„Blogbeiträge und andere Formen des wissenschaftlichen Arbeitens ergänzen sich wunderbar“
Seit September 2008 betreiben Sie den Blog „Combats pour les droits de l’homme“ (Kämpfe für die Menschenrechte), nachdem Sie zuvor an einem französischen Verwaltungsrechtsblog („Droit Administratif“) beteiligt waren. Was hat Sie zum Bloggen und schließlich zu Ihrem eigenen Blog gebracht?
Der Gründung meines Blogs „Combats pour les droits de l’homme“ liegen verschiedene Erfahrungen zugrunde, die teils mit meinem persönlichen Werdegang, teils mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängen. Wichtig war zunächst der spezielle Kontext der rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Evry, an der ich seit 2005 als Akademischer Rat tätig bin. An dieser kleinen Fakultät in einer Pariser Vorstadt hatte etwa in der Zeit um 2005 eine Gruppe Studenten einen anonymen Blog gegründet, auf dem sie über die Fakultät, uns Professoren und unsere Kurse berichteten. Wir haben den Blog verfolgt, in unseren Vorlesungen darauf angespielt und wurden dann wiederum oft auf dem Blog zitiert. Als Gruppe junger Professoren waren wir neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen, und so entwickelte sich über diesen Blog und andere soziale Netzwerke rasch ein Austausch zwischen uns und der Studierendenschaft.
Aus dieser Dynamik heraus gründete Frédéric Rolin, Professor an der Universität Evry, im August 2005 einen eigenen Blog, gefolgt von Dimitri Houtcieff, der zum Wintersemester 2005 ebenfalls einen Blog startete. Diese beiden Blogs bildeten fortan das Zentrum der französischen rechtswissenschaftlichen Bloglandschaft. In der Folge entstanden noch weitere Blogs von Professoren der Universität Evry, etwa der Blog von Nicolas Mathey (Thomas More).
Ich hatte bereits zu der Zeit mit der Idee gespielt, einen eigenen Blog zu aktuellen menschenrechtlichen Fragen ins Leben zu rufen. Allerdings befand ich mich damals im Berufungsprozess, dem concours d’agrégation de droit public, was öffentliche Auftritte in der Form kritischer Blogposts erschwerte. Der concours erfordert einen gewissen Konformismus (und das wohl unzweifelhaft), wenn man das Berufungsspiel mitspielen möchte. Ich fand aber die Idee eines kollektiven juristischen Blogprojekts nach Vorbild des Scotus Blog spannend, entweder mit universitärer Anbindung oder einer journalistischen Unterstützung (etwa Rue 89, Lemonde.fr oder Médiapart), da ich die Nachhaltigkeit der von Einzelpersonen abhängigen Blogs bezweifelte. Auch der im Oktober 2006 gegründete Blog des Verlags Dalloz hatte keinen wirklichen Erfolg.
Seit 2006 habe ich Beiträge zu aktuellen Fragen des Migrations- und Aufenthaltsrechts veröffentlicht, zunächst auf dem blog droit administratif, dann einen Beitrag auf dem Blog von Maître Eolas im August 2008, kurz bevor ich meinen eigenen Blog gründete.
Inwieweit war der Blog ein neues Phänomen in der rechtswissenschaftlichen Diskussion? Und warum haben Sie sich letztlich dazu entschieden, Ihren eigenen Blog zu betreiben?
