Blitzlichtgewitter im Gerichtssaal: Karlsruhe bindet Richtern die sitzungspolizeilichen Hände
Hinterher kriegen wir meistens nur die Aktendeckel, die Kapuzen, die gekreuzten Arme zu sehen, hinter denen sie sich verstecken. Daneben höchstens noch ihre Anwält_in mit der stoischen Miene derer, die weiß, dass für ihr Gesicht sich kein Mensch interessiert. Diese Bilder, so wenig sie tatsächlich zeigen, gehören zum Ritual der Justizberichterstattung. Wir wollen es sehen: hier sitzt er, hier auf der Anklagebank. Uns dargeboten. Und schämt sich.
Aus Sicht der Richterbank vorne spielt das keine Rolle, dass wir das wollen. Darf gar keine spielen. Der Wespenschwarm der Fotografen ist aus ihrer Sicht höchstens eine Störung des geordneten Prozessablaufs, und schließlich hat die Vorsitzende ja auch die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten zu schützen. So kann man schon verstehen, wenn sie von ihrer sitzungspolizeilichen Gewalt Gebrauch macht und tut, was der 7. Strafsenat des OLG München im Verfahren gegen zehn türkische Kommunisten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung getan hat.
Gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen im Strafprozess kann man mit normalen Rechtsmitteln so gut wie nichts machen. Das ist der Grund, warum dieser Fall seinen Weg vor das Bundesverfassungsgericht gefunden hat, wo die 3. Kammer des Ersten Senats (Kirchhof, Masing, Baer) heute ein korrigierendes Wort zugunsten der Pressefreiheit gesprochen hat.
Der Münchner Strafsenat hatte verfügt, dass die Presse die Angeklagten nur verpixelt abbilden durfte, aber nicht nur das: Bilder gegen den erkennbaren Willen der Angeklagten durften überhaupt nicht, solche von den Richtern nur an drei Verhandlungsterminen geschossen werden.
Dagegen klagte ein Presseverlag (ich denke mal: Springer) und erwirkte in Karlsruhe eine einstweilige Anordnung. Das Verpixelungsgebot ließ die 3. Kammer angesichts der unkorrigierbaren Nachteile, die den Angeklagten wegen des offenbar hohen Interesses für diesen Prozess in der Türkei ansonsten drohen würden, einstweilen stehen – nicht aber die anderen beiden Punkte.
Beides geht nicht: Das Gericht darf sich des Blitzlichtgewitters vor bzw. nach der Verhandlung, so unerfreulich sie es auch findet, nicht einfach dadurch erwehren, dass sie es in das Belieben des Fotografierten stellt, ob fotografiert werden darf oder nicht. Schließlich gibt es ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit.
Ebensowenig kann es den ungestörten Verfahrensablauf zum alleinigen Maßstab dessen machen, was es in punkto Presse zulässt und was nicht:
Die bloße Lästigkeit der Anwesenheit von Presse und Rundfunk und damit verbundene Auswirkungen auf die Flüssigkeit des Verfahrensablaufs rechtfertigen das Verbot der Erstellung von Bildaufnahmen nicht.
Dass es die Richter_innen nervt, immer erst warten zu müssen, bis die Fotografen mit ihrer Arbeit fertig sind, bevor sie zu verhandeln anfangen können, ist bei aller Verständlichkeit kein legitimer Grund, die Pressefreiheit einzuschränken.
Vielen Dank für die wiederholten Blicke auf die vermeintlich “kleinen” Entscheidungen. Man darf gespannt sein, wie das Thema “Öffentlichkeit im Strafverfahren – Transparenz und Schutz der Verfahrensbeteiligten” ab morgen auf dem DJT in Essen diskutiert und ob die “Lästigkeit” von den Praktikern thematisiert wird. Die Verortung in der strafrechtlichen Abteilung mag insoweit vorentscheidend sein.
,,Schließlich gibt es ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit.” Das wäre schon mal näher auszuführen,welches Interesse hier legitim ist. Bloßes Ablichten von Angeklagten und Richtern scheint mir da nicht zu reichen. Was für das Verständnis des Prozesses bedeutungslos ist,soll für die Öffentlichkeit von informatorischem Interesse sein?Wenn Ziel des Ablichtens nur das Erzeugen eines schönen Bildaufmachers für den Prozess ist, würde ich die Persönlichkeitsrechte des,immerhin als unschuldig vermuteten Angeklagten, hier höher werten.