BVerfG: Missbrauchsgebühr gegen psychisch Kranke?
Das Bundesverfassungsgericht kriegt eine Menge Post.
Ich erinnere mich noch: Als wir 1998 unsere Ausstellung zu 50 Jahre Grundgesetz vorbereiteten, zeigten uns Jutta Limbach und ihre damalige Pressesprecherin Uta Fölster die Unmengen von Briefen, in denen die so genannten “einfachen Leute” ihre Sorgen und Nöte dem Bundesverfassungsgericht schilderten, teilweise unter der Zeile “liebes Bundesverfassungsgericht”, mit Füller von zittriger Hand auf kariertes Papier geschrieben. Es gibt für diese Art von Zuschriften ein eigenes Aktenzeichen, ich habe leider vergessen welches.
Wir hatten ein paar davon in die Ausstellung als Exponate aufgenommen. Weil sie so schön zeigen, welches Vertrauen das Bundesverfassungsgericht in der Bevölkerung genießt. Vor allem Jutta Limbach war das sehr wichtig.
Jetzt hat die 1. Kammer des Ersten Senats eine Entscheidung veröffentlicht, aus der ein ganz anderer Geist spricht.
Richter Bärli vom Bundesbärengericht
Eine Frau bekam 300 Euro Missbrauchsgebühr aufgebrummt, weil ihre Verfassungsbeschwerde “nicht einmal ansatzweise” substantiiert begründet war.
Sie beschränkt sich vielmehr im Wesentlichen auf eine Kritik an Kulturschaffenden und begehrt vom Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzentscheidung zu der Frage, ob die Musik von Richard Wagner an bestimmten Tagen aufgeführt werden darf. Sie hat dem Bundesverfassungsgericht ferner mitgeteilt, dass „Richter Bärli“ vom „Bundesbärengericht“ zwei Tage über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geweint habe.
Das fand die Kammer gar nicht komisch, sondern reagierte mit dem Standardsatz, dass das BVerfG “es nicht hinnehmen” muss, durch irgendwelchen Quatsch an seiner Arbeit gehindert zu werden. Also Missbrauchsgebühr.
Besonders verletzt hat die Kammer, dass die Frau
trotz des zutreffenden Hinweises des Präsidialrats auf die völlig unzureichende Begründung der Verfassungsbeschwerde (…) auf einer Behandlung durch die Kammer bestanden und ihr völlig neben der angegriffenen Entscheidung liegendes Vorbringen vertieft (hat), zuletzt etwa durch den Hinweis, dass es kein Zufall sein könne, dass in der Bundesversammlung am 30. Juni 2010 alle Politiker blaue Sachen getragen hätten.
Alle blaue Sachen getragen, was?
Ich bin ja kein Psychiater, aber…
Dass die Frau psychische Probleme hat, scheint mir auf der Hand zu liegen. Sie in einen Topf zu werfen mit profilsüchtigen Anwälten, die mit haltlosen Verfassungsbeschwerden Gebühren schinden, scheint mir ebenso humor- wie herzlos.
Das, würde ich mal vermuten, hätte es bei Jutta Limbach nicht gegeben.
Foto: Christina Welsh, Flickr Creative Commons
“Es gibt für diese Art von Zuschriften ein eigenes Aktenzeichen, ich habe leider vergessen welches.”
“AR”, wie “Allgemeines Register”.
Jedenfalls hatte die Bf. ihr Anliegen offenbar vorher mit Unterstützung eines Rechtsanwaltes bis zum Bundesverwaltungsgericht gebracht …
Ebenso merkwürdig finde ich, dass wegen derartiger Nichtigkeiten inzwischen ganz regelmäßig noch die Pressemaschinerie des BVerfG angeworfen und eine PM ohne Inhalt in alle Welt ausgespuckt wird. Ich empfinde solche PM immer ein bisschen würdelos, bestenfalls oberlehrerhaft. Zum einen sollte sich ein Verfassungsorgan wie das BVerfG der Verbreitung “seiner” Emotionen enthalten, auch wenn Querulanten “seine” Zeit und Nerven zehren (Berliner Verfassungsorganen geht dies übrigens ganz genauso). Zum anderen wirkt es immer etwas – unfreiwillig – komisch, wenn das BVerfG einentags eine staatstragende Entscheidung zu Auslands- oder Inlandseinsätzen der Bundeswehr auf demselben Verteilerkreis verkündet wie anderentags die Verhängung einer Mißbrauchsgebühr in einer (dort so empfundenen) Nichtigkeit. Ich glaube nicht, dass sich je ein Querulant oder Geistesgestörter von derartigen PM’s – sofern er überhaupt Zugang hierzu hat – von einer völlig aussichtslosen Beschwerde hat abbringen lassen. Ebenso wenig übrigens, wie einer von mehreren hunderttausend Klägerinnen und Klägern, die jedes Jahr vor die Amts-, Land-, Verwaltungs-, Finanz oder Sozialgerichte ziehen, weil sie sich noch irgendein Fünkchen Hoffnung für ihren Fall bewahren wollen. Man stelle sich vor, dass jeder genervte Amts- oder Sozialrichter eine PM zur Klageabweisung veranlassen würde, verbunden mit dem Hinweis, dass den Kläger sein Nonsens gem. GKG teuer zu stehen gekommen habe.