In der französischen Wissenschaftslandschaft sind juristische Blogs erst durch den immensen Erfolg des Blogs von Frédéric Rolin zwischen 2006 und 2008 zu einem wirklichen Phänomen geworden. Es gab natürlich schon vorher einige Blogs von Universitätsangehörigen, etwa den von Professeur Jan (droit public.net), von Cédric Manara (Nom de domaine) oder von Pr Guglielmi (Drôle d’en-droit), aber auf diesen Blogs gab es nur wenig Austausch zwischen Autoren und Leserschaft. Das änderte sich mit dem Blog von Frédéric Rolin: Rolin nutzte den Blog am Anfang vor allem dazu, um neue Ideen zu testen (er schrieb seine Beiträge mit einer bewundernswerten Schnelligkeit und Freizügigkeit). Rolins Blog wurde schnell zum Zentrum der französischen juristischen Blogosphäre (und wurde lange als der einflussreichste Blog gehandelt, bis der anonyme Blog von Maitre Eolas, journal d’un avocat mit ungeheurem Erfolg startete). Auf dem Blog von Frédéric Rolin wurden eine Menge Debatten geführt, zu Fragen wie der Ernennung zum Akademischen Rat (maître de conférences; Rolin veröffentlichte die sogenannten „Listen der Qualifizierten“ der Abteilung für öffentliches Recht des Conseil national des universités) oder zum Berufungsverfahren der Professoren im Öffentlichen Recht (auf dem Blog wurde Hilfe angeboten, um sich zu Teams für die sog. „leçons de 24h“ zusammenzufinden, es wurden die Listen der Zulassungen veröffentlicht, und sogar die Postenverteilung nach Abschluss des Concours). Rolin veröffentlichte auch gemeinschaftliche Initiativen von Universitätsangehörigen, etwa eine gemeinsame Aktion gegen den Notstand, der nach Unruhen in den Vorstädten im Jahr 2005 ausgerufen worden war, oder einen von uns Lehrenden gemeinsam verfassten „Appel der rechtswissenschaftlichen Fakultäten“, der sich gegen die Gleichstellung der rechtswissenschaftlichen Abteilung der Science Po. Paris mit den juristischen Fakultäten richtete. Diese und ähnliche Aktionen mündeten häufig in Gerichtsverfahren vor dem Conseil d’État in unserem Namen (Myriam Aït-Aoudia, « Le droit dans la concurrence. Mobilisations universitaires contre la création de diplômes de droit à Sciences Po Paris », Droit et société, 2013/1).
Der Blog hat außerdem Fragen der Funktionsweise der Gesetzeswebsite Légifrance oder des Onlineportals gallica beeinflusst und sonstige Fragen, mit denen sich Frédéric Rolin beschäftigte, in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Gleichzeitig gab es leider auch einige Kommentatoren, die den Blog missbrauchten, um ihrem Unmut über den Berufungsprozess oder gegenüber dem Nationalrat der Universitäten unreflektiert Luft zu machen.
Nach zwei Jahren hat Frédéric Rolin seinen Blog brutal abgebrochen, nachdem er einen Beitrag zum Rechtsregime des „Plan Vigipirate“ (der seit den 1990er Jahren der Terrorbekämpfung dient) veröffentlicht hatte. Der Blog Rolins war nie dazu gedacht, auch anderen Kollegen jenseits der Kommentarfunktion offenzustehen – es handelte sich immer um einen persönlichen Blog (2013 wurde der Blog umbenannt und trägt jetzt den Namen von Rolins Anwaltskanzlei in Evry. Rolin veröffentlicht weiterhin auf Dalloz étudiants). Aber viele Beiträge sind das Ergebnis gemeinschaftlicher Diskussionen mit Kollegen der Universität Evry, darunter auch mit mir (es finden sich auf dem Blog auch Anspielungen auf mich). In dieser Zeit gab es auch einen starken Austausch zwischen verschiedenen Akteuren der juristischen Blogosphäre, zum Beispiel durch die Initiative République des blogsoder den ersten Kolloquien, die vor allem durch Geneviève Koubi organisiert wurden. Bei diesen Debatten ging es auch um die Rolle juristischer Blogs in der Rechtswissenschaft (ein früher Beitrag findet sich hier: „Nicht-bloggende Juraprofessoren werden schon bald die Ausnahme sein…“) – was zu den mittlerweile berühmt gewordenen Aufsätzen von Frédéric Rolin & Dimitri Houtcieff gegen Felix Rome (Pseudonym von Denis Mazeaud) im Recueil Dalloz im März 2006 führte.
In diesem Umfeld entstanden neue Blogs wie der blog droit administratif, der von drei Doktoranden, zunächst anonym, dann unter Klarnamen (Alexis Frank, Alexandra Ciaudo und François Gilbert) geführt wurde. Die drei sind übrigens ein Beweis dafür, dass juristisches Bloggen zu einer gewissen Anerkennung in der Wissenschaftslandschaft führen kann, ohne dass dadurch Karrieren verteilt würden (sie arbeiten heute als Verwaltungsrichter, Akademischer Rat im Öffentlichen Recht beziehungsweise als öffentlich-rechtlicher Anwalt, der im Rahmen des Stage des Avocats aux Conseils als Sekretär ausgezeichnet wurde). Alexis Frank hält im Übrigen den Klickzahl-Rekord juristischer Blogbeiträge, mit einem Beitrag über das Rechtssystem bei Star Wars.
Die Generation, die in dieser Zeit ausgebildet wurden, sind durch diese Blogs massiv geprägt worden. Von ihnen werden Blogs auch selbstverständlich in Aufsätzen oder Dissertationen zitiert.
Was ist das Ziel Ihres Blogs? Welche Leserschaft möchten Sie mit dem Blog erreichen?
