Bitte nicht reden! Auftritte ausländischer Regierungsmitglieder in Deutschland
Nach den Ereignissen in Gaggenau liest und hört man allenthalben von den „rechtlichen Schwierigkeiten“, die hinsichtlich Verboten von Redeauftritten ausländischer Politiker bestünden. In Gaggenau hat man originär sicherheitsrechtlich argumentiert: viel zu viele Leute, viel zu kleiner Parkplatz, Chaos vorprogrammiert. Ähnliches nun in Köln: zu großer Aufwand, zu kurzfristig, Chaos vorprogrammiert. Nehmen wir einmal an, es seien im Einzelfall tragfähige Begründungen gewesen. Dann stellt sich zugleich die Frage: Was kann man tun, wenn man den Auftritt eines ausländischen Vertreters untersagen will, obwohl der Parkplatz groß genug und die Polizei ausreichend gegen Ausschreitungen gewappnet ist?
Einen Präzedenz-Fall gibt es ja schon: Letztes Jahr wurde den Veranstaltern einer Kundgebung in Köln untersagt, Erdogan per Video auf einer Großleinwand zuzuschalten. Das OVG Münster hat dieses Vorgehen im einstweiligen Rechtsschutz im Wesentlichen abgesegnet (15 B 876/16). Laut einer minimalistischen Eilentscheidung des BVerfG hat das OVG die Grundrechte des Veranstalters dabei nicht verkannt (1 BvQ 29/16). Diese Verfahren sind für die oben aufgeworfene Frage vor allem deshalb von Relevanz, weil sich das OVG implizit auch zu Präsenz-Redeauftritten äußert: Insbesondere heißt es, Art. 8 I GG sei kein Instrument, ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern in dieser Funktion ein Forum politischer Betätigung zu bieten. Die Entscheidung ist in der Begründung leider etwas unstrukturiert. Wie sich Schutzbereich und Rechtfertigung, Verfassung und Versammlungsrecht, objektives und subjektives Recht in der Begründung des OVG zueinander verhalten, bleibt auch nach mehrfacher Lektüre schleierhaft. Nils Schaks und den Kommentatoren im Verfassungsblog ging es damals ähnlich. Vorliegender Beitrag beabsichtigt vor allem, etwas Struktur in die Überlegungen zu bringen.
Die Versammlungsfreiheit löst nicht alle Probleme.
Denken wir einmal vom Ergebnis her: Wir wollen ein Redeverbot auf einer Versammlung erreichen. Als Adressaten von Maßnahmen kommen der Veranstalter und das ausländische Regierungsmitglied in Betracht. Dabei kann man dem Regierungsmitglied verbieten, vor Publikum zu reden. Oder man kann dem Veranstalter verbieten, das Regierungsmitglied vor Publikum reden zu lassen. Das sind aber letztlich nur zwei Seiten derselben Medaille. Eine rechtlich überzeugende Lösung muss daher beide Perspektiven adressieren.
Das funktioniert nur schwer, wenn man allein in Grundrechten denkt: Man könnte zwar behaupten, die ganze Frage berühre überhaupt keine Grundrechte des Veranstalters. Wieso aber soll die Versammlungsfreiheit oder hilfsweise allgemeine Handlungsfreiheit nicht das Recht umfassen, auf der Kundgebung einen ausländischen Regierungsvertreter reden zu lassen und ihm zuzuhören? Das ist keine Frage des Schutzbereichs, sondern der Rechtfertigung. Für diese braucht es gegenüber dem Veranstalter mindestens eine Rechtsgrundlage und einen sachlichen Grund. Der kann darin bestehen, dass öffentliche Auftritte des ausländischen Regierungsmitglieds in Deutschland Beschränkungen unterliegen. Damit ist aber noch nicht geklärt, ob und warum es solche Beschränkungen gibt. Sollte es keine Regel geben, wonach das ausländische Regierungsmitglied keine Rede halten darf, fehlt es an einem legitimen Ziel zur Rechtfertigung des Eingriffs. Ein derartiges „Redeverbot“ selbst kann man aber nicht aus der Versammlungsfreiheit herleiten. Es ist zirkulär, wenn man an dieser Stelle argumentiert, die Versammlungsfreiheit des Veranstalters sei kein Instrument, ausländischen Regierungsvertretern eine Bühne zu bieten. Denn dass der Veranstalter keinen solchen Anspruch hat, ist nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für ein derartiges Verbot. Die fehlende Berechtigung ausländischer Regierungsmitglieder zur öffentlichen Rede in Deutschland muss vielmehr „exogen“ erklärt werden.
