Bombe ohne Sprengkraft
Zu den Untreueermittlungen gegen den Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen
Am Mittwoch dieser Woche gab die Staatsanwaltschaft Berlin bekannt, sie habe Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Untreue (§ 266 StGB) gegen Verantwortliche der Partei Bündnis 90/Die Grünen aufgenommen. Gegenstand des Verfahrens sei die Bewilligung eines „Corona-Bonus“ durch die Mitglieder des Bundesvorstands „an sich selbst“. Presseberichten zufolge hatten nicht nur die Mitarbeiter_innen der Bundesgeschäftsstelle je 1.500 Euro erhalten, sondern auch sechs Vorstandsmitglieder. Rechnungsprüfer der Partei hatten bereits im Oktober 2021 Bedenken geltend gemacht: Die Zahlung sei nicht von parteiinternen Regelungen gedeckt, zudem hätte sie nicht (allein) vom Bundesvorstand genehmigt werden dürfen. Bereits der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft begonnen hat, die Berechtigung der Vorwürfe zu prüfen, hat für Aufsehen gesorgt. Boulevardmedien sprechen von einer „politischen Bombe“. Dass sie strafrechtliche Sprengkraft enthält, ist jedoch zu bezweifeln. Das liegt – paradoxerweise – an der Weite des Untreuetatbestandes. Dieser begegnen Rechtsprechung und Literatur mit tatbestandsbegrenzenden Kriterien und einer kasuistischen Einzelfallbetrachtung. Infolgedessen ist ein Anfangsverdacht zwar leicht begründet, die Anforderungen an die Feststellung eines strafbaren Verhaltens liegen aber deutlich höher.
Staunenswerte Vagheit
Der Untreuetatbestand schützt das Vermögen vor einer Schädigung durch Personen, die zur Betreuung der Interessen des Vermögensinhabers bestellt sind. Unternehmen, Parteien und andere juristische Personen, die selbst nicht handlungsfähig sind, können nur mit Hilfe ihrer Organe oder gesetzlichen Vertreter über ihr Vermögen disponieren. Diese Trennung von Handlungsmacht einerseits und Vermögensinhaberschaft andererseits begründet eine strukturelle Anfälligkeit der Vermögen für Schädigungen durch treu- oder jedenfalls sorglose Vermögenswalter. Eine Gesellschaft, in der Vermögen weithin fremdverwaltet werden und Informationen über das Vermögen und seinen Einsatz immer asymmetrischer verteilt sind, ist darauf angewiesen, dass Vermögensentscheidungen den Willen des Vermögensinhabers repräsentieren und nicht die Interessen der Vertreter oder Dritter.((Treffend Wachter, ZStW 131 (2019) 286, 295: Elementare Bedingung von Freiheit.)) Dies ist der eine Grund, weshalb der Untreuetatbestand in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Tatbestand des Wirtschaftsstrafrechts avanciert ist. Der andere Grund ist, dass der Tatbestand von einer geradezu staunenswerten Vagheit ist. Der historische Gesetzgeber – der Tatbestand gilt seit dem 26.5.1933, seine Wurzeln reichen aber tiefer – hat lediglich eine „Art Rahmenvorschrift“ zum „strafrechtlichen Schutz von Treu und Glauben im Verkehr“ geschaffen (treffend RGSt 69, 58, 61 f.). Der Konkretisierung bedarf nicht nur der Adressatenkreis der Norm; unklar ist auch, wann ein tatbestandlich-pflichtwidriges Verhalten vorliegt.((Zur (unscharfen) Unrechtsgravur des Tatbestandes Kubiciel, NStZ 2005, 353 ff. In Bezug auf Entscheidungen während der Pandemie ders., NJW 2020, 1249 ff.))