Seit seiner Gründung weist der Untertitel meines Blogs darauf hin: Combats pour les droits de l’homme möchte „engagierte Blicke auf aktuelle Entwicklungen des Menschenrechtsschutzes“ werfen. Es geht klar darum, eine fortschrittliche menschenrechtliche Vision zu formulieren.
Der Name des Blogs verweist zum einen auf die Zeitschrift Albert Camus’ aus der Zeit der deutschen Besatzung (Combat), und zugleich auf ein Zitat aus seinem Werk Die Gerechten („Ich verstand, dass es nicht reichte, auf Ungerechtigkeit hinzuweisen, man musste sein Leben geben, um sie zu bekämpfen“). Der Titel bezieht sich außerdem auf die Schlussfolgerung eines Werks von Danièle Lochak, meiner Doktormutter (Les Droits de l’homme, erschienen bei Découverte: „die Geschichte der Menschenrechte ist weder die Geschichte eines Triumphmarsches noch die einer von vornherein verlorenen Sache: es ist die Geschichte eines Kampfes“).
Der Blog soll überdies eine Schnittstelle für Nichtregierungsorganisationen und der Wissenschaftswelt bieten. Ich selbst bin Teil beider Welten, ebenso wie Danièle Lochak, einerseits (emeritierte) Professorin des Öffentlichen Rechts an der Universität Nanterre, andererseits langjährige Präsidentin der Groupe d’information et de soutien des immigrés (Gisti; Nichtregierungsorganisation im Aufenthalts- und Asylrecht) und Vize-Präsidentin der Liga für Menschenrechte (Ligue des droits de l’homme, LDH) war. Ich engagiere mich seit langem für Nichtregierungsorganisationen, insbesondere durch die Erstellung von Schriftsätzen für Verfahren vor verschiedenen Instanzen (frz. Staatsrat, Verfassungsrat, Europäischer Gerichtshof und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte).
Der Erfolg des Blogs – 3 Millionen Aufrufe seit 2008, 700 000 pro Jahr und etwa 2500 Besucher/Tag – erklärt sich jedenfalls teilweise dadurch, dass ich den Blog auf der Seite der Zeitung Le Monde erstellt habe, die eine Plattform für ihre Abonnenten anbietet. Der Blog wurde von Beginn an von der Redaktion von Le Monde wahrgenommen, vor allem im Zusammenhang mit der Organisation der Administrativhaft für ausländische Staatsangehörige, als das Innenministerium 2008 versuchte, das Monopol der Cimade (einer französischen Hilfsorganisation) zur Unterstützung der in Administrativhaft befindlichen ausländischen Staatsangehörigen zu zerschlagen. Über etwa zwei Jahre hinweg erschien der Blog fast täglich auf der Seite „La Une“, eine der meistaufgerufenen Nachrichtenseiten Frankreichs. Die Adresse „http://combatsdroitshomme.blog.lemonde.fr“ zieht außerdem Suchmaschinen wie Google an. Der Blog wird auch regelmäßig in Wikipedia-Einträgen, anderen juristischen Blogs oder in verschiedenen Medien zitiert. Er hat einen Eintrag im Katalog der französischen Nationalbibliothek und außerdem eine ISBN-Nummer. Auf diese Weise ist der Blog rasch zu einem zentralen Referenzpunkt für menschenrechtliche Fragen geworden. Er wird von meinen Kollegen auch häufig in den Vorlesungen zu Grund- und Menschenrechten erwähnt, und auch in Lehrbüchern.
Diese Entwicklung hängt auch damit zusammen, dass der Blog ab 2009 zur Plattform für den „Newsletter Menschenrechte“ (lettres Actualité droits-liberté) des CREDOF wurden. Der Newsletter war ursprünglich von Sylvia Preuss-Laussinotte begründet worden und erfuhren neuen Aufwind durch die Arbeit der Lehrenden und Doktoranden des CREDOF, insbesondere von Nicolas Hervieu, durch den der Newsletter redaktionell und wissenschaftlich betreut wurde und schnell zu raschem Erfolg aufstieg.
Ein Blog, der zugleich wissenschaftliche und aktivistische Ziele verfolgt, ist jedenfalls in Deutschland rar – kann man zivilgesellschaftliches Engagement mit der Wissenschaft verbinden?
