen, nicht der Realität entspricht und entsprechen kann. Recht und Vertrag unterliegen dem Realitätswandel, insbesondre dem Wandel von Machtverhältnissen.
Es wäre wissenschaftlich und journalistisch geboten gewesen, auf die Rolle des Autors in dieser Sache hinzuweisen. Immerhin hat er das zitierte “Gutachten von Rechtswissenschaftlern” selbst verfasst. Dieses trägt zudem das Emblem einer Parlamentsfraktion und den Namen eines MdEP. Just auf diesen wird dann für eine Darstellung der “Auseinandersetzung” verwiesen.
In der Sache geht es schlicht um die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten und nicht um Demokratietheorie. So sieht selbst das als befürwortend zitierte Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates die Haushaltsautonomie der Mitgliedstaaten als gefährdet an (“the proposal does not contain a robust system to guarantee the budgetary sovereignty of Member States”). Angenommen der Vorschlag betrifft die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten, so hat die Union noch nicht einmal eine geteilte Kompetenz. Dann richteten sich die Pflichten aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit aber nicht gegen die Mitgliedstaaten sondern gegen die Unionsorgane.
Nun ja, auch Lothar Matthäus spricht von sich in der dritten Person (wenn auch nicht im Plural) …
@AX: stimmt, hätte einer Klarstellung bedurft, haben wir jetzt nachgeholt. Bitte um Vergebung.
Es geht in der Tat auch um die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten. Ist allerdings derjenige Teil eines Kommissionsvorschlag, den der Rat in einen zwischenstaatlichen Vertrag verschieben möchte, von einer Unionskompetenz abgedeckt, dann gilt, dass sich die Gemeinschaftsmethode gegen die Unionsmethode aus den genannten Gründen durchsetzt.
Im Hinblick auf das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates ist natürlich zunächst einmal zutreffend, dass die Union keine Kompetenz zum Eingriff in die mitgliedstaatliche Haushaltsautonomie hat (Ausnahme: Art. 126 AEUV und die EU-Eigenmittelbestimmungen). Das Gutachten kritisiert vor diesem Hintergrund eine bestimmte Vorschrift des bisherigen Vorschlags der Kommission (Art. 51 Abs. 3), bei der nicht hinreichend klargestellt sei, dass bei einer Bankenabwicklung nicht doch öffentliche Gelder der Mitgliedstaaten eingesetzt werden könnten. Dieses Ansinnen des Juristischen Rates möchte die Verordnung selbst erreichen, wie Art. 6 Abs. 4 des Verordnungsvorschlags klar und deutlich selbst vorsieht („In keinem Fall darf ein Beschluss des Ausschusses oder der Kommission von den Mitgliedstaaten die Gewährung einer außerordentlichen finanziellen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln verlangen.“). Die Klarstellung der kritisierten Vorschrift ist bereits Teil der Änderungsvorschläge des Parlaments und des Rates an der Verordnung selbst. Die kritisierte Vorschrift ist allerdings nicht Teil derjenigen Bestimmungen, die der Rat in den zwischenstaatlichen Vertrag verschieben möchte. Für diese gilt auch nach dem Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates, dass sie von Art. 114 AEUV abgedeckt sind. Und solange ein Kommissionsvorschlag von einer Unionskompetenz abgedeckt ist, gilt die Gemeinschaftsmethode, u.a. aus demokratietheoretischen Erwägungen.
Wobei man ja sagen muss, das – in gewisser Weise – der hier beschworene “Präzedenzfall” zur sog. ‘Gemeinschaftsmethode’ schon lange da ist: Wenn den Staaten die Mitwirkungskompetenzen der EU-Organe nicht gefallen, greift man halt auf das Mittel des Vertrages zurück.
So ist das ja auch bereits beim Vertrag über das Einheitliche Patentgericht bzw. den Regelungen zum EU-Patent passiert, in dem viele auch materiell-rechtliche Punkte in den völkerrechtlichen Vertrag ausgelagert wurden, mit dem eigentlich nur das Gericht geschaffen werden sollte, anstatt sie in die entsprechenden EU-Verordnungen zu schreiben. Und das schlicht deswegen, weil man (bzw. das Vereinigte Königreich, wenn ich mich richtig erinnere) nicht wollte, dass ein gewisses EU-Organ (hier: der EuGH) in Patentfragen zu viel Entscheidungskompetenzen bekommt… Neu ist das doch nicht wirklich, über den Weg eines Völkerrechtlichen Vertrags die Kompetenzen der Unionsorgane auszuhebeln, wenn es einem nicht passt.
