Bundesnachrichtendienst und NSA: zu viele offene Fragen
Die Skandalchronik des Bundesnachrichtendienstes, so scheint es, ist um ein Kapitel reicher. Glaubt man dem SPIEGEL und anderen Presseorganen, soll der amerikanische Nachrichtendienst NSA dem Bundesnachrichtendienst Indikatoren für dessen technische Aufklärung übermittelt haben. In diesen Indikatoren sollen solche Begriffe gewesen sein, die sich auf deutsche Rüstungsunternehmen bezogen, die Suche mit diesen Indikatoren soll rechtswidrig gewesen sein. Diesen Umstand soll der BND spät entdeckt haben, anschließend soll er sich nur an die NSA gewendet haben mit der Bitte, die Praxis zu ändern. Das Bundeskanzleramt soll nicht informiert worden sein. Kanzleramtsminister Peter Altmaier soll am Mittwoch das Parlamentarische Kontrollgremium informiert haben, der BND-Chef soll nicht dabei gewesen sein.
Wer das liest, bekommt Kopfschmerzen. Der geschilderte Sachverhalt lässt sich nämlich auf zwei verschiedene Weisen interpretieren. In der einen wäre das Verhalten des BND rundum rechtmäßig, in der anderen dagegen grob rechtswidrig.
Einerseits könnte man den Vorgang so interpretieren, dass der BND aufgrund der Zusammenarbeit mit der NSA bemerkt hat, dass die USA bei ihrer eigenen technischen Suche mit Suchbegriffen arbeitet, die sich auf deutsche Rüstungsfirmen beziehen, und daraufhin die NSA gebeten hätte, diese Suchbegriffe herauszunehmen, ohne in einer für die Öffentlichkeit wahrnehmbaren Weise das Bundeskanzleramt darüber zu informieren. Läge der Sachverhalt so, gäbe es daran offensichtlich rechtlich nicht das Geringste auszusetzen.
Der Sachverhalt lässt aber auch eine Interpretation zu, bei der es in der Tat gerechtfertigt wäre, von einem Skandal zu sprechen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn die NSA den BND gebeten hätte, bei seiner strategischen Fernmeldekontrolle Suchbegriffe zu verwenden, die aus den USA stammten, und der BND diese Begriffe ohne jede Prüfung übernommen und dann erst Jahre später bemerkt hätte, dass deutsche Rufnummern darunter waren. In diesem Fall wäre sowohl die ungeprüfte Übernahme der Suchbegriffe als auch die Verwendung von einzelnen Rufnummern in Deutschland klar rechtswidrig (§ 5 Abs. 2 S. 2 Nr. G 10).
Ob nun der Fall so oder so liegt, ist unklar, gleichzeitig aber für die Bewertung des Sachverhalts maßgeblich. Menschlich ist es gut nachvollziehbar, wenn man den Wunsch verspürt, schon vor einer endgültigen Aufklärung die Vorgänge zu bewerten, dann muss man aber bitte offen sagen, welche Prämissen man setzt, damit die Gegenseite auch die Möglichkeit hat, sich angemessen zu wehren. Nicht zulässig ist es, aufgrund einer diffusen Sachverhaltsdarstellung und isolierten Informationen den Vorwurf der offensichtlichen Rechtswidrigkeit zu erheben. Dies schadet der öffentlichen Diskussion als Grundlage jeder demokratischen Gesellschaft und es schadet auch der staatlichen Gemeinschaft, weil der Staat Ressourcen für die Verteidigung von unnötigen Angriffen benötigt und zudem das Vertrauen in die staatliche Gewalt ungerechtfertigt abnimmt.
Unterstellt man einmal, es sei etwas schief gelaufen und geht man von der realistischen Variante aus. Diese bestünde darin, dass bestimmte Suchbegriffe bei der strategischen Fernmeldekontrolle von den USA übernommen wurden, ohne dass man bemerkte hätte, dass sich diese speziell auf deutsche Unternehmen beziehen. Bei dieser Annahme gilt: In diesem Fall hätte die für die Festsetzung der Suchbegriffe zuständige Stelle beim BND einen Fehler gemacht. Denkbar ist dies, Fehler passieren. Ein Skandal wäre dies für sich genommen aber noch nicht. Ein Skandal läge dann vor, wenn dies entweder bewusst geschehen wäre oder der Bezug zu deutschen Firmen so offensichtlich war, dass man ihn mit den Händen hätte greifen können oder die Art und Weise der Übernahme der Suchbegriffe rechtswidrig gewesen wäre. Selbst wenn man daher eine Rechtswidrigkeit unterstellt, sind immer noch mehr Informationen erforderlich.