Auch in Frankreich ist die Verbindung rar. Es klingt vielleicht schizophren, aber ich versuche immer, zwischen meiner Rolle als Wissenschaftler und meiner Rolle als Aktivist zu unterscheiden. Die Institution, für die ich arbeite – das CREDOF (im Jahr 2000 von Danièle Lochak gegründet) – ist eng verbunden mit einem interdisziplinären Forschungsinstitut, dem Centre de théorie et d’analyse du droit (das Institut wurde von Michel Troper, emeritierter Professor der Universität Paris Ouest-Nanterre, gegründet). Gerade in der Tradition der Positivisten-Realisten, wie Troper oder Bobbio, ist es wichtig, die Haltung als Wissenschaftler von der als Aktivist oder engagiertem Bürger zu unterscheiden. Diese Unterscheidung wurde in Frankreich auch umfassend diskutiert (vgl das Werk von Emmanuel Dockès, „Au cœur des combats juridiques. Pensées et témoignages de juristes engagés“, Dalloz 2007).
Auch wenn es für mich wichtig ist, die Wissenschaftswelt mit den Nichtregierungsorganisationen in Verbindung zu setzen und Berührungspunkte zu schaffen, schreibe ich auf dem Blog als Wissenschaftler und nicht als Aktivist. Natürlich vermittelt der Blog Informationen aus Nichtregierungskreisen. Aber ich möchte doch zwischen meinen Aktivitäten für Nichtregierungsorganisationen und meiner wissenschaftlichen Arbeit auf dem Blog unterscheiden. Als Aktivist trete ich gerade nicht als Universitätsangestellter auf, sondern spreche im Namen einer Organisation – etwa dem Gisti – und auch nur, wenn ich dazu von der Organisation ermächtigt wurde. Diese berufsethischen Regeln gilt es zu beachten, sonst wird das ganze Unternehmen schnell ein gefährliches.
Ein anderes Ziel des Blogs ist es, studentische Arbeiten mit menschenrechtlichen Bezügen sichtbarer zu machen, insbesondere die Arbeiten meiner Studierenden in Evry und Nanterre.
Aus dieser Idee heraus entstand vor allem ein bemerkenswerter Beitrag: angeregt durch die law clinics gab ich meinen Studierenden auf, eine Art „Feldforschung“ zu betreiben. Sie sollten sich mit Nichtregierungsorganisationen in Verbindung setzen, um eine juristische Fragestellung, die sich den Organisationen stellte, zu bearbeiten. 2011 interessierte sich eine Gruppe dreier Studentinnen für die langen Warteschlangen, die sich des Nachts vor der Präfektur von Evry bildeten. Die Präfektur ist ganz in der Nähe der Universität. Große Gruppen ausländischer Staatsangehöriger verbrachten Nacht um Nacht vor der Präfektur, um am Morgen an den Schalter zu gelangen. Die Medien berichteten nur gelegentlich darüber, eine Lösung wurde nicht gefunden. Es kam sogar zu einem Handel mit den Schaltertickets in den nächtlichen Warteschlangen. Einige Organisationen hatten bereits versucht, Eilrechtsschutz vor den Gerichten zu erwirken – ohne großen Erfolg. Die Studentinnen haben sich zuerst mit den Organisationen in Verbindung gesetzt und danach eine Nacht gemeinsam mit den Wartenden vor der Präfektur verbracht. Daraufhin erhielten sie die Möglichkeit, ein einwöchiges beobachtendes Praktikum in der Präfektur, vor allem an den Beratungsschaltern, zu absolvieren. Auf diese Weise haben sich die Studentinnen ein umfassendes Bild machen können, mit allen Beteiligten – den Ausländern, den Organisationen und der Präfektur. Daraus ist ein sehr guter, umfassender Bericht entstanden, den ich auf dem Blog veröffentlicht habe, ebenso wie einen Bericht ihrer „Nachtwache“. Daraufhin haben mich verschiedene lokale Medien kontaktiert, was wiederum zu Interviews führte, in denen die Studentinnen ziemlich klare Worte fanden („Wir haben klar rechtswidrige Praktiken gesehen“). Die Präfektur verlangte daraufhin eine Gegendarstellung in der Lokalpresse… Das Thema ist heikel: der derzeitige französische Premierminister, Manuel Valls, war zu der Zeit Bürgermeister von Evry, was dem Ort eine besondere Symbolkraft verleiht. Aber vor allem der pädagogische Aspekt hat mich dabei interessiert: es ging darum, den Studentinnen die Möglichkeit zu geben, ihren Standpunkt nicht nur klarzustellen, sondern auch medienwirksam zu verbreiten – denn viele der Studenten im menschenrechtlichen Master werden später Anwälte oder Mitarbeiter in Menschenrechtsorganisationen, und werden dort klare Standpunkte vertreten müssen.
Erreicht der Blog Ihrer Erfahrung nach ein anderes Publikum als traditionelle rechtswissenschaftliche Formate, vor allem die juristischen Fachzeitschriften?