Geteilte oder alleinige Kompetenz – kein hinreichendes maßgebendes Kriterium
Es kann die Beantwortung der Frage nach dem, womit oder woran loyale Zusammenarbeit und enge Zusammenarbeit festgestellt wird, tatsächlich offen bleiben. Maßgebendes Kriterium für die Beurteilung von Rechtsakten der europäischen Union und Einrichtungen sind diese Eigenschaften (loyal, eng) der Zusammenarbeiten nicht.
“Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob Rechtsakte der europäischen Organe und Einrichtungen sich unter Wahrung des gemeinschafts- und unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 2 EGV; Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon ) in den Grenzen der ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte halten (vgl. BVerfGE 58, 1 ; 75, 223 ; 89, 155 :”
“Die Ausübung dieser verfassungsrechtlich radizierten Prüfungskompetenz folgt dem Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, und sie widerspricht deshalb auch nicht dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon); anders können die von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon anerkannten grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen souveräner Mitgliedstaaten bei fortschreitender Integration nicht gewahrt werden. Insoweit gehen die verfassungs- und die unionsrechtliche Gewährleistung der nationalen Verfassungsidentität im europäischen Rechtsraum Hand in Hand.”
Diese “verfassungsrechtlich radizierte Prüfungskompetenz” ist auch für die im Lissabon-Vertrag vereinbarte ausschließlichen Kompetenz der Union für internationale Handelsabkommen nicht aufgehoben. Und zwar mit der Begründung, dass von den Befugnissen der Union, soweit sie ausgeübt werden, wesentliche Umgestaltungen der inneren Ordnung der Mitgliedstaaten ausgehen können.
“Zu einer unzulässigen Einschränkung der vom Grundgesetz vorausgesetzten und geschützten Staatlichkeit und des Prinzips der Volkssouveränität durch einen Verlust der Handlungsfähigkeit in nicht unwesentlichen Teilbereichen des internationalen Staatenverkehrs kann es daher nicht kommen.” (BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Absatz-Nr. 373 – 375)
@Chris, zum einen trifft der Fall des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht meines Erachtens nicht ganz die in dem Beitrag angesprochene Problematik. Es lag in diesem Fall nicht so, dass die Kommission die Regelungen, die im Übereinkommen stehen, in einem eigenen Vorschlag bereits selbst vorgeschlagen hat, mit dem das ordentliche Gesetzgebungsverfahren initiiert wurde. Es lag damit keine Verschiebung aus dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren in den völkerrechtlichen Vertrag vor. Darüber hinaus hat das Europäische Parlament dem Übereinkommen zugestimmt, so dass es gemeinsam mit dem Rat das völkervertragliche Vorgehen billigte. Es kam damit gerade nicht zu dem im Beitrag beschriebenen Konflikt zwischen Gemeinschaftsmethode und Unionsmethode. Es macht nämlich einen Unterschied, ob die Mitgliedstaaten mit einem völkerrechtlichen Vertrag Unionsrecht lediglich ergänzen (wie etwa auch im Fall des ESM) oder in einen Konflikt mit Sekundärrecht im Entstehen im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren treten. Das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht ist eine solche Ergänzung des Unionsrechts.
Zum anderen kann die aus dem Übereinkommen möglicherweise folgende Beschneidung des EuGH (als Unionsorgan) nicht mit der Beschneidung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens und der Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments (als Unionsorgan) gleichgesetzt werden. In letzterem Fall geht es eben um eine Beschneidung demokratischer Mitbestimmungsrechte, die die europäischen Verträge in bewusster Abkehr von völkerrechtlichen Regelfall, bei dem die Staaten komplett ungebunden in ihrem Umgang mit der Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Vertrags sind. Sie haben in den europäischen Verträge die Ausübung der Unionskompetenzen an bestimmte Verfahren mit demokratischer Qualität gebunden.
@René Repasi: Vielen Dank für die Klarstellungen. Ich muss zugeben, dass die geplante rechtliche Umsetzung des Bankenabwicklungsfonds für mich als Außenstehenden nur sehr schwer zu durchblicken ist. “Technisch anmutend” ist da noch fürnehm ausgedrückt. Dass gerade hier ein casus belli entstanden ist, kann ich mir eigentlich nur mit Zeitdruck (Wahlen, baldige Funktionsfähigkeit des Fonds) erklären.