09 March 2010

BVerfG: Grundrechte und apokalyptische Esoterik sind zweierlei

Dass das Bundesverfassungsgericht eine Institution der Aufklärung ist, zeigt dankenswerterweise wieder einmal der heute veröffentlichte Beschluss, eine Verfassungsbeschwerde gegen den neuen Teilchenbeschleuniger am CERN in Genf nicht zur Entscheidung anzunehmen.

Wenn ich das richtig verstehe, haben die Beschwerdeführer Angst, dass der Teilchenbeschleuniger ein Mini-Schwarzes-Loch entstehen lässt, in dem dann – puff! – die ganze Welt mit Mann und Maus und Erde und Planetensystem verschwindet wie der Dreck unterm Teppich im Staubsauger.

Zu den Sünden meiner Jugend gehört zwar auch ein unglückseliges Semester Physik an der TH Darmstadt, aber ich verstehe nicht annähernd genug von der Sache, um über die möglichen Gefahren eines Large-Hadron-Colliders eine fundierte eigene Meinung zu haben.

Dieses rätselhafte gewaltige Experiment, bei dem unvorstellbar kleine Teilchen mit unvorstellbar hoher Energie aufeinanderprallen und dabei in unvorstellbar kurzer Zeit Unvorstellbares passiert – da kann man es schon mit der Angst kriegen.

Apokalyptiker

Früher ist ständig was Unvorstellbares passiert, mal hat es roten Sand (= Blut) geregnet, mal ist ein komischer Stern am Himmel erschienen, mal sind alle Kühe gestorben, und jedes Mal waren sich die Leute sicher: Das muss doch was bedeuten, und was soll es bedeuten, wenn nicht das bevorstehende Ende aller Zeiten?

Heute sind Unvorstellbarkeiten seltener geworden, und deshalb kommt uns das merkwürdig vor, dass Leute mit flackerndem Blick vor der Zeitenwende warnen. Das ist aber nicht merkwürdig. Das ist ganz normal.

So wenig also ich oder die drei Herren von der 2. Kammer des Zweiten Senats von Physik verstehen – eins ist auch so klar: Hier wird niemandem etwas angetan, niemand wird verletzt und schon gar nicht umgebracht (Art. 2 II 1). Hier hat bloß jemand furchtbar Angst. Das ist nicht schön. Aber keine Grundrechtsverletzung.


6 Comments

  1. Dietrich Herrmann Tue 9 Mar 2010 at 12:34 - Reply

    Es ist trotzdem unverständlich, weshalb solche Fälle per PM an die Öffentlichkeit gebracht werden müssen – jeder weiß doch, dass haufenweise solche Beschwerden (oder auch die sogenannter “notorischer Querulanten” oder Strafgefangener) in Karlsruhe landen.

    Damit wird nur das Vorurteil bedient, dass Karlsruhe “nur” die Beschwerden von “Spinnern” und “Querulanten” abbügelt, der “normale” (whateverthatmeans) Bürger hingegen mit seiner Beschwerde hohe Erfolgsaussichten hat.

    Dagegen ist mir nicht aufgefallen, dass bei der Berichterstattung über die Jahrespressekonferenz des BVerfGs im Februar die wie immer niedrige Erfolgsquote (für 2009 lt. http://www.bverfg.de 1,88%) genannt worden wäre.

    Freilich muss man zugestehen, dass normalerweise solche PMs von der Presse kaum verwertet werden, insofern wird diese Mitteilung bestenfalls den Kreis von Interessierten, die sich in den (frei zugänglichen) PM-Verteiler des BVerfG eingetragen haben, wahrgenommen.

  2. Max Steinbeis Tue 9 Mar 2010 at 13:49 - Reply

    Och, nun seien Sie doch nicht so streng. Das BVerfG hat seit den Tagen von Uta Fölster immer eine gute Pressesprecherin gehabt (immer Frauen, komisch eigentlich). Und eine gute Pressesprecherin weiß, was eine gute Story ist. Gescheiterte Apokalyptiker sind eine gute Story. Eine Erfolgsquote, die genauso niedrig ist wie im letzten und im vorletzten Jahr, nicht.

    Die Pressemitteilungen des Gerichts sind wirklich gut gemacht, finde ich. Juristisch präzise, ausführlich, zuverlässig und für den normalen Wald-&-Wiesen-Redakteur völlig unverdaulich, weshalb er seinen Blick hilfesuchend auf den Verfassungsblog richtet (kleiner Scherz).

    Dass solche Fälle vermeldet werden, ist doch okay. Die Spezialisten, die sich für die Intricacies der Karlsruher Arbeit interessieren, wie Sie und ich, die kommen auch so drauf. Und die anderen würden sich auch dann nicht dafür interessieren, wenn das in der Zeitung vermeldet würde.