Ja, es gibt verschiedene Zielgruppen, die erreicht werden. Den harten Kern meiner Leserschaft bilden Studierende, die Kurse in Grund- und Menschenrechten belegen. Zum einen gibt es im dritten Ausbildungsjahr seit 1954 einen Pflichtkurs zu Grund- und Menschenrechten, zum anderen lesen vor allem Masterstudenten den Blog (es gibt ein halbes Dutzend menschenrechtlicher Masterprogramme in Frankreich: Nanterre, Paris 2, Caen, Strasbourg, Aix, Grenoble, Lyon, etc.), außerdem diejenigen, die sich auf die Anwaltsprüfung vorbereiten, da eine der wichtigsten Prüfungsteile eine mündliche Prüfung zu Grund- und Menschenrechten ist. Das zweite wichtige Kernpublikum sind die Kollegen, natürlich vor allem diejenigen, die sich mit Grund- und Menschenrechten befassen. Neben inhaltlichen Beiträgen veröffentliche ich auf dem Blog auch Seminar- und Konferenzankündigungen, und das ist gerade für meine Kollegen natürlich auch wichtig.
Darüber hinaus wird der Blog vor allem von Nichtregierungsorganisationen gelesen – zum einen, um sich über aktuelle Rechtsprechung zu informieren, zum anderen aber auch, um an für sie relevante Argumentationsstränge zu gelangen. Neben meinen ersten Beiträgen zur Administrativhaft von Ausländern hat besonders ein Beitrag zur sogenannten „Rückführungsrichtlinie“ für Aufmerksamkeit bei den Organisationen gesorgt. Der Beitrag zeigt außerdem sehr schön das Zusammenspiel von Wissenschafts- und NGO-Welt. Die Rückführungsrichtlinie verursachte im Nichtregierungssektor vor allem aus zwei Gründen ein großes Maß an Mobilisierung: zum einen sah die Richtlinie eine Maximaldauer der Abschiebehaft von 18 Monaten vor, während die französischen Gesetze eine Administrativhaft mit Höchstdauer von 32 Tagen vorsahen. Außerdem ermöglichte die Richtlinie, auch Kinder in Abschiebehaft unterzubringen, zwar unter strengen Voraussetzungen, aber die Möglichkeit bestand. Als die Richtlinie verabschiedet wurde, sprachen die Nichtregierungsorganisationen schnell von der „Richtlinie der Schande“, ohne sich näher mit dem Text auseinanderzusetzen und mögliche Verbesserungen für Menschen in Abschiebehaft zu erwirken. Als Wissenschaftler hatte ich Ende 2010 die zweifache Gelegenheit, mich mit dem Text näher auseinanderzusetzen. Zunächst traf ich auf einer Veranstaltung in Nijmegen italienische, niederländische und belgische Kollegen, die Ideen zu der Richtlinie mitbrachten (vor allem auf der Basis italienischer Präzedenzfälle). Ich hatte außerdem gemeinsam mit Marie-Laure Basilien-Gainche und Karine Parrot eine umfangreichere Arbeit zu der Richtlinie im Rahmen einer Konferenz über illegale Einwanderung an der Universität Paris VIII-Saint Denis und dem Netzwerk Trans europe Experts erstellt. Bis Ende 2010 hatte Frankreich die Richtlinie nicht umgesetzt. Und so kam ich auf die Idee, am 1. Weihnachtsfeiertag – dem Tag, an dem die Umsetzungsfrist ablief – in einem Blogpost die Anwälte dazu aufzurufen, sich vor den Gerichten unmittelbar auf die Richtlinie zu berufen, wo sie ihnen nutzen könnte. Nachdem ich den Post „Ein Weihnachten derer ohne Papiere“ am 25. Dezember 2010 veröffentlicht hatte, bat ich Maître Eolas, den Beitrag zu verbreiten, was dieser auch tat. Maître Eolas ist der meistgelesene juristische Blog Frankreichs, mit zehntausenden Twitter-Followern, so dass meine Argumentation rasch von anderen Blogs und größeren Zeitschriften (Libération, Le Monde, etc.) aufgenommen wurde. Auch die Flüchtlingsorganisationen (Gisti, Cimade, Anwälte für die Verteidigung des Aufenthaltsrechts) verbreiteten die Informationen in ihren Netzwerken. In der darauffolgenden Wochen befassten sich überall Gerichte mit der Richtlinie. Im darauffolgenden Jahr haben wir außerdem die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH in den Sachen El Dridi (im April 2011) und Achughbabian (im Dezember 2011 – dort war ich gemeinsam mit verschiedenen Anwälten bei der mündlichen Verhandlung) verfolgt, die in Frankreich zur Befreiung hunderter Menschen ohne Papiere führte, was auch der Jahresbericht des Innenministers zur Asyl- und Aufenthaltspolitik feststellte. Hierbei handelt es sich meiner Meinung nach um einen beispiellosen Vorgang.
