24 September 2014

BFH: Niedrigzinsphase macht gesetzliche Zinssätze (noch) nicht verfassungswidrig

Sich mit dem Finanzamt zu streiten, kann zurzeit sehr teuer werden – und zwar selbst dann, wenn man gewinnt. Denn am Ende muss man die Steuerschuld, die sich nach Jahr und Tag als korrekt herausstellt, verzinsen, und zwar zu nicht weniger als sechs Prozent. Da muss man kein FDP-Wähler sein, um es als Betroffener mit der heißen Wut zu kriegen: Mit jedem Monat mehr, den der Staat sich Zeit lässt, meine Steuerschuld korrekt festzulegen, muss ich an ihn diesen Mondzins bezahlen, der das Zehn- bis Vierzigfache dessen beträgt, was ich selber zurzeit auf der Bank bekomme. Kann das verfassungsmäßig sein?

Das kann es, so der Bundesfinanzhof in einem heute veröffentlichten Urteil – jedenfalls noch. Wenn die Zinsen weiter so niedrig bleiben, könnte sich das aber ändern.

Geklagt hatte ein Ehepaar, das 2002 eine Wohnung verkauft hatte und den Gewinn versteuern sollte. Das Finanzamt hatte diesen Gewinn aber nach Regeln festgelegt, die ihrerseits verfassungsrechtlich umstritten waren – dazu lief ein Normenkontrollverfahren in Karlsruhe. Das Finanzamt entschied daher, die Vollziehung des Steuerbescheids bis zur Entscheidung auszusetzen. Das dauerte seine Zeit. 2010 schließlich kam das Urteil aus Karlsruhe – tatsächlich war das Gesetz verfassungswidrig. Daraufhin korrigierte 2011 das Finanzamt den festgesetzten Gewinn deutlich nach unten. Statt 61.539 Euro sollte das Ehepaar nur noch 34.078 Euro versteuern.

Ein schöner Erfolg, aber getrübt durch die Erkenntnis, dass für jeden der mittlerweile verstrichenen 76 Monate ein halbes Prozent Zinsen fällig wurden – insgesamt 6.023 Euro.

Kann der Staat weiter 6 Prozent Zinsen im Jahr verlangen, wenn überall sonst die Zinsen bei 0,1 Prozent liegen? Ist es nicht willkürlich und damit ein Verstoß gegen Art. 3 I GG, den heutigen Zustand gleich zu behandeln wie den vor der Finanzkrise, obwohl sich das Zinsniveau so drastisch und dauerhaft verändert hat? Noch dazu, wenn er gleichzeitig dem Steuerzahler eine Verfahrensdauer von 76 Monaten zumutet?

Zu diesem Schluss konnte sich der BFH (noch) nicht entschließen. Er orientiert sich an einer Kammerentscheidung des BVerfG von 2009, wonach nichts dagegen einzuwenden ist, wenn sich die gesetzlich festgelegten und die Marktzinsen in dieser Weise auseinanderspreizen. Anders als das BVerfG sehen die Finanzrichter zwar keinen Grund, warum es unpraktikabel sein sollte, die gesetzlichen Zinsen an die Marktzinsen zu koppeln – das müsste mit vernünftiger EDV doch möglich sein. Ausschlaggebend ist aber, dass man ja nicht weiß, welcher Marktzins der richtige Vergleichsmaßstab ist. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass es ja auch Konstellationen gibt, wo der 6-Prozent-Zins zugunsten des Steuerzahlers wirkt: Wenn der Fiskus Geld zurückzahlen muss, dann muss er schließlich ebenfalls diesen Zinssatz zahlen.

Allerdings stellt der BFH klar, dass die Sache ganz anders aussehen könnte, wenn die Zinsen weiterhin so niedrig bleiben. In dem entschiedenen Fall ging es um den Zeitraum 2002 bis 2011. Die Niedrigzinsphase begann erst 2008.

Unzugänglich gibt sich der BFH gegenüber dem Argument, man könne nicht den Kläger fast sieben Jahre warten lassen, bis endlich entschieden wird, und sich diesen Zeitraum dann auch noch verzinsen lassen. Von überlanger Verfahrensdauer könne keine Rede sein. Bis BFH und BVerfG in einer unklaren Situation durch ein Pilotverfahren Klarheit schaffen können, vergehe seine Zeit, und die müsse man halt aufbringen, wenn man sein eigenes kleines Verfahrensbötchen in die Fahrrinne dieses Pilotverfahrens steuere.

 


3 Comments

  1. Alexander Schmidt Sun 28 Sep 2014 at 16:36 - Reply

    Das Argument des BFH hinsichtlich der umgekehrten Konstellation klingt doch sehr überzeugend. Das Ehepaar hätte schließlich auf die Aussetzung der Vollziehung verzichten, den festgesetzten Betrag unter Vorbehalt zahlen und gegen die Festsetzung Einspruch erheben können. Dann wäre der mit 6% verzinste Steuererstattungsanspruch eine ideale Anlagemöglichkeit gewesen. Das scheint eher ein Beratungsfehler (oder fehlende Beratung?) als eine Ungerechtigkeit zu sein, die mit der verfassungsrechtlichen Keule behandelt werden müsste.

  2. Hannah Sun 28 Sep 2014 at 20:12 - Reply

    @Alexander Schmidt: Außer dass die Verzinsung in diesem umgekehrten Fall deutlich später losläuft. (Bei AdV ab Eingang des Rechtsmittels Zinsen dann zu Lasten des Steuerpflichtigen, § 237 II AO, bei sonstiger Nachforderung oder hier Erstattung zugunsten des Steuerpflichtigen erst 15 oder gar 22 Monate nach Entstehen der Steuer, was ggf. später ist, § 233a II AO). Aber das wäre dann ein anderer Fall/eine andere theoretisch mögliche Beschwer.

  3. Alexander Schmidt Mon 29 Sep 2014 at 19:22 - Reply

    @Hannah: Hier werden zwei unterschiedliche Rechtskonstrukte miteinander verglichen. Die Verzinsung bei Aussetzung der Vollziehung soll primär verhindern, dass AdV-Anträge zu einer ungerechtfertigten Stundungs-Methode verkommen. Deshalb auch der Zinslauf von Beginn an. Die Verzinsung nach § 233a AO betrifft hingegen nicht nur den Fall der Steuererstattung, sondern auch den (tatsächlich umgekehrten) Fall der Steuernachforderung. Allerdings lässt sich über die Begründung dieser Karenzzeit (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/11/021/1102157.pdf – dort Seite 194) vortrefflich streiten.
    Ich bezweifle aber auch, dass der unterschiedliche Zinslaufbeginn zwischen § 233a und § 237 AO aufgrund der doch recht unterschiedlichen Regelungsziele ein Fall für Art. 3 GG wäre.

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