Die einfachrechtliche Verbindung zwischen beiden Verboten ist dabei die Allzweckwaffe der öffentlichen Sicherheit, die auch die „Unversehrtheit der Rechtsordnung“ umfasst. Wenn es eine Rechtsregel gibt, wonach ein Regierungsvertreter in Deutschland nicht ohne weiteres auftreten darf, dann kann auf Basis des § 15 Versammlungsgesetz oder dem landesrechtlichen Pendant auch eine entsprechende Anordnung gegenüber dem Veranstalter ergehen. Zumindest gibt es dafür eine Rechtsgrundlage.
Man kommt also nicht umhin, zu erklären, warum ein ausländisches Regierungsmitglied hier keine öffentliche Rede halten dürfen soll. Insoweit sind im Wesentlichen drei Wege denkbar.
Drei Ansätze zur Herleitung eines Redeverbots
Erstens: Man stellt sich auf den Standpunkt, das Redeverbot folge aus einer Gesamtschau der außenpolitisch orientierten Regelungen des Grundgesetzes (Art. 20 I, II, 23, 24, 32 I, 59, 73 Nr. 1 GG) oder aus Völkergewohnheitsrecht. Etwas in diese Richtung hat wohl auch das OVG Münster seinerzeit gemeint. Verfassungsimmanente Schranken und ungeschriebene Grundsätze haben eben noch jedes Problem behoben. Zyniker aus dem schönen Wunsiedel mögen anführen, dies habe ja gerade im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch eine gewisse Tradition. Man müsste den ausländischen Regierungsvertretern dann gar nichts mehr verbieten – die Bundesregierung könnte ihnen allenfalls etwas erlauben! Solange sie das nicht tut, kann man auch die korrelierenden versammlungsrechtlichen Auflagen erteilen.
Zweitens: Man stellt sich auf den Standpunkt, das Redeverbot folge zwar nicht schon aus allgemeinen Grundsätzen, könne aber von der Bundesregierung ohne weiteres erteilt werden. Rechtsgrundlage: Art. 32 I GG, Pflege der außenpolitischen Belange der Bundesrepublik. So Niels Petersen auf LTO. Einer konkreteren Rechtsgrundlage bedürfe es nicht, weil sich ausländische Regierungsmitglieder nicht auf Grundrechte berufen könnten. Auch das OVG Münster hat das schon behauptet und Art. 1 III, 20 III GG zitiert. Aber: Warum eigentlich? Ausländische Regierungen sind hier nicht grundrechtsgebunden (BVerfGE 1, 10). Das Konfusionsargument greift daher nicht. Etwas formalistischer: Ausländische Regierungsmitglieder sind Vertreter einer außereuropäischen juristischen Person, Art. 19 III GG. Und wenn sie privat einreisen? „Ziel Nummer 1“ muss es dann sein, die unlösbaren Abgrenzungsprobleme zu bewältigen, in welcher Funktion ein Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied gerade spricht (BVerfGE 138, 102). Die Anforderungen an einen „privaten Auftritt“ können jedenfalls nicht unerreichbar hoch liegen. Mit der Anerkennung von Persönlichkeitsrechten ausländischer Staatsoberhäupter tun wir uns weniger schwer (LG Hamburg 324 O 402/16).
Nehmen wir einmal an, dass die Bundesregierung allein auf Basis der Kompetenznorm in Art. 32 I GG zumindest Auftritte ausländischer Regierungsmitglieder „in dieser Funktion“ (also etwa während Staatsbesuchen) verbieten könnte. Dann müsste eine Verfügung irgendeiner Art ergehen. Mit Blick auf diese Verfügung könnten auch die entsprechenden versammlungsrechtlichen Auflagen ergehen.