All das zeigt, dass ein Blog, vor allem mit der Unterstützung sozialer Netzwerke und anderer Blogs, einen enormen Resonanzraum für bestimmte rechtliche Fragen schafft.
Eine ähnliche Idee liegt dem Verfassungsblog zugrunde: es geht darum, wissenschaftliche Ideen für ein politisch interessiertes Publikum zu öffnen.
Und das geschieht auch. Als ich den Blog gründete, habe ich das nicht erwartet, aber der Blog schafft einen Berührungspunkt mit den Journalisten. Sowohl der Blog als auch der Newsletter des CREDOF werden gerade von Journalisten, die sich mit Rechtsfragen befassen (von Le Monde, Libération, La Croix, Médiapart, L’Humanité, Radio France, Dalloz actualité etc.etc.) aufmerksam verfolgt. Diese Journalisten haben teilweise eigene Blogs – wie zum Beispiel Franck Johannès, der Rechtsredakteur von Le Monde (Libertés surveillées) oder früher Catherine Coroller von der Libération mit ihrem Blog Hexagone(außerdem interessant: „Qui a le droit?“ von Sonya Faure). Erst diese Woche hat mich ein Journalist von der Zeitung Canard Enchaîné kontaktiert, nachdem er einen Blogbeitrag gelesen hatte. Auch aus dem Ausland gibt es Kontaktanfragen.
Das ist ein weiteres Phänomen, das ich nicht erwartet hatte: der Blog wird nicht nur in Frankreich gelesen. Trotz der Sprachbarriere hat der Blog zu Kontakten mit Italienern, Türken, Belgiern, sogar einigen amerikanischen Forschern geführt, die regelmäßig den Blog lesen. Das hat zu regelmäßiger Zusammenarbeit mit Forschungszentren in Gand (Strasbourg observer) oder dem CEDIE in Louvain-La-Neuve geführt. Das CEDIE hat vor allem unseren menschenrechtlichen Newsletter verfolgt, bevor sie ihren eigenen hervorragenden Newsletter zu ausländerrechtlichen Fragen begründet haben. Dass Sie sich für Combats pour les droits de l’homme interessieren, ist das beste Beispiel für diese Entwicklung. Aber es ist auch klar, dass der Blog und der Newsletter eine weitaus größere Reichweite hätten, wenn sie auch auf Englisch erschienen. Leider ist das ohne zusätzliche Mittel nur schwer möglich.
Zu guter Letzt gibt es auch einige Politiker, die den Blog lesen, vor allem, wenn sie eine juristische Ausbildung durchlaufen haben. Der Blog wurde außerdem bereits von einigen Abgeordneten zitiert (so etwa von Jean-Jacques Urvoas, der vormals Akademischer Rat war), und auch in Parlamentsberichten (etwa hier), und ich bin auch als Sachverständiger in aufenthaltsrechtlichen Fragen oder Gesetzesprojekten angehört worden. Verschiedene Abgeordnete und deren Mitarbeiter verfolgen den Blog auf Twitter und verwenden die Informationen vom Blog.
Sie veröffentlichen explizit Ihre wissenschaftlichen Ideen auf dem Blog. Inwieweit unterscheidet sich der Blog von anderen wissenschaftlichen Formaten, etwa Zeitschriften, Konferenzbeiträgen oder auch von der juristischen Lehre? Welchen Einfluss hat das Format auf Ihre wissenschaftliche Forschung?
Zu Beginn habe ich versucht, kurze Beiträge auf dem Blog zu bringen, die einem größeren Publikum zugänglich sind. Das tut etwa Maître Eolas, der die Gabe hat, das Recht für jeden verständlich zu erklären. Ich habe allerdings schnell herausgefunden, dass ich diese Gabe nicht besitze. Deswegen bin ich schnell von einem journalistisch-juristischen Schreibstil abgerückt.
