11 May 2020
Sonderopfer für die Volksgesundheit
Zieht der Staat zur Gefahrenabwehr jemanden heran, der die Gefahr nicht selbst verursacht, so mag dies „zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls“ ausnahmsweise rechtmäßig sein. Immerhin werden noch heute ganze Dörfer für den Braunkohletagebau enteignet. Anders als mit dem auch vom Ehtikrat herangezogenen Konzept der Solidarität in einer Gemeinschaft lässt sich das wirklich nicht erklären. Selbst ausnahmsweise können solche Maßnahmen jedenfalls nur unter der Bedingung rechtmäßig sein, dass den Betroffenen dafür eine angemessene Entschädigung gezahlt wird. Continue reading >>
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Carl Schmitt und die Pandemie. Teil I
Unsere gegenwärtigen Corona-Zeiten werden weithin alltagssprachlich als große Katastrophe, Krise und „Ausnahmezustand“ wahrgenommen. Deshalb verwundert es nicht, dass in den Debatten gelegentlich auch der Name Carl Schmitts fällt. Sein Werk steht vor und nach 1933 für die extensive Rechtfertigung diktatorischer „Maßnahmen“ im „Ausnahmezustand“. Mit seiner Theorie und „Verfassungslehre“ verbindet sich die Erwartung, grundbegriffliche Orientierung in den Lücken des Gesetzes, rechtsfreien Räumen und im unübersichtlichen Gelände zu finden. Im ersten Teil dieses Beitrags werden als Basis einer Auseinandersetzung mit der Anwendung von Schmitts Kategorien auf Maßnahmen in der Corona-Pandemie die biographischen Bezüge Schmitts zur Spanischen Grippe beleuchtet. Continue reading >>
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Ein Virus macht Verkehrspolitik?
In aller Welt machen zurzeit sogenannte „Pop Up Bike Lanes“ (im Behördendeutsch: „Temporäre Radverkehrsanlagen“) ihrem Namen alle Ehre: Sie sprießen nur so aus dem Asphalt – wo gestern eine Autospur war, ist heute ein Fahrradweg. Vorreiter in Sachen temporäre Radwege ist Berlin; also die Stadt, die normalerweise nicht mit einer besonders agilen Verwaltung von sich reden macht. Continue reading >>10 May 2020
Warum Europa nicht auf Ministerin Varga hereinfallen sollte
„Die Welt” berichtete am 12. April von einem Gespräch mit der ungarischen Justizministerin dr. Judit Varga über die am 11. März in Kraft getretenen Notstands- und Ermächtigungsgesetze. Die Ministerin halte die Kritik daran (so auch hier) für „Falschnachrichten” und „Ausdruck einer liberalen Meinungsdiktatur in Europa”. Da es sich hier um ein Notstandsgesetz handelt, will ich vorsichtig vorgehen. Bei der Beurteilung des Gesetzes ist allein der Text die maßgebende Tatsache. Die Stellungnahme der Ministerin gleicht aber eher einer politischen Propaganda als einer sorgfältigen Analyse der Regelung. Continue reading >>09 May 2020
Is the BVerfG PSPP decision “simply not comprehensible”?
Upon reading the BVerfG’s bombshell PSPP decision, one cannot but be struck at how little it thinks of the quality of the legal reasoning of the CJEU with regards to the proportionality test. If one is to judge others so harshly, it is wise to make sure that one’s own position is irreproachable. The BVerfG failed to do so. Continue reading >>Emergency and Risk in Comparative Public Law
As the entire world is struggling with the Covid-19 pandemic, academics have been rediscovering the debate on emergency in public law. Our post explores whether the theory of disaster risk regulation can infuse the public law’s approach to emergency with new conceptual tools that contribute to mitigating the impact of emergencies. In so doing, we would like to recall how comparative public law has approached emergency and we shall then look at the insights coming from the theory of risk. Continue reading >>
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07 May 2020
Appeal to the independent Judges of the Supreme Court
Judges of the Civil Chamber,Judges of the Criminal Chamber, Judges of [...] Continue reading >>Werkzeuge für den Völkerrechtsbruch
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen.“ Dennoch hat die Bundeswehr bewaffnungsfähige Drohnen geleast – wenn auch ohne die dazugehörigen Waffen. Die Bundesregierung beteuert zwar, die Drohnen nur rechtmäßig einsetzen zu wollen, vertritt aber völkerrechtliche Auffassungen, die sowohl Gerichte als auch weite Teile der Wissenschaft (hier und hier) als rechtswidrig einstufen. Solange sich das nicht ändert, sollte von einer Bewaffnung der Drohnen abgesehen werden. Andernfalls würde die Bundeswehr ein Werkzeug an die Hand bekommen, das es anderen Staaten bereits erleichtert hat, das Völkerrecht zu brechen. Continue reading >>Auf dem Weg zum Richterfaustrecht?
