Berlin gehorcht Karlsruhe: Leider nur aufs Wort
Wie oft soll über das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare eigentlich noch gestritten werden? Wie viele Gesetze will Berlin zu diesem Thema noch beschließen, nur damit Karlsruhe sie postwendend wieder zurückschickt? Kaum eine Frage wird in der Debatte rund um die rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften ähnlich intensiv diskutiert wie das Adoptionsrecht. Leider trug der Gesetzgeber bisher wenig zur Rationalisierung bei.
Im Februar des vergangenen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht in einer wegweisenden Entscheidung den Gesetzgeber dazu aufgefordert, bis zum 30. Juni 2014 auch eingetragenen Lebenspartnern zu ermöglichen, das adoptierte Kind ihres Partners anzunehmen. Dem ist der Gesetzgeber jetzt nachgekommen. Am Donnerstag hat der Bundestag das entsprechende Gesetz verabschiedet. Doch erledigt ist die Sache damit vermutlich noch lange nicht. Das nächste Urteil aus Karlsruhe zur Adoptionsthematik ist bereits programmiert.
Wunsch und Wirklichkeit
Was genau fordern die Richter aus Karlsruhe? In dem entschiedenen Fall hatte eine Ärztin aus Münster Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie war mit ihrem Wunsch, ein Kind, das ihre Lebenspartnerin im Jahre 2004 adoptiert hatte, ebenfalls zu adoptieren, vor sämtlichen Fachgerichten gescheitert.Diese hatten den Antrag zurückgewiesen und dies damit begründet, „dass Lebenspartner nicht gemeinschaftlich ein Kind annehmen könnten.“ Nur die sogenannte Stiefkindadoption sei möglich, bei der das leibliche Kind des Partners adoptiert wird. Im Falle der Ärztin ging es allerdings um eine „Sukzessivadoption“, bei der ein Partner das zu einem früheren Zeitpunkt vom anderen Partner adoptierte Kind ebenfalls annimmt, was bis dato nur Eheleuten rechtlich möglich war und eingetragenen Lebenspartnern verwehrt blieb.
Am 19. Februar 2013 sprach das Bundesverfassungsgericht dann sein viel beachtetes Urteil. Das Gericht befand, sowohl die betroffenen Lebenspartner als auch die Kinder selbst seien in ihrem Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. Es erklärte die bisherige gesetzliche Regelung für verfassungswidrig und verpflichtete den Gesetzgeber, eine neue, verfassungsmäßige Regelung zu erlassen.
Die Richter gründeten ihre Entscheidung vor allem auf zwei Argumente: Zum einen schade es dem Kind nicht, mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufzuwachsen. Zum anderen sei eine eingetragene Lebenspartnerschaft nicht minder auf Dauer angelegt und von Verantwortung geprägt als eine klassische Ehe.
Was lange währt, wird auch nicht gut
Über ein Jahr nach dem Urteil aus Karlsruhe wurde das Thema nun im Rechtsausschuss des Bundestags diskutiert. Obwohl das Ziel der Gesetzesänderung von Karlsruhe vorgegeben war, nämlich die verfassungswidrige Diskriminierung im Adoptionsrecht zu beseitigen, wurde in der Anhörung noch einmal kräftig gestritten. Worum, dasoffenbart ein Blick in die beiden Gesetzesentwürfe, die zur Debatte standen – derjenige der Regierungsfraktionen und die Alternative der oppositionellen Grünen-Fraktion: Während der gemeinsame Entwurf von CDU/CSU und SPD sich darauf beschränkt, gleichgeschlechtlichen Paaren künftig die Sukzessivadoption zu ermöglichen, geht der Entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Schritt weiter. Er fordert, auch bei der gemeinschaftlichen Adoption nicht mehr zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft zu unterscheiden.
Auf den ersten Blick wirkt der Unterschied nicht besonders groß. Doch schaut man sich an, was der Ansatz der Regierungsfraktionen in der Praxis bedeutet, so kann man sich nur wundern. Die Regierungsfraktionen wollen Schwulen und Lesben erlauben, zunächst allein ein Kind zu adoptieren, das der Partner dann in einem zweiten Schritt ebenfalls adoptieren kann. Eine gemeinsame Adoption dagegen soll weiterhin unmöglich sein. Da scheint es fast so, als hätten sich die Experten, die nach dem Urteil im letzten Jahr schon die endgültige Gleichstellung feierten, zu früh gefreut. Doch wer will es ihnen verübeln, schließlich muss man auf die Idee, auf diese Weise weiter zu diskriminieren, erst einmal kommen.