Eine Wende gab es im Jahr 2009, als wir systematisch den Menschenrechts-Newsletter des CREDOF aufnahmen. Gemeinsam mit Nicolas Hervieu, der zu der Zeit Doktorand am CREDOF war, haben wir die Entscheidungsanalysen für den Staatsrat, den Verfassungsrat, den Europäischen Gerichtshof und vor allem den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte systematisiert. Wir brachten ein kleines Team zusammen, die mit einem enormen Zeitaufwand diese Gerichte verfolgt haben, um eine Erstanalyse noch am selben Tag, spätestens am Folgetag, hervorzubringen. Dank dieses Teams und anderer Zuarbeiten ist es uns gelungen, anspruchsvolle und zuverlässige Analysen zu liefern. In Kombination mit der Verbreitung über den Blog hat der Newsletter rasch eine höhere Zahl von Abonnenten erhalten (heute sind es rund 7000 Abonnenten). Der Newsletter wurde zunächst ausschließlich auf dem Blog veröffentlicht, weil das CREDOF keinen eigenen Webauftritt bereitstellte. Der Blog war sozusagen die „Vitrine“ für den Newsletter und hat dazu geführt, dass der Newsletter bekannt wurde. Heute kennt ihn eigentlich jeder, der im menschenrechtlichen Bereich arbeitet oder forscht, und der Newsletter wird häufig zitiert. Das führt natürlich dazu, dass auch der Blog häufiger zitiert wird. Gerade am Anfang hatten wir einige Vorfälle, in denen Inhalte des Blogs ohne Quellenangabe von anderen übernommen wurden. Die Verbindung des Blogs mit einem Newsletter, der von einer universitären Forschungseinrichtung herausgegeben wird, hat die Glaubwürdigkeit des Blogs erhöht und auch dieses Problem verringert. Das Ganze haben wir ohne jegliches Budget, mit rein freiwilliger Arbeit erreicht. Sämtliche Beiträge sind unter einer Creative Common Lizenz frei zugänglich.
Der Blog wird auch von öffentlichen Institutionen und Gerichten wahrgenommen. Mit Hilfen wie google analytics können wir die Zugriffe nachverfolgen. Wir tauchen auch regelmäßig in den Empfehlungen des Menschenrechtsbeauftragten oder der Nationalen Menschenrechtskommission auf. Ein Kommentar von Nicolas Hervieu, der auf dem Blog veröffentlicht wurde, hat es sogar bis in die Fußnote einer Entscheidung des EGMR geschafft (hier, Fn 2). Ich erinnere mich auch an eine Konferenz in Louvain-la-Neuve, wo mir der Präsident des EGMR, Dean Spielmann, seinen Blackberry zeigte, auf dem er regelmäßig unseren Newsletter auf dem Blog lese (der Beweis: in seiner Eröffnungsrede des Eröffnungsseminars für das Gerichtsjahr 2014 bezog sich Spielmann auf eine „bemerkenswerte Analyse“ Hervieus aus einem Newsletter – siehe S. 5 der Tagungsunterlagen. In seiner Rede aus dem Vorjahr hatte Spielmann bereits auf den Einfluss juristischer Blogs im Allgemeinen angespielt.) Auch Françoise Tulkens ist eine treue Leserin des Blogs und hat sich zu einem Interview mit der Revue des droits de l’homme zur Verfügung gestellt, durchgeführt von…Nicolas Hervieu.
Wir werden auch vom Verfassungsrat und vom Staatsrat gelesen, manchmal sogar zitiert (etwa in dem Kommentar zu einem Normenkontrollverfahren über die Arbeit in Gefängnissen oder als Zusatz „aus der Forschung“), aber wir werden dort nicht wirklich gehört (als Beispiel möge eine Antwort auf einen unserer Newsletter dienen, der von Mitgliedern des Wissenschaftlichen Dienstes des Staatsrats verfasst und in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde: Xavier Domino et Aurélie Bretonneau, “De la tenace autorité de la chose inconventionnellement jugée”, AJDA 2012 p. 2162). Offenkundig hat der Blog in den Sachen „Alcaly“ und „UFC Que Choisir de Côte d’Or“ die institutionelle Kommunikation des Staatsrats eher gestört…ein Kollege, für den ich große Bewunderung empfinde, schrieb anlässlich des „Alcaly“-Falles (der zu dem Zeitpunkt noch von keiner Zeitschrift kommentiert worden war): „So hat ein einsamer Ritter – der einzige, der die Entscheidung überhaupt kommentierte – gewitzt beobachtet [Zitat aus meinem Kommentar von dem Blog]. Meine Herren!“ (Philippe Yolka, Question prioritaire de constitutionnalité : Le Bon, la Brute et le Truand », JCP A, 2011, act. 190). Scheinbar erlaubt der Blog einem, Positionen ohne Filter (mit Ausnahme vielleicht einer gewissen Selbstzensur) darzustellen, die möglicherweise in einer Zeitschrift schwieriger zu vertreten wären.