Die weite Fassung macht die Vorschrift zu einem „Ermittlungsgeneralschlüssel“, der nicht nur auf Fehlverhalten in der Wirtschaft passt, sondern auch im politischen Kontext – Stichwort: Haushaltsuntreue, Parteispenden – verwendet worden ist. Ungeachtet der verbreiteten Kritik an seiner Vagheit hat das Bundesverfassungsgericht den „sehr weit gefassten und verhältnismäßig unscharfen“ Tatbestand im Jahr 2010 für gerade noch so verfassungskonform erachtet: Weil und soweit er „hinreichend restriktiv und präzisierend ausgelegt“ werden könne, sei er mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG „noch zu vereinbaren“ (BVerfGE 126, 170, 200 ff.). Bestimmt ist der Tatbestand danach, weil er mit Hilfe von Präjudizien bestimmbar ist. Eine Logik, die die Adressaten der Sanktionsnorm – Staatsanwältinnen und Richter – eher überzeugen dürfte als die Adressaten der Verhaltensnorm.
Interesse und Verfahren
Sucht man nach für unseren Fall einschlägigen höchstrichterlichen Urteilen, die Maßstäbe für die Bestimmung einer untreuespezifischen Pflichtverletzung enthalten, springen zwei Entscheidungen ins Auge.
Zunächst zu nennen ist die Mannesmann-Entscheidung aus dem Jahr 2005. Gegenstand des Verfahrens waren sogenannte Anerkennungsprämien für Vorstandsmitglieder nach einem (letztlich erfolglosen) Kampf gegen die Übernahme durch den britischen Konkurrenten Vodafone. Diese – millionenschweren – Prämien wurden zwar mit Zustimmung des zuständigen Gremiums gewährt, es gab für sie aber keine rechtliche Grundlage in den Dienstverträgen. Letztere regelten die Vergütung für geleistete Arbeit abschließend, zusätzliche Anerkennungsprämien sahen sie nicht vor. Für den 3. Strafsenat war dies jedoch für sich gesehen unproblematisch. Denn Boni könnten auch einen Zweck haben, der über die Honorierung besonderer Leistungen hinausgeht: das Signal an Vorstände oder andere leitende Mitarbeiter, dass sich „außergewöhnliche Leistungen“ auch künftig lohnen (BGHSt 50, 331, 337). Eine solche Anreizwirkung für die Zukunft könne im Unternehmensinteresse liegen, wobei sich die Höhe möglicher Bonuszahlungen „einer generalisierbaren Betrachtung“ entziehe, so der 3. Strafsenat. Diese organ- bzw. vorstandsfreundliche Auslegung nützte den Angeklagten indes nichts: Weil die Mannesmann AG nach der Übernahme durch Vodafone zerschlagen und das Management ausgetauscht wurde, ließen sich die Bonuszahlungen nicht als Motivation für die Zukunft deuten. Eine solche gab es nicht. Völlig anders ist der Fall von Bündnis 90/Die Grünen gelagert: Vor der Partei lag das Jahr 2021 mit einem Bundestagswahlkampf inmitten einer Pandemie. Eine zusätzliche Motivation, die in der Anerkennung besonderer Leistungen während des ersten Corona-Jahres liegt, verstieß sicherlich nicht gegen die Interessen der Partei.
Das Berliner Ermittlungsverfahren unterscheidet sich noch in einem anderen Punkt vom Sachverhalt der Mannesmann-Entscheidung. Während die Konzernmanager ihre Anerkennungsprämie der Entscheidung eines Präsidiums verdanken, soll sich der Bundesvorstand der Grünen die Bonuszahlungen selbst gewährt haben. Könnte also das Verfahren, wie über die Auszahlung entschieden wurde, anstatt der Entscheidung selbst einen Untreuevorwurf rechtfertigen? Das lässt sich bezweifeln. Klar ist zunächst, dass jede juristische Person zur Konkretisierung ihrer Vermögensinteressen eines Organs bedarf; darin unterscheiden sich Parteien nicht von Unternehmen. Während es in Aktiengesellschaften neben dem Vorstand einen Aufsichtsrat gibt und Vergütungsfragen häufig von speziellen Ausschüssen oder Präsidien des Aufsichtsrates geklärt werden, weisen die Satzungen von Parteien eine deutlich andere Organstruktur aus. Blickt man in die Satzung des Bundesverbandes der Partei Bündnis 90/Grünen fällt es schwer, ein Gremium zu identifizieren, das neben dem die täglichen Geschäfte leitenden Vorstand noch für die Zahlung von Jahresboni zuständig sein könnte. Auch dem „Bundesfinanzrat“ und dem „Bundesfinanzausschuss“ weisen § 19 Abs. 2, 3 der Satzung nicht explizit eine besondere Zuständigkeit zu. Insoweit mögen Strukturen verbesserungsbedürftig sein, vielleicht könnten auch Zuständigkeitsfragen genauer geregelt werden – einen strafrechtlichen Vorwurf begründet all das aber nicht.