Die Diskussion stieß im Übrigen das Bundesverfassungsgericht selbst an: In seiner Entscheidung ließ es explizit offen, ob die gemeinschaftliche Adoption auch weiterhin ausgeschlossen bleiben solle oder ob auch dies gegen das Grundgesetz verstoße. Das konnte es auch: Bei dem konkreten Sachverhalt, der der damaligen Entscheidung zugrunde lag, stellte sich diese Frage nicht.
Allerdings bot sich dem Bundesverfassungsgericht zu einem anderen Zeitpunkt erneut die Gelegenheit, auch die Frage der gemeinsamen Adoption endgültig zu klären: Das Amtsgericht Schöneberg hatte diese Frage in Karlsruhe vorgelegt. Zwar wiesen die Richter die Vorlage als unzulässig zurück, da sie nicht ausreichend begründet gewesen sei. Doch dabei deuteten sie an, dass sie keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Fällen sehen.
Formell wurde in Karlsruhe jedoch bis heute nicht über die gemeinsame Adoption entschieden. Die Grünen wollen mit ihrem Vorstoß eine solche Entscheidung überflüssig machen. Nicht ohne Grund nennen sie in ihrem Gesetzesentwurf eine Alternative, die mehr als einleuchtend erscheint: das Institut der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen und damit die Unterscheidung zwischen Ehe (nur für heterosexuelle Paare) und eingetragener Lebenspartnerschaft (auch für homosexuelle Paare) zu beenden.
Doch die Anhörung der letzten Woche zeigt: Noch immer gibt es genug Stimmen, die sich mit der endgültigen und absoluten Gleichstellung – unabhängig davon, wie genau man sie umsetzt – schwertun. Manche, wie der Dresdner Rechtsprofessor Arnd Uhle, wollen die Sukzessivadoption gar als „Sonderfall“ abtun, frei nach dem Motto: Das Kind lebt ja bereits mit beiden Partnern zusammen, da schadet die rechtliche Adoption nicht mehr. Doch eine neue, gemeinsame Adoption? Bloß nicht.
Eine Reform auf Zeit
Dass die Diskriminierung bei der gemeinschaftlichen Adoption von Karlsruhe früher oder später kassiert werden wird, scheint eine ausgemachte Sache zu sein. Die Politiker werden also erneut auf eine gerichtliche Entscheidung warten und nicht selbst umfassend und vorausschauend aktiv werden. Zu komfortabel ist die derzeitige Situation: Wer nur das umsetzt, was Karlsruhe explizit anordnet, der kann sämtliche Verantwortung von sich weisen und muss sich nicht klar positionieren. Da ist es doch sehr viel bequemer, sich als Parlamentarier hinter dem Verfassungsgericht zu verstecken.
Dieser Text ist im Rahmen des Seminars “Einführung ins rechtswissenschaftliche Bloggen” an der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden.
Liegt die klare Positionierung vielleicht gerade darin, dass nur umgesetzt wird, was Karlsruhe verlangt?
Was ebenfalls folgen wird, ist das darauffolgende Bashing in Richtung BVerfG.
Das BVerfG sollte sich nicht in die Politik einmischen bla bla …
Das das Thema eben nicht nur “Politik” sondern auch “Grundrechte” betrifft, wird gerne mal außer Acht gelassen.
@ Thomas B.: Die Kritik an Karlsruhe hat in der Tat nicht lange auf sich warten lassen: https://www.freitag.de/autoren/danielm2601/zeitenwende-zwischen-berlin-und-karlsruhe
Ich dachte, die Kritik war schon dem Beschluss des Zweiten Senats beigefügt in Gestalt von zwei Sondervoten?
L. A. N’dau: Welche Sondervoten? Das verlinkte Urteil erging einstimmig:
http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20130219_1bvl000111.html
@HD: @L. A. N’dau sagte ja “Zweiter Senat”, es dürfte sich hierum handeln:
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20130507_2bvr090906.html