Ob das nicht durchaus eine angemessene Reaktion war, darueber kann man streiten. Lesen und schreiben konnte sie ja. Und 300 Euro ist sehr moderat. Solchen Leuten ist nicht geholfen, wenn man ihnen die Realitaet vorenthaelt.
Der Verhängung der im Gesetz vorgesehenen Missbrauchsgebühren liegt wohl weniger eine Verärgerung von Richtern über lästige Eingaben zugrunde als vielmehr die Hoffnung, die betreffenden Bf. von weiteren, rein querulatorischen Eingaben abzuhalten. Um den Einzelfall zu beurteilen müsste man nicht nur den Inhalt der betreffenden Vb. genau kennen, sondern darüber hinaus die Zahl der vorangegangenen querulatorischen Vb. des betreffenden Bf. und deren Erledigung.
Gegen die allzu schnelle Verhängung von Missbrauchsgebühren sprechen aber mehrere praktische Erwägungen:
1. Es ist keineswegs sicher, dass Missbrauchsgebühren die ihnen zugesprochene präventive Wirkung haben. Eher dürfte eine differenzierte Betrachtung geboten sein. Man darf nämlich vermuten, dass sich gerade Querulanten, die am Rande der Prozessunfähigkeit stehen, nicht von solchen Maßnahmen abhalten lassen werden, sondern die mit einer Gebühr verbundene Nichtannahme lediglich zu noch übleren Eingaben evtl. verbunden mit Befangenheitsgesuchen führt. Denn neg. Prävention setzt zunächst Verständnis und sodann eine gewisse Akzeptanz voraus. Kann man das von einem Querulanten mit einer ellenlangen Listen vorangegangener querulatorischer Eingaben wirklich erwarten?
2. Die Vollstreckung einer Missbrauchsgebühr ist mit einem erheblichen Aufwand verbunden und die Verhängung deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn man sowohl einen Vollstreckungserfolg als auch eine präventive Wirkung erwarten kann. Das dürfte etwa bei Rechtsanwälten in eigenen Sachen (z.B. Verkehrs-OWi) evtl. der Fall sein, bei vielen anderen Bf. hingegen nicht. Warum sollte etwa ein gesetzlich eingerichteter Querulant Rücksicht auf Missbrauchsgebühren nehmen?
3. Bei einer Gesamtbetrachtung vermögen Missbrauchsgebühren gerade diejenigen Bf. nicht von Eingaben abzuhalten, deren missbräuchliches Verhalten das BVerfG zu überlasten droht. Wirkung zeigen die Missbrauchsgebühren dagegen insbes. bei Bf., deren sinnlose Eingabe mit einer kurz begründeten Nichtannahme ebensogut erledigt werden könnte und die einem warnenden Hinweis durchaus noch zugänglich wären.
Fazit: Ein Bf., der vernünftig ist und seine ökonomischen Interessen nich im Blick hat, wird idR. keiner Missbrauchsgebühr bedürfen, um von weiteren sinnlosen Eingaben abzusehen. Wer sich nicht vernünftig verhält und kurz vor der Prozessunfähigkeit steht oder bereit ist, seine finanziellen Interessen zurückzustellen, wird sich auch von Missbrauchsgebühren nicht abhalten lassen. So sinnlos die Vb. manchmal ist, so sinnlos ist auch manche Missbrauchsgebühr.
“Warum sollte etwa ein gesetzlich eingerichteter Querulant Rücksicht auf Missbrauchsgebühren nehmen?”
Weil erfahrungsgemäß sehr oft ein Zustand plötzlicher Erleuchtung eintritt, wenn es tatsächlich an den Geldbeutel geht (und nicht bloß damit gedroht wird). Darin liegt auch die Antwort auf Ihre Nr. 1: Querulanten haben dann keinen Spaß mehr, wenn ihre “Späße” ihnen teuer zu stehen kommen.