Wichtig ist daher primär nun, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Geht es um die strategische Fernmeldebeschränkung oder um die reine Auslandsaufklärung? Wurden die fraglichen Suchbegriffe nur von der NSA oder auch vom BND eingesetzt? Falls auch vom BND: war der Bezug zu deutschen Firmen erkennbar oder nicht? Hat der BND diesen Bezug gekannt oder nicht? Hat der BND eine Fernmeldekontrolle auf Bitte durchgeführt, die er auf eigenen Wunsch nicht durchgeführt hätte? Hat er auf Wunsch der USA eine Beschränkung durchgeführt, die die Behörde der USA allein nicht gedurft oder nicht gekonnt hätte? Sind die Suchbegriffe von außenpolitischem oder sicherheitspolitischem Interesse der USA oder nur von wirtschaftspolitischem Interesse? Geht es um Verstöße gegen deutsche Interessen (vgl. § 1 Abs. 1 BND-Gesetz) oder um deutsches Recht? Wurde gegen die inneradministrativen Regeln zur Verwaltungshierarchie verstoßen?.
Andererseits wäre es ausgesprochen schädlich, wenn man wegen die Öffentlichkeit wegen so viel offener Fragen das Interesse an dem Sachverhalt verlöre. Sollte es sich wirklich um einen Sachverhalt handeln, der die Wertung des Skandals verdient, wäre es eine rechtsstaatliche Pflicht, denselben aufzuklären.
Ich sehe auch noch gar nicht, dass die Verwendung der bisher genannten Selektoren auf Wirtschaftspionage oder andere Tätigkeiten gegen die BRD hindeuten. Mir erscheinen Selektoren wie “EADS” oder “Eurocopter” durchaus mit der Zielsetzung Terrorabwehr vereinbar und damit problemlos erklärbar und im Ergebnis rechtmäßig.
Denn wenn ich Datenströme nach Merkmalen durchmustern will, die zum Erkennen von Terrorismusverdacht geeignet sind, dann sind potentielle Terrorziele genauso geeignet, wie terroristische Methoden.
Daher kommt es IMHO sehr darauf an, um welche Selektoren es sich genau handelte.
“Andererseits wäre es ausgesprochen schädlich, wenn man wegen die Öffentlichkeit wegen so viel offener Fragen das Interesse an dem Sachverhalt verlöre.”
… man, die Öffentlichkeit? Wer denn jetzt.
‘Mir erscheinen Selektoren wie “EADS” oder “Eurocopter” durchaus mit der Zielsetzung Terrorabwehr vereinbar und damit problemlos erklärbar und im Ergebnis rechtmäßig.’
Für eine offizielle Stelungnahme des BND sind in diesem Satz nur noch formale Korrekturen nötig – und alles ist GUT. Danke.
Skandale und fehlende Grundgesetztreue sind möglicherweise eine notwendige – wenn auch keine hinreichende – Bedingung für einen relevante Erkenntnisse liefernden Auslandsgeheimdienst. Der Nachrichtenaustausch mit den Amerikanern läuft wohl nach „do ut des“ und die Amerikaner scheinen eine vergleichsweise komfortable Verhandlungsposition bei der Bestimmung der Austauschkonditionen zu haben. Dann sollte unter diesen Rahmenbedingungen das Grundgesetz die Einrichtung eines Auslandsgeheimdienstes verbieten. Oder die verfassungsrechtliche Ordnung wird dahingehend geändert, dass der Auslandsgeheimdienst als Fremdkörper akzeptiert wird, bei dem die Beamten nicht den ganzen Tag mit dem bisherigen GG unter dem Arm herumlaufen. Ein Blick ins Ausland mit längerer ununterbrochener rechtsstaatlicher Tradition könnte bei der Kontrolle eines solchen Auslandsgeheimdienstes hilfreich sein.