28 October 2009

BVerfG lässt Privatkopie unangetastet (vorläufig)

… wenn auch nur aus formalen Gründen: Die 3. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerde der Musikindustrie gegen die Privatkopie aus Fristgründen nicht zur Entscheidung angenommen. Die eigentlich spannenden Frage bleibt damit vorerst unbeantwortet: Zwingt das nach Art. 14 GG geschützte (geistige) Eigentumsrecht und dessen Entwertung im Internet-Zeitalter den Gesetzgeber zum Handeln?

Die Musikindustrie wehrt sich wie ein Mistkäfer gegen das gesetzlich verbürgte Recht, urheberrechtlich geschützte Werke für sich und Freunde zu vervielfältigen, ohne zu zahlen und zu fragen. In der Urheberrechtsreform “Korb eins” 2003 war es ihr nicht geglückt, die Privatkopie aus dem Gesetz zu kicken. Die Frage, ob die Privatkopie auch bei kopiergeschützter Musik erlaubt sein soll, wurde damals zurückgestellt.

Sie wurde erst im “Zweiten Korb” 2008 entschieden: Sie bleibt auch dann erlaubt. Dazu musste der Gesetzgeber das Urheberrecht nicht groß ändern. Es genügte, alles so zu lassen, wie es ist. Dagegen hat die Musikindustrie, vertreten vom Bonner Ordinarius Fritz Ossenbühl, Verfassungsbeschwerde erhoben.

Nun stellt sich heraus, dass sich in einer solchen Konstellation gegen die Entscheidung des Gesetzgebers verfassungsgerichtlich nicht viel ausrichten lässt: Gegen das Gesetz 2003 kann man nichts mehr tun, weil die Jahresfrist verstrichen ist. Gegen das Gesetz 2008 kann man auch nicht viel tun, weil sich an der Rechtslage nichts ändert. Und das sei aus “Gründen der Rechtssicherheit” auch ganz in Ordnung so, meint die Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze ist wegen der Tragweite eines solchen Angriffs aus Gründen der Rechtssicherheit nach § 93 Abs. 3 BVerfGG an eine eng auszulegende Ausschlussfrist gebunden (…). Diese beginnt bei Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine unverändert gebliebene Norm nicht deshalb neu, weil der Gesetzgeber die Bestimmung gelegentlich der Änderung anderer Bestimmungen desselben Gesetzes erneut in seinen Willen aufgenommen hat (… ). Bleibt die angegriffene Norm inhaltlich unverändert oder wird sie rein redaktionell angepasst, setzt kein neuer Fristlauf ein

Ich bin ja sehr für die Privatkopie und habe wenig Geduld mit dem Gezeter der Musikindustrie (wie auch der Verlage in punkto Leistungsschutzrechte, anderes Thema). Aber das finde ich doch komisch: Ich würde mich anstelle der Beschwerdeführer auch ausgetrickst fühlen. Kann es richtig sein, dass der Gesetzgeber auf diese Weise in politisch hoch kontroversen Fragen Festlegungen trifft, die er durch seine Verfahrensgestaltung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzieht?

Der Kammer scheint dabei auch nicht ganz wohl zu sein: Sie repetiert am Ende der Entscheidung noch mal ausführlich die Argumente der Beschwerdeführer, ohne dass klar wird, wozu.

Legt man die Argumentation der Beschwerdeführer zugrunde, hätte der Gesetzgeber schon damals berücksichtigen müssen, dass durch § 53 Abs. 1 UrhG in Verbindung mit der zunehmenden Verbreitung der digitalen Privatkopie ein Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierte Verwertungsrecht der Tonträgerhersteller (vgl.BVerfGE 81, 12 <16 f.> ) bewirkt werde. Entsprechende Daten über kopierbedingte Umsatzrückgänge der Tonträgerhersteller lagen bereits vor und waren Gegenstand intensiver rechtspolitischer Diskussion unter Beteiligung der Musikindustrie (vgl. Schack, ZUM 2002, S. 497 <500>; Berger, ebd., <263 ff.>; Poll/Braun, ebd.; Lüft, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 53 Rn. 6; je m.w.N.). Dass sich der Gesetzgeber die Fragestellungen, bei denen die Urheberrechtsrichtlinie sowie zwei WIPO-Verträge keine zwingenden, fristgebundenen Vorgaben machten, für den „zweiten Korb“ der Urheberrechtsreform vorbehalten hat, hätte ihn – aus Sicht der Beschwerdeführer – nicht davon freistellen können, eine im Sinne des Eigentumsschutzes verfassungskonforme Regelung zu treffen.

Offenbar drückt es die Richter, ihrer Sorge um das geistige Eigentumsrecht der Musikindustrie doch Ausdruck zu verleihen, aber sie wissen nicht recht, wie:

Es bedarf keiner Entscheidung, ob die von den Beschwerdeführern beklagte enteignende Wirkung von § 53 Abs. 1 UrhG angesichts einer immer stärkeren Verbreitung privater Digitalkopien bei einer etwaigen zukünftigen Urheberrechtsnovelle den Gesetzgeber dazu zwingt, die private Digitalkopie einzugrenzen oder – im Rahmen seines weiten Gestaltungsraums (vgl.BVerfGE 81, 12 <21>) – sonstige Maßnahmen zu ergreifen, um das Eigentumsrecht der Tonträgerhersteller nicht zu entwerten.

Die Neigung des Gerichts, an alle möglichen Rezipienten “dunkle Signale” (Lübbe-Wolff) zu senden, kann einem gelegentlich gelinde auf die Nerven gehen…


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