Drittens: Man verlangt – stets oder jedenfalls bei „privatem Auftritt“ – eine einfachrechtliche Rechtsgrundlage, um ausländischen Regierungsmitgliedern das Reden zu verbieten. Zumindest für offizielle Auftritte müsste diese bundesrechtlicher Natur sein (Art. 73 Nr. 1 GG). Das Versammlungsrecht, soweit überhaupt noch Bundesrecht (Art. 125a I 1 GG), hilft hier nur weiter, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung schon aus anderen Gründen gefährdet ist (also fehlende Parkmöglichkeiten oder ggf. Schlimmeres). Eine denkbare Rechtsgrundlage wäre § 47 I 2 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz, der da lautet: „Die politische Betätigung eines Ausländers kann beschränkt oder untersagt werden, soweit sie den außenpolitischen Interessen oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderlaufen kann.“
Ausländische Staatsoberhäupter sind keine deutschen Staatsbürger und daher Ausländer im Sinn des Gesetzes (sie sind als Inhaber eines Diplomatenpasses aber insbesondere vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels ausgenommen). Die Idee der Verfasser des § 47 I 2 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz war aber sicher nicht, dass darauf Maßnahmen der Ausländerbehörde (einer Landesbehörde!) gegen ausländische Regierungsmitglieder darauf gestützt werden. Die Vorschrift soll vielmehr die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik gerade schützen, und sie nicht auf die Probe stellen. Wenn sich die Ausländerbehörde entscheidet, dies doch zu tun, könnte nach dem bekannten Schema auch die Versammlung beschränkt werden.
Eine eindeutige Antwort liefert unsere Rechtsordnung wieder einmal nicht. Und das, obwohl wir noch gar nicht über Verhältnismäßigkeitsaspekte nachgedacht haben. Ein rein politisch motiviertes Verbot eines Erdogan-Auftritts erscheint jedenfalls nicht prinzipiell undenkbar, ist aber mit Komplikationen verbunden. Auch in rechtlicher Hinsicht.
Meiner Ansicht nach kommt im Falle eines Auftritts ausländischer Staatschefs eine Berufung auf § 47 I 2 AufenthG von vornherein nicht in Betracht. § 1 II Nr. 2 AufenthG scheint da eindeutig zu sein. Oder übersehe ich etwas?
Zumindest § 1 II Nr. 2 iVm § 20 GVG greift nicht, da hier keine “amtliche Einladung” der BRD vorliegt – eher im Gegenteil.
… in Bezug auf §§ 18, 19 GVG ist es möglicherweise so, dass ein Regierungsvertreter nicht zwingend einer konsularischen Vertretung oder einer diplomatischen Mission auf dem Gebiet der BRD angehört.
BRD ist keine offizielle Abkürzung, das ist ein DDR-Ausdruck.
Mein Verständnis ist, dass ausländische Staaten und die für sie handelnden Organe nach allgemeinem Völkerrecht (und damit nach dem deklaratorischen § 20 II GVG) nur Immunität genießen, soweit sie hoheitlich handeln (so etwa BVerfGE 16, 27). Bei einer “privaten Rede” während eines Besuchs ohne amtliche Einladung dürfte daher keine Immunität bestehen. Problematisch wäre nur die Rede während eines Besuchs auf amtliche Einladung (§ 20 I GG). Wenn eine Rede vor Publikum während eines solchen Besuchs gehalten wird, dürfte aber auch ein amtlicher Bezug gegeben sein, sodass keine Grundrechtsberechtigung besteht. Dann wäre wieder Raum für den Weg über Art. 32 I GG.
Regierungsmitglieder sind nach den Definitionen in WÜD und WÜK auch nicht automatisch Mitglieder der Botschaften und Konsulate. Der ausländische Staat könnte ihnen diesen ggf. Status für einen Besuch ohne amtliche Einladung einräumen, damit sie absolute Immunität genießen. Hier liegt es m.E. aber nahe, auch stets den hoheitlichen Bezug des Auftritts zu bejahen, sodass keine Grundrechtsberechtigung bestünde.
Die deutsche Rechtsordnung ist in dieser Sache recht eindeutig. Dass Sie nicht unmittelbar die Lösung enthält, liegt vermutlich daran, dass sich die Öffentlichkeit an den Gedanken gewöhnt hat, dass ausländische Regierungsvertreter und sogar Staatsoberhäupter Grundrechtsträger in Deutschland sein könnten. § 47 Abs. 1 AufenthG ist die Wertung zu entnehmen, dass Ausländer sich in Deutschland uU nicht politischen betätigen dürfen, weil dies die auswärtigen Beziehungen Deutschlands beeinträchtigen könnte. Da gilt doch erst recht, wenn diejenigen Amtsträger sich im Inland politisch betätigen wollen, die für diese auswärtigen Beziehungen auf Seiten des ausländischen Staates zuständig sind. Wie kann man, so muss man fragen, überhaupt als ausländischer Amtsträger auf die Idee kommen, sich ungefragt auf dem Territorium eines fremden Staates politisch zu betätigen? Schon die Gebietshoheit steht dieser Absicht entgegen – diese Fragen werden für Amtsträger vom Diplomatenrechten adressiert, das nur teilweise in der Wiener Konvention verschriftlicht worden ist.
