01 June 2010

Bundeswehreinsatz im Inneren geht das Parlament nichts an?

Ein “Parlamentsheer” ist die Bundeswehr nur bei Einsätzen im Ausland. Soweit sie innerhalb der deutschen Grenzen Soldaten in Marsch setzt, braucht die Bundesregierung den Bundestag nicht zu beteiligen. Bundeswehreinsätze im Inneren gehen den Bundestag nichts an – so wenig, dass er sie nicht einmal per Organklage in Karlsruhe überprüfen lassen kann.

Das hat das Bundesverfassungsgericht soeben bekannt gegeben. Anlass war der Einsatz von Spähpanzern und Aufklärungs-Tornados gegen Demonstranten beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007.

Art. 87a II GG, der den Bundeswehreinsatz im Inneren auf konkret im Grundgesetz benannte Fälle beschränkt, hat laut 2. Senat nicht zum Zweck, die Kompetenzen des Bundestages zu schützen. Wenn ein Einsatz verboten ist, dann können sich die Betroffenen unter Berufung auf ihre Grundrechte dagegen wehren, aber nicht das Parlament unter Berufung auf seine Zuständigkeiten:

Der Organstreit ist keine objektive Beanstandungsklage. Das Grundgesetz hat den Deutschen Bundestag als Gesetzgebungsorgan, nicht aber als umfassendes „Rechtsaufsichtsorgan“ über die Bundesregierung eingesetzt. Aus dem Grundgesetz lässt sich kein eigenes Recht des Deutschen Bundestages dahingehend ableiten, dass jegliches materiell oder formell verfassungswidrige Handeln der Bundesregierung unterbleibe.

Die präzise Einordnung dieser Entscheidung in die Atomwaffenstationierungs-AWACS-Afghanistan-Rechtsprechungskette des BVerfG will ich gern Berufeneren überlassen. Aber prima facie fällt mir schon auf, dass dem Parlament hier seitens des Zweiten Senats wieder mehr Kühle entgegengebracht wird als jüngstens.

Parlamentsvorbehalt nach außen, und nach innen nicht?

Merkwürdig finde ich die scharfe Unterscheidung zwischen Innen und Außen gerade in Hinblick auf die Parlamentsbeteiligung.

Das BVerfG hat 1994 mit promethischer Kraft aus der Tiefe des “Gesamtzusammenhangs wehrverfassungsrechtlicher Vorschriften” deutscher Art und Geschichte den Parlamentsvorbehalt für bewaffnete Bundeswehreinsätze gezogen. Ziel: Die Exekutive sollte im demokratischen Verfassungsstaat nicht länger uneingeschränkt über das Machtmittel Militär verfügen können.

Ob das tatsächlich so im GG steht, darüber streiten sich die Experten bis heute. Aber das ist egal. Das gilt so, und verfassungspolitisch jedenfalls wird ja auch niemand dagegen sein.

Das gilt aber der heutigen Entscheidung zufolge nur für den Außeneinsatz. Im Inneren gebe es ja Art. 54a III und IV GG: Da übe das Parlament sein Recht auf Mitsprache aus, indem es den Verteidigungs- bzw. Spannungsfall erklärt und die Truppen im Katastrophenschutzeinsatz gegebenenfalls zurückruft. Und damit müsse es mal gut sein.

Ein allgemeines Zustimmungsrecht des Deutschen Bundestages in Bezug auf konkrete Verwendungen der Bundeswehr im Inland, seien es bewaffnete oder unbewaffnete Verwendungen, ist dem Grundgesetz nach den Ausführungen des Senats daher gerade nicht zu entnehmen.

“Seien es bewaffnete oder unbewaffnete Verwendungen”. Was Caesar in Gallien mit seinen Truppen anstellt, unterliegt also penibelster Kontrolle des Senats, aber sobald er den Rubikon überschreitet, hat dieser nichts mehr zu kamellen?