Was auf dem Spiel steht ist die europäische Rechtsgemeinschaft. Sie ist noch immer ein enorm fragiles Konstrukt, weil sie nicht von einem Nationalstaat unterlegt ist, der zusätzliche Bindungskräfte erzeugt. Ihre zentralen Komponenten sind der EuGH als im historischen und weltweiten Vergleich einmaliges überstaatliches Gericht und das wechselseitige Vertrauen aller Gerichte in der Europäischen Union darin, dass Urteile im Rahmen des Europarechts insbesondere durch die Gerichte befolgt werden. Wenn das wegbricht, dann droht der Absturz in eine Art richterliches Faustrecht: Das Recht des stärkeren Gerichts. Continue reading >>PSPP mit „PEPP“
Die Entscheidung des BVerfG zu den Kompetenzen der EZB gibt Anlass zu der Annahme, dass das Gericht hier möglicherweise selbst die Grenzen seiner Zuständigkeit überschritten und damit gewissermaßen selbst „ultra vires“ gehandelt hat. Die EZB hat das Urteil zwar zur Kenntnis genommen, aber kühl auf die Entscheidung des EuGH verwiesen. Damit wird der „Gehorsamskonflikt“ mitten in das Europäische System der Zentralbanken hineingetragen. Continue reading >>
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06 May 2020
Fight, flight or fudge?
Karlsruhe’s latest judgement on the PSPP moves the German state closer to a full-fledged fight with either the EU or its own Constitutional Court by threatening to prohibit Germany’s participation in a programme that has existential significance for the euro. To resolve this dilemma, perhaps nothing short of a revolutionary moment would be required. Continue reading >>„Keine leichte Kost“
Mitten in einer der größten globalen Krisen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erklärt das Bundesverfassungsgericht das billionenschwere PSPP-Staatsanleihekaufprogramm der EZB ultra-vires. Das Urteil, das in den Worten des scheidenden Präsidenten Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung „keine leichte Kost“ ist, markiert eine der wichtigsten Entscheidungen des BVerfG zur europäischen Integration und hat potenziell weitreichende Folgen. Continue reading >>The Right Question about the FCC Ultra Vires Decision
Instead of re-opening the old debate on the merits and demerits of constitutional pluralism, the FCC decision should be actually taken up as an opportunity to concentrate on another systemic feature of the EU constitutional governance. The decision of the FCC is not a sign that we have a problem with constitutional pluralism in Europe but warns us that we have a major constitutional problem with the constitutional role of the ECB. Continue reading >>Absence Makes the Heart Grow Fonder
Der Besuch der Lebenspartnerin bzw. des Lebenspartners ohne deutsche Staatsbürgerschaft ist pandemiebedingt derzeit grundsätzlich kein triftiger Grund für die Einreise nach Deutschland. Eine solche generelle Einschränkung wirft insbesondere im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit einige grundrechtliche Fragen auf. Continue reading >>Expelled from Humanity
The decision of the European Court of Human Rights in M.N. and Others v. Belgium will undoubtedly further propel the debate on the scope of extraterritorial state jurisdiction. More importantly, however, it reveals the necessity of addressing the systemic exclusion of refugees from the international legal order. Continue reading >>
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Gut gemeint, nicht gut gemacht
Welch gravierendes Versäumnis ist dem EuGH im PSPP-Fall unterlaufen, dass sein Urteil der Senatsmehrheit im BVerfG als „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“ , „methodisch nicht mehr vertretbar“ und „objektiv willkürlich“ gilt? Im Kern lautet der Vorwurf, der EuGH habe den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verkannt. Indes ergeben sich bei näherem Hinsehen erhebliche Zweifel am so drastisch formulierten Befund. Continue reading >>Ultra schwierig
„Legal nationalism“, „BVerfG goes nuclear“, „konfuses Urteil“ – trifft die schrille Kritik wirklich den Kern dieses Urteils? Nüchtern betrachtet bleibt es ein aufsehenerregendes Urteil, das aber weder einen kategorialen Bruch des gewachsenen Kooperationsverhältnisses zwischen Karlsruhe und Luxemburg bedeutet, noch der EZB eine ordoliberale Zwangsjacke verabreicht. Continue reading >>Die neue Normalität
Der phänomenologischen Soziologie und Jürgen Habermas Theorie des kommunikativen Handelns verdanken wir wichtige Einsichten in die sinn- und orientierungsstiftende Funktion von lebensweltlichen Traditionen. Die Lebenswelt stattet uns mit fraglos verwendetem praktischem Wissen aus. Sie versorgt uns mit Routinen und Deutungsmustern, die wir heranziehen, um uns, wenn wir handeln, in der Welt zurechtzufinden. Sie steht für das Unproblematische, Selbstverständliche und Normale und erbringt in dieser Funktion eine wichtige Integrationsleistung im Verhältnis von Zielen und Werten. Continue reading >>
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Some Preliminary Remarks on the PSPP Decision of the German Constitutional Court
Karlsruhe's PSPP decision will not be hard to address as to its actual legal outcome, contrary to what might seem at first instance. But its market effects may be highly problematic. The uncertainty the decision will generate in the short term and the constraints arising from the obiter dicta of the Court for Germany’s participation in the EU response to the Coronavirus situation will likely have some serious negative effects. Continue reading >>05 May 2020