  3. Mausi Tue 9 Mar 2010 at 16:09 - Reply

    man könnte den blödsinn doch eh auf nach 2012 wenn die welt eh schon untergegangen ist, verschieben. dann muss man sich wenigstens nicht 2mal ärgern.

  4. egal Tue 9 Mar 2010 at 23:44 - Reply

    Die Rede von der Erfolgsquote langweilt, wenn man beachtet, dass pro Jahr durchschnittlich 10 Gesetze nichtig erklärt werden und dutzende wichtige Anliegen der Politik in den letzten Jahren regelrecht auseinander genommen wurden.

    Ich finde den Fall auch nicht so absurd, wobei es abzusehen war, dass das nicht durchkommen wird. Immerhin haben wir VIEL gefährlichere Anlagen in Deutschland wie etwa die Atomkraftanlagen, deren Schadensereignisse um weiten wahrscheinlicher sind.

    @DH
    Sie gehen offenbar davon aus, dass jemand, der – meist – in 3 Instanzen nicht recht bekommen hat, öfters mal ein Querulant sei. Damit tun sie aber m.E. vielen Menschen, die nach Recht und Gerechtigkeit suchen, ein großes Unrecht an.

    Auch dass Strafgefangere niedere Beweggründe haben sollen – wie ich aus ihrer Schreibweise schließe – finde ich nicht akzeptabel. Wenn man sich die vielen Fälle anschaut, die beim BVerfG aufschlagen, wo etwa in der U-Haft Menschen seit Jahren unschuldig (=ohne Urteil) verschimmeln und die OLGs das immer durchwinken, wird mir schlecht. Auch bei wichtigen Fragen wie Sicherungsverwahrung scheint die Politik und Verwaltung unfähig sachgerechte Regelungen zu treffen. Dass dann damit abzutun, dass diese Leute zuviel Zeit hätten, die behördlichen Ressourcen zu verbrauchen, kann ich nur als bösen Spott bewerten.

    @MS
    Die Pressemeldungen sind sicherlich gut gemacht, allerdings oftmals auf Grund der Komplexität des Stoffes und des notwendigen Fachwissens für den Laien kaum verständlich, aber dafür gibt es dann ja den Herrn Möller abends in der Tagesschau ;)

    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Mehrheit der Menschen bei einem Textschwall, der über 5 bis 10 Zeilen geht, abschaltet. Hat wohl etwas mit Konzentration und Leseübung zu tun. Ist aber nicht so schlimm, denn wichtige Urteile werden in der Regel in den alltäglichen Medien genügend rezipiert und dort in der Regel auch gut dargestellt.

    Problematisch wird es erst, wenn das Gericht komische Entscheidungen trifft, also vor allem diese “ja, aber”- bzw. “nein, aber”-Entscheidungen wie etwa beim Lauschangriff oder VDS. Das ist dann sehr schwer zu erklären bzw. die Folgen sind kaum abzuschätzen und die Juristen dürfen sich dann mit Normen in der Folgezeit beschäftigen, die dann über 5 Seiten gehen.

  5. Dietrich Herrmann Wed 10 Mar 2010 at 00:12 - Reply

    @egal [wunderbarer Name!]:
    Nein, was die Strafgefangenen angeht, da fühle ich mich missverstanden. Für die ist es in der Tat außerordentlich schwer, bei den Strafvollzugskammern irgendwie Gehör zu finden. Aber für die entsprechende BVerfG-Kammer ist es auch ein großer Aufwand, unter den vielen Urteilsverfassungsbeschwerden von Strafgefangenen die wirklich sehr gravierenden Grundrechtsverstöße (nicht jedes Fehlurteil eines Instanzgerichts ist ein Grundrechtsverstoß) herauszufiltern.
    Ich habe schon längere Zeit ein fertiges Manuskript zur Rechtsprechung des BVerfG zur Gefangenenentlohnung bereit liegen – bei der Recherche dazu ist mir die Problematik deutlich geworden, dass das BVerfG bei seinen Versuchen, das Unrecht gegenüber unbeliebten Minderheiten oder Randgruppen – und das sind die Strafgefangenen eben – gerade zu rücken, auf Widerstand stoßen kann. Habe ich Neugier geweckt?

    @all: Ich muss meine Einschätzung von heute mittag korrigieren – die Story ist tatsächlich bei einigen Medien gekommen – es geht offenbar doch nichts über ein bisschen leichtverständlichen Tratsch. Und über Esoteriker ablästern, das fällt Journalisten wie Wissenschaftlern leicht.

  6. KD Wed 10 Mar 2010 at 11:33 - Reply

    Die Geschichte ist nicht nur “in einigen Medien angekommen”, sondern heute sogar Anlass für ein ganz wunderbares Titelbild der FAZ…

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