31 August 2009

Bundestag: Das mächtigste Parlament der Welt

Deutschland hat das mächtigste Parlament der Welt.

Im Ernst jetzt.

Auf dem “Parliamentary Powers Index” (M. Steven Fish and Matthew Kroenig, The Handbook of National
Legislatures: A Global Survey (New York: Cambridge University Press, 2009) kommt die Bundesrepublik Deutschland auf den Wert 0,84. Das schafft kein anderes Land – außer der Mongolei (mit deren Parlamentarismus bin ich unvertraut).

Wollen wir doch mal sehen, wo die Länder liegen, die uns jetzt im Streit um die Lissabon-Begleitgesetze immer als leuchtende Vorbilder eines lebendigen Parlamentarismus gepriesen werden. Ah ja, Österreich: 0,72. Und hier: Dänemark. 0,78. Gute Werte, klar. Aber hey: Wer ist Weltmeister? Wir!

Wie diese Werte zustande kommen? 

Our main tool is the Legislative Powers Survey (LPS), a list of 32 items that gauges the legislature’s sway over the executive, its institutional autonomy, its authority in specific areas, and its institutional capacity. Data were generated by means of a vast international survey of experts, extensive study of secondary sources, and painstaking analysis of constitutions and other relevant documents, 

 

schreiben die Autoren. Klingt doch gut nach all dem Gejammer über Entparlamentarisierung und Aushöhlung der “Mitte der Demokratie” usw. usf.


5 Comments

  1. G. aus Erfurt Tue 1 Sep 2009 at 00:47 - Reply

    Sie haben Italien vergessen. Dieses andere leuchtende Beispiel für “Demokratie”.
    Ich verstehe nicht den Zusammenhang zwischen Demokratie und dieser Studie, den Sie suggerieren.
    Beispiel Deutschland: Es gibt keine wirkliche Gewaltenteilung. Die Legislative wählt sich ihre Exekutive und gemeinsam schustert man sich die Judikative zusammen. Demokratie funktioniert anders.
    Es lässt sich wohl kaum am Grad der Macht eines “Parlamentes” bezüglich der Exekutive usw. der Level von Demokratie in einem Land messen. Ein mächtiges Parlament macht noch lange keine Demokratie. Es kann sogar das genaue Gegenteil bedeuten.
    Außerdem wurde in dieser Studie anscheinend nicht untersucht, wie es um die Macht der Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten im Zusammenhang mit der EU bestellt ist – geschweige denn vor dem Hintergrund des Lissabon-Vertrages. Daher ergeben sich schwerlich derartige Schlussfolgerungen für die anstehende Begleitgesetzgebung, die Sie ebenfalls suggerieren.
    Sie sollten mehr Sorgfalt bei der Interpretation solcher Studien walten lassen.

  2. Dietrich Herrmann Tue 1 Sep 2009 at 08:48 - Reply

    Kurz: Das klingt nach Rubbish und billiger Effekthascherei

    Mir scheint diese Studie ähnliche Methodiken anzuwenden wie Lijphart (Patterns of Democracy. Government Forms and Performance in Thirty-Six (!!) Countries 1999). Bei Lijphart hatte ich mir damals angeschaut, wie der die Macht der Verfassungsgerichtsbarkeit in den einzelnen Ländern vergleicht – hanebüchen! Die Exegese von Verfassungstexten bringt uns gar nicht weit, weil diese Texte uns nichts über die Praxis sagen. Es geht also um die “Macht” einer Institution im Alltag. Die kann sich – ohne Änderung eines Kommas im Verfassungstext – über die Zeit erheblich verändern; der gleiche Verfassungstext in zwei Ländern heißt auch noch nicht das gleiche.

    Die Auswertung von Sekundärstudien ist schön und gut – wir wissen aber nicht, wie das im Einzelnen vorgenommen wird. Es wird nicht ausbleiben, dass die Autoren höchst unterschiedliche Fragestellungen verfolgen und unterschiedliche Methodiken verwenden (so jedenfalls bei Lijphart über judicial review – darüber kommt demnächst ein Aufsatz von mir), dann ist es aber sehr fragwürdig irgendwelche Zahlen zu produzieren, die dann aggregiert einen Index ergeben, der seinerseits eine Objektivität suggeriert, die er nicht hat, nicht haben kann!