Unklug, aber nicht strafbar
Doch selbst wenn sich ein Verfahrensverstoß feststellen ließe, müsste dies nicht zur Strafbarkeit führen. Denn der 1. Strafsenat des BGH hat in der Kölner CDU-Spendenaffäre im Einklang mit anderen Urteilen betont, dass nicht jede Pflichtwidrigkeit bei vermögensrelevanten Entscheidungen zugleich auch strafbar sei, sondern nur gravierende Pflichtverletzungen. Relevant für die Beurteilung der Frage, ob ein Handeln „gemessen an den schutzwürdigen Interessen der Partei“ gravierend sei, soll insbesondere der dem Parteivermögen drohende Schaden sein (BGHSt 56, 203, 213). Die Auszahlung von sechs Mal 1.500 Euro mag man als politisch unklug bezeichnen; vermögensstrafrechtlich gravierend ist sie nicht.
Drei Anmerkungen:
(1) Die zitierte Boni-Rechtsprechung des BGH dürfte mE nicht ohne weiteres passen: Denn die Grünen sind kein Wirtschaftsunternehmen, in dem durch Boni typischerweise Leistungsanreize gesetzt werden, sondern eine politische Partei, deren Funktionsträger meist ehrenamtlich tätig werden. Die Parteisatzung spricht daher – etwas vage – auch nur von einer „finanziellen Absicherung“ der Mitglieder des Bundesvorstands (§ 16 und 17), sowie einer „Entschädigungsordnung“ (§ 16). Zahlungen an Vorstandsmitglieder dürften daher allenfalls eine Aufwandsentschädigung umfassen (durchaus auch in existenzsichernder Höhe), aber wohl kaum Leistungs- oder Motivationsprämien. Die Frage wäre also, welchen Aufwand die Sonderzahlung abdecken sollte.
(2) Auch die kompetenziellen Überlegungen überzeugen nicht. Die Parteisatzung regelt nämlich, dass die Zahlungen an den Bundesvorstand der erwähnten, vom Bundesvorstand zu beschließenden „Entschädigungsordnung“ unterliegen (§ 16 Abs. 7). Diese bedarf aber– wie die Vorschrift ausdrücklich besagt – der Zustimmung eines weiteren Parteiorgans. Waren die Sonderzahlungen von der geltenden Entschädigungsordnung gedeckt (die Beanstandung durch die Rechnungsprüfer spricht dagegen), ist natürlich alles in Ordnung. Waren sie es nicht, hätte nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die wohl eine Selbstbedienung des Vorstands verhindern soll, zumindest ein weiteres Parteiorgan mit dem Vorstandsbeschluss befasst werden und ihm zustimmen müssen.
(3) Rettung für die Vorstandsmitglieder bringt es aber vielleicht, dass ein Schädigungsvorsatz kaum nachweisbar sein wird. Auf der subjektiven Seite des Tatbestands scheint mir das eigentliche Problem zu liegen.
Zustimmung in allen Punkte. Insb. in Punkt 3 dürfte der Knackpunkt liegen. Es scheint mir ziemlich abwegig, dass der Parteivorstand der Grünen (Herr Habeck war immerhin Landesminster mit entsprechender Besoldung, der Rest dürfte höchstwahrscheinlich auch nicht am Hungertuch nagen) für 1500 Euro in die Kasse greift. Es braucht zwar für § 266 StGB keine Bereicherungsabsicht, allerdings kann auch die subjektive Tatseite ansonsten nicht im luftleeren Raum festgestellt werden. Der bloße Verfahrensfehler ist kein Fall für die Untreue.