Wenn Sie von Strukturen reden, die durch den Blog gestört werden können, bezieht sich das auch auf andere institutionelle Strukturen, etwa die Universitäten oder andere juristische Institutionen?
Ja, der Blog ist für mich ein klares Mittel, um etablierte, traditionelle Hierarchien zu stören. Etwa der Zugang zur Veröffentlichung in juristischen Fachzeitschriften: dieser ist im Großen und Ganzen den Professoren und einigen Doktoranden vorbehalten. Am CREDOF ist unser Ansatz, vor allem die Arbeiten und Überlegungen der Doktoranden zu stärken. Unser Newsletter hat den Doktoranden ermöglicht, von den Kollegen gelesen und in Bezug genommen zu werden. Die Sichtbarkeit ihrer Arbeiten, gekoppelt mit der Qualität ihrer Analysen, öffnet auch den Weg in die juristischen Fachzeitschriften. Gerade im Nachwuchs herrscht auch oft eine wirkliche analytische Dynamik; es werden neue Ideen entwickelt.
Allerdings muss man festhalten: auch wenn uns die junge Generation von Professoren, die mit den Blogs von Frédéric Rolin, Maître Eolas oder dem blog Droit administratif groß geworden ist, regelmäßig zitiert, ist die Generation darüber damit nicht einverstanden und zitiert uns nicht. Nach allem was wir wissen, haben sie aber den Newsletter abonniert und lesen auch den Blog regelmäßig!
Wenn der Blog also beeinflusst, in welche Sphären Informationen gelangen, und möglicherweise sogar Einfluss auf das wissenschaftliche Arbeiten ausübt – haben Blogs aus Ihrer Sicht das Potenzial, die Trennung zwischen Wissenschaft und interessierter, politischer Öffentlichkeit zu überwinden?
Blogs stören ganz offensichtlich das traditionelle Selbstverständnis der Juristen. Ich persönlich sehe aber gar nicht unbedingt einen so großen Gegensatz zwischen beiden Welten. Blogbeiträge oder working papers auf dem Blog einerseits und die vertiefte, wissenschaftliche Auseinandersetzung in juristischen Zeitschriften andererseits ergänzen sich doch wunderbar. Aber das müsste natürlich zu einem gewissen Umdenken bei einigen juristischen Zeitschriften führen, die vor allem Urteilsbesprechungen oder kurze Beiträge veröffentlichen. Was für ein Interesse besteht denn daran, zwei Monate nach Urteilsverkündung eine Urteilsbesprechung von 15000 Zeichen, ohne Fußnoten und wissenschaftlichen Gehalt, in einer Zeitschrift zu lesen, wenn das Urteil bereits auf verschiedenen Blogs und unzähligen Kommentaren besprochen wurde?
Hier bietet der Blog mehr Freiheit. Auch auf dem Blog ist es möglich, längere, eingehende Analysen zu veröffentlichen. Das alles hängt stark davon ab, wen man mit einem Post erreichen möchte. Manche Newsletter von Nicolas Hervieu, die ursprünglich im Internet erschienen sind, wurden vollständig in juristischen Fachzeitschriften abgedruckt; andere wurden im Ausland abgedruckt.
Vor allem aber zeigt das Bloggen, dass man auch digital wissenschaftliche Arbeiten veröffentlichen kann, die nützlich und qualitativ hochwertig sind. Wenn wir etwa bei einem Beitrag Änderungen oder Ergänzungen vornehmen, geben wir das deutlich zu erkennen. Es geht dabei um Ehrlichkeit unseren Lesern gegenüber, und um redliches wissenschaftliches Arbeiten.
Gleichzeitig sollte man einen Blogbeitrag, der ohne Filter – oder jedenfalls fast ohne Filter – veröffentlicht wird, nicht mit einem Beitrag in einer Fachzeitschrift gleichsetzen, der einen umfangreichen Begutachtungsprozess durchlaufen hat (allerdings haben die meisten französischen Fachzeitschriften kein eigenes Reviewverfahren und die Auswahl der Artikel hängt häufig nur vom Herausgeber ab).
Diese Unterscheidung ist uns auch am CREDOF wichtig: zusätzlich zu den menschenrechtlichen Newslettern, die auch nach wie vor auf dem Blog erscheinen, gibt es seit 2012 die Revue des droits de l’homme, eine elektronische Zeitschrift mit einem echten Review-Verfahren.
 Die Fragen stellte Hannah Birkenkötter. Mitarbeit am französischen Transkript: Robin Caballero.Â
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