Die Causa der Wahlkampfauftritte ist allerdings nur Teil eines größeren Problems, dass die Politik der letzten Bundesregierungen “uns” gebracht hat: dazu gehören auch die Durchführung ausländischer Wahlen und Abstimmungen in Deutschland und die doppelte Staatsangehörigkeit, die das Tor zu diesen Problemen erst öffnet und – mit Blick auf die schlichte Zahl türkisch-deutscher Doppelstaatler in Deutschland – politisch zu einem Problem macht.
Die Parallelwertung des Bürgers, dass das mit dem türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden “irgendwie” nicht stimmen kann, wird auch vom Recht getragen.
Wie war das mit der Rechtsgrundlage dafür, daß Obama nur vor der Siegessäule und nicht dem Brandenburger Tor reden durfte? Er war damals noch kein Präsident.
Tomuschat und Müller schreiben zu dem Thema heute alles Entscheidende (FAZ v. 7.3.2017, S. 8): Zuständig ist nicht der Brandschutzbeauftragte, sondern der Bund mit der Bundesregierung.
Eine andere, aber in meinen Augen wichtige Frage betrifft die Kompetenzverteilung von Bund und Ländern hinsichtlich des Anspruches auf Zugang zu öffentlichen Einrichtungen. Nach den landesrechtlichen Kommunalgesetzen entscheidet darüber allein die Gemeinde – unabängig von dem Anspruchsteller und seinen Motiven. Wird der Anspruch aber von einem ausländischen Regierungsmitglied gestellt und ist die Außenpolitik Deutschlands betroffen, so wäre es doch zu wünschen, dass im ganzen Land eine einheitliche Stellung bezogen wird. Da die Außenpolitik schließlich in den Kompetenzbereich der Bundesregierung fällt, könnte man meines Erachtens nach die Gemeinden zumindest dazu verpflichten, die Stellungnahme der Bundesregierung einzuholen. Inwiefern die Gemeinden dann an ein Statement gebunden sein sollten, ist eine weitere Frage. Dann würden jedenfalls nicht nur die lokalen Verhältnisse berücksichtig sondern auch und vorallem das Signal das Deutschland mit einer Zu- oder Absage sendet.
Dann kann man sich der Frage widmen, inwiefern ein Anspruch aufgrund einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und/oder die öffentliche Ordnung besteht oder eben nicht besteht.
Gleiche Überlegungen sind anzustellen bei Versammlungen unter freiem Himmel, sofern man ausländischen Regierungsvertretern die Berufung auf Grundrechte zugesteht. Auch hier sind die Kommunen zuständig, Verfügungen nach § 15 VersG zu erlassen.
Das BVerfG hat sich in dieser Frage mit heute veröffentlichtem Beschluß zu Wort gemeldet. Die 2. Kammer des Zweiten Senats hat sich den Ansatz 1 zu eigen gemacht:
“Zwar haben Staatsoberhäupter und Mitglieder ausländischer Regierungen weder von Verfassungs wegen noch nach einer allgemeinen Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG einen Anspruch auf Einreise in das Bundesgebiet und die Ausübung amtlicher Funktionen in Deutschland. Hierzu bedarf es der – ausdrücklichen oder konkludenten – Zustimmung der Bundesregierung, in deren Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten eine solche Entscheidung gemäß Art. 32 Abs. 1 GG fällt.”
http://www.bverfg.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/03/rk20170308_2bvr048317.html
Das BVerfG hat -wenn auch als obiter dictum- knapp und prägnant die meines Erachtens einzig zutreffende Lösung aufgezeigt. Dem folgend besteht also ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Eine ausdrücklich ausgesprochenen Versagung der Auftrittserlaubnis durch die Bundrsregierung ist -anders als vom Autor hier angenommen – gerade nicht erforderlich.
Siehe auch:
http://pro-re-publica.de/2017_AgitArdogan.php
Berichtigung:
http://pro-re-publica.de/2017_AgitErdogan.php