Abgesehen davon kann von einer allzu schnellen Verhängung von Missbrauchsgebühren nun wirklich keine Rede sein; eher schon das Gegenteil.
1. Haben die Missbrauchsgebühren je eine messbare Wirkung entfaltet? Woraus ergibt sich das? Gibt es Untersuchungen dazu?
Ist die Aussage, dass Querulanten keinen Spaß mehr haben, wenn es Ihnen an den Geldbeutel geht, danach wirklich mehr als eine mangels Zahlen nicht überprüfbare These? Ist hier oft (gestezlich eingerichteter Querulant, sehr einkommensstarker Bf.) nicht eher ein Wunsch der Vater des Gedankens?
2. Wie kann es einem gesetzlich eingerichteten Querulanten – zur Erklärung: Vollstreckungen bleiben aufgrund mangelnden Vermögens fruchtlos – überhaupt an den Geldbeutel gehen? Wie kann an den Bestimmungen des Pfändungsschutzes vorbei vollstreckt werden?
Gibt es danach wirklich Anlass, etwa bei Querulanten im Hartz-IV-Bereich, bei Häftlingen oder anderen finanziell nicht leistungsfähigen Bf. an einen Effekt von Missbrauchsgebühren glauben?
Legt das nicht jedenfalls eine insgesamt zurückhaltende und differenzierte Handhabung nahe (erwarteter Vollstreckungserfolg, erwartete Präventionswirkung, Verhältnis von Aufwand und Ertrag)?
3. Ob man die Verhängung einer Missbrauchsgebühr als allzu schnell bewertet oder nicht, hängt davon ab, ob man eine Verhängung unabhängig von den Aussichten der anstehenden Vollstreckung, einer zu erwartenden Prävention sowie dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag befürwortet. Ob alle Kammerentscheidungen insbes. des Zweiten Senats diese Gesichtspunkte im Blick behalten haben, ist zweifelhaft. Abzuwarten bleibt, ob sich die zurückhaltendere Praxis der Kammern des Ersten Senats ändern wird. Eine solche Entwicklung wäre im Hinblick auf die genannten Gesichtspunkte sehr bedenklich.
Hinzu kommt: Die Beschäftigung mit Missbrauchsgebühren und der damit einhergehende Begründungsaufwand in Votum und Beschluss hält von den wichtigen anderen Verfahren ab, deren Bearbeitung auch nach Auffassung des BVerfG im Vordergrund stehen sollte. In gewissem Umfang sind Missbrauchsgebühren also nicht nur nicht zielführend, sondern bewirken gerade das Gegenteil des Gewollten! Auch danach liegt Zurückhaltung nahe.
@Hendrik
zum letzten Punkt: Der Begründungsaufwand bei Missbrauchsgebühren hält sich nach meinem Eindruck sehr in Grenzen. Das ist immer der gleiche Textbaustein von wegen, das BVerfG muss es nicht hinnehmen, durch blablabla an der Erfüllung seiner Aufgaben gehindert zu werden usw. Cut and paste – mehr Aufwand fällt da nicht an.
Ja, es trifft zu, dass die Begründungen in den Beschlüssen textblockartig anmuten. Indessen könnten die betreffenden Vb. sonst durch eine nicht bzw. allenfalls im Tenor begründete Nichtannahme erledigt werden, was noch erheblich weniger Lese- und Korrekturaufwand erzeugte. Ferner darf man den besonderen Begründungsaufwand im zugehörigen Votum hinsichtlich des “Ob” und der Höhe der Missbrauchsgebühr nicht übersehen. Dieser Aufwand tritt zu den die Zulässigkeit und die Begründetheit der Vb. betreffenden Ausführungen hinzu. Insgesamt muss selbst dann spürbar mehr geschrieben und gelesen werden, wenn über die hinzutretenden Gesichtspunkte zwischen Hiwi und Richter sowie in der Kammer jeweils auf Anhieb Einigkeit besteht. Schließlich werden z.T. Pressemeldungen abgesetzt. Das erzeugt weiteren Verwaltungsaufwand.
Von wegen “…mehr Aufwand fällt da nicht an”!!!
Der Mehraufwand ist vielmehr insgesamt betrachtet, d.h. unter Berücksichtigung aller Arbeitsschritte und im Hinblick auf sämtliche in Betracht kommenden Verfahren, durchaus erheblich, steht keinem messbaren Effekt gegenüber und wirkt nicht nur nicht zielführend, sondern gerade wegen der hohen Belastung im Übrigen hinderlich.