Besten Dank für Ihren Kommentar. Daran anknüpfend noch einige Überlegungen:
(1) Natürlich lassen sich Parteien ebenso wenig mit privatwirt. Unternehmen vergleichen wie bspw. der Öffentliche Dienst. Dennoch gibt es auch in diesen Institutionen Leistungsanreize durch jährliche Bonuszahlungen (etwa an Universitäten) oder punktuelle Sonderzahlungen wie im ersten “Pandemiejahr”, als Bundesländer ihren Bediensteten oder Teilen davon eine Sonderzahlung gewährt haben. Insofern sind m.E. die allgemeinen Überlegungen des BGH zum Charakter von Bonuszahlungen und den Voraussetzungen ihrer – untreuespezifischen! – Rechtmäßigkeit übertragbar. Die Grundaussage der Entscheidung lautet im Einklang mit der tendenziell einschränkenden Auslegung des weiten Tatbestandes: Nicht jede außerstrafrechtliche Regelverletzung, etwa ein Satzungsverstoß, begründet eine Untreueverantwortlichkeit.
(2) Daran anknüpfend meine ich wie im Text: Selbst wenn die Übertragung der Bonuszahlung von 1.500 Euro (anstatt 300 Euro) auf Vorstände nicht allein vom Bundesvorstand ad hoc hätte vorgenommen werden können, muss das nicht zu einer Erfüllung des obj. Tatbestandes führen. Eine gravierende Verletzung sehe ich nicht – nicht nur wg. der geringen Erhöhung, sondern auch, weil der Vorstand ja an einer vorhandenen Regelung ansetzt und diese – punktuell! – ändert bzw. auf Vorstände überträgt. Das ist ein anderes Kaliber, als wenn bspw. freihändig die Grundentschädigung deutlich heraufgesetzt worden wäre.
Im übrigen: So klar regelt die Satzung nicht, wer bzw welches Gremium bei einer solchen punktuellen Änderung/Erstreckung hätte tätig werden müssen. Ich sehe hier eher ein organisatorisches Problem als ein individuelles Verschulden.
(3) Letzteres wirkt sich dann natürlich auch auf die Frage des Vorsatzes aus, wenn man – wie Sie, anders als ich – nicht schon den obj. Tatbestand ausschließen will.
Will der Autor hier ernsthaft behaupten, der Vorstand eines Vereins (und nichts anderes ist die Partei Bündnis 90/Die Grünen zivilrechtlich) sei berechtigt, die Höhe seiner Vergütung selbst und ohne Mitwirkung anderer Vereinsgremien festzulegen? Für die Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Vorstand und Verein ist nach der Rechtsprechung dasjenige Vereinsorgan zuständig, dem die Vorstandsbestellung obliegt, wenn die Satzung nichts anderes regelt. Das dürfte bei den Grünen (ich kenne die Parteisatzung nicht im Detail) die Bundesdelegiertenversammlung sein.
Ich teile die Sicht von Keller,
es handelt sich hier mE um ein InSichGeschäft gemäß §181 BGB. Ohne ausreichende Satzungsregelung ist nur die Mitgliederversammlung berechtigt darüber zu entscheiden. So wird es in jedem Verein gehandhabt. Eine solche Entscheidung ist (gänzlich?) unwirksam.
Ob darüber der Vorwurf der Untreue gegeben ist, entscheidet sich mE daran, ob es zu einem Nachteil kam und ob es eine (vorsätzliche) Pflichtverletzung gab. Die Pflichtverletzung ist gegeben, da man davon ausgehen muss, dass es zur Obliegenheit des Vorstandes gehört ein solches InSichGeschäft zu erkennen.
Ob bedingter Vorsatz gegeben ist, zum Nachteil der Partei zu handeln, was für die Strafbarkeit erforderlich wäre, kann ich nicht beurteilen, das wird die Staatsanwaltschaft jetzt vermutlich prüfen, dürfte aber schwer zu belegen sein.
Einen Vermögensnachteil gab es in Form von 6×1500€ an die Mitglieder des Bundesvorstandes auch. Die Rückzahlung nach Vollendung des Tatbestandes ändert daran strafrechtlich nichts.