One Comment

  1. günter Seib Sun 13 Jun 2010 at 10:02 - Reply

    Unterscheidung zwischen Bundeswehreinsatz außen und innen veraltet

    Der Einsatz der Bundeswehr nicht etwa zur Verteidigung unserer Verfassung gegen Angriff von außen, sondern in unerklärten imperialen Angriffskriegen zur Sicherung billiger Rohstoffe und reibungslosen Handels, einschließlich Tod und Verkrüppelung junger deutscher Staatsbürger für diese Zwecke, wird schon jetzt ohne Massenprotest hingenommen. Bloss, wer diese Wahrheit aus Wichtigtuerei zu früh öffentlich propagiert, muss derzeit noch zurücktreten. Er wird binnen Monatsfrist durch einen diskreteren Anzugträger aus derselben politischen Klasse ersetzt.

    Schon das Aussprechen der Wahrheit ist also nicht einmal für das höchste Staaatsamt folgenlos. Was ergibt sich daraus für einen wirklichen, echten Massenprotest? Was bedeutet es, dass Bundesverfassungsrichter dem Training der Besatzungen von Düsenjägern und Panzerkampfwagen jetzt einen Persilschein für den Einsatz gegen ihre zivilen Mitbürger ausstellen? Es ist nichts anderes als Zukunftsvorsorge der gegen die Bevölkerungsmehrheit herrschenden Parteien für den Notstandsfall des Verlusts ihrer parlamentarisch-formalen Legitimität. Sollte es wegen der immer rabiateren Umverteilung von unten nach oben sowie wegen teurer und verlustreicher Auslandskriege, infolge von Massenarmut und Zukunftsvernichtung zu unpassenden Wahlergebnissen, Straßenprotesten, Unruhen und Plünderungen kommen, ist eine Berufsbundeswehr für die herrschende Klasse das rettende As aus dem Ärmel.

    In Chile nach dem 9. September 1973 genügte den von CIA geschulten und angeleiteten Berufsmilitärs nach Verschleppung und Ermordung aller Gewerkschafter, Volkskünstler und Politiker jenseits der extremen Rechten ein einziger gehorsamer und jederzeit schußbereiter Soldabhängiger, um 10.000 Zivilbürger bedingungslos zu unterwerfen und eine Generation lang in Schach zu halten.

    Nach dieser in einschlägigen Kreisen bestens bekannnten Formel genügen im Fall der Fälle für einen Militärputsch in der Bundesrepublik 8.000 befehlstreue Berufssoldaten zur Vernichtung jeder Opposition und zur Gewährleistung von Ruhe und Ordnung bei schrankenloser Militärherrschaft und Volksausplünderung. Wie aber bekommt man diese 8.000 zuverlässigen und fähigen, zu allem fähigen Veteranen? Genau hier wird der Wesenszusammenhang zwischen Einsatz der Bundeswehr nach Außen und im Innern deutlich.

    Ungeeignet für den Waffengebrauch gegen ihre zivilen Mitbürger sind jene, die vom Auslandseinsatz in Uniform mit einer posttraumatischen Belastungsstörung heimkehren. Sie sind dauerhaft arbeitsunfähig und existentiell beziehungsgestört, weil ihnen beim Anschlag auf eine Grundschuleinweihung Kinderhirn auf die Uniform spritzte oder sie ihren Kameraden beim blutigen Verkrüppeltwerden und Verrecken zuschauen oder die Leichenteile ihrer zerfetzten Kumpel bergen mussten. Höchst geeignet aber für eisige Befehle und scharfe Schüsse in und Bomben auf die zivile Menge sind die Veteranen, die dabei völlig ungerührt blieben oder selber im Ausland zivilen Massenmord befohlen und verübt haben.

    Lediglich 8.000 von diesen für Greuel Qualifizierten sind nötig. Ihren Karrieresold und ihre Waffen bezahlen dann nicht die Nutznießer der Militärdiktatur, die sich 30 Jahre lang noch hemmungloser am Volkseigentum bereichern dürfen, sondern die von ihnen erbarmunslos Ausgebeuteten und Unterdrückten.

    Protest gegen Bundeswehreinsatz im Innern o h n e Auflehnung gegen deutsche Kriegseinsätze im Ausland entbehrt daher der Logik. Widerstand gegen Einsatz im Innern beginnt mit der Forderung: “Bundeswehr raus aus Afghanistan jetzt!”

    Günter Seib 13. Juni 2010

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