    Zur Sache:
    Der Bundestag hat das Potenzial zu einem sehr mächtigen Parlament – soviel ist richtig. Im Moment – und das ist schon eine Weile so – erreicht er bei weitem dieses Potenzial nicht. Nur einzelne Punkte (natürlich unvollständig):
    Die Abgeordneten sind nur bedingt unabhängig. Viele – nicht nur die Listenkandidaten – stehen in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer Partei. Gerade in einer großen Koalition läuft viel über die Parteien (besser Parteiführungen) – einzelne Abgeordnete haben kaum Einfluss, es sei denn, sie sind selber in der Spitze. Auch die Arbeit in den Ausschüssen, wo der Abgeordnete Einfluss ausüben könnte, steht unter der Kuratel des aus wenigen Spitzenfiguren bestehenden Koalitionsausschusses.
    Gegenwärtig sind es die kleinen Koalitionsrunden, die sich im Kanzleramt treffen, die da die Mächtigen sind. Da sind Leute ohne Namen (z.B. engste Mitarbeiter der Minister) oft erheblich wichtiger als eine ganze Reihe von Abgeordneten. Mit Jörg Asmussen, dessen Name inzwischen aus nicht nur rühmlichen Gründen an die Öffentlichkeit gerückt ist, haben wir so ein Beispiel.

    Also: Wenn Vergleich der Macht von Parlamenten, dann mal klein anfangen, und sich die Machtmechanismen etwa in zwei Ländern auch über die Zeit hinweg anschauen. Wie verhält sich der Akteur “Parlament” (gibt es DEN Akteur überhaupt – das ist doch schon die Frage. Wann tritt der Bundestag auch nur halbwegs geschlossen gegenüber einem anderen Akteur auf?) gegenüber anderen Akteuren in einem Mächte-Vieleck, welche institutionellen Mechanismen wirken? In welchen Zwängen steht er? usw.
    Da sagt eine Index-Zahl 0,84 NICHTS. Und erklären tut sie auch nichts.

  3. admin Tue 1 Sep 2009 at 09:05 - Reply

    Ja eben. Darauf will ich ja gerade hinaus: Wenn man das institutionelle, verfassungsrechtlich niedergelegte Kräfteverhältnis anschaut, dann kommt man nicht weit. Es liegt nicht an mangelnden Befugnissen des Parlaments gegenüber der Regierung, dass es immer schwächer wird. Das liegt vielmehr daran, dass politische Entscheidungen immer mehr im Verhandlungsweg statt durch Abstimmung gefällt werden. Das ist ein tiefer liegender Trend, an dem sich nichts ändern wird, wenn man dem Parlament noch mehr Befugnisse gegenüber der Regierung einräumt.
    Mit anderen Worten: Entparlamentarisierung ist in meinen Augen nicht in erster Linie ein verfassungspolitisches Problem.

  4. Dietrich Herrmann Wed 2 Sep 2009 at 09:33 - Reply

    Richtig! Und genau deshalb ist die Grundlinie von di Fabios Argumentation im Lissabon-Urteil falsch (erstaunlich, dass ihm kein einziger Kollege widersprochen hat). Wenn es di Fabio so sehr um die Macht des Parlaments gegangen wäre, dann hätte er niemals der Auflösung des Bundestags 2005 zustimmen dürfen – genau diese Entscheidung hat noch einmal die Macht des Kanzlers verstärkt.

  5. Max Steinbeis Wed 2 Sep 2009 at 09:40 - Reply

    Da stimmen wir total überein.
    Danke für den Tip zu der BT-Auflösungs-Entscheidung, interessante gedankliche Verbindung. Wäre bestimmt interessant, die beiden Urteile nebeneinander zu legen… Mach ich mal einen eigenen Blog-Post dazu, wenn ich Zeit habe.

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